Magdeburg: Proteste haben an Stärke gewonnen

kombinat-fortschritt.com 30.01.2012 20:51 Themen: Antifa
Der erste Naziaufmarsch in der Wintersaison ist durch. Rund 1200 Nazis zogen durch Teile der Magdeburger Innenstadt. Der Demonstrationszug kam dabei an einigen Stellen wegen Blockaden zum Stehen. Auch gelang es Antifaschisten direkt an der Route ihren Unmut kundzutun. Kombinat-Fortschritt sprach mit einem Vertreter von Entschlossen-Handeln über den 14. Januar 2012.
KomFort: Ihr habt im Vergleich zu den Vorjahren im Vorfeld wesentlich mehr Aktivitäten unternommen. Allgemein war die Einschätzung bereits im Vorfeld, dass es in Magdeburg dieses Jahr mehr Proteste geben wird. Wie haben die so genannten Sicherheitskräfte darauf reagiert?

Tobias: Im Vergleich zu den Vorjahren waren wir in diesem Jahr mit einem Polizeiaufgebot konfrontiert, was es fast unmöglicht machte, an die Route der Nazis heranzukommen. So wurde – was in Magdeburg bisher noch nie vorkam – die gesamte Naziroute mit Gittern eingezäunt und dies zum Teil doppelt. Es wurden Wasserwerfer eingesetzt, Räumpanzer standen an der Route und mit über 2000 Einsatzkräften war die Polizei mit einer riesigen Stärke vertreten. Der Auftaktkundgebungsort der Nazis wurde dann dazu noch in die Magdeburger Neustadt, auf den Nicolaiplatz verlegt, wo es für die Polizei leicht war Antifaschist_innen weiträumig abzuschirmen.

KomFort: Aber dennoch gab es merkbaren Widerstand…

Tobias: Ja es gab es mehrere Blockaden und weitere Aktionen, die den Naziaufmarsch störten. So wurden während der Auftaktkundgebung der Nazis durchgängig die Glocken der Nicolaikirche geläutet und eine Tonanlage, die in die Bäume gelegt war, störte. Durch drei Blockaden auf der Naziroute wurde der Aufmarsch zeitweilig gestoppt und es gab, hauptsächlich in der Nähe der Uni, massive Angriffe auf die Nazis. Neben Rauchbomben, Flaschen und Böllern flogen auch Steine auf den Aufmarsch, sodass die Nazis ihre Aufstellung änderten und ihre Transparente zum Schutz vor Wurfgeschossen benutzten. Nichts destotrotz konnte allerdings der Naziaufmarsch nicht verhindert werden.

KomFort: Aber dennoch haben sich die Nazis den Tag sicher ein bisschen anders vorgestellt. Anscheinend zeigt die Tendenz nun auch in Magdeburg klar nach oben.

Tobias: Ja ich glaube, dass vielleicht das wichtigste an diesem Tag. Es ist gelungen in diesem Jahr deutlich mehr Antifaschisten nach Magdeburg zu mobilisieren, als in den Vorjahren. Der Naziaufmarsch konnte effektiv gestört werden, wurde leider aber nicht verhindert. Ebenfalls konnte durch unsere inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Naziaufmarsch und dem Verhalten der sogenannten “Meile der Demokratie” eine Diskussion angeregt werden, wie es in den nächsten Jahren in Magdeburg weitergehen soll. Wie diese Diskussion sich entwickelt, werden wir in den nächsten Monaten sehen.

KomFort: In der sächsischen Landeshauptstadt gibt es mit Dresden-Nazifrei ein spektrenübergreifendes Bündnis. In Magdeburg ist das zumindest bisher nicht der Fall. Wie gestaltet sich in einem solchen Fall die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren?

Tobias: Für 2012 gab es viele Bündnisse die sich gegen den Naziaufmarsch richteten, etwas zu viele. Es wurde von jedem Bündnis eigenes Mobilisierungsmaterial gedruckt und fast alle veröffentlichten unterschiedliche Treffpunkte wo man sich sammeln konnte, um an den Aktivitäten gegen den Aufmarsch teilzunehmen. Dies war alles sehr unübersichtlich und man hätte, da eigentlich alle in irgendeiner Form zur Blockade des Naziaufmarsches aufriefen dies besser verbinden können.

Da wir allerdings auch inhaltlich am 14. Januar 2012 linksradikale Positionen, die sich gegen das Gedenken, den Naziaufmarsch und das Verhalten der Stadt richteten in die Öffentlichkeit transportieren wollten, sollte die Demonstration mit anschließenden Aufruf, sich an den Blockaden zu beteiligen durchgeführt werden. Das dies schwierig werden würde, war uns klar. So versuchten wir im Vorfeld des Aufmarsches inhaltlich darauf einzugehen und gaben verschiedene Pressemitteilungen heraus. Am 14. Januar 2012 selbst war dann auch eine nicht kleine Anzahl an Kamerateams und Journalisten während der Auftaktkundgebung unserer Demonstration “Faschismus heißt Krieg! Den Naziaufmarsch verhindern!” am Magdeburger Hauptbahnhof. Leider fand dann die Demonstration nicht statt. Grund war ein Zwischenfall auf der Zugstrecke zwischen Magdeburg und Burg. Zwischen 8 und 11:30 Uhr fuhren keine Züge, sodass über 100 Personen am Burger Bahnhof festsaßen und es so in Magdeburg organisatorisch nicht möglich war, eine Demonstration durchzuführen. Dies war und ist sehr schade.

KomFort: Obwohl es auf der Straße gar nicht so schlecht aussah, war das Presseecho eher mäßig um es freundlich auszudrücken.

Tobias: Da habt ihr sicherlich recht. Tatsächlich wurde vor allem über die Demokratiemeile gesprochen und nach den Vorfällen in Stadtfeld war dann wieder wie üblich. Gute Demokraten auf der einen Seite und die bösen Autonomen auf der anderen.

KomFort: Nun ja, wenn Betonplatten aus großer Höhe geworfen werden, dann muss man sich auch darüber kaum wundern. Aber auch unabhängig von dem Vorfall scheint ihr mit euer Pressearbeit kaum durchgedrungen zu sein.

Tobias: Ja da ist sicherlich einiges nicht optimal gelaufen.

KomFort: Nun ist es vielleicht etwas früh an das nächste Jahr zu denken, aber mit Blick auf den abgesagten Aufmarsch am 18. Februar in Dresden: Was wird das für Magdeburg bedeuten, wo es anscheinend für die Nazis einigermaßen realistisch ist, eine Demonstration auch zu Ende zu laufen.

Tobias: Für uns ist es schwer zu beurteilen, ob Magdeburg ein neues Dresden wird. Allerdings ist ein Naziaufmarsch mit 6000 Knalltüten,die durch die Straßen latschen, wie er vor ein paar Jahren in Dresden stattfand, in Magdeburg derzeit noch unrealistisch. Auf der anderen Seite klappte die Zusammenarbeit der verschiedensten Bündnisse, obwohl es doch etwas zu viele waren in diesem Jahr sehr gut. Trotz einer Vielzahl von unterschiedlichen politischen Spektren, die zu den Gegenaktivitäten gegen den Naziaufmarsch aufriefen, gab es im Vorfeld Absprachen und am 14.01.2012 einen solidarischen Umgang miteinander.

KomFort: Das heißt, selbst wenn sich Magdeburg zu einem zweiten Dresden entwickeln sollte, dann sind in diesem Jahr die Voraussetzungen dafür gelegt worden, dass man auf solch eine Entwicklung adäquat reagieren könnte?

Tobias: Das wollte ich damit sagen. Aber auch auf polizeilicher Seite scheint man sich darauf vorzubereiten, dass Magdeburg in Zukunft wichtiger werden könnte. So gab es am 14.01 insgesamt 22 Festnahmen mit den Vorwürfen Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz, Sachbeschädigung, Landfriedensbruch und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Die Festgenommen kamen allerdings alle am selben Tag wieder raus. Neben den Festnahmen kam es zu Pfeffersprayangriffen durch die Polizei auf Personen, die sich den Nazis in den Weg stellen wollten. Auch wurden Personen auf dem Unigelände von einer Einheit der BFE aus Sachsen massiv angegriffen, wodurch einige Personen Verletzungen erlitten.

Neben diesen ganzen Sachen kam es am Abend noch zu einer Auseinandersetzung zwischen Antifaschist_innen und der Polizei in Magdeburg Stadtfeld. Dabei griff die Polizei Personen vor dem Sozialen Zentrum an, die sich zuvor an einer antifaschistischen Spontandemo beteiligten. Während des Angriffs wollte sich ein Polizist Zugang zum Zentrum verschaffen, was allerdings verhindert wurde. Daraufhin zog die Polizei mehrere hunderte Polizeibeamte in Uniform und zivil, unzählige Einsatzfahrzeuge, Überwachungswagen, zwei Räumpanzer, Rammböcke und zeitweilig Kommandos des SEK zusammen. Dies wurde dann mit einem angeblichen Wurf einer Betonplatte auf einen Polizisten begründet. So belagerte die Polizei für mehrere Stunden das Zentrum und nur durch das besonnene Verhalten der anwesenden Personen und durch Hilfe von Rechtsanwält_innen konnte eine Stürmung des Hauses verhindert werden. Dieser Vorfall erinnerte stark an die Durchsuchungen am 19.02.2011 in Dresden, wo nach der erfolgreichen Verhinderung des Naziaufmarsches das “Haus der Begegnung” von der Polizei gestürmt wurde.

KomFort: Dieser Vergleich ist dann doch ein bisschen gewagt. Das mit der Steinplatte hätte auch schief gehen können, außerdem hat man der Polizei damit einen hervorragenden Anlass zum Einschreiten gegeben. Aber unabhängig davon, bevor wir uns dem Ende nähern. Was liegt euch noch auf dem Herzen?

Tobias: Ich darf jetzt zu einer pathetischen Rede ansetzen?

KomFort: Wenn du willst…

Tobias: Im Gegensatz zu den Vorjahren haben die Proteste gegen den Naziaufmarsch in Magdeburg an Stärke gewonnen und so konnte der Naziaufmarsch zum Teil massiv gestört werden. Eine endgültige Auswertung dazu erfolgt allerdings noch von unserer Seite in den nächsten Wochen. Dennoch bedanken wir uns jetzt schonmal bei allen Menschen, die uns bei der Mobilisierung unterstützt haben und nach Magdeburg kamen. Wir hoffen euch und noch viele andere im Januar 2013 wieder in Magdeburg zu sehen, um diesem Aufmarsch endlich ein Ende zu bereiten!
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Ergänzungen

weil nicht darüber gesprochen wird

ein Link 30.01.2012 - 21:42
 http://lizaswelt.net/2012/01/16/karneval-der-empoerten/
In Magdeburg wurde anlässlich einer Nazi-Demo und der Proteste dagegen vollends ununterscheidbar, wer auf welcher Seite steht.

Richtigstellung

Marion Müller 31.01.2012 - 05:23
Das Bündnis "Entschlossen - Handeln " wurde gegründet - um eine Demonstration durchzuführen. Der Zweck des Bündnisse bestand und besteht nicht darin allgemeine Lamentos über die Situation in Magdeburg abzugeben. Insbesondere ist dem bürgerlichen Dreck vom Kombinat Fortschritt - dass durch den Wurf einer tatsächlichen oder vermeintlichen Steinplatte der Polizei ein Vorwand gegeben wurde - zu widersprechen. Die inhaltlichen Positionen der DKP kann mensch in folgender Erklärung wiederfinden. Weitere findet mensch dazu auf den Seiten von ww.dkp-lsa.de unter Standpunkte.

Pressemitteilung 15.01.2012
Nach Naziaufmarsch greift Polizei Soziales Zentrum in Magdeburg an
Nach dem Naziaufmarsch begleiteten Polizeikräfte eine antifaschistische Spontandemonstration durch Stadtfeld. Als die Demo vor dem Sozialen Zentrum eintraf wurden Personen, welche sich vor dem Laden aufhielten, unvermittelt von Polizeikräften mit Schlagstöcken attackiert. Ein übermotivierter Beamter versuchte Knüppel schwingend über den kleinen Eingang in den ansässigen Infoladen zu gelangen. Auf Grund dieser Szenerie wehrten sich die Anwesenden erheblich, so dass sich die Polizei kurzzeitig zurückziehen musste. Innerhalb von wenigen Minuten füllte sich der ganze Stadtteil mit Konzentration auf die Alexander – Puschkin – Straße mit hunderten Polizeikräften. Diese riegelten die umliegenden Straßen des Sozialen Zentrums ab und bauten eine Drohkulisse auf. BewohnerInnen des Stadtteils wurden bedroht und eingeschüchtert. Eine mögliche Öffentlichkeit, die den Einsatz der Polizei kritisch beobachtet, wurde versucht zu unterbinden. Unterdessen verliefen Verhandlungen mit Hilfe von RechtsanwältInnen zwischen TeilnehmerInnen der antifaschistischen Gegenaktivitäten, welche sich im Sozialen Zentrum aufhielten, und der Polizei. Ziel dieser Verhandlungen von Seiten der AntifaschistInnen war es die Situation zu deeskalieren und den Schaden im Sozialen Zentrum möglichst gering zu halten. Seitens der Polizei wurde sich nicht an alle Absprachen gehalten, jedoch konnten die meisten AntifaschistInnen dank dem juristischen Beistand nach und nach das Haus verlassen. Es wurden Personalien aufgenommen und Lichtbilder von den Personen angefertigt. Ein Aktivist wurde in Gewahrsam genommen, da er keinen deutschen Pass hatte. Nach dem sich keine Personen mehr im Haus befanden, wurde dieses mit hohem technischen Aufwand durchsucht. Dabei wurden auch alle privaten Räumlichkeiten aufgebrochen. Die Belagerung des Sozialen Zentrums durch die Einsatzkräfte der Polizei dauerte insgesamt achteinhalb Stunden bis in den frühen Morgen hinein. Vor Ort waren hunderte Polizeibeamte in Uniform und zivil, unzählige Einsatzfahrzeuge, Überwachungswagen, zwei Räumungspanzer, Rammböcke und zeitweilig Kommandos des SEK.
Dieses Vorgehen der Polizei am Tag des Naziaufmarsches reiht sich ein in die absolut unverhältnismäßige und repressive Praxis gegen entschlossenen antifaschistischen Widerstand. Die Polizei sorgte am 14. Januar 2012 für ein Nazi- Event, indem sie den Aufmarsch der Faschisten wieder einmal durchsetzte, während AntifaschistInnen gehetzt und verletzt wurden. Über 25 Ingewahrsamnahmen, unzählige Festsetzungen von AktivistInnen und mindestens 10 gemeldete Verletzte.
Die gleichen Polizeihorden knüppelten bereits 1 Woche zuvor am 07.01.2012, dem Todestag von Oury Jalloh, in Dessau auf die Gedenkdemonstration ein und verletzten viele TeilnehmerInnen.
Trotz NSU-Hysterie setzt sich die Linie von Staatsseite fort; der Feind steht links, gegen Linke wird weiterhin konsequent vorgegangen, während den Nazis Rosen auf den Weg gestreut werden. Faschisten können weiterhin ihre menschenverachtenden Parolen verbreiten, vom Verfassungsschutz (mit-) finanzierte Wehrsportübungen durchführen u.ä., während gegen Linke der Knüppel geschwungen wird und wir AntifaschistInnen mit Verfahren überzogen werden. Wie schon in Dresden im letzten Jahr zielte der gestrige Polizeieinsatz auf die größtmögliche Schwächung antifaschistischen Engagement und deren Kriminalisierung.
Gegen diese Zustände müssen wir uns vehement zur Wehr setzen. Ein antifaschistisches Engagement, welches sich nicht auf die „Hilfe“ des Staates und seiner Behörden stützt, ist von Nöten. Das zeigt nicht nur der aktuelle Fall der Verflechtung der NSU mit staatlichen Behörden, sondern auch die genannten Beispiele, wie eben das Vorgehen der Polizei am 14. Januar in Magdeburg.

DKP – Land Sachsen – Anhalt
Ermittlungsausschuss Magdeburg
Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen Magdeburg
Rote Hilfe e.V. (Magdeburg)
Soziales Zentrum Magdeburg
Zusammen kämpfen (Magdeburg)

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 5 Kommentare an

Ich finds ja fast ein wenig unsolidarisch — Betonplatte hin oder her

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@lizaswelt Fan — AutorIn

Polizeistrategie — Anonymous

Protest — Pascal