„Deuropa“ unter Beschuss

Tomasz Konicz 17.01.2012 09:44 Themen: Globalisierung
Torpediert die US-Ratingagentur S&;P mittels der jüngsten Massenabwertung gezielt die Formierung eines deutsch dominierten Europa? Führender deutscher Kapitalvertreter plädiert bereits für nationalen Alleingang.
Die Herabstufung der Bonität mehrerer europäischer Staaten durch die Ratingagentur S&P löste europaweit Unverständnis und Empörung aus. Am vergangenen Freitag verloren Frankreich und Österreich ihr Spitzenrating, während sieben weitere Länder abermalige Abstufungen ihrer Kreditwürdigkeit hinnehmen mussten: Hierunter finden sich die südlichen Euroländer Portugal, Spanien, Italien, Malta und Zypern sowie die osteuropäischen Eurozonen-Neumitglieder Slowenien und Slowakei. Somit weisen in der Eurozone nur noch Deutschland, Finnland, die Niederlande und Luxemburg die Bonitätsbestnote AAA auf.

Die EU-Kommission übte unverzüglich scharfe Kritik an der Entscheidung von S&P. Der europäische Währungskommissar Olli Rehn sprach von einer „abwegigen Entscheidung“, deren Timing „nicht zufällig“ gewählt worden sei, da Europa gerade „an allen Fronten entschieden handelt, um auf die Krise zu antworten.“ Österreichs Notenbankchef Ewald Nowotny sprach gar von einer „politischen Aktion“ seitens S&P, die dazu beitragen könnte, die zuletzt in der EU verzeichnete „positive Entwicklung“ zu „stören“. Der deutsche Wirtschaftsminister Philipp Rösler sprach hingegen von einer gezielten „Attacke“ der US-Rating-Agentur, die „sehr eigene Zwecke“ verfolge. Tatsächlich sehen die USA ein deutsch dominiertes Europa als eine wachsende Bedrohung ihrer ohnehin schwindenden Hegemonie an. Amerikanische Thinktanks und Nachrichtendienste wie etwa der private Nachrichtendienstleister Stratfor warnen inzwischen in alarmistischen Tönen vor dem Dominanzstreben Berlins in der EU.

Wesentlich gelassener reagierte wiederum Bundeskanzlerin Merkel auf die „Massenabwertung“ von Mitgliedsländern der Eurozone. Sie habe diese „Entscheidung zur Kenntnis genommen," die überdies nicht überraschend gekommen sei, so Merkel unter verweis auf entsprechende Ankündigungen von S&P Anfang Dezember. Nun gelte es den „Fiskalpakt schnell umzusetzen,“ der auf Druck Berlins auf den letzten Brüssler EU-Gipfel Mitte Dezember beschlossen wurde - und der drakonische Sparauflagen sowie staatliche Souveränitätsverluste institutionalisiert. Dabei gibt S&P die Enttäuschung über genau diese Gipfelergebnisse als Begründung für die die nun erfolgen Bonitätsabwertungen an. Die von Berlin favorisierte Verortung der Krisenursachen in „mangelnder budgetärer Disziplin in den Peripheriestaaten der Eurozone“ bezeichnete S&P als „einseitig“, da hierbei die „steigenden außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte“ in der Eurozone außer Acht acht gelassen würden. Hiermit benennt S&P eindeutig die deutschen Handelsüberschüsse als eine Ursache der europäischen Schuldenkrise. Anschließend warnt die Ratingagentur vor einer einseitigen Sparstrategie in Europa, die zu „fallender Binnennachfrage“ und „erodierenden Steuereinnahmen“ führe.

Merkel gab sich bei ihrer Erwiderung auf die Bonitätsabwertungen somit entschlossen, den politischen Kurs fortzusetzen, den S&P gerade für die Abwertungen verantwortlich macht. Dabei stimmen die Politikempfehlungen der Ratingagentur - die zuvor Staaten gerade wegen mangelndem Sparwillens herabstufte - inzwischen mit der von Washington und Großbritannien favorisierten Krisenpolitik weitgehend überein. Die US-Regierung forderte bei mehreren Gelegenheiten weitere Konjunkturmaßnahmen in der Eurozone, um drohende Wirtschaftseinbrüche zu verhindern. Zudem verlangte Washington und ein Großteil der EU-Staaten die von Berlin vereitelte Einführung von Eurobonds oder massive Aufkäufe von Staatsanleihen europäischer Schuldenstaaten durch die EZB. Die Ratingagentur spricht nun ebenfalls von der Notwendigkeit einer „größeren Zusammenlegung fiskaler Ressourcen“ zur Krisenbekämpfung. Amerikanische wie britische Leitmedien kommentierten die Bonitätsabwertung auch dementsprechend. Die massenhafte Absenkung der Bonitätsnoten durch S&P sollte die Europäer daran erinnern, „das ihre ökonomische Strategie, die auf Austerität für alle basiert, einfach nicht funktioniert,“ erklärte die New York Times in einem Leitartikel. Die BBC formulierte prägnant: „S&P stuft europäische Austerität herab.“

Dabei schien Berlin noch vor wenigen Tagen die Stabilisierung der entlang deutscher Interessen umgeformten Eurozone - inzwischen oft als „Deuropa“ bezeichnet - zu gelingen, nachdem die jüngsten Auktionen von Staatsanleihen in Spanien und Italien mit einer kräftig sinkenden Zinslast einhergingen. Bekanntlich hat Berlin die inflationstreibende Gelddruckerei vermittels von Staatsanleiheaufkäufen durch die EZB bis zur Durchsetzung der deutschen Forderungen auf dem Eurogipfel mitte Dezember blockiert – und somit die Krise der Eurozone verschärft. Nach der Realisierung der deutschen Forderungen wurde kurz nach dem EU-Gipfel diese Gelddruckerei mit Berlins Segen über den Umweg des Finanzsektors eingeführt, indem die EZB den Banken unendlichen Kredit zu einem Zinssatz von einem Prozent zur Verfügung stellte. Die Banken gingen dazu über, diese EZB-Billigkredite aufzunehmen, um hiermit die hoch verzinslichen Staatsanleihen der europäischen Schuldenländer aufzukaufen und diese sogleich als „Sicherheit“ erneut bei der EZB zu entsorgen. Die Banken kassierten so die Zinsdifferenz als Profit, die Zinsen im Süden der Eurozone fielen, und die Geldmenge wuchs rasch an, während Kanzlerin Merkel weiter stur behaupten konnte, es fänden keine Aufkäufe von Staatsanleihen durch die EZB statt.

Die jüngste Bonitätsabwertung bringt nun die Stabilisierungsstrategie „Deuropas“ gleich mehrfach unter Beschuss: Zum einen gehen Europa die „Retter“ aus, da der für Mitte 2012 geplante Euro-Rettungsschirm ESM die optimale Bonitätsnote AAA kaum noch erhalten wird, wenn nur noch die BRD als einziger großer Einzahler über diese Top-Bewertung verfügt – hierdurch werden die Krisenkosten auch für die BRD steigen. Zudem könnte diese Abwertungswelle auch einen Keil zwischen Berlin und Paris treiben. Frankreichs Staatschef Sarkozy befindet sich im derzeitigen Wahlkampf ohnehin aufgrund seiner nachgiebigen Haltung gegenüber Berlin unter starkem Druck, sodass der Verlust der Top-Bonitätsnote einer französischen sozialistischen Opposition weiteren Aufschwung geben dürfte, die Merkels Kahlschlagspolitik in Europa vehement ablehnt. Das Handelsblatt etwa deutete bereits an, dass es nun „kompliziert“ werde zwischen „Deutschland und Frankreich.“ François Hollande, der Präsidentschaftskandidat der französischen Sozialisten, drohte bereits damit, im Fall eines Wahlsieges den Vertrag über die Fiksalunion nicht zu ratifizieren.

Angesichts der wachsenden Unwägbarkeiten beim Aufbau eines „Deutschen Europa“ plädierte am Sonntag mit Wolfgang Reitzle, dem Vorstand des DAX-Konzerns Linde, erstmals ein führender Kapitalvertreter für den Ausstieg der BRD aus der Eurozone. Wenn es misslinge, die Krisenstaaten zu „disziplinieren“, dürfte ein Ausstieg Deutschlands aus der Eurozone „nicht zum Tabu erklärt werden," so Reitzle gegenüber dem Spiegel. Solche Forderungen nach einem deutschen Alleingang wurden bislang nur von Vertretern des deutschen „Mittelstandes“ und der rechtskonservativen Fraktion der deutschen Politkaste im publizistischen Umfeld der FAZ und des Springer-Verlags erhoben.
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Ergänzungen

lesenswert

Rosa 19.01.2012 - 00:18
Lesenswert, im Gegensatz zu dem ganzen stalinismus Gesülze und Gewalt in den letzten Tagen.

Kapitalismus in der Krise

Milliardäre, aufgepasst!

Das Beispiel Indien macht mit einer Illusion Schluss: dass der Reichtum der Eliten irgendwann zu den ärmeren Schichten durchsickert. Stattdessen sprudeln die Ressourcen der Armen und der Mittelschicht nach oben und konzentrieren sich auf wenige. von Arundhati Roy

 http://www.ftd.de/finanzen/maerkte/:kapitalismus-in-der-krise-milliardaere-aufgepasst/60155583.html

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Rot nicht Rosa

Hammer und Sichel 17.02.2012 - 02:40
@ Rosa
genau, alle STALIN außer PAPA....
zieht die Antisemitismus-Keule nicht,
muss eben Stalin herhalten.
Was kommt danach, vom Abbruchunternehmen der Linken ?