[B] 900 auf Demo nach rassistischem Übergriff

North-East Antifascists [NEA] - Berlin 16.01.2012 20:30 Themen: Antifa Antirassismus
Berlin-Prenzlauer Berg: 900 Menschen auf Demo gegen rassistischen Übergriff

Bilder von der Demo: PM Cheung | Noktalia | Christian Jäger | Thomas Rassloff | Neukölln Bild
(Die im Artikel verwendeten Bilder stammen von den oben genannten Fotografen)

Videos: RBB (13.01.2012) | RBB (11.01.2012)
Rassistischer Übergriff in Prenzlauer Berg

Laut Presse und Medienberichten ereignete sich in den frühen Morgenstunden des 8. Januar 2012 folgende Situation: Hamid-Tahar A. spricht an der Kreuzung Eberswalder Straße Ecke Schönhauser Allee eine Frau an und lädt sie auf einen Kaffee ein. Zuvor hatte er sie nach dem Weg gefragt. Drei junge Männer, die in der Nähe stehen und das Gespräch mitbekommen, beleidigen Hamid rassistisch. Lass unsere Frauen in Ruhe und Ausländer, geh nach Hause brüllen sie ihm entgegen (1), was er sich jedoch nicht gefallen lässt. Als er auf die drei losgeht, um die Beleidigungen entsprechend zu beantworten, versuchen zwei Personen ihn davon abzubringen, was jedoch nicht gelingt. Einer der drei Rassisten schlägt Hamid nieder und tritt mehrmals gezielt gegen seinen Kopf. Die Täter flüchten in Richtung Kastanienallee und hinterlassen Hamid-Tahar A. mit schweren Verletzungen.

Laut B.Z. (2) berichtete der junge Marokkaner gegenüber der Zeitung, dass er an der Eberswalder Straße in einem Internetcafé gesessen hatte und sich von einer jungen Frau etwas erklären ließ, jedoch nicht alles verstand, da er nur ein paar Brocken Deutsch spricht. Als er das Internetsafe verließ, umringten ihn drei junge Männer, brüllten „Ausländer!“ und schlugen auf ihn ein.

Der 23 Jährige Hamid kommt ursprünglich aus Casablanca und lebt erst seit August vergangenen Jahres in Berlin. „Er ist eigentlich jemand, der Streitigkeiten aus dem Weg geht und sich nicht provozieren lässt“ (3), so eine Mitarbeiterin des Schöneberger Asylbewerberheims, in dem er derzeit lebt.

Ärzte attestierten ihm später ein gebrochenes Nasenbein und einen Genickwirbelriss, der tödliche Folgen hätte haben können. Auch wenn er aktuell seinen Kopf nicht bewegen darf, geht es ihm mittlerweile wieder besser. Laut Aussagen von Zeugen, die am Montag vom Staatsschutz vernommen wurden, waren die Täter zwischen 20 und 25 Jahren alt, 1,75 bis 1,85 Meter groß und hatten sehr kurze Haare. Eine genauere Beschreibung der Angreifer war nicht möglich. Der Staatsschutz, der anfänglich vom Tatbestand einer Körperverletzung ausging, ermittelt nun wegen versuchten Mordes.

Antifa-Demo:
Mobilisierung und Ausrichtung

Bereits am Montag war in lokalen Antifa-Strukturen eine Demonstration im Gespräch, um auf den Angriff politisch zu reagieren. Am frühen Mittwochmorgen startete die Mobilisierung. Im Aufruf sowie in Pressemitteilungen und Aussagen gegenüber der Presse wurde immer wieder betont, dass es richtig und wichtig ist, sich gegen rechte Parolen wie Scheiß-Kanake (4) zu wehren. In manchen Zeitungsberichten wurde die Reaktionen von Hamid-Tahar A. als extrem aggressiv (5) beschrieben. Unter anderen Umständen wäre dieses „aggressive“ Verhalten später – auf der polizeilichen oder medialen Ebene – vielleicht sogar gegen ihn verwandt worden. Die Heftigkeit des Übergriffs, dessen physische Folgen, als auch die rassistischen Aussagen der Täter, waren wohl ausschlaggebend für den Ton der öffentlichen Berichterstattung.

Dass die Medien meist nur in der Lage sind, sich mit Menschen solidarisch zu zeigen, solange sie „Opfer“ sind, zeigte der brutale Übergriff auf einen jungen Mann am 12. Juli. 2009 an der Frankfurter Allee (6). Als bekannt wurde, dass der Student, der fast durch einen „Bordsteinkick“ getötet worden war, ein Shirt mit dem Aufdruck Good night white pride getragen hatte und die Behauptung in Umlauf kam, dass er vorher provoziert habe, war mit der Solidarität sehr schnell Schluss. Das Ganze hat selbstredend eine Rückwirkung auf die Leser und deren Empathie für den_die Betroffene_n. Wer Antifaschist_in ist, das offen zeigt und vielleicht noch provoziert hat, muss sich ja nicht wundern, wenn er_sie angegriffen wird – so ließe sich dieses Prozedere zusammenfassen.
Da mensch nur schlecht abschätzen konnte, ob die mediale Stimmung im Zusammenhang mit dem Übergriff an der Eberswalder Straße nicht doch in einen Vorwurf gegen Hamid kippt, entschieden wir uns für einen offensiveren Umgang mit den Geschehnissen, statt ihn zu viktimisieren. Es geht darum, Menschen dazu zu ermutigen einzugreifen und nicht alles hinzunehmen.Hamid hat sich nicht wie ein Opfer verhalten. Er hat die rassistischen Beleidigungen nicht hingenommen und versucht sich dagegen zu wehren, obwohl er in der Unterzahl war. Er hat das getan, was vielen Menschen oft fehlt - er hat Courage gezeigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihm dasselbe widerfahren wäre, wenn er sich passiv verhalten oder die Frau nicht angesprochen hätte, ist hoch. Zu groß ist der Hass vieler Deutscher vor allem auf das, was sie nicht kennen wollen, das als kulturell „anders“ definierte. (7). Es ist vollkommen richtig, „aggressiv” gegen Rassisten und ihr Verhalten zu werden.

Die Demo fand schon im Vorfeld großen Anklang. Bis kurz vor der Demo klinkten sich Initiativen, Parteien und Bündnisse in die Mobilisierung ein. Mit dabei waren: AINO, Kein Kiez für Nazis, ASJ, RASH, ARAB, ALB, Antifa Friedrichshain, ALJ, SDAJ, Solid, DKP-Berlin, Die.LINKE-Landesvorstand Berlin, die lokalen Gliederungen der Gründen, der SPD und von Die.LINKE, so wie der Migrationsrat Berlin-Brandenburg e.V., die DKP-Queer, die Hausprojekte und Stadtteilaktiven aus dem Kiez und viele weitere.

Demo am 13. Januar 2012

Die Demo stand unter dem Motto „Wenn Rassisten zuschlagen, sorge dafür, dass sie es nie wieder tun! Auf der Demo gezeigte Schilder mit Losungen wie „self-defense is a must“ unterstrichen die Forderung. Die Demo startete mit rund 500 Teilnehmer_innen um 18:15 Uhr und zog über die Schönhauser Allee in Richtung Helmholtz Platz-Kiez. Während der Demo wurden Flugblätter zum Vorfall in englisch und deutsch verteilt. Ansagen und kurze Redebeiträge (8) thematisierten verschiedene rechte Vorfälle im Kiez und machten klar, dass im Prenzlauer Berg nicht alles so „idyllisch“ ist wie es scheint oder erträumt wird. Dass mensch mit dieser Annahme richtig liegt, stellte eine „aktive Nationalistin“ unter Beweis, als die Demo durch die Gneiststraße zog. Als das hintere Drittel des Zuges in die Straße einbog, bepöbelte eine blonde Frau aus einem Haus die Demonstrant_innen mit Sprüchen wie "geht doch arbeiten" , "Lieber Nazis als ihr Penner" oder "So was sollte man erschießen" hinterher. Dazu zeigte sie mehrmals den Hitlergruß.

Kein Mensch ist illegal-Schilder in der Demo und jede Menge No Border-Parolen machten die ablehnende Haltung der Veranstaltung gegenüber staatlichem Rassismus deutlich. Ein Beitrag über einen rassistischen Angriff, der sich am Rosa-Luxemburg-Platz ereignet hatte und der in der Öffentlichkeit kaum Beachtung fand, machte die Betroffenensicht auf derlei Übergriffe deutlich (9). Ebenfalls Thema war die Verstrickung des Verfassungsschutzes mit der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, der Umgang mit Opfern rechter Gewalt und die Repression gegen Antifaschist_innen. Dazu sprachen am Abschlusspunkt der Demonstration eine Vertreterin der Opferberatung Reach Out und eine Sprecherin der Initiative „Sachsen dreht frei Staat“.

Am U-Bahnhof Eberswalder Straße appellierte die Moderation der Demo noch ein Mal an die Umstehenden, bei Übergriffen nicht wegzusehen und einzugreifen. Der Demonstrationszug war stetig gewachsen und umfasste zu diesem Zeitpunkt bis zu 900 Teilnehmer_innen.

Nach Beendigung der Abschlusskundgebung ließ die 24. Berliner Einsatzhundertschaft, die sich machtvoll auf der Eberswalder Straße aufgebaut hatte, die Demoteilnehmer_innen problemlos abziehen. Für die Besatzung des Lautsprecherwagens, die sich auf den Weg zum Abbau machen wollten, war allerdings noch nicht Feierabend. Spitzfindige Beamte fanden angebliche „Mängel“ am Auto und zogen es aus dem Verkehr. Abseits des Abschlusskundgebungsplatzes, nahe der Marienburger Straße, nahmen sie die Personalien der Fahrer_innen auf und riefen einen Abschleppwagen. Es bleibt zu hoffen, dass der Lauti bald wieder einsatzfähig ist und die Lauti-Crew keine größeren finanziellen Schäden von der Beschlagnahme davonträgt.

Im Großen und Ganzen sind wir mit der Demonstration, sowohl von der Außenwirkung, den Inhalten, als auch von der Teilnehmer_innenzahl sehr zufrieden. An dieser Stelle möchten wir uns bei allen bedanken, die mit uns gemeinsam die Solidarität mit Betroffenen rassistischer Gewalt und den Kampf gegen Rassismus und rechte Gewalt auf die Straße getragen haben.

Außerdem möchten wir euch dazu auffordern, für Hamid zu spenden und die Kontoverbindung über die, euch zur Verfügung stehenden Medien zu streuen.

Spendenkonto:Berliner VVN-BdAe.V.,PostbankBerlin,BLZ: 10010010, Konto:315904105,Betreff:Hamid

North East Antifascist (NEA) | nea@riseup.net | www.nea.antifa.de
organisiert bei: “ Zusammen handeln!“ | www.zusammenhandeln.blogsport.eu


Quellen und Ergänzungen

01. Tagesspiegel, 10.01.2012, „Rassistische Attacken: Opfer schwer verletzt“
02. B.Z., 10.01.20122, „Kopftritt-Opfer außer Lebensgefahr“
03. Morgenpost, 10.01.2012, „Überfallener Indonesier - Hinweise auf rechte Szene“
04. Morgenpost, 10.01.2012, „Überfallener Indonesier - Hinweise auf rechte Szene“
05. B.Z., 09.01.2012, „Beinahe Genickbruch nach Triff an Kopf“
06. www.nea.antifa.de, Juli 2012, „Antifa-Demo am 18. Juli nach brutalem Naziübergriff“
07. nea.antifa.de, 11.01.2012, „Wenn Rassisten zuschlagen, sorge dafür, dass sie es nie wieder tun!“
08. Zusammenfassung der Chronik- und Redebeiträge
09. Christian Werner und Michael Kraske, Oktober 2007, Herder Verlag. Freiburg, „...und morgen das ganze Land: Neue Nazis, "befreite Zonen" und die tägliche Angst“ / Beitrag: „Das Leben der Anderen – Opfergeschichten“, über einen rassistischen Angriff, der sich im November 2006 ereignete.


Pressespiegel:

16. Januar 2012:
Neues Deutschland, „Rassistische Übergriffe auch in belebten Kiezen“
renzlauer Berger Nachrichten, "Der braune Eisberg im rechten Sumpf"

13. Januar 2012:
B.Z., „Linken-Demo für Neonazi-Opfer“
Prenzlauer Berger Nachrichten, „Demo gegen rassistische Gewalt in der Schönhauser Allee“
Stadtmorgen, "Demo gegen rassistische Übergriffe – Entsetzen über Gewaltattacke gegen Hamid-Tahar"
Reifenwechsler (Jenz Steiner), "Bleibt P-Berg No-Go-Area?"


12. Januar 2012:
TAZ, „Rassisten auf der Flucht“
B.Z., "Demo gegen Rechts"
Ostblog.de, „Erneut rassistischer Übergriff in berlin Prenzlauer Berg“
B.Z., „Demo gegen rechts“

10. Januar 2012:
Tagesspiegel, „Rassistische Attacken: Opfer schwer verletzt“
Netz gegen Nazis, „…Nach den Rechten sehen“
B.Z., „Kopftritt-Opfer außer Lebensgefahr“

09. Januar 2012:
Tagesspiegel, „Trio bricht Indonesier fast das Genick“
Morgenpost (1), „Überfallener Indonesier - Hinweise auf rechte Szene“
Morgenpost (2), „Schläger brechen ihrem Opfer fast das Genick“
Berliner Kurier, „Marokkaner (23) in Klinik geprügelt“
B.Z., „Beinahe-Genickbruch nach Tritt an Kopf“
Deutschland today/AFP, "Attacke in Berlin, „Indonesier lebensgefährlich verletzt“
RBB, „Rassistischer überfall: Indonesier ist in Prenzlauer Berg lebensgefährlich verletzt“
Shortnews, „Berlin: Wieder brutale Prügel-Attacke - Mann wurde beinahe das Genick gebrochen“
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Ergänzungen

Pressespiegel-Ergänzung

. 17.01.2012 - 00:28
Wer weitere Artiel zum Thema findet, die hier nicht erwähnt wurden, ist agehalten sie in die Kommentarspalte zu posten:

10.01.2012
Prenzlauerberg Nachrichten, "Ecke Schönhauser - Ort rechter Gewalt"
 http://www.prenzlauerberg-nachrichten.de/alltag/_/ecke-schonhauser-ort-rechter-gewalt-17609.html

Pressespiegel Ergänzung

R. Gaenzzer 17.01.2012 - 13:40
Prenzlauer Berg - Nachrichten
Der braune Eisberg im rechten Sumpf
 http://www.prenzlauerberg-nachrichten.de/alltag/_/der-eisberg-im-rechten-sumpf-17612.html

Unglückliches Plakat

Rio 17.01.2012 - 18:33
Also ausgerechnet ein Bild des Rassisten Muhammad Ali als Plakat gegen Rassismus zu verwenden, ist doch etwas unglücklich gewählt.
Leider wissen das zu Wenige.

 http://www.youtube.com/watch?v=HqiWFLsgVi4

Bilder Nachtrag

Bilder 20.01.2012 - 23:44

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Tolle Demo! — antifa

Bafög — Empfänger