Polizeigewalt statt würdiges Gedenken

no lager halle 08.01.2012 14:42 Themen: Antifa Antirassismus Repression Soziale Kämpfe
Massive Angriffe auf Oury Jalloh-Demo, Dessau, 7.1.2012

Zum 7.mal jährte sich gestern der Todestag von Oury Jalloh. Oury verbrannte an Händen und Füssen fixiert und bei lebendigen Leib am 7.1.2005 in der Zelle Nr.5 im Dessau Polizeigewahrsam. In Gedenken an seinen Tod und auch in Gedenken an Laye-Alama Condé, der am selben Tag an der zwangsweisen Vergabe von Brechmitteln in einem Bremer Polizeirevier gestorben ist und an die anderen unzähligen Opfer rassistischer und und tödlicher Polizeigewalt fand heute in Dessau eine Demonstration statt. Hier ein paar Eindrücke von der Demo und dem unverhältnismässigen Vorgehen der Polizei.
Bereits im Vorfeld zur Demo kam es vergangenen Donnerstag zu Einschüchterungsversuchen des Anmelders der Demo, Mouctar Bah durch die Polizei. Mouctar war mit Oury befreundet. Er engagiert sich seit vielen Jahren für die Aufklärung der Todesumstände seines Freunds und wurde dafür mit der Carl-von-Ossietzky Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte ausgezeichnet. Bei einem „Besuch“ in seinem Telecafe in Dessau wurde Mouctar von Seiten der Polizei erklärt, auf der Demo dürfe angeblich weder laut gesagt, noch auf einem Transparent stehen: „Oury Jalloh, das war Mord“. Die Äusserung wäre angeblich eine Verleumdung der Beamt_innen und er, Mouctar, würde dafür verantwortlich gemacht werden, wenn Demoteilnehmer_innen ihn benutzen würden. Für eine Anordnung dieser Art besteht keinerlei rechtliche Grundlage. Desweiteren sollte der Anmelder die Namen der Ordner_innen im Vorfeld der Polizei mitteilen. Er weigerte sich Namen und Daten herauszugeben.

Gegen 13 Uhr sammelten sich dann gestern ca. 200-250 Demonstrant_innen aus dem ganzen Bundesgebiet, darunter auch Freunde von Oury Jalloh vor dem Hauptbahnhof in Dessau. Bereits hier standen mehrere Hundertschaften Bereitschaftspolizei im und vor dem Bahnhof. Bereits hier kam es auch zu Übergriffen durch die Polizei. Schlagstöcke und Pfefferspray wurde eingesetzt. Zeitweilig konnte der Haupteingang nicht passiert werden. Ausserdem kam es zu einem ersten Angriff auf den Anmelder der Demo, auf Mouctar Bah. Als sein Freund Mbolo Yufanyi versuchte sich schützend vor ihn zu stellen, wurde er durch die Polizei am Auge verletzt, so dass er blutete. Er musste sich einer Behandlung durch einen Augenarzt unterziehen. Desweiteren versuchte die Polizei Seitentransparente zu beschlagnahmen und drang dafür rabiat in die Demo ein. Auf Nachfrage, wo bitte der verantwortliche Beamte für den Einsatz sei, wurde der Demoleitung mitgeteilt, dieser wäre nicht vor Ort, alle Fragen müssen mit dem sogenannten Verbindungsbeamten geklärt werden. Der Einsatzleiter tauchte bis zum Ende der Demo nicht auf. Auch wurde die Demo daran gehindert sich pünktlich in Bewegung zu setzen. Die Gründe hierfür waren nicht ersichtlich.

Die Demoroute verlief (wie auch die letzten Jahre) durch die Dessau Innenstadt; vorbei am Gerichtsgebäude, in dem der erste Prozess gegen die diensthabenden Beamten lief; vorbei an der Gedenksäule für Alberto Adriano, der von Nazis im Juni 2000 in Dessau ermordet wurde und auch vorbei an dem Ort, an dem Oury Jalloh starb, das Dessauer Polizeirevier.
Es gab mehrere Zwischenkundgebungen, Sambamusik und ausführliche und gute Redebeiträge zu den Themen Polizeigewalt, Rassismus, zur deutschen Asyl- und Migrationspolitik und natürlich zum aktuellen Stand des momentan laufendem Revisionsverfahren vor dem Magdeburger Landgericht. Die Demonstration selbst verlief abgesehen von zwei Versuchen der Polizei, den Umzug zu stoppen, weitgehend ruhig.

Angekommen am Ort der Abschlusskundgebung, wieder vor der Hauptbahnhof eskalierte gegen 17 Uhr von Seiten der Polizei die Situation erneut. Demonstrant_innen, die sich in das Bahnhofsgebäude begaben um ihre Züge zu erreichen, wurden massiv angegriffen und z.T. vorläufig festgenommen bzw. kontrolliert. Die Polizei lies die Situation endgültig eskalieren als sie den Anmelder Mouctar Bah sowie einen weiteren Aktivisten, Komi Edzro zu Boden schlug. Die Polizei schleuderte ausserdem eine Demonstrantin mit dem Kopf an eine Wand. Andere Demonstrant_innen wurden gezielt an Nasen und weiteren Körperteilen verletzt. Mouctar wurde anschliessend ins städtische Krankenhaus eingeliefert. Er war für mehrere Minuten bewusstlos und hat eine Gehirnerschütterung, Gedächtnisslücken sowie Verletzungen am Kopf erlitten. Er verbrachte mit starken Schmerzen die Nacht im Krankenhaus.

Warum wurde gestern erstmalig mit einer derartigen Gewalt gegen die Gedenkdemonstration vorgegangen?

Der Revisonsprozess gegen den Dienstgruppenleiter Andreas Schubert in Magdeburg nähert sich in den nächsten Wochen seinem Ende. Öffentlichkeit ist hier, bei einem Prozess gegen deutsche Polizeibeamte, mehr als nur nicht gewollt. Es ist offentsichtlich, dass die seit vielen Jahren für eine Aufklärung kämpfenden Menschen eingeschüchtert und mundtot gemacht werden sollen.
Wir fragen aber, wie würden die Reaktionen der Verantwortlichen und der medialen Öffentlichkeit aussehen, wenn Oury Jalloh nicht von Polizisten, sondern z.B. von einem Mitglied des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ ermordet wäre? Würde dann endlich der Familie und Freunden angemessen Bedauern oder Beileid ausgesprochen werden? Würden dann die Hintergründe zu der Tat auch ermittelt und zur Sprache kommen?

Wieder einmal mehr hat sich gestern das hässliche Gesicht deutschen Demokatieverständnisses gezeigt, von Seiten der Stadt Dessau und von Seiten der Einsatz leitenden Polizeibeamten. Es war gestern den anwesenden Menschen nicht möglich angemessen und würdig den gewaltsamen Tod von Oury Jalloh zu gedenken. Vielmehr spricht die bürgerliche Presse von Ausschreitungen. Würdevoll und ruhig war in ihren Augen natürlich nur die offizielle Trauerfeier von Vertreter_innen der Stadt und Kirche. Dass die Stadt Dessau bisher wenig dazu beigetragen hat, die Aufklärung voran zu treiben oder Freunde und Familie zu unterstützen, bleibt dabei aber unerwähnt.

Und um noch eins drauf zu setzen: freie Meinungsäusserungen haben einmal mehr zu Festnahmen und Übergriffen geführt. Deutsche Polizeibeamt_innen prügelten ungehindert auf Demonstrant_innen und werden sich einmal mehr dafür nicht verantworten müssen – wenn wir keine Gedächnisprotokolle schreiben, mit unseren Verletzungen nicht zum Arzt gehen und mit Anwält_innen unseres Vertrauens nicht gegen diesen komplett rechtswidrigen und menschenverachtenden Polizeieinsatz vorgehen.
Skandalös dabei ist vorallem aber auch das brutale Vorgehen gegen den Anmelder der Demonstration. Unsere Solidarität gilt ihm und allen angegriffenen und verletzten Menschen.

Mit Wut und Trauer gedenken wir den über 180 Toten der letzten Jahre, ermordet von deutschen Rassist_innen, Faschist_innen und von deutschen Polizeibeamt_innen.



Die nächste Kundgebung findet morgen, Montag, den 9.1.2012 um 09:30 Uhr vor dem Landgericht in Magdeburg statt.

Weitere Infos:  http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/
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Ergänzungen

Kontaktbeamter

icke 08.01.2012 - 15:02
Der Kontaktbeamte war Hannes Werner, er leitet seit Anfang 2011 den Kriminaldienst im Polizeirevier in der Wolfgangsstraße. Er ist auch früher schon negativ aufgefallen, als er einen Mitarbeiter des Mobilen Beratungsteam, nach einer Infoveranstaltung anzeigte, weil dieser nach seiner Auffassung Neonazis als Freiwild darstellte. Außerdem hat er auch anderen AntifaschistInnen schon gesagt das er weder Linke, noch Rechte in "seiner" Stadt dulde und gegen die Vorgehen werde!

Wer dabei etwas böses denk sein ein Schelm ;)

Nochmal gute Besserung an diese Stelle für Mouctar und die anderen Verletzten, sowie Festgenommenen!!

OVG Naumburg - Entscheidung zu "Oury Jalloh -

war Mord" vom 31.03.2006 08.01.2012 - 19:50
Dem Polizeipräsidenten von Dessau Kurt Schniebert dürfte wohl diese Gerichtsentscheidung bekannt sein!!


ovg Naumburg

 http://www.judicialis.de/Oberverwaltungsgericht-Sachsen-Anhalt_2-M-156-06_Beschluss_31.03.2006.html

1. Eine Auflage, mit der im Voraus bestimmte Äußerungen bei einer Demonstration verboten werden sollen, ist nur dann mit Art. 5 Abs.1 S.1 GG vereinbar, wenn sie so gefasst ist, dass sie nicht auch solche Äußerungen verbietet, die nach ihrer konkreten Darstellungsweise die Schwelle der Strafbarkeit möglicherweise nicht überschreiten.

(...)

Die in Satz 2 der Auflage 10 enthaltene Anordnung, "schriftliche oder mündliche Behauptungen, Oury Jalloh sei ermordet oder vorsätzlich getötet worden, sind verboten", ist nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich rechtswidrig, weil sie so, wie sie formuliert ist, mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) nicht vereinbar sein dürfte. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern: Jeder soll sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.08.1994 - 1 BvR 1423/92 - NJW 1994, 2943). Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt die Meinungsfreiheit sowohl im Interesse der Persönlichkeitsentfaltung des einzelnen, mit der sie eng verbunden ist, als auch im Interesse des demokratischen Prozesses, für den sie konstitutive Bedeutung hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.08.1994 - 1 BvR 1423/92 - a.a.O.). Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit allerdings seine Schranke in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, weshalb beispielsweise beleidigende oder verleumderische Äußerungen, die nach den §§ 185 ff. StGB strafbar sind, nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Die Feststellung, ob eine Äußerung den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG genießt und ob sie die Tatbestandsmerkmale eines der Art 5 Abs. 2 Satz 2 GG genannten Gesetze erfüllt, sowie die dann erforderliche Abwägung setzen allerdings voraus, dass die Äußerung in ihrem Sinngehalt zutreffend erfasst worden ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.08.1994 - 1 BvR 1423/92 - a.a.O.). Dazu gehört es auch, dass Rechtsbegriffe, die im öffentlichen Meinungskampf verwendet werden, nicht ohne weiteres im fachlich-technischen Sinne verstanden werden dürfen, sondern den Umständen entnommen werden muss, ob eine alltagssprachliche oder technische Begriffsverwendung vorliegt. Einer entsprechenden Auslegung bedürfen demnach auch Begriffe wie "Mörder", "Mord" oder "morden", bei denen im jeweiligen Einzelfall anhand der getätigten Äußerung und unter Berücksichtigung der konkreten Äu..."

der Rest des Urteils muß leider bezahlt werden, dürfte so aber schon deutlich genung sein.

Das komplette Urteil des OVG Sachsen-Anhalt

zitator_in 08.01.2012 - 20:48
Beschluss des
Oberverwaltungsgerichtes des Landes Sachsen-Anhalt, 2. Senat
vom 31.03.2006
AZ: 2 M 156/06
vorgehend VG Dessau, 30. März 2006, Az: 3 B 117/06, Beschluss



Normen: Art 5 GG, § 8 VersammlG, § 9 VersammlG

Versammlungsauflagen; Verbot bestimmter Äußerungen mittels Lautsprecher; Festlegung der Momentanlautstärke des Lautsprechers

Leitsatz

1. Eine Auflage, mit der im Voraus bestimmte Äußerungen bei einer Demonstration verboten werden sollen, ist nur dann mit Art. 5 Abs.1 S.1 GG vereinbar, wenn sie so gefasst ist, dass sie nicht auch solche Äußerungen verbietet, die nach ihrer konkreten Darstellungsweise die Schwelle der Strafbarkeit möglicherweise nicht überschreiten. (Rn.4) (Rn.5)

2. Der Einsatz von Ordnern gemäß §§ 8, 9 VersG (VersammlG) dient der vorbeugenden Gefahrenabwehr. Bei größeren Versammlungen bedarf es dazu keiner besonderen Gefahrenprognose. (Rn.6)

3. Zur Rechtmäßigkeit einer Auflage, die die Momentanlautstärke beim Lautsprechereinsatz im Abstand von 5 Metern neben einer Versammlung auf 85 d (B)A begrenzt. (Rn.7) (Rn.8) (Rn.9)


Gründe

1. Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. der Novellierung v. 20.12.2001 (BGBl I 3987) – VwGO –, diese in der jeweils gültigen Fassung, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO und auf §§ 47 Abs. 1; 52 Abs. 1; 53 Abs. 3 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. des Art. 1 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes v. 05.05.2004 (BGBl I 718) – GKG – .

2. Die Beschwerde, über die der Senat wegen der unmittelbar bevorstehende Versammlung vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist entscheidet, hat soweit Satz 2 der Auflage 10 betroffen ist Erfolg, im übrigen ist sie erfolglos. Die vom Antragsteller vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen eine abweichende Entscheidung nur im Hinblick auf die Auflage 10. soweit darin geregelt ist, „Schriftliche oder mündliche Behauptungen, Oury Jalloh sei ermordet oder vorsätzlich getötet worden, sind verboten“.

3. Die in Satz 2 der Auflage 10 enthaltene Anordnung, „schriftliche oder mündliche Behauptungen, Oury Jalloh sei ermordet oder vorsätzlich getötet worden, sind verboten“, ist nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich rechtswidrig, weil sie so, wie sie formuliert ist, mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) nicht vereinbar sein dürfte. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern: Jeder soll sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.08.1994 – 1 BvR 1423/92 – NJW 1994, 2943). Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt die Meinungsfreiheit sowohl im Interesse der Persönlichkeitsentfaltung des einzelnen, mit der sie eng verbunden ist, als auch im Interesse des demokratischen Prozesses, für den sie konstitutive Bedeutung hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.08.1994 – 1 BvR 1423/92 – a.a.O.). Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit allerdings seine Schranke in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, weshalb beispielsweise beleidigende oder verleumderische Äußerungen, die nach den §§ 185 ff. StGB strafbar sind, nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Die Feststellung, ob eine Äußerung den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG genießt und ob sie die Tatbestandsmerkmale eines der Art 5 Abs. 2 Satz 2 GG genannten Gesetze erfüllt, sowie die dann erforderliche Abwägung setzen allerdings voraus, dass die Äußerung in ihrem Sinngehalt zutreffend erfasst worden ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.08.1994 – 1 BvR 1423/92 – a.a.O.). Dazu gehört es auch, dass Rechtsbegriffe, die im öffentlichen Meinungskampf verwendet werden, nicht ohne weiteres im fachlich-technischen Sinne verstanden werden dürfen, sondern den Umständen entnommen werden muss, ob eine alltagssprachliche oder technische Begriffsverwendung vorliegt. Einer entsprechenden Auslegung bedürfen demnach auch Begriffe wie „Mörder“, „Mord“ oder „morden“, bei denen im jeweiligen Einzelfall anhand der getätigten Äußerung und unter Berücksichtigung der konkreten Äußerungsweise- und der konkreten Äußerungsumstände im nachhinein zu prüfen ist, ob sie beispielsweise technisch im Sinne des § 211 StGB oder anders zu verstehen sind, wobei sich je nachdem eine unterschiedliche strafrechtliche Beurteilung derartiger Äußerungen ergeben kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.08.1994 – 1 BvR 1423/92 – a.a.O.). Ist aber eine derartige Beurteilung erst im nachhinein möglich, ist es mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vereinbar, Äußerungen, deren Strafbarkeit sich erst im nachhinein aufgrund der konkreten Art und Weise und den konkreten Umständen der Äußerung beurteilen lässt, bereits im Vorfeld, d.h. bevor sie getätigt sind, zu verbieten; denn dann bestünde die Gefahr, dass auch solche Äußerungen, die die Schwelle der Strafbarkeit noch nicht überschreiten und damit von der Meinungsfreiheit umfasst sind, von vornherein untersagt werden.

4. In Anwendung dieser Grundsätze ist die in der Auflage 10 Satz 2 geregelte Anordnung deshalb mit Art 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vereinbar, weil sie zu allgemein gefasst ist und damit auch solche Äußerungen nicht zulässt, die nach ihrer konkreten Darstellungsweise die Schwelle der Strafbarkeit möglicherweise nicht überschreiten. „Behauptungen, Oury Jalloh sei ermordet oder vorsätzlich getötet worden“ können in ihrer konkreten Formulierung und/oder Darstellung auf Transparenten in sehr verschiedener Gestalt auftreten und auf verschiedene Weise abgemildert, modifiziert, unter Verwendung von Symbolen in ihrem Aussagegehalt abgeschwächt oder sonst wie verändert sein. All dies kann aber (strafrechtlich) nicht im Vorhinein, sondern nur dann beurteilt werden, wenn die Äußerungen konkret vorliegen. Bis dahin obliegt es der Meinungsfreiheit des Einzelnen, aber auch seinem Risiko, derartige Äußerungen in einer Art und Weise zu tätigen, dass er sich damit nicht strafbar macht.

5. Im Übrigen gibt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu Bedenken keinen Anlass.

6. Die Auflage 5, mit der dem Antragsteller aufgegeben wird, Ordner einzusetzen, ist nicht zu beanstanden. Soweit der Antragsteller meint, Ordner seien nur zu stellen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu bejahen ist, trifft so nicht zu. Nach § 9 Abs.1 VersG kann sich der Leiter einer Versammlung bei der Erfüllung seiner Rechte aus § 8 VersG der Hilfe einer angemessenen Zahl von Ordnern bedienen. Als Inhaber der vom Veranstalter abgeleiteten Organisationsgewalt steht es dem Leiter frei, sich durch die als Gehilfen agierenden Ordner unterstützen zu lassen (VG München, Beschluss vom 1. Juni 2005 - M 7 S 05.1977). Ordner dienen daher der vorbeugenden Gefahrenabwehr muss und sind bei größeren Versammlungen - wie hier - unverzichtbar, ohne dass der Antragsgegner eine besondere Gefahrenprognose begründen müsste. Nur bei kleinen überschaubaren Versammlungen kann - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - auf den Einsatz von Ordnern verzichtet werden.

7. Soweit der Antragsteller weiter geltend macht, dass Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen in Satz 3 der Auflage 11, wonach die Momentanlautstärke von 85 dB(A) beim Lautsprecherbetrieb im Abstand von 5 Metern neben der Versammlung nicht überschritten werden dürfe, sei rechtlich nicht zu beanstanden, bleibt die Beschwerde erfolglos.

8. Der Einwand, die Auflage sei zu unbestimmt, trifft nicht zu. In der Sache selbst muss die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung hinreichend klar, verständlich und in sich widerspruchsfrei sei. Der Entscheidungsinhalt muss in diesem Sinne für den Adressaten nach Art und Umfang aus sich heraus verständlich sein und den Adressaten in die Lage versetzen, zu erkennen, was genau von ihm gefordert wird bzw. was in der ihn betreffenden Sache geregelt oder verbindlich durch den Verwaltungsakt gefordert wird (Kopp/Ramsauer, VwVfG-Kom. 9. Aufl. § 37 RdNr. 129). Dies ist ersichtlich der Fall.

9. In Wahrheit rügt die Beschwerde auch nicht die Bestimmtheit der Auflage, sondern meint die von der Antragsgegnerin für angemessen gehaltene Lautstärke von 85 dB(A) sei zu gering, um bei den Versammlungsteilnehmern und Passanten in jedem Fall und zu jeder Zeit gehört zu werden. Dies rechtfertigt ebenfalls nicht, die Auflage Nr. 1! insgesamt außer Vollzug zu setzen oder eine höhere Lautstärke zuzulassen. Im Rahmen der nur möglichen summarischen Prüfung vermag der Senat nicht festzustellen, ab welcher Lautstärke die bei einer Versammlung gehaltenen Redebeiträge bei einem hinreichend großen Zuhörerkreis noch verstanden werden können. Dies hängt von den Bedingungen vor Ort ab, insbesondere davon, welche anderen Geräuschquellen in welcher Entfernung während der Versammlung vorhanden sind.

10. Die mithin bei offenem Ausgang eines eventuellen Hauptsacheverfahrens vorzunehmende Abwägungsentscheidung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Dabei sind die Folgen, die sich ergeben, wenn vorläufiger Rechtsschutz verweigert wird, die Auflage sich aber später in der Hauptsache als rechtswidrig erweist, gegen die Folgen abzuwägen, die eintreten, wenn die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet wird, die Auflage später in der Hauptsache aber als rechtmäßig bestätigt wird. Dabei ist zunächst in Rechnung zu stellen, dass dem Antragsteller das Grundanliegen, die angemeldete Demonstration durchzuführen, erlaubt worden ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.11.2000 - 1 BvQ 33/00 - NVwZ-RR 2001, 282). Eventuelle Störungen dürften das Recht des Antragstellers und der Redner der Versammlung auf Meinungsäußerung nicht unzumutbar beeinträchtigen, da solche Störungen der verbalen Meinungsäußerung nicht während der gesamten Dauer der Versammlung in gleicher Intensität auftreten dürften, insbesondere auch weil sich der Aufzug durch mehrere Straßenzüge bewegt. Der Antragsteller hat ferner die Möglichkeit, seine Meinung auch durch Transparente kundzutun. Dementsprechend kann davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller und seine Anhänger ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung - wenn auch möglicherweise eingeschränkt - auch dann werden wahrnehmen können, wenn sich die verbale Meinungsäußerung durch die Gesamtumstände bedingt zeitweilig sich nicht durchsetzen kann, sich die Begrenzung des Lärmpegels damit später als rechtswidrig erweist. Dem steht das schützenswerte Interesse der Wohnbevölkerung, der Passanten und der begleitender Polizeibeamten gegenüber, von einer möglicherweise unzumutbaren Lärmbelästigung verschont zu bleiben.

Für Meinungsfreiheit. Gegen Rassismus.

AKCS 10.01.2012 - 01:45
Für Meinungsfreiheit. Gegen Rassismus.

Pressemitteilung vom 09.01.2012

Anlässlich des 7. Todestages von Oury Jalloh fand am 7. Januar eine Demonstration in Dessau statt, die massiv von der Polizei angegriffen wurde. Unter jeglicher Missachtung des Versammlungsrechts und der Zuständigkeit der Versammlungsbehörde hat die Polizei dabei mit gezielten Tritten und Schlägen mehrere Personen erheblich verletzt. Der Anlass für diese Übergriffe waren nicht etwa Verstösse, sondern einzig die mitgeführte und gerufene Parole “Oury Yalloh – Das war Mord”.

Der Arbeitskreis Christy Schwundeck aus Frankfurt am Main, der sich mit der ominösen Erschiessung einer Deutsch-Nigerianerin in einem Jobcenter beschäftigt, erklärt sich solidarisch mit den Demonstranten und wünscht den Verletzten gute Genesung.

In Anbetracht der jüngst offensichtlich gewordenen Verstrickung staatlicher Stellen in eine rechtsextreme Mordserie von unfassbarem Ausmass wird es Zeit, dass wir aufstehen und gemeinsam an der Aufklärung von jedem einzelnen dieser Vorfälle arbeiten. Unsere Erfahrung auch mit dem Fall Christy Schwundeck hat uns gelehrt, dass wir uns bei der Aufklärung solcher Vorfälle nicht auf die Ermittlungsbehörden verlassen können.

Wir unterstützen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und die Kampagne der Initiative Ouri Yalloh und sehen der Urteilsverkündung am 19.01. mit Spannung entgegen.

Wir unterstützen im Zusammenhang mit Oury Yalloh, der ans Bett gefesselt in einer Gefängniszelle verbrannte — während die zuständigen Polizeibeamten den Feueralarm einfach wegdrückten — ausdrücklich auch die Parole “Das war Mord”.

Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt_AZ 2-M-156-06_Beschluss vom 31.03.2006

Der Arbeitskreis Christy Schwundeck verweist im übrigen auf die Pressemitteilung des Arbeitskreis Panafrikanismus München, der wir uns vollumfänglich anschliessen.

 http://ak-cs.de/

Rassistischer Korpsgeist

Ulla Jelpke in der jW 10.01.2012 - 16:05
10.01.2012 / Ansichten / Seite 8Inhalt
Rassistischer Korpsgeist
Polizeiprügel vor Oury-Jalloh-Prozeß
Von Ulla Jelpke

Vor sieben Jahren verbrannte Oury Jalloh im Dessauer Polizeigewahrsam. Als es nach zwei Jahren endlich zu einem Prozeß gegen die beiden diensthabenden Polizisten kam, lautete die Anklage nicht etwa auf Mord, sondern auf »fahrlässige Körperverletzung mit Todesfolge«. Die Beamten hätten ein Feuerzeug übersehen, mit denen sich der an Händen und Füssen gefesselt auf einer feuerfesten Matratze liegende Asylbewerber aus Sierra Leone selbst angezündet hatte, lautete die abstruse These des Oberstaatsanwalts. Offensichtlich von höherer Stelle sorgfältig einstudierte Polizeizeugen deckten die im Jahr 2008 freigesprochenen Angeklagten. Selbst der Bundesgerichtshof in Karlsruhe rügte die unglaubliche Urteilsbegründung als lückenhaft, die Beweisführung des Gerichts als nicht nachvollziehbar und das Verhalten der Polizisten als nicht pflichtgemäß.

Seit dieser Woche werden die Todesumstände von Oury Jalloh in einem Revisionsverfahren vor dem Landgericht Magdeburg erneut verhandelt. Der damalige Dienstgruppenleiter Andreas S. ist wegen »fahrlässiger Tötung« angeklagt. Daß es soweit kam, ist auch der »Initiative im Gedenken an Oury Jalloh« zu verdanken, die bis heute auf eine lückenlose Aufklärung des Todes und die Bestrafung der Verantwortlichen drängt.

Weil afrikanische Demonstranten die Parole »Oury Jalloh, das war Mord!« riefen, wurden sie am Samstag auf einer Gedenkdemonstration in Dessau von der Polizei krankenhausreif geprügelt. Das Oberverwaltungsgericht Leipzig hatte zuvor erklärt, eine Strafbarkeit der Behauptung, Oury Jalloh sei ermordet oder vorsätzlich getötet worden, könne »nicht im Vorhinein, sondern nur dann beurteilt werden, wenn die Äußerungen konkret vorliegen. Bis dahin obliegt es der Meinungsfreiheit des Einzelnen, aber auch seinem Risiko, derartige Äußerungen in einer Art und Weise zu tätigen, daß er sich damit nicht strafbar macht.«

Im Klartext: Wenn sich ein Polizist von dieser Behauptung beleidigt fühlt, obliegt es einem Gericht, die Strafbarkeit dieser Äußerungen anschließend zu klären. Derartige rechtsstaatliche Gepflogenheiten scheinen nach Ansicht der Dessauer Polizei für Schwarze nicht zu gelten. In Kolonialherrenmanier wurde mit Knüppeln und Pfefferspray kurzerhand Selbstjustiz gegen unliebsame Wahrheiten geübt.

weiterlesen auf

OVG Entscheidung

Ochegal 10.01.2012 - 16:20
das OVG ist kein Urteil sondern ein Beschluß - Im Eilverfahren entstanden, und es geht dabbei um Demo Auflagen - nicht um die Aussage an sich. Verschiedene Anwälte haben dazu verschiedene Meinungen - das ganze ist fernab von Rechtssicherheit.

Was auf jedenfall bleibt ist ein Polizei Einsatz der nur auf Eskalation aus war. Das ganze wird beim Innen Ausschuß im Landtag am Donnerstag Thema sein.

Die Reaktion vom MI mit der versetzung eines Beamten scheint eher ein Bauernopfer zu sein bei dem ein Kritiker in den eignen Reihen der Dessauer Polizei "entsorgt " wurde.

Der Polizeipräsident hatte ja schon im Vorfeld eine harte Linie angekündigt - die wurde auch durchgezogen ohne rücksicht auf juristiche Grundlagen.Der man ist ja noch nicht lange im Amt ...

 http://www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1326089404277

Interessant ist, wie die Bullen "denken"

anonym 11.01.2012 - 08:14
Hier
 http://www.copzone.de/phpbbforum/viewtopic.php?f=50&t=67233
dürfte es noch eine spannende Debatte geben.

juristenwicherei :)

Arbeitskreis Christy Schwundeck 11.01.2012 - 14:06
$ochegal hat grundsätzlich recht - dass eine solche auflage, eine konkrete äusserung zu unterlassen, 2006 mal im rahmen des einstweiligen rechtschutzes für unwirksam erklärt wurde, bedeutet weder, dass die versammlungsbehörde nicht einfach weiterhin solche auflagen erteilen dürfte, noch, dass erneute "verstösse" gegen eine vermutlich rechtswidrige auflage nicht rein theoretisch von der polizei unterbunden werden könnte.

was hier aber geschehen ist, ist, dass von seiten der polizei druck auf die versammlungsbehörde ausgeübt wurde, um die auflage zu verfügen (wohlwissend, dass sie vorraussichtlich wieder keinen bestand haben wird vor gericht - so legal es ist, so idiotisch ist es. es ist offensichtlich, dass es der poliezi wichtiger war die demonstranten dabei zu behindern zu sagen was sie denken, als die damit eingehenden massnahme im nachhinein nicht wieder gekippt zu bekommen)

die ordnungs und sicherheitsgesetze können dafür keinefalls grundlage sein - es ist also fraglich, was denn wohl eine grundlage sein könnte. (etwas anders würde es aussehen, wenn an einem prozesstag direkt vorm gericht mit sochen parolen demonstriert würde)

auch die vorfeld stattgefundene gefährderansprache gegenüber dem anamelder bzw versammlungsleiter ist nichts weiter als ein schlechter witz.

lezte woche wurden beim einer schlägerei während einem hallenfussbalturnier in norddeutschland 90 menschen teilweise schwer von rechten hooligans verletzt. die polizei hat 25 minuten gebraucht bis sie vor ort waren, und haben überwiegend auf den einsatz von schlagstöcken verzichtet.
in diesem land gibt es eben immer noch zwei sorten von versammlungsrecht, es gibt eines für kriminelle und nazis, und es gibt eines für linke und ausländer.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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