Protokoll einer Asamblea bei OccupyBerlin

viele 13.12.2011 13:13 Themen: Globalisierung Kultur Soziale Kämpfe
Das ist ein Protokoll der Diskussion, die am Samstag, den 10. Dezember 2011, in der Asamblea von OccupyBerlin vor dem Bundestag geführt wurde. Als Einblick für die, die nicht da sein konnten:
Von mehreren Seiten wurde betont, dass der Schuldenschnitt Griechenlands und die letzten Freitag beschlossenen Euro-Schuldenbremsen auf Kosten der Europäischen Bevölkerungen gehen. Die für die Euro-Stabilität geforderten Sparmaßnahmen gegen die Bevölkerung haben Deutschlands Agenda 2010 als Vorbild.

Durch die Agenda 2010 sind in Deutschland inzwischen die Lohnstückkosten (Lohn pro hergestellter Ware) die niedrigsten im europäischen Vergleich. So werden die Menschen der anderen europäischen Länder niederkonkurriert.
Unter anderem, da in Deutschland zu viel hingenommen, zu wenig für bessere Lebensbedingungen gestritten wurde, gehe es den Leuten in den Nachbarländern schlechter.
Unsere europäischen Mitmenschen haben nun ein sehr schlechtes Bild von Deutschland. Eine Person erwähnte, es sei jetzt wichtig, Zeichen zu setzen, dass die Bevölkerung in Deutschland nicht mit der hier herrschenden Regierung einverstanden sei.
In unserer globalisierten Welt werden die Menschen überall gegeneinander ausgetrickst, merkte jemand an.

Aufgrund der riesigen Exporte Deutschlands in die ganze Welt sei die deutsche Wirtschaft nur zweitrangig an der Kaufkraft ihrer eigenen Bevölkerung interessiert. Entscheidender seien Niedriglöhne, um weltweit massenhaft die deutschen Waren billig verkaufen zu können.

Die Geschäftsbanken haben hauptsächlich gar nicht investiert sondern selbst geschöpftes Geld als Kredite verliehen, so ein Diskutant. Er verwies auf die Idee der Monetative, wodurch die Geldschöpfung in öffentliche Hand kommen soll. Heute sei es so, dass die Banken das 9-fache von dem Kapital verleihen, das bei ihnen eingelagert wird. Sie verdienen also mit Geld, das ihnen nicht gehört, Geld, das ihnen nicht zusteht. Doch auch das real in den Banken eingelagerte Geld sei zu großen Teilen schon Beute eines Raubs, der im Lohnarbeitsprozess selbst stattfindet, ergänzte jemand - den Menschen werde viel weniger ausgezahlt als sie an Reichtum schaffen.

Weiterhin merkte jemand an, es sei eine große Lüge, niedrige Zinsen seien schädlich für die Bevölkerung. Nur die bisherigen Gewinner würden unter niedrigen Zinsen leiden. Es gelte, den vielen Lügen andere Wahrheiten entgegenzusetzen.

Da nun die 'Krise' herrsche, soll es den Regierungen zufolge nun ganz schnell gehen. Über Nacht werden Regelungen beschlossen, die nicht einmal durch die Parlamente gehen. Sogar diese minimal-demokratischen Einrichtungen werden übergangen. Das erinnere an Notstandsgesetze, betonte eine junge Dame.

Wir befinden uns eher in einer Krise der Bevölkerung als in einer Krise des Kapitals, so ein weiterer Diskutant - demokratische Grundrechte werden massiv abgebaut.

Bezüglich Schuldenbremsen und Rettungspaketen habe es heute früh ein ganz fantastisches Theaterstück am Pariser Platz gegeben: Wie durch diese Bankenrettungsmaßnahmen den einfachen Leuten Stress gemacht und sie in Armut getrieben werden.

Generell sei es wichtig, zu verstehen, was hier insgesamt passiert, wendete jemand ein. Doch gelte es auch, Ruhe zu bewahren. Wenn alle in Falle eines Crashs zur Bank rennen, um ihre letzten Groschen abzuheben, besorge er sich einen Sack Kartoffeln und gehe ins Occupy Camp.

Jemand betonte, die Verbindung derer sei wichtig, die für eine gerechtere Welt streiten, wie beispielsweise mit den Streikenden des Charité Facility Managements geschehen.

Weiterhin ging es noch einmal um den Besuch beim Berliner Börsentag. Das Schöne sei gewesen, dass das Format der Podiumsdiskussion gesprengt wurde. Als Selbstkritik wurde von einem Beteiligten geäußert, dass nicht gut genug zugehört wurde zu Beginn. Seien anfangs die Diskutanten des Börsentags noch als unsympathisch empfunden worden, so habe er nach und nach gemerkt, dass dies keine A%$€§*# waren. Sondern einfach Menschen mit ganz anderen Grundannahmen. An diese Grundannahmen müssten wir mit der Bewegung ran, dafür solle man sich auf offene Diskussionsprozesse einlassen. Wir müssten alle viel lernen und dann mit Herz und Verstand handeln.
Es wurde angemerkt, dass die Gerechtigkeitsvorstellung der Börsen-Freunde, jede_r könne durch den Besitz von Aktien an den gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen teilhaben, implizieren würde, dass diese Aktien erst einmal umverteilt werden müssten. Sie hätten einen Apfel für ein Ei verkaufen wollen, so eine Person: Sie hatten vorgeschlagen, jede_r könne sich ja Aktien für 500€ kaufen - doch die wenigsten Menschen haben 500€ einfach so übrig. An Sarrazin anknüpfend behaupteten sie, Intelligenz sei vererbbar. Und zwei wichtigen Fragen wichen sie permanent aus: Woher kommt die Rendite, wer muss dafür leiden? Wie weit wollen wir wachsen? Die Antworten auf diese Fragen seien ethisch nicht beantwortbar, deswegen seien sie ihnen ausgewichen.
Es wurde zugestimmt, dass es nicht einfach sei, solche Weltbilder zu erschüttern, es solle aber darum gehen, Denkanstöße zu geben. Ein Beispiel aus einem Gespräch mit einem Bima-Vertreter wurde angeführt: Der Bima-Sprecher sagte, ihm seien die Hände gebunden, es gebe die Verträge und denen sei er verpflichtet. Einer der Occupy-Seite entgegnete dann, ihm seien die Hände gebunden, er habe da so ein Gewissen und dem sei er verpflichtet.

Die Frage wurde aufgeworfen, wie die vielen, vielen Mitmenschen erreicht werden könnten und Einfluss auf sie gewonnen werden könnte. Dem wurde entgegnet, dass es nicht um Massen sondern um jede_n Einzelne_n und nicht um Einfluss sondern um Dialog gehe.
Viele Menschen seien gehemmt durch den Eindruck, man könne ja eh nichts erreichen. Da könne Spannendes auf uns zukommen durch die Praxis der flüssigen Demokratie (Liquid Democracy), sobald diese in mehr Bereichen der Gesellschaft durchgesetzt werde.

Hier in Deutschland ziehen die Menschen meist still weg aus den Wohnungen, die sie sich nicht mehr leisten können. Lohneinbußen und Sanktionen bei Hartz IV würden zu oft einfach so hingenommen. Die Isolierung sei so weit fortgeschritten und die Ideologie verbreitet, jede_r sei hier selbst schuld am eigenen Schicksal. Diese falschen Vorstellungen sollten angegangen werden, so ein Asamblea-Teilnehmer.

Außerdem wurde geäußert, dass es vielleicht gar nicht so schlimm sei, dass noch nicht so viele Menschen auf der Straße sind hierzulande. Denn direkte Demokratie zu vielen ist nicht einfach und es brauche vielleicht noch einen größeren Erfahrungsschatz. Doch man könne ja sehen bei uns, wie gut es funktionieren kann, wenn die Menschen ihr Ego hinten anstellen und zusammenkommen.

Das Mittel der Angstmache, stets von den Herrschenden eingesetzt - sei es von der katholischen Kirche oder im Verhältnis von Herren und Leibeigenen im Mittelalter oder von dem Herrschaftszusammenhang heute - müsse überwunden werden.

Wichtig sei auch eine Veränderung des Konsumverhaltens hierzulande. Wie viele hunderte Bodylotions wirklich gebraucht würden, fragte jemand. Doch, entgegnete ein anderer, die eigenen Freunde müssen ja bereits die letzten Cents zusammenkramen um einem Liebsten etwas Kleines zum Geburtstag kaufen zu können. Einerseits finde zwar viel Konsum als Kompensation für andere Missstände statt doch es müsse doch eher darum gehen, dass durch die Produktion der für uns wichtigen Güter niemand mehr in Leid gestoßen werde.

Eine Person schilderte, dass die Situation im Wedding immer aggressiver werde. Die Häuser werden luxussaniert, die Mieten schießen hoch, viele müssen wegziehen und neue Menschen ziehen zu. Viele Jugendliche internationaler Herkunft seien stark verunsichert und versuchen dies über Statusobjekte auszugleichen - doch dafür haben sie gar kein Geld. So wurde sie vor kurzem dann angegriffen und dasselbe passierte gleich darauf ihrem Sohn. Auch Bekannte aus der Nachbarschaft erzählten von ähnlichen Vorfällen. Das verunsichere sie zunehmend. Jemand anders ergänzte, dass dies wieder mal ein trauriges Beispiel sei für die Diskrepanz zwischen dem, was in den Medien vorgespielt wird und dem, was sich Arbeiter_innen hier leisten können.
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Ergänzungen

Danke für dieses Protokoll!

Paul 14.12.2011 - 00:09
occupyBerlin:
aktuelle Infos  http://occupyberlin.info
Mitmachseite  http://www.alex11.org
besetztes Camp im Regierungsviertel  http://www.bundespressecamp.de
Medien  http://www.occupymedia.de/
Termine  http://www.alex11.org/category/events/
Pads & AGs zum Mitmachen  http://occupyberlin.info/blog/pads-zum-mitmachen/

occupyBerlin-Kreuzberg: Treffen jeden Donnerstag, 19:30, Nachbarschaftszentrum, Cuvrystrasse 13/14.
Stadtteilasamblea Berlin-Friedrichshain: jeden Sonntag, Gärtnerstraße 19, 18Uhr.

Jeden Mittwoch 19Uhr: occupyBerlin-AG Aktion: Drugstore, Potsdamer Str. 180. Manchmal ist das Treffen auch im Camp. Bitte darauf achten.

Mittwoch, 14.12., 19Uhr: occupyBerlin-AG Aktion: Treffen im beseten Camp, Kapelle-Ufer 1.

Donnerstag, 15.12., 19Uhr: Treffen der occupyBerlin-AG Internationale Vernetzung, 'New Yorck', Südflügel des Künstlerhaus Bethanien am Mariannenplatz.

Sonntag, 18.12., 18Uhr: Infotreffen zur Demo “15. Januar”, Kiezaula der Freien Schule am Mauerpark, Wolliner Str. 25-26.

Montag, 19.12., 20Uhr: occupyBerlin-AG Gewaltfreie Kommunikation, Humboldt-Universität, Raum 203 (1.Stock), Dorotheenstraße 28.

OccupyGermany-Multiplayer (Hamburg, Berlin, Düsseldorf, Gorleben):  http://www.castortv.de/occupy_germany_livestreams.html

auch von mir: Danke für das Protokoll!

Paula 14.12.2011 - 12:16
Beteiligt euch!

HEUTE, wie täglich seid 15.10., 17Uhr (samstags 15Uhr) offene asamblea. Sonntag bis Freitag im Camp von OccupyBerlin am Lagerfeuer im Zelt. Samstags wie bisher vor dem Bundestag (Reichstagsgebäude) auf der Wiese.

Info-Video: Die Vollversammlung / Asamblea  http://vimeo.com/30468888
Über die asamblea in New York: Consensus (Direct Democracy @ Occupy Wall Street)  http://www.youtube.com/watch?v=6dtD8RnGaRQ



Wikipedia: Asamblea

verlinker 14.12.2011 - 12:22
Asamblea (spanisch, Versammlung)[1] ist der mit der Occupy-Bewegung, ihren Camps und Demonstrationen bekannt gewordene und in diesem Zusammenhang auf die Proteste in Spanien 2011 zurückgehende[2] Begriff für eine öffentliche Versammlung mit Diskussion, in der jeder, auch zufällig anwesende, Teilnehmer Beiträge zur Diskussion und Entscheidungsfindung leisten kann. Die Versammlungen sind an den Grundsätzen der Basisdemokratie[3] und konsensualen Entscheidungsfindung[4] orientiert. Aus gegensätzlichen Positionen heraus sollen neue Ansätze entwickelt werden. Die Asamblea stützt sich auf das Paradigma kollektiver Intelligenz und sieht sich als Gegenentwurf zu konkurrenzorientiertem Kampf. Die Teilnehmer sprechen nacheinander, was das aufmerksame Zuhören ermöglicht.

International in mehr als 1000 Städten, in Deutschland unter anderem in Berlin[5] und Frankfurt[2] finden seit Beginn der jeweiligen Occupy-Proteste tägliche Asambleas statt. (...)

zitiert aus:  http://de.wikipedia.org/wiki/Asamblea

Audio: Jello Biafra über die Occupy-Bewegung

hanne 14.12.2011 - 13:48
Der ehemalige Sänger der Punk-Rock-Legende Dead Kennedys, Jello Biafra, äußerte sich am 2. Dezember am Rand einer Occupy-San Francisco-Veranstaltung über Anliegen und "Spirit" der neuen Bewegung, die in allen größeren US-Städten aktiv ist und vornehmlich gegen die "Macht der 1 %" demonstrieren will.

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