[B] Infos zum Vorwurf der Vermummung

EA Berlin 06.12.2011 20:06 Themen: Repression
Da wir in letzter Zeit immer mal wieder von Leuten erfahren, dass gegen sie ein Verfahren wegen Vermummung läuft, möchten wir an dieser Stelle ein paar Informationen hierzu loswerden.
Das Vermummen (d.h. die Verhüllung des Gesichts mit Hassis, Tüchern, etc). auf Demos ist nach § 17a Versammlungsgesetz eine Straftat, die mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren geahndet wird. In der Praxis gibt’s meistens aber einen Strafbefehl (d.h. Eine Geldstrafe) im unteren Bereich, also 20 – 30 Tagessätze. Wir möchten deshalb mit den folgenden Informationen keine Panikmache vor möglichen juristischen Konsequenzen durch Bullen und Repressionsorganen betreiben. Schließlich stellt eine Anzeige wegen Vermummung meistens die kostengünstigere Alternative dar, wenn man sich (insbesondere auf Demos) entschließt, den engen gesetzlichen Rahmen zu verlassen. Darüber hinaus würden wir uns aber auch freuen, wenn in Zukunft wieder offensiver politisch über Vermummung auf Demos diskutiert würde.

Wann der juristische Tatbestand der Vermummung erfüllt ist, ihr also bestraft werden könnt, ist von Bundesland zu Bundesland und von Gericht zu Gericht unterschiedlich. Das liegt daran, dass der § 17 a Versammlungsgesetz fordert, dass die Vermummung „den Umständen nach darauf gerichtet ist“, die Identifizierung durch Bullen oder Zeugen zu verhindern. Deshalb ist eine Verkleidung, die erkennbar der Meinungsäußerung oder künstlerischen Zwecken dient (z.B. die Clownsarmee) keine Vermummung. Ebenso liegt keine Vermummung vor, wenn ihr bei sonnigem Wetter Sonnenbrillen, bei kälterem Wetter Schal und Kaputze tragt. Während sich die Gerichte hierin noch einig sind, gab es in der Vergangenheit sehr unterschiedliche Praktiken und Urteile, wenn sich Genoss_innen durch Verhüllen des Gesichts vor dem Abfilmen oder Fotografieren durch Faschos schützen wollten. So haben mehrere Gerichte (z.B. das Landgericht Hannover) entschieden, dass hierin keine strafbare Vermummung besteht. In Berlin wurde durch das Kammergericht (das im übrigen auch sonst keine Probleme damit hat, antifaschistische Arbeit zu behindern) jedoch die gegenteilige Ansicht vertreten.

Das bloße Beisichführen von Gegenständen, die zur Vermummung „geeignet“ sind (hierbei sind die Bullen des öfteren sehr kreativ) stellt KEINE Straftat dar und ist lediglich eine Ordnunswidrigkeit, § 29 Versammlungsgesetz. Das Gesetz droht hierfür eine Geldbuße von bis zu 500 € an. Nach unserer Erfahrung fällt die Buße jedoch in der Regel deutlich geringer aus (so um die 150 €). Je nach Einkommen kann das allerdings variieren. Gegen den Bußgeldbescheid kann wie gegen einen Strafbefehl Einspruch eingelegt werden. Das kann recht formlos passieren, wichtig ist, dass ihr die Frist einhaltet. Diese beträgt wie beim Strafbefehl 2 Wochen. Oftmals lässt sich hier auch recht gut argumentieren. Denn woher will der_die Richter_in wissen, ob ihr die Hassi nicht zum Motorrad- oder Fahradfahren braucht, wenn hier mal wieder schlechtes Wetter ist. Trotzdem solltet Ihr, BEVOR ihr irgendetwas schreibt, mit Genoss_innen (Leute aus eurer Bezugsgruppe, EA, Anwält_innen) sprechen, die sich in der Materie auskennen, um die Sache zu besprechen und Euch oder andere nicht unnötig zu belasten.

Aus aktuellem Anlass möchten wir noch auf eine beliebte Praxis der Bullen aufmerksam machen. So werden Leute bei der Erkennungsdienstlichen Behandlung dahingehend vollgequatscht, das Vermummungsmaterial so anzulgegen, wie es während der vorgeworfenen Tat angeblich getragen wurde. Zwar dürfen die Bullen bei der Erkennungsdienstlichen Behandlung euer Äußeres verändern, um später die Aufnahmen der ED-Behandlung mit angefertigten Videos etc. zu vergleichen. Nach der Strafprozessordnung muss der_die Beschuldigte das auch über sich ergehen lassen, wenn er_sie nicht körperlich misshandelt werden will („unmittelbarer Zwang“). Die Pflicht, am Anlegen des mutmaßlichen Vermummungsgegenstandes aktiv mitzumachen besteht jedoch NICHT !
Deshalb: Wenn Euch ein Bulle nach einer Festnahme versucht zu belabern („So Herr/Frau XY, jetzt legen sie mal die Maske so an, wie Sie die eben an dem und dem Ort, als Sie die Flasche auf den Kollegen geworfen haben auch auf hatten“) macht ihr überhaupt nichts! Wer mit den Bullen (und anderen Repressionsorganen) kommuniziert, riskiert IMMER sich selbst oder andere Genoss_innen zu belasten. So werden in Situationen wie den hier beschriebenen, neben der eigentlichen ED-Behandlung auch gerne Videoaufnahmen gemacht, um Bewegungsabläufe (wird das Vermummungsmaterial mit der linken oder der rechten Hand angelegt usw.) zu analysieren und diese mit anderen Videoaufnahmen (andere Kameraperspektive vom vermeintlichen Vorfall; die Demo soundso, die vielleicht schon Monate zurück liegt und bei der die Post abging, etc.) abzugleichen.
Auch wenn Ihr Euch absolut sicher seid, dass ihr das, was die Bullen euch vorwerfen nicht gemacht habt, solltet ihr die Klappe halten. Denn selbst ein einfaches „Ich hab das und das nicht gemacht“ kann den Bullen einen Verdacht bestätigen, den sie möglicherweise gegen eine andere Person hegen.

Für weitere Fragen oder Anregungen, hilfreichen Erfahrungen etc. zum Thema Vermummung im speziellen und Repression im allgemeinen:

Ermittlungsausschuss Berlin
Gneisenaustraße 2a
10961 Berlin
Telefon:
030/692 2222
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oder kommt in unsere Sprechstunde jeden Dienstag, ab 20:00 Uhr.

Mit solidarischen Grüßen

Euer Ermittlungsausschuss Berlin







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Ergänzungen

politischer umgang mit der juristerei

whatever 06.12.2011 - 22:39
wichtig erscheint mir im zusammenhang mit der erwähnten ordnungswidrigkeit nach § 29 (also auf dem weg zur versammlung), dass die gegenstände nicht nur zur vermummung "geeignet" sein müssen, sondern auch "UND den Umständen nach dazu bestimmt" sein müssen. erst so werden sonnenbrillen bei sonne, regenjacken bei regen, schals im winter etc. "legal". gleichzeitig lässt dieses "geeignet und dazu bestimmt" nicht nur den bullen interpretationsspielraum in der vorkontrolle, sondern uns auch argumentationmöglichkeiten im widerspruch zu beschlagnahme, bußgeldern etc.

ab vom juristischen kann es dabei dann durchaus sinn machen, vorkontrollen samt beschlagnahmten "vermummungsgeständen" und strafbefehlen politisch zu thematisieren, gerade wenn nazis, anti-antifa und sowas konkret auf der demo oder bei vergleichbaren veranstaltungen vorher fotos gemacht haben.

spannend wäre es tatsächlich einmal weit hochzuklagen, wenn bullen z.b. eine hassi beschlagnahmt haben und später anti-antifa-aufnahmen von der aktion veröffentlicht wurden.

in göttingen wurde z.b. beispiel bei einem antifaschistisch-antisexistischen spaziergang zu burschenschaftshäusern, sowohl in der anmeldung als auch gegenüber den bullen vorort daraufhingewiesen, dass sich teilnehmer_innen vermummen werden, wenn aus den burschi-häusern oder von burschis fotografiert wird. sowohl ordnungsbehörde als auch die bullen haben das damals akzeptiert. vorteil war einerseits sich tatsächlich vor entsprechenden fotos (unabhängig ob potrait oder nicht) schützen und andererseits die gefährlichtkeit der burschis und ihre nähe/überschneidungen zu nazis politisch thematisieren zu können.

ein offensiver politischer umgang mit vermummung ist sicher etwas anderes als das, aber in eine argumentative richtung zu gehen, auch mit juristischem kleinkram, die die möglichkeit bietet, zu entscheiden, dass bestimmte leute die identität von teilnehmer_innen nicht erkennen sollen, ist eine option die häufiger und gezielter wahrgenommen werden sollte. in bestimmten politischen konstellationen wäre sicherlich häufiger mal was durchzusetzen.

was wäre denn z.b., wenn ich vorher zu den bullen hingehe und sage hier bin ich, ich trag auf der demo ne hassi, weil ich außendienstmitarbeiter_in bin und meine kund_innen mich hier nicht sehen sollen, ich bin kindergärtner_in und ich will die kids nicht beeinflussen, ich hab nen 400-euro-job und mein chef schmeisst mich raus, wenn er mich hier erkennt ... eigentlich lässt "unser" recht solche persönlichen entscheidungen zu.

im prinzip geht das dann gegen das vermummungsverbot an sich, weil jede person einzeln entscheiden sollte, ob sie, von wem auch immer, erkannt werden kann oder nicht.

politisch wäre es selbstredend offensiver gar nicht erst zu fragen oder sich auf solche spielchen einzulassen, im regelfall ist das entsprechende kräfteverhältnis aber leider nicht vorhanden.

Vermummungsverbot

NJW-Versteher 06.12.2011 - 22:55
Ebenso sollte man darauf hinweisen, dass es kein allumfassendes Vermummungsverbot gibt. Eine Vermummungsverbot herrscht nur bei Versammlungen (bei einigen Gerichten auch bei öffentlichen Veranstaltungen). Das gleiche gilt für den Weg zur Versammlung.

Immer wieder erlebt man Cops, die bei Menschen nach aufgelösten Versammlungen versuchen, angebliche Vermummungen zu entfernen oder Personen auffordern, diese abzulegen. Auch ist es mehr als fraglich, ob ein Vermummungsverbot besteht, wenn einzelne Personen am Rande eines Naziaufmarsches stehen und vermummt sind (oder das was die Bullen für Vermummung halten).

Ein Indikator, ob man sich auf einer Versammlung befindet ist der Platzverweis. Dieser dürfte/könnte theoretisch nicht ausgesprochen werden, wenn man Teilnehmer einer Versammlung ist, da ja Versammlungsgesetz gilt.

Außerdem gilt das Vermummungsverbot nicht, wenn die "Vermummung" Teil der Meinungskundgabe ist. Wird eine Demontsration gegen Giftgas durchgeführt, CS und Pfefferspray sind im Grunde nichts anderes), kann man selbstverständlich Gasmasken tragen. Das sagt zumindest das Lehrbuch. ;)

Mir ist klar, dass die Cops erstmal herzlich wenig an der Rechtslage interessiert sind und durchsetzen, was sie in ihrem kleinen Bullenschädel für Recht halten. Trotzdem ist es wichtig, seine Rechte zu kennen. Solltet ihr trotzdem festgenommen werden, Klappe halten und mit EA oder linken Anwält_innen Kontakt aufnehmen.

@ NJW-Versteher

naja 06.12.2011 - 23:20
Ich glaube ich würde dir da widersprechen. § 27 VersG sagt:

"(1) [...]

(2) Wer

1. [...]

2. entgegen § 17a Abs. 2 Nr. 1 an derartigen Veranstaltungen in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilnimmt oder den Weg zu derartigen Veranstaltungen in einer solchen Aufmachung zurücklegt oder

3. sich im Anschluß an oder sonst im Zusammenhang mit derartigen Veranstaltungen mit anderen zusammenrottet und dabei

a) Waffen oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, mit sich führt,

b) Schutzwaffen oder sonstige in Nummer 1 bezeichnete Gegenstände mit sich führt oder

c)in der in Nummer 2 bezeichneten Weise aufgemacht ist,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft."

Interessant ist hierbei Absatz 3, Punkt c). Der verweist auf Absatz 2, der wiederum das Thema Vermummung behandelt. Und Absatz 3 spricht von Zusammenrottungen "im Anschluß an oder sonst im Zusammenhang mit derartigen Veranstaltungen", wozu Kleingruppen an der Naziroute wohl auch gezählt werden dürften...


Zusamm'Rottung

NJW-Versteher 07.12.2011 - 00:27
Für alle die keine Lust auf Rechtsdiskussionen haben, bitte meinen Kommentar überspringen:

Ich habe die Definition von Zusammenrottung nicht parat, denke jedoch, dass eine Zusammenrottung immer eine Personengruppe ist, welche dem Anschein nach darauf ausgerichtet ist, Straftaten zu begehen. Zumindest legt dies die Vermutung nahe, in der "Zusammenrottung" benutzt wird (Siehe §115 StGB bis 1969 - Aufruhr) oder eben entsprechende Urteile. Immer wird von einer unmittelbaren und erheblichen Gefahr gesprochen, welche von der Zusammenrottung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Ob das nun von ein paar Hanseln neben der Naziroute ausgeht, wage ich dann doch zu bezweifeln. Und selbst wenn es 30 oder 40 sind (hoffentlich an jeder Ecke ;).

Im ürbigen ist Unkenntlichmachung durch Körperteile (z.B. Hände vors Gesicht halten) keine Vermummung in Sinne des Gesetzes.

Was den Anschluss der Versammlung angeht, muss ich nochmal nachschauen. Ich habe es anders gelernt aber dein Einwand ist nicht von der Hand zu weisen.

Des Rätsels Lösung

NJW-Versteher 07.12.2011 - 00:58
Die Lösung für das von dir aufgeworfene Problem liegt vermutlich auch in der Definition der Zusammenrottung. Wenn eine Versammlung aufgelöst wird, besteht ja nicht augenblicklich danach eine Zusammenrottung sondern aus der verbleibenden Menschenmenge müssen sich Personen erst abermals zusammenrotten. Bloßes Verweilen am Ort der Auflösung kann nicht dazu gezählt werden.

Aber da gehen die Probleme schon los. Ich schreibe etwas und denke an eine Situation, während jemand anderes eine vollkommen andere Situation und damit auch Rechtslage im Kopf hat. Folglich sind derartige Überlegungen wie sie hier angestellt werden wie immer mit Vorsicht zu genießen. Am besten ihr geht zu den Rechtshilfeveranstaltungen eurer örtlichen EA's oder der Roten Hilfe. Da ist man grundsätzlich in guten Händen.

PS: Hat eigentlich schon einmal jemand den Rechtsweg in Sachen "Vermummung" bzw. "Schutzbewaffnung" vor den EGMR (bzw. eingeschränkt EuGH) gebracht?

...

@NJW-Versteher 07.12.2011 - 09:55
Zu deiner Frage: Ich habe 2009 darüber eine Hausarbeit geschrieben und kann mit Gewissheit sagen, dass bis dato noch niemand diesbezüglich den Weg zum EGMR oder zum BvfG eingeschlagen hat.

minimal ist oft besser

minimal 10.12.2011 - 00:50
oft reicht es aus wenn man mütze + sonnebrille trägt oder kaputze + sonnenbrille.

darüber hinaus kann man auch kreativ vermummung tragen z.b. staubmasken oder andere verkleidung. angeklebte bärte etc.

muß ja nicht gleich ne hassi sein :-)

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