Die fünfte Jahreszeit im Wendland - Interview

Kombinat Fortschritt 29.11.2011 15:33 Themen: Atom Ökologie
Der diesjährige Castortransport dauerte weit länger als alle anderen Transporte der vergangenen Jahre. Auch nachdem die Regierung unter Kanzlerin Merkel in einem überraschenden Manöver den Atomausstiegt durchgesetzt hatte, um auf die Katastrophe von Fukushima und drohende Stimmenverlust zu reagieren, ist damit die Anti-Atombewegung in Deutschland weiter auf hohem Niveau aktiv. Mit den verschiedensten Aktionsformen haben auf breitestmöglicher Basis mehrere 10.000 Menschen im nordöstlichsten Zipfel von Niedersachsen ihren Protest zum Ausdruck gebracht. - Kombinat Fortschritt sprach mit einem Aktivisten, der seit Jahren ins Wendland fährt über die aktuellen Proteste, die Motive der Menschen vor Ort und das harte Vorgehen der Polizei.
KomFort: Du warst in den vergangenen Jahren regelmäßig bei den Castor-Protesten dabei. Wie würdest du die Proteste in diesem Jahr einschätzen?

Franziska: Moin! In meinen Augen hat sich der diesjährige Protest gegen den Castortransport nicht besonders von dem der letzten Jahre unterschieden. Das Spektrum der Teilnehmer ist gewohnt breit aufgestellt; die Akteure des Widerstandes rekrutieren sich naturgemäß aus der „normalen“ Bevölkerung des Landkreises und Umweltaktivisten, aber Menschen aus dem linksradikalen Spektrum nehmen traditionell an den Protesten teil. Dementsprechend facettenreich stellen sich die Demonstrationen und Aktionen dar. Es gibt Schülerdemonstrationen, explizit gewaltfreie Sitzblockaden, teilweise öffentlich angekündigte Sachbeschädigungen an der Schiene, Ankettaktionen auf der Transportstrecke bis hin zu militanten Aktionen gegen Polizisten und ihre Infrastruktur. In der Regel harmonieren diese sehr doch unterschiedlichen Aktionsformen erstaunlich gut miteinander. Eine Art Sonderstatus im Vergleich zu anderen Protestkulturen nehmen meiner Meinung nach die hiesigen Bauern ein, die mit ihren Treckerblockaden in den letzten Jahren für viel Ärger und Frust bei der Polizei sorgten. Im Laufe der Zeit lässt sich im Ablauf von Aktionen eine gewisse Routine erkennen, die sich mehr oder weniger Jahr für Jahr wiederholt. Meiner Meinung nach ist der Widerstand gegen den Atommülltransport ins Wendland in diesem Jahr aber energischer und hartnäckiger gewesen. Diese Tendenz war aller dings schon in den letzten Jahren zu erkennen.

KomFort: Nach der Katastrophe im japanischen Fukushima hat die Regierung Merkel ja in einem taktischen Manöver in extrem kurzer Zeit den Ausstieg aus der Atomenergie durchgezogen. Warum demonstrieren immer noch so viele Menschen im Wendland gegen die Castortransporte?

Franziska: Die nach wie vor ungeklärte Endlagerfrage treibt sicherlich auch heute noch viele Menschen auf die Straße. Es gibt ja deutschlandweit keinen Ort, der die jahrtausendelang strahlenden radioaktiven Abfälle sicher aufnehmen könnte. Der Fakt, dass ohne geeignetes Endlager weiterhin hochgiftiger radioaktiver Müll produziert wird, beunruhigt natürlich die Bevölkerung. Seit Beginn ihrer Existenz prangert die Anti-Atombewegung diesen Mißstand an. Nicht wenige Atomkraftgegner befürchten, dass der Salzstock in Gorleben trotz neuer Endlagersuche als Standort zementiert wird. Für viele von Ihnen sind die Versprechen der Politiker trotz des beschlossenen Atomausstiegs unglaubwürdig geworden. Das Misstrauen gegenüber der Regierung hat sich bei den Menschen im Wendland im Lauf der Jahre tief eingegraben.

KomFort: Der aktuelle Transport war mit weit über 100 Stunden Transportdauer der bislang langsamste aller Zeiten. In der Presse heißt es die Zahl der Protestierenden sei geringer gewesen als im letzten Jahr, warum brauchte der Castor dennoch so lange?

Franziska: Die Vielzahl und das gute Zusammenspiel der verschiedenen Aktionsformen hat die Verzögerungen verursacht. Hervorzuheben sind hier natürlich die teilweise spektakulären Ankettaktionen, für deren Auflösung die Polizei Stunden benötigte oder gar – wie im Falle der Pyramidenblockade der bäuerlichen Notgemeinschaft vor ihnen kapitulieren musste. Eine Bedingung für das freiwillige Aufgeben der drei Bauern und der Bäuerin war, dass die Polizei offiziell eingesteht, dass sie den Betonblock nicht kaputtbekommen, ohne die Leute zu schädigen.

KomFort: Die Polizei schien von Anfang an auf Konfrontation zu setzen. Hat dieses Einsatzkonzept eine Auswirkung auf den Protest gehabt?

Franziska: Mit der Polizei ging das ja im Prinzip schon am Donnerstagabend in Metzingen los. Da war ein Laternenspaziergang. Und - also, das muss man jetzt vielleicht erklären. Während der Zeit des Transportes verhängt die Polizei ein weitreichendes Demonstrationsverbot in der Region und dann gehen die Leute eben auf einen Laternenumzug. Auf jeden Fall sind dann nach diesem Spaziergang die Leute auf die Bundesstraße rauf und dann kam die Polizei gleich mit BFE und Wasserwerfer und hat die Straße leergeknüppelt. Das war recht überraschend. Also da hat sich die Gewaltbereitschaft der Bullen das erste mal abgezeichnet. Der Castor stand zu der Zeit noch in Frankreich.
Ich habe allerdings nicht erkennen können, dass sich jemand von der Polizeigewalt hat einschüchtern lassen. Viele Menschen hatten vorgesorgt und sich mit Helmen, Schutzbrillen, Protektoren und anderen Mitteln gegen Polizeiübergriffe geschützt. Andere Aktivisten gingen offensiver zu Werke und so gab es einige böse Überraschungen für die Staatsmacht.

KomFort: Der Kampf geht also weiter?

Franziska: Auf jeden Fall! Denn das ist ja ein Konflikt zwischen den Interessen der Bevölkerung und denen der Atomkonzerne und der Regierungsparteien und diesen Umstand schafft eben auch kein härter geschwungener Polizeiknüppel weg.

KomFort: Vielen Dank für das Gespräch!


Bild via RobinWood
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War da 30.11.2011 - 03:04

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bla — bla

gerade wenn ¿wir¿ es mit der Atomkraft zu tun — haben, was ist mit den Spaltprodukte