Machtkampf auf der Titanic

Tomasz Konicz 21.11.2011 14:35 Themen: Globalisierung
Mit der Eskalation der europäischen Schuldenkrise intensivieren sich die zwischenstaatlichen Machtkämpfe in der EU – hierdurch werden die Zerfallsprozesse in der Eurozone beschleunigt.
Berlin weigert sich weiterhin, trotz einer Zuspitzung der europäischen Schuldenkrise die Aufkäufe von Anleihen durch die Europäische Zentralbank EZB auszuweiten. Nach einer desaströs verlaufenden Auktion spanischer Staatsanleihen, die Madrid anstatt der angepeilten vier Milliarden nur rund 3,6 Milliarden Euro einbrachte, wandte sich der spanische Regierungschef Zapatero in einem öffentlichen Appell an Berlin und die EZB, endlich die „gemeinsame Währung zu verteidigen“. Deutschland ziehe zwar „gewisse Vorteile“ aus der gegenwärtigen Situation, so Zapatero, doch drohe bei anhaltenden Spannungen die „gesamte Euro-Zone einschließlich Deutschlands von der Krise“ erfasst zu werden. Forderungen nach einer Ausweitung der Anleiheaufkäufe der EZB wurden in den letzten Tagen auch von der französischen und auch britischen Regierung erneuert.

Demgegenüber betone Kanzlerin Angela Merkel zuletzt am vergangenen Mittwoch, dass für Berlin ein derartiges Anwerfen der Notenpresse aus rechtlichen Gründen nicht infrage käme: „Wir sehen die Verträge so, dass die EZB keine Möglichkeit hat, die Probleme zu lösen.“ Bundesbankpräsident Jens Weidemann behauptete laut der Finantial Times sogar, dass die hohe Zinsbelastung der südeuropäischen Länder wünschenswert sei, um diese zu einer brutalen Sparpolitik zu nötigen: „Du wirst die Krise nicht lösen, wenn du die Anreize zum Handeln für die italienische Regierung reduzierst.“

EZB als Machtinstrument im innereuropäischen Machtkampf

Tatsächlich scheint es so, als ob die EZB in letzter Zeit die Aufrechterhaltung eines hohen Zinsniveaus - und somit des Spardrucks - bei den europäischen Schuldenstaaten geradezu befördern würde. Laut einem Bericht der FAZ vom 18. November wächst innerhalb der EZB der „Widerstand“ gegen das ohnehin bescheiden dimensionierte Aufkaufprogramm. Eine interne wöchentliche Grenze für die Aufkäufe von Staatsanleihen sei demnach auf nur noch 20 Milliarden Euro abgesenkt worden. Gerade in der Woche, als der EU-Apparatschik Mario Monti aufgrund eines eskalierenden italienischen Zinsniveaus von bis zu 7,5 Prozent auf den Posten des italienischen Regierungschefs gehievt wurde, beliefen sich die Anleiheaufkäufe der europäischen Notenbanken auf nur 4,5 Milliarden Euro – in der Vorwoche waren es noch 9,5 Milliarden.

Es war diese vor Berlin erfolgreich betriebene Oktroyierung von knallharter Austeritätspolitik in der Eurozone, die den CDU-Franktionschef Volker Kauder zu der berüchtigten Formulierung veranlasste, in Europa werde nun „Deutsch gesprochen“. Berlins Pläne für ein „deutsches Europa“ reichen aber noch viel weiter und sehen neben der EU-weiten Einführung von „Schuldenbremsen“ nach deutschem Vorbild auch Änderungen der EU-Verträge vor, die letztendlich die europäischen Schuldenstaaten ihrer haushaltspolitischen Souveränität berauben würden. Ein „EU-Sparkommissar“ soll laut Merkel mit „Durchgriffsrechten“ ausgestattet werden, um in die Haushaltspolitik europäischer Schuldenstaaten - an den nationalen Parlamenten vorbei - eingreifen zu können.

Neben den Forderungen nach einer Finanztransaktionssteuer waren es eben diese offen artikulierten Dominanzansprüche Berlins, die zu den schweren Verstimmungen zwischen Deutschland und Großbritannien beigetragen haben. Selbst seriöse britische Zeitungen wie The Independent titelten, dass Berlin spätestens mit Schäubles Äußerungen über einen möglichen Beitritt Englands zur Eurozone die „Daumenschrauben“ bei dem „isolierten Großbritannien“ anziehen würde. Inzwischen gehen auch US-amerikanische Leitmedien zur scharfen und direkten Kritik der BRD über. Berlins europäische Partner hätten die „klaffende Kluft zwischen ihren Mühen und Deutschlands Stärke“ wahrgenommen, schrieb die New York Times (NYT). Das US-Leitmedium ließ zugleich Berlins Bestrebungen kritisieren, „ganz Europa“ nach dem deutschen „exportgetriebenen Wirtschaftsmodell“ umzuformen, ohne „den Zusammenhang zwischen den eigenen Erfolgen und der ausländischen Verschuldung in Ländern wie Griechenland zu verstehen, die sich verschuldeten, um deutsche Waren zu kaufen.“ Nicht jeder könne wie Deutschland sein, hieß es in der NYT, die „Welt als Ganzes handelt ja nicht mit dem Mond.“

Machtkämpfe und Krisendynamik

Während Berlin die Schuldenkrise zur Festigung der deutschen Dominanz in Europa nutzen will, und damit international zunehmend in die Kritik gerät, droht die sich zuspitzende Krisendynamik in der Eurozone außer Kontrolle zu geraten. Neben Spanien kamen Mitte vergangener Woche auch Länder des Zentrums der Eurozone aufgrund steigender Zinsen unter Druck. So stieg am vergangenen Dienstag der Zinsabstand (Spread) zwischen zehnjährigen deutschen Bonds und den Staatsanleihen aus Frankreich, Österreich, den Niederlanden und Belgien auf neue Rekordwerte. Dieses drohende Übergreifen der Krise auf das Zentrum der Eurozone wird von einer massiven Kapitalflucht aus den Märkten für europäische Staatsanleihen und Bankverbindlichkeiten befördert, die laut einem NYT-Bericht sich „nahezu täglich“ intensiviert. Die Flucht „nervöser Investoren“ aus den „Schulden europäischer Regierungen und Banken“ könne bald einen „Teufelskreis aus steigenden Kreditkosten, tieferen Ausgabenkürzungen und erlahmenden Wachstum“ auslösen, der sehr schwer zu durchbrechen sein würde.

Die innereuropäischen Auseinandersetzungen gleichen somit einem Machtkampf auf der bereits sinkenden Titanic des europäischen Währungsraumes. Dabei könnte die von keynesianischen Ökonomen wie Paul Krugman geforderten massiven Aufkäufe von Staatsanleihen tatsächlich die Lage kurzfristig entschärfen, indem sie die Zinslasten in der Eurozone absenken und die Kapitalflucht eindämmen. Doch diese kurzfristige Entschärfung der objektiven Systemkrise des Kapitalismus ginge mit einem ansteigenden Inflationsniveau einher, das bei Beibehaltung einer solch expansiven Geldpolitik perspektivisch in die Hyperinflation führen würde. Die gegenwärtige Krise des kapitalistischen Systems - das aufgrund andauernder Produktivitätsschübe nur noch vermittels schuldengenerierter Nachfrage reproduktionsfähig bleibt - kann weder durch Sparterror noch durch Gelddruckerei überwunden werden. Die Krise ist nur jenseits des Kapitalismus lösbar.
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