Anarchistische Plakate aus Griechenland

17.11.1973 15.11.2011 14:50 Themen: Antifa Freiräume Medien Soziale Kämpfe Weltweit
Polytechnio 2011

Konfrontiert mit der Dunkelheit jedweder Tyrannei und Sklaverei, wählen wir den hellen Weg des Kampfes und der Menschlichkeit, um die Sonne der Freiheit scheinen zu lassen.
Damals, durch Panzer [1973]
“Athens Polytechnikum wurde evakuiert durch Panzer“

Jetzt, durch Banken [2011]
“Die Regierung hat den Bankrott eingestanden, Kopfsteuer und Gehälter wurden eingefroren“

Revolte jetzt!

17. November 1973. Die Jugend rebelliert, der Kampf gegen die Diktatur erreicht seinen Höhepunkt. Nach 38 Jahren erkennen wir, dass nichts geendet hat. [. . .]

Wir vergessen nicht die Angriffe der Polizei/Sicherheitskräfte bei großen Streiks, die Terrorismusgesetze, die Schläge und Verhaftungen, die abgekarteten Prozesse, die Abschaffung des Universitätsasyls, das Training militärischer Einheiten, um Demonstrationen zu unterdrücken und natürlich auch nicht die politischen Gefangen. Die Kirche kann unserer Kritik nicht entkommen, diese schmarotzerhafte Institution drängt Gläubige zu Untätigkeit und Wunschdenken, obwohl ihr Eigentum, die Macht ihrer Organe und ihre Interessen sich selbst mit dem Lager der ReederInnen, Großindustriellen und BänkerInnen verbinden.

An die, die immer noch durch konservative Aufrufe dieses reaktionären Räderwerks geködert werden, können wir nur sagen, dass Veränderung nicht durch Beten zu erreichen ist.

In Zeiten der heutigen Krise lebend (wie wir alle) und mit dem Wunsch die Zeitlosigkeit des Aufstands am Polytechnikum hervorzuheben, betrachten wir es als wichtig, die örtliche Gemeinschaft zu einem Marsch in den Vierteln von Ano Glyfada, Elliniko and Argyroupoli einzuladen. Damit öffnen wir mehrere Fronten des Widerstands und Konflikts und schaffen Solidaritätsbeziehungen, indem wir die Idee und Bedeutung dezentraler Aktion voranbringen.

Wir lehnen jegliche rassistische und faschistische Einstellung ab und setzen uns als erstes Ziel Solidarität und Dezentralisation.

Gegen Staat, Kapital und alle Terrorgesetze.
Wir nehmen unser Leben in Anspruch, in dem wir auf die Straße gehen.

Lokale Demonstration in Ano Glyfada, Elliniko and Argyroupoli
(südliche Vororte von Athen)
Versammlung: 17. November, 16.00, Aghios Tryphonas – Platz, Ano Glyfada

Anarchistisches Kollektiv aus Elliniko, Argyroupoli, Ano Glyfada

Weitere Plakate/Texte:  http://de.contrainfo.espiv.net/2011/11/15/athen-auf-anarchistischen-postern-wird-zu-demonstrationen-am-17-november-aufgerufen/
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Ergänzungen

"Geht endlich pleite damit wir Schluß machen"

Ralf Dreis 15.11.2011 - 15:12
"Geht endlich pleite damit wir Schluss machen!"
"... und eine neue Gesellschaft der Freiheit, der Menschlichkeit und des Wohlstands für alle aufbauen!" (indymedia athen)

Sie sind wirklich undankbar diese Griechen - und ja, die Griechinnen auch. Da bekommen sie seit Jahren Milliardensummen in den Rachen geschoben, doch statt einfach einmal "danke" zu sagen und fleißig arbeiten zu gehen, demonstrieren und streiken sie ununterbrochen.

StudentInnen besetzen die Hochschulen um das neue Bildungsgesetz zu Fall zu bringen, die SchülerInnen tun es ihnen in den Schulen gleich, und auch die LehrerInnen und ProfessorInnen legen die Arbeit nieder. Im öffentlichen Nahverkehr wechseln sich die Arbeitskämpfe bei Bussen, Bahnen, Metro und Straßenbahn ab, und um die Müllberge in den Großstädten abzutransportieren wird der Einsatz der Armee diskutiert.

Unterdessen wird in einzelnen Gegenden der Sprit knapp, da die Besitzer von Tanklastwagen erneut gegen die Öffnung ihrer Berufssparte protestieren. Aus dem gleichen Grund liefern sich Taxifahrer Straßenschlachten mit den Schlägern der MAT-Sondereinheiten der Polizei. In Nordgriechenland fehlt das Heizöl, da die ZollbeamtInnen streiken und immer wieder fallen Flüge aus, da einmal die Fluglotsen, ein anderes Mal das Bodenpersonal im Ausstand ist.

Für den 19. und 20. Oktober haben die Dachgewerkschaftsverbände des öffentlichen Dienstes ADEDY und der Industriegewerkschaft GSEE gemeinsam mit den Basisgewerkschaften und der kommunistischen Pame zum zweiten Generalstreik im Oktober aufgerufen. Beim ersten am 6. Oktober war es sozusagen zur Begrüßung der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfond (IWF) erneut zu Straßenschlachten in Athen gekommen. Zur Prozesseröffnung gegen inhaftierte Mitglieder der anarchistischen Stadtguerilla Revolutionärer Kampf (EA) und der Mitgliedschaft beschuldigter AnarchistInnen demonstrierten außerdem schon am 5. Oktober mehr als 4.000 Menschen für die "sofortige Freilassung der EA-Mitglieder" in Athen.
Unerwünscht und gejagt

Die Delegierten der Troika, die sich seit Anfang Oktober zum wiederholten Mal in Athen aufhalten, sehen sich fast täglich Angriffen und Anfeindungen ausgesetzt.

Die drei Delegationsleiter gehen nicht mehr ohne Personenschützer aus dem Hotel und nehmen auch für kurze Wege aus Sicherheitsgründen einen Wagen.

"Das gehört zu den unschönen Seiten meiner Arbeit und ist in dieser Intensität neu für mich", betonte der dänische Leiter der IWF-Delegation in Athen, Poul Mathias Thomsen gegenüber der Presse. Von der Einschätzung der Delegation machen die Euro-Länder die Freigabe der nächsten acht Milliarden Euro-Rate abhängig. Die Regierung in Athen muss strikte Auflagen für den Erhalt der Gelder erfüllen, kann aber das vereinbarte Sparziel beim Haushaltsdefizit in diesem Jahr trotzdem nicht einhalten.

Diese Hiobsbotschaft aus Athen löste wieder einmal einen Kurssturz an den Aktienmärkten aus. Der Euro fiel bis auf 1,3315 Dollar und damit auf den tiefsten Stand seit Mitte Januar. Die Börsianer sind laut der linksliberalen Athener Tageszeitung Eleftherotypía "ernsthaft besorgt, dass die Hilfszahlungen und der strikte Sparkurs nicht ausreichen", um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Wofür es Gründe gibt.

Unter anderem sehen sich die Steuerbehörden nach wie vor nicht in der Lage die herrschende Elite am Steuerhinterziehen zu hindern. Sogar offizielle Regierungsquellen sprechen mittlerweile von 36 Milliarden Euro, die allein im letzten Jahr auf Schweizer Konten verschoben wurden, andere Quellen gehen von 60 Milliarden Euro aus.

Während kleine HausbesitzerInnen mittlerweile pro Quadratmeter Wohnfläche eine "Sonderabgabe" per Stromrechnung bezahlen müssen, und falls sie sich weigern oder nicht bezahlen können, einfach den Strom gekappt bekommen, wird der immense Besitz der orthodoxen Kirchen nach wie vor gar nicht besteuert.

Zur Ankunft der Troika hatten die Ministeriumsangestellten sechs Ministerien besetzt um der Delegation zu verdeutlichen, dass sie unerwünscht ist. Erstaunlich ist das nicht, hat doch die sozialdemokratische Regierung unter Ministerpräsident Giórgos Papandréou auf deren Druck beschlossen 30.000 MitarbeiterInnen des öffentlichen Dienstes in "Reserve" zu schicken.

Dort wird ihnen zwar noch für ein Jahr 60 Prozent ihres Gehalts ausgezahlt, wer dann jedoch keine neue Stelle im öffentlichen Sektor gefunden hat, fliegt raus. Diese 30.000 Entlassungen sind der Troika allerdings lange nicht genug.

Einem Bericht der konservativen Athener Tageszeitung Ta Néa vom 8. Oktober zufolge, sind die Vertreter der Troika besorgt, dass nur ältere Staatsbedienstete, die kurz vor der Pensionierung stehen, in die "Personalreserve" geschickt würden. Das sei dann aber nur ein "Frühpensionierungsprogramm, das kaum Geld sparen" würde. Zudem gibt es in der EU die Befürchtung, dass viele der laut griechischer Verfassung unkündbaren Staatsbediensteten vor Gericht ziehen und dort ihre Wiedereinstellung einklagen könnten.

Die Verkleinerung des tatsächlich völlig überdimensionierten öffentlichen Dienstes ist eine der Bedingungen, die EU, EZB und IWF an die Auszahlung der nächsten Tranche von acht Milliarden Euro geknüpft haben. Und Griechenland benötigt bis Mitte November dringend frisches Geld, verkündete Wirtschaftsminister Evángelos Venizélos Anfang Oktober, um Ängste zu zerstreuen, der Staat könne die Oktoberlöhne nicht überweisen - hatte es doch bislang geheißen, dass das Land ohne neue Hilfsgelder schon Mitte Oktober pleite sei.

Der Eurogruppen-Chef Jean-Claude Junker betonte unterdessen, niemand habe sich bisher dafür ausgesprochen, Griechenland kein Geld mehr zu leihen und pleite gehen zu lassen. "Wir werden alles tun, um das zu verhindern. Niemand hat sich für einen Ausschluss Griechenlands aus der Euro-Zone ausgesprochen."

Doch auch in der EU wachsen die Zweifel, ob die Staatspleite noch zu verhindern ist.

Ein Schuldenschnitt von 50 Prozent wird trotz aller Dementis immer wahrscheinlicher.

Allen brutalen Sparmaßnahmen zum Trotz wird das Land auch in diesem Jahr mehr neue Schulden machen als mit EU und IWF ursprünglich vereinbart.

Die Defizitquote wird voraussichtlich bei 8,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen, statt wie angestrebt bei 7,6 Prozent.

Für 2012 rechnet die Regierung mit einem Minus von 6,8 Prozent statt der bisher angekündigten 6,5 Prozent. Zudem wird die griechische Wirtschaft auch im nächsten Jahr wohl erneut schrumpfen und sich die Arbeitslosigkeit weiter verschärfen. (Gründe hierfür siehe GWR 361 vom Sept.)

Wie aus dem Anfang Oktober vorgelegten Haushaltsentwurf der Regierung hervorgeht, dürfte die Wirtschaftsleistung 2012 abermals um 2,5 Prozent zurückgehen.

Für dieses Jahr wird mit einem Einbruch des BIP um 5,5 Prozent gerechnet. Der Schuldenberg erhöht sich dieser Einschätzung zufolge im kommenden Jahr auf 371,9 Milliarden Euro und damit auf 173 Prozent des BIP, nach geschätzten 161,8 Prozent in diesem Jahr.
ParlamentarierInnen in Not

Unterdessen gehen die seit Sommer immer wieder stattfindenden Attacken auf Pasok-ParlamentarierInnen und Minister weiter. Neustes Angriffsziel wurde Innenminister Cháris Kastanídis, der bei einem Kinobesuch am 8. Oktober in Thessaloníki von StudentInnen erkannt, ausgebuht und mit Joghurt beworfen wurde.

Immer wieder spannend für den interessierten Beobachter ist der Zeitpunkt, an dem sozialdemokratische Abgeordnete ihre persönliche Grenze erreichen, an dem sie den morgendlichen Blick in den Spiegel nicht mehr zu ertragen scheinen. Mitte Oktober waren es die Pasok-Parlamentarier Thomás Rombópoulos und Odysséas Boudoúris, die der Parteiführung ihre Gefolgschaft aufkündigten. Boudoúris kritisierte die durch die Regierung angestrebte Kürzung der Löhne in der Industrie, wodurch die "kollektiv ausgehandelten Tarifverträge unrechtmäßig außer Kraft gesetzt" würden.

Rombópoulos findet es unerträglich einem "Parlament ohne Entscheidungsgewalt" anzugehören und kündigte zuerst an, sein Mandat am 18. Oktober niederlegen zu wollen, um in der Folge zu erklären, nun doch als "unabhängiger Parlamentarier" weiterzumachen.

Letztendlich stimmte einzig die Abgeordnete Louka Katseli, die sofort aus der Pasok-Fraktion ausgeschlossen wurde, gegen das von der Parteiführung eingebrachte Gesetzespaket.

Die heterogene anarchistische Bewegung ist das ganze Theater inzwischen mehr als leid und hofft auf ein baldiges Ende wobei jede erdenkliche "Hilfe zum Erreichen des Staatsbankrotts" angekündigt wird.

So erklärt das Redaktionskollektiv von indymedia athens: "Seit mittlerweile zwei Jahren hypnotisieren sie die Bevölkerung mit der drohenden Staatspleite. Mit dieser herrlich aufgebauschten Drohkulisse haben sie es innerhalb kürzester Zeit geschafft, die Errungenschaften von zwei Jahrhunderten opferreicher Kämpfe der Arbeiterbewegung sprichwörtlich in Nichts aufzulösen.

Sollen sie doch endlich pleite gehen, damit wir sehen was geschieht. Sollen ihre Banken schließen, ihre Fabriken, ihre Universitäten dicht machen, sich ihre Armeen auflösen und sie endlich alle auf der Müllhalde der Geschichte landen. Wir sind hier, um uns das zurückzuholen was uns gestohlen wurde. Wir sind hier, um dem Niedergang eures verrotteten Systems beizuwohnen und werden alles dafür tun, damit es noch eine Stunde früher zusammenbricht."
Nachtrag (vom 21.10.2011)

Am zweiten Tag des 48stündigen Generalstreiks kam es erneut zu schweren Auseinandersetzungen in Athen. Erstmals seit 16 Jahren hatte die von der stalinistischen KKE dominierte Gewerkschaftsfront Pame gemeinsam mit den anderen Gewerkschaften zur Demonstration und Belagerung des Parlaments aufgerufen. Während im Parlament über das von der Troika aufoktroyierte Spardiktat abgestimmt wurde, übernahm es die Pame-Schutztruppe, bestehend vor allem aus Mitgliedern der Bauarbeitergewerkschaft, anstelle der MAT-Schlägereinheiten der griechischen Polizei das Parlamentsgebaude gegen eventuelle Angriffe anderer DemonstrantInnen abzuschirmen.

Dies führte in der Folge zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Pame-Schutztruppe und einem der antiautoritären Demoblöcke.

Als Sondereinsatztruppen der Polizei beide beteiligten Gruppen mit Tränengas- und Blendschockgranaten beschossen, erlitt der 53-jährige Dimitris Kotzaridis, ein arbeitsloses Mitglied der Bauarbeitergewerkschaft, vor dessen Füssen eine der Granaten explodierte, einen Atem- und Herzstillstand.

Ärzte, die vergeblich versuchten ihn wiederzubeleben, führen seinen Tod auf das Einatmen des Tränengases zurück.

Ralf Dreis, Vólos
 http://www.graswurzel.net/363/griechenland.shtml

Übersetzte Kommuniques

MC 15.11.2011 - 15:16

Gemeinden wollen Sondersteuer boykottieren

Ionia 15.11.2011 - 15:33

Franzosen machen den Soli Zorbas

paris-sirtaki 16.11.2011 - 18:54

Griechenland vor dem Zusammenbruch

Racherentnerin 16.11.2011 - 23:20
Griechenland vor dem Zusammenbruch



Von den Milliardenhilfen der EU ist bei normalen griechischen Familien bisher nichts angekommen. Viele sind inzwischen radikal verarmt. Insbesondere im Gesundheitswesen kommt es bereits zu schweren Versorgungs-Engpässen. Kann das Land so jemals wieder auf die Beine kommen?

Wir haben uns auf den Weg nach Athen gemacht, um zu sehen, was die Sparmaßnahmen für die Menschen dort bedeuten. Wir waren in Kliniken, Kirchen und Kinderheimen zu Besuch und haben festgestellt: Vielen Griechen fehlt es schon heute am Nötigsten. Die Stationen unserer Dreharbeiten:
Perama

Ein Vorort von Athen: Jahrzehnte lang waren die Werften hier ein Motor der griechischen Wirtschaft. Heute sind die meisten Menschen in dem Viertel arbeitslos. So wie Panajiotis Alexiou . Er lebt inzwischen in einem Container auf einem Parkplatz und ist mit 61 Jahren ganz unten angekommen. Sein eigener Betrieb ging pleite, seit einem Unfall kann er auch nicht mehr in der Werft arbeiten. Inzwischen ist er durch alle Maschen des sozialen Netzes gefallen; wenn ihm nicht ab und an Bekannte Essen vorbeibringen würden, könnte er nicht überleben, erzählt er, als wir ihn besuchen.
Das soziale Netz hat große Löcher

Hilfe bekommt Alexiou in einer Praxis von "Ärzten der Welt". Dort arbeiten Apotheker, Krankenpfleger und Ärzte - alle ehrenamtlich. Hier gibt es Kleidung und Lebensmittel, aber vor allen Dingen kostenlose ärztliche Behandlungen und Medikamente. Das ist wichtig, denn Alexiou hat keine Krankenversicherung mehr.

Genau wie alle anderen, die länger als ein Jahr keinen Job finden. Und das sind bei gut zwanzig Prozent Arbeitslosen auch viele, die noch vor kurzem zur Mittelschicht zählten.

Das geht auch Varvara so. Ihr Mann ist seit drei Jahren arbeitslos, auch sie selbst findet keinen Job mehr. Mit ihrem Sohn kommt sie regelmäßig zu den Ärzten der Welt. Die öffentlichen Krankenhäuser fühlen sich nicht mehr zuständig. Geld für Impfungen und Untersuchungen hat sie nicht; es reicht nicht mal mehr für das Nötigste. Die Raten für das Haus können sie schon lange mit mehr zahlen. Und seit acht Monaten ist auch der Strom abgestellt, denn auch diese Rechnung können sie nicht mehr begleichen.
Hilfsorganisationen schlagen Alarm

Die Praxis wurde eigentlich gegründet, um illegalen Einwanderern zu helfen. Inzwischen sind fast alle Patienten Griechen, das ist in den anderen Praxen von den "Ärzten der Welt" ähnlich, berichtet Nikitas Kanakis von den Ärzten der Welt: Es kämen nun viel mehr Kinder, das sei absolut neu für die Organisation.

Vor allen Dingen in den ärmeren Gegenden haben die Menschen keine Arbeit mehr und deshalb auch keine Krankenversicherung. "Das bewirkt, dass wir eine echte humanitäre Krise haben", meint Kanakis.
Vari

Ein anderer Vorort von Athen: Hier leben rund achtzig Waisen in einem SOS Kinderdorf. Acht Pflegekinder hat Marinela Tsiga groß gezogen, neben ihren eigenen. Immer mehr Eltern wollen ihre Kinder hier abgeben, weil sie sie nicht mehr ernähren können. So etwas hat sie noch nie erlebt, "das ist die Krise", meint sie als wir in ihrer Küche drehen.
Waisen zahlen Steuern

Das Problem: Die Kinderdörfer sind bereits voll besetzt, deswegen versucht SOS den Familien, die vorstellig werden, zu Hause und in einem Sozial-Zentrum in der Innenstadt zu helfen – mit Sachmitteln, Geld und Besuchen von Sozialarbeitern; gleichzeitig wird aber das Geld knapp.

Denn die Griechen spenden deutlich weniger, weil sie selbst nichts mehr in der Tasche haben. Dazu kommt, dass sie Spenden neuerdings nicht mehr steuerlich absetzen können. Und noch schlimmer: Seit April müssen karitative Einrichtungen wie die Kinderdörfer auch noch selbst Steuern zahlen. Direktor Jorgos Protopapas empfindet das als einen Skandal: "Die griechischen Waisenkinder sind die einzigen Waisen auf der Welt, die Steuern zahlen müssen für Obdach, Bildung, Sicherheit und eine besser Zukunft; das gibt es nirgendwo sonst", kritisiert er vor der plusminus-Kamera.
Heitzen wird unerschwinglich

Doch das ist noch nicht alles: Für nächstes Jahr sind Steuererhöhungen geplant, die die Heizölpreise verdoppeln. Dann wird das Geld endgültig nicht mehr reichen, um die Waisen zu versorgen. Aber auch alle andere Verbraucher wird das hart treffen – viele werden in dem teilweise sehr kalten griechischen Winter nicht mehr heizen können. Die Krise wird nach ganz unten durchgereicht.
Sozialer Kannibalismus

Das ist nach Meinung von Antonios Beys-Kamnarokos vom Verband der griechischen Gemeinden nicht nur unsozial, sondern für die wirtschaftliche Entwicklung kontraproduktiv. Letztlich auch für die Geberländer. Aber auch der soziale Frieden in Griechenland werde dadurch massiv gefährdet: "Ein Land, das kaputt gespart wird, von dem kann man weder Steuereinnahmen erwarten, weil die Wirtschaft danieder liegt, noch kann man die Menschen mitnehmen. Ich sehe schon die Gefahr des sozialen Kannibalismus."
Kallithea

Ein Viertel im Zentrum von Athen; hier leben arme wie reiche Griechen; sehr viele Menschen schauen in diesen Tagen auf ein Gebet oder eine Kerze in der Kirche vorbei. Jeder Cent im Opferstock wird dringend gebraucht. Denn mittlerweile kommen Tag für Tag 200 Menschen zur Suppenküche der Gemeinde.

Die Mittelschicht in der Suppenküche
Viele hätten sich nie träumen lassen, dass sie so schnell so tief sinken könnten. Aber Lebensmittel sind in Griechenland zum Teil viel teurer als in Deutschland. Vater Pawlos, der mit Ehrenamtlichen jeden Tag auch warmes Essen verteilt, erzählt, dass die Menschen heute nicht nur ärmer sind als noch vor zwei Jahren; sie hätten auch ihre Hoffnung mittlerweile verloren. Und das gilt nicht nur für die Besucher der Suppenküchen, von denen viele früher zur Mittelschicht gehörten.

Eine Nation in tiefer Depression
Seit der Krise fühlt sich quasi die gesamte Nation ohnmächtig, stellen Psychologen fest. Man könne das unter anderem an der steigenden Zahl von Selbstmorden, Unfällen und Abtreibungen sehen. Ein Grund für die Mutlosigkeit sei, dass so viele ihre Arbeit verloren hätten. Die, die noch Arbeit haben, verdienten nun wesentlich weniger als früher und müssten fürchten, ebenfalls ihren Job zu verlieren. Alleine das sei für viele schon sehr deprimierend.
Der unsichtbare Feind

Die Menschen kämen sich vor wie im Krieg; der Unterschied zu einem Krieg sei aber, dass man nicht erkennen könne, wer der Feind eigentlich ist, analysiert Fotini Tsalikoglou , sie ist Professorin für Psychologie an der Universität Athen. Die Menschen hätten das Gefühl, nicht mehr selbst bestimmt handeln zu können, wüssten aber auch nicht, gegen wen sie kämpfen sollen. Die Machtlosigkeit lasse viele resignieren. Dazu käme, dass sie von anderen Nationen verhöhnt und verspottet werden. Auch das sei beschämend und verstärke die allgemeine geradezu schon fatalistische Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit der Griechen.

Sparen am falschen Ende
Was wir bei unseren Dreharbeiten in Athen vor allem gelernt haben: Die insbesondere von Deutschland geforderte Sparpolitik treibt die Mehrheit der Griechen in die Armut. Wenn die neue Regierung diesen Kurs noch verschärft und die Wirtschaft endgültig zusammenbricht, weil die Menschen weder konsumieren noch produzieren können, wird das Land seine Schulden ganz sicher niemals zurück zahlen können.

Ein Beitrag von Armgard Müller-Adams
Adressen & Links

Verband griechischer Gemeinden in Deutschland:
www.oek-germany.de

Ärzte der Welt:
www.aerztederwelt.org

SOS Kinderdörfer:
www.sos-kinderdorf.de

Bank unterschlägt 700 Mio + bekommt 900 Mio

(muss ausgefüllt werden) 17.11.2011 - 16:43
"Bis zu 700 Millionen Euro soll die griechische Privatbank Proton unterschlagen haben. Besonders brisant ist das, weil die Bank kürzlich mit 900 Millionen Euro vom griechischen Staat gerettet werden musste - Geld, das von EU-Partnern stammt. Und nun explodierte in Athen auch noch eine Ladung Dynamit, die offenbar als Warnung gedacht war. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. "

 http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/missbrauch-des-euro-rettungsschirms-griechische-bank-verschiebt-millionen-euro-ins-ausland-1.1191473

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