Berlin: Gegen Bundeswehr an einem Gymnasium

Wladek Flakin (RIO) 09.11.2011 16:37 Themen: Bildung Militarismus Weltweit
Es war noch dunkel, als ein Jugendoffizier der Bundeswehr am 28. Oktober kurz vor Schulbeginn das John-Lennon-Gymnasium (JLG) in Berlin-Mitte betreten wollte. Vorbeilaufen musste er an einem Dutzend SchülerInnen und AktivistInnen, die mit Transparenten und einer Vielzahl von Flugblättern eine "bundeswehrfreie Zone" forderten. Er wollte wissen, woher sie überhaupt von seinem Besuch wussten, und auch ein paar Zeitungen mitnehmen, um sie seinen Vorgesetzten zu zeigen.
Eigentlich sollte der Jugendoffizier ein Referat zum Thema Terrorismus vor einem Politik-Leistungskurs halten und explizit „keine Werbung“ für die Armee machen. Doch viele SchülerInnen waren der Meinung, dass es sich nicht um einen Vortrag einer neutralen "Expertenstimme" handelte: "Wieso holt man nicht einen Politikwissenschaftler oder eine Soziologin?" hieß es in einem Flugblatt des John-Lennon-Streikkomitees.

"Besonders in einer Schule, die nach John Lennon benannt ist, sollten Schüler im Pflichtunterricht nicht von der Bundeswehr manipuliert werden" sagte eine Schülerin, die anonym bleiben wollte. Die SchülerInnen im Kurs hatten ein antimilitaristisches Gegenreferat gefordert, um eine wirkliche Diskussion zu ermöglichen. "Sowas müsste vorher mit den Schülern besprochen werden, wenn wir eine gemeinsame Diskussion führen sollten" sagte ein zweiter, ebenfalls anonymer, Schüler. "Aber das wurde von unserem 'Vorgesetzten' einfach festgelegt."

Der Politik-Lehrer - nach eigenen Angaben selbst Wehrdienstverweigerer - verteidigte die Einladung an Vertreter eines "Verfassungsorgans". Doch die Gewerkschaft GEW unterstützt solche Aktionen und das Bündnis "Schule ohne Militär". Neben der GEW waren auch verschiedene politische Gruppen wie Linksjugend-Solid, SDAJ und RIO. Momentan ist die Ablehnung der Bundeswehr an Berliner Schulen relativ stark: So hat die Schulkonferenz des Berliner Robert-Blum-Gymnasiums beschlossen, der Bundeswehr den Zugang zur Schule komplett zu verweigern.

von Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO), www.klassegegenklasse.org

* Bericht wurde eigentlich schon am 28. Oktober geschrieben aber erst 10 Tage später veröffentlicht



++++++++++ Flugblatt vom John-Lennon-Streikkomitee ++++++++++

Bundeswehr am JLG

Jugendoffizier besucht PW-Kurse – er wird keine Werbung machen?!?

Die Bundeswehr steht immer schärfer in der Kritik. Auslandseinsätze wie der Afghanistankrieg werden von ca. 80% der Bevölkerung abgelehnt, und mit der Abschaffung der Wehrpflicht er- weist sich auch die Suche nach „Nachwuchskräften“ als immer schwieriger. Das Image der Bundeswehr ist nicht gut. Dagegen versucht sie, etwas zu unternehmen.

Schon seit einigen Jahren besuchen speziell ausgebildete JungoffizierInnen Schulen. Da der Bundeswehr bekannt ist, dass viele Jugendliche „Befehl und Gehorsam“ kritisch gegenüberstehen, entsprechen sie ganz und gar nicht dem typischen Bild eines Militaristen. Sie sollen jung, dynamisch, locker, offen und rhetorisch sehr geschickt wirken. Das grundlegende Ziel dieser Schulbesuche ist die Rechtfertigung von Militäreinsätzen und die Rekrutierung von neuen SoldatInnen.

Nun wurden JugendoffizierInnen von LehrerInnen unserer Schule eingeladen. Angeblich ist das keine Werbeveranstaltung für die Bundeswehr, sondern„nur“ ein Referat. Nachdem der PW-LK des 3. Semesters schon besucht wurde, wird am 28. Oktober ein Jugendoffizier im PW-LK des 1. Semesters über Terrorismus sprechen.

Wenn ein Kurs was über Terrorismus erfahren soll, wieso holt man dann nicht einen Politikwissenschaftler oder eine Soziologin? JugendoffizierInnen sind keine neutralen „ExpertInnen“, sondern sie sind VertreterInnen einer Institution, die Kriege führt. Die einzuladen für eine Diskussion über Terrorismus, ist so, als wenn man einen Pressesprecher von Vattenfall als "Experten" in Sachen Atomkraft einladen würde.

Ein Schüler des Kurses hat vom Lehrer verlangt, zu dem Bundeswehroffizier auch eine/n antimilitaristisch/en Experten/in einzuladen, um eine kritische Meinungsbildung der SchülerInnen zu ermöglichen. Doch die Antwort des Lehrers war:„irgendwann vielleicht“ (bzw. gab es doch eine Zusage ein paar Tage davor, womit die Organisierung eines Gegenreferenten unmöglich war). Demzufolge wird eine kritische Diskussion über das Thema sehr viel schwieriger sein.

Wir fragen: Warum wird die Bundeswehr eingeladen, wenn es um Terrorismus geht?

Der Krieg in Afghanistan dauert seit über zehn Jahren. Im Jahr 2001 haben SchülerInnen am JLG mit einem Schulstreik dagegen protestiert. Mit ihrer Ablehnung des Krieges damals hatten sie recht: Nach zehn Jahren unter Besatzung ist das Leid der afghanischen Bevölkerung genauso groß wie zuvor, wenn nicht größer.

Dass die Bundeswehr als einzige Referent/in eingeladen wird, ist eine klare Positionierung zugunsten dieses Krieges und zugunsten der Bundeswehr. Wir sind gegen eine militärische Propaganda im Unterricht!

Deshalb wird am Freitag vor der Schule eine Kundgebung gegen Militär in der Schule stattfinden. Dass ein Offizier an diese Schule kommt, ohne, dass die Möglichkeit zur Gegendarstellung gegeben ist, werden wir nicht hinnehmen.
Für eine Schule ohne Militär!

John-Lennon-Streikkomitee

(Nicht vergessen: Bundesweiter Bildungsstreik am 17. November!)
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Ergänzungen