Antiziganistische Unruhen und Pogrome in BG

antizig.blogsport.de 23.10.2011 22:02 Themen: Antifa Antirassismus Weltweit
In der Nacht vom 24. zum 25. September 2011 kam es in dem bulgarischen Dorf Katunitsa (2.400 Einwohner_innen) zu heftigen Ausschreitungen gegen Roma. Daran waren bis zu 3.000 Menschen beteiligt, also weitaus mehr als Katunitsa an Einwohner_innen hat. Die Medienberichte sprechen von bis zu 2.000 angereisten rechten Fußballhooligans aus der nahe gelegenen Stadt Plovdiv, der zweitgrößten Bulgariens.
In der Nacht vom 24. zum 25. September 2011 kam es in dem bulgarischen Dorf Katunitsa (2.400 Einwohner_innen) zu heftigen Ausschreitungen gegen Roma. Daran waren bis zu 3.000 Menschen beteiligt, also weitaus mehr als Katunitsa an Einwohner_innen hat. Die Medienberichte sprechen von bis zu 2.000 angereisten rechten Fußballhooligans aus der nahe gelegenen Stadt Plovdiv, der zweitgrößten Bulgariens. Drei Häuser einer Roma-Großfamilie wurden in einem Pogrom gestürmt und teils in Brand gesetzt, eines der Gebäude wurde dabei weitgehend zerstört. In den folgenden Tagen breiteten sich die rassistischen Unruhen auf mindestens 20 Orte in Bulgarien aus.

In den deutsch- und englischsprachigen Berichten ist übereinstimmend davon die Rede, dass der lokale Konflikt in der Nacht zum 25. September eskalierte als Hooligans aus Plovdiv intervenierten. Das soll aber keinesfalls den rassistischen Mob des Ortes entschuldigen, der einen sozialen Konflikt bzw. einen Autounfall bereits vor der Nacht zum Anlass für antiziganistische Proteste genommen hat. Keinesfalls lässt sich die schuld einfach zugereisten Rowdys allein zuschieben. Vielmehr muss wie bei den antiziganistischen Protesten im nördlichen Tschechien davon ausgegangen werden, dass die örtliche antiziganistisch eingestellte Bevölkerung und die angereisten Hooligans zusammengearbeitet haben bzw. die Lokalbevölkerung in hohem Maße mit den gewalttätig agierenden Hooligans sympathisiert hat.

Die nach Katunitsa gereisten Hooligans aus Plovdiv waren waren aber nicht einfach nur Rassisten, sie dürfen wohl auch zu einem großen Teil der Nazi-Subkultur zuzurechnen sein, wie ein Recherche ergab.

In Plovdiv gibt es zwei größere Fußballvereine, um die herum es mehrere Fan-Gruppierungen gibt, die der Kategorie Hooligans oder Ultras zuzuordnen sind.

Einer der beiden großen Fußballvereine von Plovdiv ist die „Lokomotive Plovdiv“. Bei „Lokomotive Plovdiv“ gibt es, wie bei vielen osteuropäischen Clubs mehre Gruppen.
Zu nennen wären:
* „Napoletani Ultras Plovdiv“
Über diese gibt es wenig öffentliches Material. In einem Interview stellen sie kurz ihre Aktivitäten dar. Es wird zwar über rechte Gruppen berichtet, sich aber nicht davon distanziert, eher Sympathien mit diesen geäußert. Sie selbst bezeichnen sich zwar als „unpolitisch“, waren aber für Spruchbänder wie „Europe Awake“ oder Turkey is not Europe“ verantwortlich.
„Napoletani Ultras Plovdiv“ verfügen über gute Kontakte zu der Fan-Gruppierung „Fedayn“ aus Napoli in Italien. Der Name ist durchaus verbreitet in der italienischen Ultras-Szene1 und ist bei rechten und linken Gruppen sehr beliebt. Der Name bezieht sich positiv auf die „Fedayn“, eine palästinensischen Terror-Gruppe ab den 1930ern unter dem Befehl des Hitler-Kollaborateurs und Jersualemer Obermufti, Mohammed Amin al-Husseini (1893-1974). Die „Fedayin“ wurden zeitweise von den Nationalsozialisten mit Waffen unterstützt und zeichnen sich verantwortlich für antisemitische Morde. Der Kampf der „Fedayn“ gegen den Judenstaat bzw. den Zionismus findet offenbar Beifall bei rechten wie linken Israelhassern und Antisemit_innen.
* „Lauta Hools“
Die „Lauta Hools“ sind benannt nach dem Park in dem sich das Stadion von Loko Plovdiv befindet. Auch bekannt unter dem Namen „usual suspects“. Es handelt sich um eine typische „Causual“ Hooligangruppe, die weniger präsent im Stadion sind und mehr den Straßenkampf suchen. Es ist anzunehmen, das mit rechten Einstellungen sympathisiert wird, mindestens aber das eine solche problemlos geduldet wird. Gewalt scheint deutlich wichtiger zu sein als Politik, was sich auch an der Bildergalerie erkennen lässt.
* „Gott mit uns“
Die Gruppe „Gott mit uns“ ist sicher die rechteste aller Gruppen im Fan-Milieu von „Lokomotive Plovdiv“. Der Name ist ein alter Kriegsruf, der sich u.a. auch auf den Gürtelschnallen der deutschen Wehrmacht befand.
Die Mitglieder dieser Gruppe fallen durch ihre besondere Vorliebe für Nazi-Symbolik auf. In Videos sieht man sie mit Keltenkreuz, Reichskriegsfahne, Hitlergruß oder Tatoos mit Hakenkreuzen.
Selbst das Logo der Gruppe beinhaltet einen Reichsadler.
Aufmerksamkeit erregten „Gott mit uns“ auch durch ihre Teilnahme an Krawallen beim Länderspiel Bulgarien gegen Italien. Auch hier tauchten viele Fahnen auf, in denen das Hakenkreuz lediglich mit einem Keltenkreuz ausgetauscht wurde. Ebenso beim letzten Derby gegen Botev.

Der zweite große Fußballverein von Plovdiv ist „Botev Plovidv“. Zu den organsierten Fangruppierungen gehören Gruppen wie „Bunta Sever”, “Centrum Crew”, “Brigada Trakia”, “Bultras Asenovgrad” oder “Sofia Club Botevista”. Die Übergruppierung “Bultras” ist nach eigener Aussage unpolitisch. In einem Interview antwortet ein Gruppen-Vertreter auf die Frage der Online-Plattoform “Hoolsworld” “H’W: What is the political view of your group?” mit “The politics doesn’t belong in the stadium.” Der Titel des Interviews, „Interview with Gestapo“ läßt an dieser Aussage allerdings ernsthafte Zweifel aufkommen.
Im Fanmilieu von „Botev Plovidv“ lässt s,ch auf den ersten Blick keine direkte NS-Verherrlichung ausmachen. Dennoch wird ein bulgarischer Nationalismus mit dem üblichen Schuss Regionalpatriotismus präsentiert.
Auch unter den Fans von „Botev Plovidv“ lassen sich auf Bildern Fans ausmachen, die der rechten Szene zuzuordnen sind.
Botev-Fans sollen auch bei den ersten Übergriffen gegen Roma am 24. September beteiligt gewesen sein und dabei rechte Lieder skandiert haben.

Bevor Antiziganismus im Stadion vorschnell in der Schublade „osteuropäische Verhältnisse“ abgelegt wird, sei daran erinnert das sich auch in bundesdeutschen Stadien der Schmähruf „Zick zack Zigeunerpack“ einiger Beliebtheit erfreut.

(Vielen Dank an B. für seine Recherchen bezüglich der Fan-Milieus in Plovdiv, die die Basis für diesen Text waren.)
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Ergänzungen

leider keine neueren infos

a3yo 25.10.2011 - 21:17
seit den ausschreitungen ende september gibt es leider noch keine updates, vor allem nachdem letzten sonntag wahlen waren und ataka voraussichtlich ganz gut zugelegt hat...
hier ist mein artikel, den ich ebenfalls bereits vor einem monat veröffentlicht habe:

 http://a3yo.noblogs.org/post/2011/09/29/bulgarien-antiziganistische-ausschreitungen-uberall-im-land/

Bulgarien: Antiziganistische Ausschreitungen überall im Land

Seitdem am 23.September ein junger Mensch im bulgarischen Dorf Katunitza bei Plovdiv durch die örtliche Mafia ums Leben kam, nutzen faschistische Gruppen und andere Rassist_innen im ganzen Land den Vorfall, um anfangs legitime Proteste gegen Mafiastrukturen in “ethnische” Pogrome gegen Roma umzumünzen, Häuser anzuzünden und Romaviertel mit Waffen anzugreifen.

Kiril Rashkov, auch als “Zar Kiro” häufiger in den Medien und einflussreiche in der Mafia vor allem durch illegalen Alkoholhandel habe den Jugendlichen mehrfach mit bedroht und seine Leute geschickt, um ihn zu überfahren, so die Eltern des Verstorbenen. Da Rashkov Rom ist, wurde der Anlass von organisierten Faschisten in Bulgarien schnell aufgegriffen, um den Konflikt in einen ethischen umzudeuten. Rashkov pflegt scheinbar gute Beziehungen zur Polizei, wie selbst Mainstreammedien nicht verbergen und ist als reicher einflussreicher Mensch, der auch in Morden involviert ist, bekannt. Somit ist es mehr als verständlich, dass Menschen nach dem Vorfall auf die Strassen gehen. Schlimm ist dagegen, dass nicht Korruption und brutale kapitalistische Verhältnisse skandalisiert werden, sondern Medien und an der Regierung beteiligten Parteien wie Ataka schnell einen “ethnischen” Konflikt ausriefen und gleich auch die türkische Minderheit in Bulgarien mit ins Visier genommen wird.

Dies verlief leider sehr erfolgreich, wie sich an den zahlreichen Ausschreitungen in verschiedenen Städten Bulgariens sehen lässt. Bereits bei der ersten Demonstration in Katunitzka beteiligten sich angereiste Faschisten und im Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen in Bulgarien in weniger als einem Monat sind die Angriffe auf Roma und andere nicht-Bulgar_innen alles andere als spontan.

Treffend beschreibt Tomasz Konicz in seinem Artikel auf Telepolis:

“Die angeblichen – bislang nicht bewiesenen – kriminellen Umtriebe des Roma-Klanführers Raschow dienten somit als Vorwand, als Katalysator, um den schwellenden Antiziganismus zum Ausbruch zu verhelfen. Die in Bulgarien allgegenwärtige Mafia-Herrschaft und Korruption wird somit in den Roma personifiziert, die zu Sündenböcken gestempelt werden. Die Kriminalität wird im Endeffekt zu einem “ethnischen” oder “rassischen” Merkmal der Roma ideologisiert. Soziale Widersprüche – wie etwa die tatsächlich weitverbreitete Elendskriminalität – werden so zu Eigenschaften einer Menschengruppe erklärt. Den verhetzten Pogromteilnehmern scheint es somit, als ob Kriminalität, Verelendung und Arbeitslosigkeit, die auch in Bulgarien seit Krisenausbruch wieder zunehmen, im Gefolge der Vertreibung der Roma ebenfalls verschwinden würden.”

Seit dem Tod von A.Petrov gab es zahlreiche Ausschreitungen gegen Roma und Türk_innen in Bulgarien. Das Haus von Rashkov wurde abgebrannt und seine Familie evakuiert. In Plovdiv versuchten mehr als 2000 Faschisten das dortige Romaviertel zu stürmen, lokale Roma gehen teilweise aus Angst vor Übergriffen nicht zur Arbeit und schicken ihre Kinder nicht mehr zur Schule, wie die Sofia News Agency berichtet. In Pleven wurde das Haus einer Organisation angezündet, die eng mit der türkischen Community verbunden ist. In Sofia versuchten zwischen 1000 und 2000 Menschen die Moschee anzuzünden und das Parlament. Es gibt eine sehr starke Polizeipräsenz in den Strassen, die versuchten, den Mob davon abzuhalten, in die Romaviertel zu gelangen. Es wird von lautstarken rassistischen Parolen wie “Zigeuner zu Seife verarbeiten” und “Türken unters Messer” berichtet. Der Mob ist mit Schaufeln, Messern und anderen Gegenständen bewaffnet. In Varna, Ruse und Burgas sind ebenfalls hunderte Menschen an antiziganistischen und rassistischen Angriffen beteiligt. Die Partei Ataka wirbt mit Solgans wie “Die Kriminalität der Zigeuner – eine Gefahr für den Staat” in Broschüren, die verteilt werden.

Es gibt zahlreiche Verhaftungen und Verletzte und die Roma wehren sich gegen die Angriffe. Offizielle von der EU hat den Medien gegenüber die Ausschreitungen verurteilt.

Es gibt einige Videoclips zu den Ausschreitungen:

 http://www.youtube.com/watch?v=Y-9d0eB4eCQ

 http://www.youtube.com/watch?v=wwM03CsHDpk&feature=player_embedded

 http://www.youtube.com/watch?v=OCfSlT4w2jc&feature=player_embedded#

siehe auch weitere Informationen auf englisch und deutsch:

 http://stopnazi-bg.org/english/74-katunitza

 http://www.heise.de/tp/artikel/35/35568/1.html

 http://de.indymedia.org/2011/09/317005.shtml

 http://www.novinite.com/view_news.php?id=132444

 http://a3yo.noblogs.org/post/2010/10/24/nazi-structures-in-bulgaria/#more-663

Kontakt zu lokalen Antirassist_innen, die auch gerne Interviews machen oder sonst mit Infos weiterhelfen:

stopnazi.bg (at) gmail.com

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datum??? — nameless

optische täuschung — nameless

danke — sic!