Naziübergriffe in Polen - Aktion? Reaktion!

Faszyzm nie przejdzie! 17.10.2011 23:45 Themen: Antifa Antirassismus Kultur Repression Weltweit
Es ist erst vor ein paar Wochen passiert...Zuerst wurden nachts zweisprachige polnisch-litauische Ortsschilder verändert, indem man das Litauische entfernte. Ein paar Tage später tauchten auf der Synagoge von Orli faschistische Parolen auf. Kurz danach wurde das islamische Kulturzentrum in Białystok angezündet, dann die Wohnungstür einer pakistanischen Familie. An die Gedenkstätte in Jedwabne für den Mord an mind. 340 Juden, die im Juli 1941 von ihren polnischen NachbarInnen lebendig verbrannt wurden, wurden Hakenkreuze und Parolen gesprüht („Wir entschuldigen uns nicht für Jedwabne!“/“Ihr wart leicht entflammbar!“). All das und mehr geschah innerhalb von 2 Wochen in der Region Podlasie und Białystok im Nordosten Polens.
Der geistreiche Kommentar Jarosław Kaczynskis zu den Vorfällen: „Das ist eine Provokation. Jemand will den Eindruck vermitteln, das Polen anders ist, als es tatsächlich ist.“
In den Zeitraum der Übergriffe und Anschläge fielen in Białystok Urteile gegen vier Antifaschisten, die im vergangenen Jahr während einer Demonstration mit Nazis konfrontiert wurden.
Als Reaktion auf die Übergriffe veranstalteten ca. 100 Einwohnerinnen und Einwohner von Białystok aus dem eher zivilgesellschaftlichen Spektrum eine Demonstration gegen den Naziterror. Diese wurde von ca. 50 Nazis unterwandert und gestört.
In Białystok gibt es augenscheinlich ein akutes Naziproblem. Viel besser sieht es aber in anderen polnischen Städten auch nicht aus. Sogar im Zentrum Warschaus, dass eigentlich in den letzten Jahren als relativ sicher galt, auch weil die Stadt für polnische Verhältnisse eher liberal ist, kommt es vermehrt zu Übergriffen auf Menschen, die nicht polnisch aussehen.



Die Achse des Bösen...
Auch die parlamentarische Rechte fördert seit mehreren Jahren ein aggressives Klima in Polen. Die ehemalige Koalition, die nach 2006 die Minderheitsregierung stellte („Liga der polnischen Familien“, „Samoobrona“/“Selbstverteidigung“, „PiS“) öffnete Tür und Tor für eine erstärkende Naziszene. Der rechte Rand konnte sich in Polen zu Hause fühlen und wurde durch rechtspopulistische Parolen aus den Reihen des Parlaments bestätigt.

Zudem trägt die Dominanz des ultrarechten Gedankenguts in den Fußballstadien seit mehreren Jahren zu einem Erstarken der Szene bei. Mit nationalistischen Parolen und dem Hass auf Schwule, Lesben und Transgender rekrutiert man seinen jungen Nachwuchs von der Tribüne weg. Während in den 90er Jahren durchaus auch noch linke Fans in den Stadien sichtbar waren, trauen sie sich dort heutzutage nicht mehr öffentlich aufzutreten.
Die Aufarbeitung des polnischen Antisemitismus kommt mühsam voran. Das Buch „Goldene Ernte“ von Tomasz Gross, in dem er sich mit antisemitischen Exzessen von Teilen der polnischen Bevölkerung während der Zeit des zweiten Weltkriegs auseinandersetzt, wurde öffentlich angegriffen und Rechtsradikale und -konservative sowie Teile der Kirche riefen zum Boykott auf. So ist es kein Wunder, dass auch Antisemitismus in Polen an der Tagesordnung ist.
Die ultrarechte Bewegung in Polen ist alles andere als homogen. Sie setzt sich vielschichtig aus Bildungsbürgertum, Hooligans, klassischen Skinheads, Subkulturen im Hip Hop und Heavy Metal Bereich und dem, was als „bildungsferne Schichten“ bezeichnet wird, zusammen. Seit einiger Zeit sind auch die „Autonomen Nationalisten“ im Trend. Man spricht von Nationalradikalen, denjenigen, die sich auf den polnischen Faschismus der 30er Jahre beziehen (ONR-Falanga) und eine Neue Rechte, die den „3. Weg“ gehen will (NOP).
Immer präsenter sind sie auch in der Öffentlichkeit. Während es vor einigen Jahren landesweit vielleicht 1-2 Aufmärsche pro Jahr gab, finden diese mittlerweile monatlich statt. Der größte davon alljährlich in Warschau – und bis zum letzten Jahr weitestgehend unwidersprochen.

Aktion? - Reaktion!
Jahrelang beschränkte sich antifaschistischer Widerstand einerseits auf eher praxisorientierte autonome Antifagruppen und der Arbeit von „Nigdy wiecej“/“Nie wieder“, ein Verein, der sich auf Monitoring und Medien- und Öffentlichkeitsarbeit konzentrierte. Man konnte dementsprechend nicht von einer antifaschistischen Bewegung sprechen.
Angesichts der Ereignisse der letzten Jahre war es aber nur eine Frage der Zeit, bis es zur Reaktion kommen musste. Startpunkt waren die Blockaden des alljährlichen Naziaufmarschs am 11.11. in Warschau. Nachdem im Jahr 2008 250 Menschen den Aufmarsch störten, die 500 Nazis gegenüberstanden, waren es 2009 schon 600 Gegendemonstranten gegenüber 800 Nazis. Im letzten Jahr schließlich gründete sich das Bündnis „Porozumienie11/11“, dem es gelang 3.500 Menschen auf die Straße zu bringen. Damit gelang es erstmalig, die Nazis aus dem Stadtzentrum zu verdrängen.
Das antifaschistische Bündnis besteht weiterhin und wird größer und stärker. Das ist auch wichtig: waren es im letzten Jahr 1.700 Nazis beim Aufmarsch, ist in diesem Jahr mit noch mehr zu rechnen.
Dank der Bündnisarbeit wurde einem Spektrum, dass sich bis dahin nicht mit der Problematik beschäftigte oder das eher passiv blieb, eine Möglichkeit der Beteiligung gegeben. Das Thema wird dadurch auch jenseits der klassischen Antifaszene präsent.
Obwohl die rechtskonservativen Medien immer noch loyal zu den Nationalisten stehen, wurde die Arbeit des Bündnisses in der Presse auch positiv aufgenommen.
Auch in diesem Jahr wird von Seiten der Nazis zum Aufmarsch am 11.11. massiv mobilisiert, unterstützt von rechten Fußballhools. Das Antifaschistische Bündnis mobilisiert bereits seit mehreren Monaten zu Massenblockaden, in der Hoffnung, wieder mehrere Tausend Menschen auf die Straße zu bringen. Auch Kultur- und Politprominenz hat sich mittlerweile dem aktiven Protest angeschlossen.

Antifa heißt Angriff! Naziaufmärsche stoppen – in Warschau und überall!

Infos:
www.11listopada.org
www.antifa.de

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Infoveranstaltungen von Siempre Antifascista & Antifaschistische Linke Berlin

Nationalismus, Antisemitismus, Homophobie - Die Rechte in Polen (zweisprachig)
Nacjonalizm, Antysemityzm, Homofobia - Faszyzci w polsce
Infoabend | Di. 18.10. | 19:30 | Festsaal Kreuzberg, Berlin

Naziaufmarsch blockieren! am 11.11. in Warschau
Marsz faszystów blokowac! 11.11. w Warszawie
Infoabend | Mi. 26.10. | 19:30 | K9, Berlin
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Ergänzungen