Thü : Break Isolation! - Kampagne

B.I. 17.10.2011 21:32 Themen: Antirassismus Repression Soziale Kämpfe
Die seit einem Jahr laufende Break Isolation! - Kampagne gegen die Isolation der Flüchtlinge durch Lager, Residenzpflicht und strukturellen Rassismus in weiten Teilen von Gesellschaft und Medienöffentlichkeit, wird am kommenden Samstag, 22.10., mit einem Aktionstag in Erfurt ihren vorläufigen Höhepunkt erleben. Mittelpunkt der Kampagne, die maßgeblich durch das Flüchtlingsnetzwerk von The VOICE Refugee Forum und durch das Unterstützer_innen-Netzwerk Break Isolation! getragen wird, ist der Stärkung selbstorganisierter Flüchtlingsstrukturen, die den lokalen Widerstand gegen alltägliche Schikane und Entrechtung vorantreiben.
Vom Festival in die Provinz
In Folge des Karawane-Festivals 2010 in Jena wurde beschlossen, den in Festivalform gelebten Widerstand wieder verstärkt an die Basis zurückzutragen. Aktivist_innen von The VOICE begannen mit regelmäßigen Besuchen in einigen der isoliertesten Lagern Thüringens. Als im Rahmen der sog. "Woche des ausländischen Mitbürgers" im September 2010 der damalige Innenminister Huber (CDU) im westthüringischen Bad Salzungen vermeintliche Integrationserfolge abfeiern wollte, wurde eine direkte Intervention seiner Rede durch 30 Flüchtlinge aus dem nahegelegenen Lager Gerstungen der Auftakt zu weiteren Aktionen gegen die Isolation der Flüchtlinge.
Über den Winter wurde aufgrund kontinuierlicher Arbeit vermehrt die Presse auf die unwürdigen Lebensbedingungen in den Isolationslagern Gerstungen, Zella-Mehlis und Gangloffsömmern aufmerksam, sodass ein bisschen Bewegung in die lokalen Flüchtlingsgemeinschaften kam und die Stille der Provinz zu zittern begann. Dabei versuchten jedoch alle üblichen Verdächtigen in Verwaltung, Politik und Medien, das Problem auf hygienische oder bauliche Mängel herunterzubrechen und den politischen Aspekt der Isolation als systematische Schaffung rechtsfreier Räume, in denen Menschen gezielt kaputtgemacht werden und aus denen in aller Ruhe und Rechtswidrigkeit abgeschoben werden kann, unter den Tisch zu kehren. Deshalb wurde verstärkt unter dem Slogan "Break Isolation" agiert, um Diskussionen über Renovierungen vorwegzugreifen.

The VOICE - die Stimme der Flüchtlinge
Punktuelle Unterstützung für die Belange von Asylsuchenden ist in der Regel gar nicht so schwer zu gewinnen. Es finden sich immer wieder Kirchen, die mittels Pressemitteilungen an christliche Überzeugungen in den Institutionen appellieren. Es finden sich Gruppen, die Kleiderspenden organisieren. Grüne und Linke sind auch schnell dabei mit Anträgen in Kreistagen. Aber dabei machen sich die meisten doch eher zum Teil des Problems, als zum Teil der Lösung. Die paternalistische Mentalität, die aus diesem Verständnis der Unterstützung spricht, verschiebt die Debatte auf eine materielle, humanitäre Ebene und leistet den Behörden Hilfe bei der Entpolitisierung des Themas.
Medien sind heilfroh, wenn sie dementsprechende Kommentare von Kirchenvertreter_innen und etablierten Parteien drucken können und fürs gute Gewissen noch einen Flüchtling zitieren, der sein Leiden kurz darstellt. Flüchtlinge, die diesen Staat rassistisch nennen, Flüchtlinge die lieber Freiheit als Brot und Butter wollen, werden gepflegt ignoriert, obwohl sie meist am lautesten sind.
Doch die Erfahrung hat gezeigt, dass eine Medienkampagne mit breiter Unterstützung letztendlich ins Leere läuft, wenn nicht die Mehrheit der Lagerbewohner_innen gut informiert, selbstbewusst und kritisch ist. Dementsprechend reichen symbolische Soliaktionen - in Wort oder Tat - oder andere Formen des konventionellen Aktivismus von außerhalb der Lager nie aus, um voranzukommen. Langfristig erfolgreich war The VOICE nur da, wo Flüchtlinge selber den Protest definiert haben, ihre Position formuliert haben und wo solidarische Strukturen unterstützend, aber nicht wortergreifend einwirkten.

Lager und Residenzpflicht - Mittel politischer Verfolgung
Wenn ein Flüchtling beginnt, sich zu vernetzen, vielleicht sogar öffentlich aufzutreten, bekommt er dies sofort im Alltag zu spüren. Denn der Alltag wird allumfassend von den Behörden kontrolliert: Bei Krankheit werden Krankenscheine verweigert. Das Taschengeld, was zusätzlich zu den Lebensmittelgutscheinen in bar ausgegeben wird, wird verweigert. Amtliche Briefe, deren pünktliche Beantwortung wichtig ist, werden - teils geöffnet - zu spät weitergegeben. Arbeitserlaubnisse werden verweigert oder entzogen. Gelder für Busfahrten zu Ausbildungsorten verweigert. Gerichtsprozesse verschleppt. Abschiebungen forciert.
All das bringt das Leben im Lager, unter voller Kontrolle der Ausländerbehörde und ihrer Mitarbeiter_innen mit sich.

Die Residenzpflicht tut ihr übriges hinzu. Sie regelt das unter Strafe gestellte Verlassen des Landkreises, dem ein Flüchtling zugewiesen ist. Offiziell darf nur mit einer Genehmigung, "Urlaubsschein", der Landkreis verlassen werden. Urlaubsscheine werden jedoch in der Regel nur für Gerichts- und Anwaltstermine gegeben, sonst für nichts. Schon gar nicht für politische Veranstaltungen.
Damit steht jeder Besuch einer Demo, eines Vernetzungstreffens etc. unter Strafe. In den meisten Bundesländern führt die Residenzpflicht deshalb zu rassistischen Rasterfahndungen an Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen, in deren Rahmen Bundespolizist_innen gezielt Menschen kontrollieren, denen der Status "Asylsuchende_r" bloß aufgrund ihres Äußeren unterstellt wird.


Widerstand 2011
Wie vielerorts bleibt auch Thüringen angesichts dieser andauernden Zustände nicht still. Flüchtlinge brechen offensiv die Residenzpflicht und verweigern sich Strafzahlungen. Flüchtlinge sprechen legen auf Kundgebungen die Misshandlungen offen, obwohl sie dafür meist mit Drohungen und Beschimpfungen beim nächsten Behördengang versehen werden. Wie ernst und nötig dieser Widerstand ist, zeigen die vielen Erfahrunge der Flüchtlinge selber, zeigen brutale nächtliche Abschiebungen und Todesfälle.

Im März gab es eine Kundgebung vorm Lager Zella-Mehlis und eine Demo für die Schließung dieses Lagers in Meiningen. Es gab im April eine bundesweite Flüchtlingskonferenz in Jena und einen Aktionstag in Zella-Mehlis, während dem Flüchtlingsaktivist_innen aus allen Ecken der BRD die dortige Flüchtlingsgemeinschaft besuchte. Im Juni gab es eine Kundgebung in Erfurt, im August eine Demo in Heiligenstadt und eine Kundgebung in Jena. Nebenher gab es in allen Regionen Thüringens Vernetzungstreffen der Flüchtlinge untereinander und eine Sammlung von Dokumentationsmetrialien und Berichten, die meist im Netz und in den Medien landeten.


Am Samstag, dem 22.10.2011, wird es in Erfurt ab 10h eine Dauerkundgebung mit Ausstellung, Musik und Redebeiträgen auf dem Anger geben und ab 14h eine Demo, die am Hauptbahnhof startet. Es werden Flüchtlinge aus ganz Thüringen, Flüchtlingsaktivist_innen aus Baden-Württemberg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Berlin und Hamburg ertwartet. Außerdem werden antirassistische und antifaschistische Gruppen sowie viele weitere Einzelpersonen erwartet.
Genaueres zum Programm und ein kurzer Info- und Mobifilm in Kürze HIER.

Unterstützt den Widerstand der Flüchtlinge gegen die rassistische Isolation- Schließt alle Lager und weg mit der Residenzpflicht! Solidarisch gegen staatliche Ausgrenzung und Diskriminierung!
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen