Widerstand von Flüchtlingen in Jürgenstorf

kittkat 11.10.2011 11:42 Themen: Antirassismus Blogwire Repression
Die Asylbewerber_innen in Jürgenstorf bei Stavenhagen (M-V) fühlen sich isoliert und ausgegrenzt. In einem offenen Brief vom 23.9.2011 fordern sie die Schließung des Asyllagers ( http://de.indymedia.org/2011/09/316721.shtml). Am vergangenen Freitag fanden sich Vertreter_innen der Behörden zu einem Gespräch mit den Flüchtlingen ein. Zeitgleich fanden sich etwa 50 Unterstützer_innen bei einer Kundgebung vor der Asylgemeinschaftsunterkunft ein, um sich mit den Flüchtlingen und ihrer Forderung zu solidarisieren.
Über den offenen Brief von Flüchtlingen aus Jürgenstorf, der die Schließung der Asylunterkunft fordert und die ersten Gespräche mit den zuständigen Behörden

"Wir dürfen nur schlafen, essen und trinken ähnlich wie in einem Gefängnis, mit dem Unterschied, dass man dort weiß, wann man wieder raus kommt."

Dieses Zitat eines jungen Mannes, der seit Jahren in der Asylunterkunft in Jürgenstorf leben muss, lässt das Ausmaß der Isolation und Ausgrenzung von Menschen, die in Deutschland Asyl suchen, erahnen.
Die Dauer von Asylverfahren beträgt in den meisten Fällen viele Jahre. In dieser Zeit müssen die Menschen in sogenannten Gemeinschaftsunterkünften leben. Hinter diesem steril klingenden Begriff verbirgen sich für Asylsuchende zumeist sehr menschenunwürdige Lebensbedingungen. Neben baulichen Mängeln, unzureichender Beratung fehlt es oft an Sprach- und Bildungsangeboten, sowie an Kontaktmöglichkeiten zu den Menschen aus der Umgebung.
Die gewollte Desintegration seitens des Staates beginnt darüberhinaus mit der Ansiedlung solcher Unterkünfte an den Rändern von Städten - der Beginn der Existenz am Rande der Gesellschaft.

Aber es geht noch schlimmer wie die Beispiele Horst (Boizenburg) und Jürgenstorf (Stavenhagen) - beides Mecklenburg-Vorpommern - zeigen.
Jürgenstorf ist ein 1.100 Seelendorf, etwa 4 Kilometer entfernt von Stavenhagen, das mit dem Bus nur selten zu erreichen ist. Das Asyllager liegt am Rand des Ortes und beherbergt etwa 200 Menschen.
In dem Ort gibt es keine Einkaufsmöglichkeit, so dass die Flüchtlinge in der Regel zu Fuß oder mit dem Fahrrad den 4 Km langen Weg nach Stavenhagen zurücklegen müssen. Unabhängig davon, wie oft der Bus fährt, ist das Busticket für die Menschen sehr teuer, da ihnen nicht viel Geld zur Verfügung steht – ein lediger Asylbewerber bekommt 220,-, eine Asylbewerberin dagegen nur 180,- Euro asgezahlt. Außerdem gibt es nur eine Ärztin und kaum Möglichkeiten der Freizeitgestaltung bzw. der Möglichkeit mit Menschen aus der Umgebung in Kontakt zu kommen.
In dem Asylheim gibt es kein für die Flüchtlinge zugängiges Internet, so dass für viele die Verbindung zur Außenwelt nur durch die Satellitenschüssel ermöglicht wird.
Es gibt auch keine Möglichkeit, Dinge zu kopieren oder zu faxen, was unter Umständen innerhalb des Asylverfahrens notwendig ist.
Die Möglichkeit einen Sprachkurs wahrzunehmen, gibt es erst seitdem die Flüchtlinge ihre Proteste gegen die dortige Unterbringung begonnen haben. Die Ankündigung des neuen Sprachkurses, der für max. 10 Personen ausgelegt ist, wurde wie zu erwarten in Deutsch verfasst.
Für Kinder und Jugendliche sehen die Spiel- und Beschäftigungsmöglichkeiten ebenfalls sehr dürftig aus.
Hinzu kommt das menschenverachtende, schikanöse Klima in der zuständigen Ausländerbehörde in Demmin, welches schon seit Jahren mehrfach in den Medien thematisiert wird ( http://de.indymedia.org/2011/06/309878.shtml). Die Mitarbeiter_innen der Behörde erregten in der Vergangenheit Aufsehen, da sie während ihrer Arbeit Schusswaffen trugen bzw. offen sichtbar auf dem Schreibtisch lagen.
Außerdem werden sogenannte Urlaubsanträge in der Regel nicht bearbeitet bzw. nicht bewilligt. Mit einem Urlaubsschein ist es einem asylsuchenden Menschen gestattet, den Landkreis, der ihm/ihr zugeordnet ist, legal zu verlassen und so zeitweise die Residenzpflicht zu umgehen. Zuletzt war die Ausländerbehörde in diesem Jahr in der Presse als sie eine armenische Familie abschieben wollte, obwohl die Mutter seit Jahren psychisch krank ist und zwischen dem Anwalt der Familie und der Ausländerbehörde die Übereinkunft bestand, dass vor einer eventuellen Abschiebung eine amtsärztliche Untersuchung der Mutter vorgenommen werde. Der Anwalt konnte die Abschiebung nur kurz, bevor das Flugzeug in Frankfurt a.M. startete, verhindern.

Die Isolation, unter denen die Menschen aus der Asylunterkunft in Jürgenstorf leben müssen, führt zu psychischen und körperlichen Krankheiten und zu gebrochenen Menschen.
Viele haben Unglaubliches hinter sich – die Flucht aus Kriegsgebieten o.ä., die Hürden, die sie überwinden müssen, wenn sie die "Festung Europa" lebend erreichen wollen - all das in der Hoffnung auf einer freieres und sicheres Leben. Doch was sie in Orten wie Jürgenstorf oder Horst erwartet, ist weit davon entfernt.
Neben den isolierten Lebensbedingungen zerrt die Dauer der Asylverfahren und die damit einhergehende Ungewissheit über ihre Zukunft an ihren Nerven, macht sie müde, lethargisch und depressiv.

Unter diesen Umständen haben nicht viele die Kraft oder die Möglichkeit, sich gegen diese unmenschlichen Bedingungen aufzulehnen und sich selbst für eine Verbesserung ihrer Situation einzusetzen.
Dennoch ist es in Jürgenstorf ( und auch in Horst im letzten Jahr –  http://www.youtube.com/watch?v=ct7GkuvkgbA) zum Widerstand gekommen. Bewohnende haben sich zusammen getan und mit Unterstützung von außerhalb gemeinsam einen offenen Brief formuliert, der auf die unmenschlichen Lebensbedingungen in der Asylunterkunft aufmerksam machen soll und konsequent die Schließung der Asylunterkunft fordert (( http://stopitkampagne.blogsport.de/2011/09/26/offener-brief-der-gemeinschaftsunterkunft-juergenstorf/).

Nachdem die Presse mehrfach darüber berichtet hatte, kündigten sich für Freitag, den 07.10.2011 mehrere Verantwortliche der zuständigen Behörden zu einem Gespräch mit den Flüchtlingen vor Ort an. Inwieweit dabei allerdings ein fairer Dialog beabsichtigt war, ist fraglich, denn den Forderungen der Flüchtlinge nach Anwesenheit von Dolmetscher_innen und Unterstützer_innen (ob durch Flüchtlingsrat oder Einzelpersonen aus der stop_it-Kampagne) wurde nur insofern nachgegangen, dass eine Dolmetscherin dabei sein durfte.
Bei dem Gespräch war als Mitarbeiter des Innenminesteriums Herr Lappat anwesend, außerdem der ehemalige Landrat Konieczny, der Leiter der Ausländerbehörde/des Ordnungsamtes Herr Plötz, der Bürgermeister des Ortes, sowie der Schuldirektor. Die Heimleitung (Malteser) hielt sich weitestgehend aus den Gesprächen heraus.
Es wurden einzelne Punkte aus dem offenen Brief diskutiert, auf die Forderung, die Asylunterkunft zu schließen jedoch nicht entsprechend eingegangen. Dies wurde mit der Behauptung zurückgewiesen, eine Schließung sei zu teuer. Beispiele aus anderen Orten und eine Studie der Uni Osnabrück zeigen, dass das nicht zutreffen muss ( http://www.equal-saga.info/docs/SPuKRegionalanalyse.pdf).
Herr Lappats Urteil, dass die Asylunterkunft in einem Zustand sei, "an dem man noch was machen könne", sowie seine Einschätzung, dass die Dorfgemeinschaft und die Gesamtschule in Stavenhagen "eine Chance für die Bewohnenden darstellen", zeigen, dass die Forderung nach Schließung der Asylunterkunft nicht ernst genommen wird und die Isolation als Ursache der Probleme nicht verstanden bzw. anerkannt wird. Da nützen auch punktuelle Verbesserungen wenig.
Während die Unterstützer_innen nicht dem Gespräch beiwohnen durfte, zeigten sie vor der Asylunterkunft ihre Solidarität. Etwa 50 Menschen waren am Freitag aus verschiedenen Städten
des Bundeslandes gekommen, um die Asylsuchenden und ihre Forderungen zu unterstützen. Neben Redebeiträgen zu Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Deutschland, zur bereits vielfach kritisierten Praxis der Ausländerbehörde Demmin und zur deutschen Asylpolitik, hatten die Bewohnenden der Asylunterkunft die Möglichkeit, über ihre Sorgen und Probleme zu berichten. Mütter erzählten beispielsweise davon, dass sie vor ihren Kindern versuchen würden, fröhlich zu sein und ihre Traurigkeit und Verzweiflung zu vertuschen und abends sich zurückziehen und weinen würden.

Nachwievor besteht die Forderung, die Asylunterkunft in Jürgenstorf zu schließen und die Menschen dezentral in größeren Städten wie Rostock oder Greifswald unterzubringen. Die Stop_it-Kampagne wird die Menschen aus der Asylunterkunft weiter begleiten und in ihren Forderungen unterstützen. Die Kampagne versteht sich als Sprachrohr für diejenigen, denen in unserer Gesellschaft keine Stimme zugesprochen wird und möchte ihren Forderungen Gehör verschaffen. Das Zwiegespräch mit den Vertreter_innen der Behörden kann als Teilerfolg gesehen werden. Dennoch gilt es weiterhin den politischen Handlungsbedarf deutlich zu machen und einzufordern.

Im Schicksal der "Überflüssigen" (Hannah Arendt) und "Ausgegrenzten der Moderne" (Zygmunt Baumann) manifestiert sich die Tatsache, daß die Entwicklung moderner Gesellschaften in ökonomischer und politischer Hinsicht nicht etwa in der Integration aller besteht. Das Gegenteil ist der Fall, wie es am Beispiel von Jürgenstorf deutlich wird.

Um so wichtiger ist und bleibt die Solidarisierung und Unterstützung von Menschen, die Leittragende dieser Entwicklungen sind!

Nehmt Kontakt zu asylsuchenden Menschen in eurer Umgebung auf! Organisiert euch ! Unterstützt Kampagnen wie "Stop_it! Rassismus bekämpfen, alle Lager abschaffen" !
Lasst uns gemeinsam gegen menschenverachentende Asyl- und Flüchtlingspolitik kämpfen!

Infos unter:  http://stopitkampagne.blogsport.de/
Kontakt unter:  stop_it@gmx.de
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Ergänzungen

noch ein Bericht

egal 11.10.2011 - 16:51
Zu weit weg von Allem auf KombinatFortschritt.