Demonstration in Hoyerswerda zur Erinnerung an die rassistischen Pogrome vor 20 Jahren

addn.me 18.09.2011 16:39 Themen: Antifa Antirassismus
Am gestrigen Tag demonstrierten etwa 300 Menschen, um an den Beginn der rassistischen Pogrome von Hoyerswerda vor 20 Jahren zu erinnern. Erneut nutzten mehrere dutzend regionale Nazis die Gelegenheit, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der antirassistischen Demonstration zu bepöbeln und mit dem Hitlergruß zu provozieren. Die erneute Untätigkeit der sächsischen Polizei zeigt einmal mehr, dass sich an der Situation zu damals kaum etwas verbessert hat und kritische Stimmen aus der Politik als bloße Lippenbekenntnisse zu verstehen sind. Schon vor fünf Jahren hatte sich der Polizeieinsatz vor allem gegen die aus den umliegenden Städten angereisten Antifaschistinnen und Antifaschisten gerichtet.
Mit einer Demonstration erinnerten am Samstag 300 Menschen an den Beginn der rassistischen Pogrome im September 1991 in Hoyerswerda. Während der rassistischen Krawalle vor genau 20 Jahren waren in der nordostsächsischen Stadt insgesamt 32 Menschen verletzt worden. Dem "ersten Pogrom nach 1945" (Joschka Fischer) sollten ein Jahr darauf die weltweit bekannt gewordenen Übergriffe auf ein von vietnamesischen Vertragsarbeitern bewohntes Haus im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen folgen. Während der Ausschreitungen im Sommer 1992 hatten mehrere hundert Randalierer unter den Augen tausender Menschen tagelang die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber in Mecklenburg-Vorpommern mit Steinen und Brandsätzen attackiert.

Wie sich Hoyerswerda innerhalb von 20 Jahren gewandelt hat, erlebten drei Betroffene des rassistischen Pogroms von 1991 am eigenem Leib. Mit einem Kamerateam und der Initiative "Pogrom 91" besuchten die ehemaligen Vertragsarbeiter ihr damaliges Wohnheim in der Albert-Schweitzer-Straße. Es dauerte keine 10 Minuten bis BewohnerInnen des Hauses vor die Tür kamen und die drei Betroffenen auf das übelste rassistisch beleidigten und bepöbelten. Über 20 Minuten beschimpften die Hausbewohner die Männer aus Mosambik und Ghana mit Worten wie "Bimbo", "Neger" und imitierten Affenlaute. Die alamierte Polizei forderte nach ihrem Eintreffen erst das Kamerateam auf, ihre Aufnahmen zu beenden, bevor sie tätig wurde.

Bereits im Vorfeld der Demonstration war es zu mehreren Unzumutbarkeiten gekommen. Der 17. September 2011 wurde zum "Tag der Heimat" erklärt, einer jährlichen Veranstaltung des revanchistischen "Bundes der Vertriebenen" (BdV). Hierbei treffen sich jährlich die sogenannte Erlebnisgeneration, wie auch selbsternannte Historiker und andere Menschen, die die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten nach dem Zweiten Weltkrieg mit Verbrechen der Nazis relativieren. Dabei ist ihnen prominente Unterstützung garantiert, so sprach sich Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU im Sachsenspiegel (17.09.11) dafür aus, der "Erlebnisgeneration Respekt zu zollen". Wegen der Veranstaltung des BdV sollte laut Ordnungsamt die Demonstration nicht am Lausitzer Platz in Hoyerswerda vorbeilaufen. Dagegen klagte der Versammlungsleiter Jens Thöricht und bekam Recht. "Die 700 Euro Prozesskosten wären eine tolle Anfangsspende für das geforderte Mahnmal an die rassistischen Pogrome gewesen.", so Thöricht gegenüber addn.me.

Eine Schweigeminute für Mike Zerna und Waltraud Scheffler, die Anfang der 90er Jahre in der Region von Nazis ermordet wurden, störten mehrere dutzend Nazis die Gedenkminute mit Parolen wie "Frei, Sozial und National“, zeigten den Hitlergruß und versuchten, die demonstrierenden Menschen anzugreifen. Auch nach dem Ende der Demonstration wurden die angereisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer immer wieder von Nazis bedroht. Bereits im Vorfeld hatten Nazis über Facebook zu Störaktionen aufgerufen. Ein Sprecher der Kampagne bezeichnete das Verhalten der anwesenden Polizei als "skandalös". Während die eingesetzten Beamtinnen und Beamten, DemonstrationsteilnehmerInnen "mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln[...] schikanierte", seien die "Nazis nicht davon abgehalten [worden], eine Gedenkminute für Ermordete rechter Gewalt mit Parolen und Hitlergrüßen zu stören".

Die mehrtägigen Ausschreitungen in Hoyerswerda hatten am 17. September 1991 mit Angriffen von Nazis auf vietnamesische Straßenhändler begonnen. In den folgenden Tagen wurde erst ein Wohnheim für Vertragsarbeiter angegriffen, indem die Fensterscheiben des Plattenbaus in der Albert-Schweitzer-Straße eingeworfen wurden. Am letzten Abend der rassistisch motivierten Krawalle zogen Nazis gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern der Stadt vor die Wohnungen der Asylsuchenden in der Thomas-Müntzer-Straße und warfen Molotow-Cocktails in das vor allem von mosambikanischen und vietnamesischen Vertragsarbeitern bewohnte Gebäude. Als Konsequenz aus den rassistischen Pogromen wurden in den darauffolgenden Tage alle verbliebenen 230 Vertragsarbeiter und Asylsuchenden aus der Stadt evakuiert. Ende 1991 wurde der Begriff "ausländerfrei" von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum ersten Unwort des Jahres und damit zum Synonym für Hoyerswerda gewählt.

Weitere Artikel:
Interview mit dem Uwe-Karsten Heye: Als aus Parolen Brandsätze wurden
Interview mit zwei Asylbewerbern von 1991: "Viele habe ich erkannt"
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Ergänzungen

demo

moralist_in 18.09.2011 - 17:10
vielen dank an die veranstalter_innen der demonstration für ihren mut die demonstration - trotz der gesamtgesellschaftlichen ablehnung und der versuchten verhinderung durch die behörden im vorfeld - durchzusetzen!!! außerdem danke für die guten redebeiträge (besonders an die oury jalloh-gruppe aus dessau) und die großartige lauti-organisation.

als demonstartionsteilnehmerin war ich aber nicht nur von der schikanösen behandlung der polizei, der ignoranz und stumpfheit der anwohner_innen, der verdrängung seitens der politik und der brutalität der störenden nazis entsetzt sondern auch von der eklatanten nicht-präsenz der örtlichen und überregionalen antifa-gruppen. trotz wochenlanger mobilisierung und überall bekundetem schrecken und der empörung über die verhältnisse in der stadt haben nur wenige leute den weg nach hoyerswerda angetreten und damit letztenendes denen das wort geredet, die immer wieder betonen, dass eine aufarbeitung der pogrome nach 20 jahren nicht mehr nötig ist.

mit einer großen teilnehmer_innenzahl hätte die demonstration einiges mehr an aufmerksamkeit erzielt und den menschen solidarität bewiesen, die in der region immer noch tagtäglich mit den zuständen konfrontiert sind.
die opfer und betroffenen der damaligen und aktuellen übergriffe haben es außerdem verdient, nicht mit dieser deutschen scheiße allein gelassen sondern unterstützt zu werden.
hoyerswerda geht alle an!
also das nächste mal gefälligst den arsch hoch kriegen und da antifa-präsenz zeigen wo sie nötig ist.

Hoyerswerda - Das Pogrom und die Folgen

Bea 19.09.2011 - 11:46
Ein Artikel zu Hoyerswerda findet sich von mir auf:

 http://bea.blogsport.de/2011/09/17/20-jahre-pogrom-von-hoyerswerda/

Bürgermeister tritt nach......

Rzboibasdn 20.09.2011 - 17:02
 http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1558907/

Das Fest von dem dieser Mensch redet, nennt sich übrigens "Feuerfest" und wurde mit dementsprechenden Plakaten auch in der gesamten Stadt beworben, als Maskottchen dient ein kleines Feuermännlein.
Das vom Ort seiner Trauerstunde Nazis von der Polizei verjagd wurden die sich daraufhin am historischen Ort sammelten, erwähnt er auch nicht....

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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@Moralist — DD

noch zu erwähnen — das hier