Wie aus TaeterInnen Opfer werden

Initiative "Pogrom91" 13.09.2011 16:26 Themen: Antifa Antirassismus Bildung Medien
Einblicke in den Verdraengungsdiskurs in Hoyerswerda (Sachsen) anlaesslich des rassistischen Pogroms vom Herbst 1991
Wenn sich Menschen mit dem Pogrom von 1991 in Hoyerswerda beschäftigen, beginnt immer wieder die Relativierung der Ereignisse durch Medien, PolitikerInnen und BürgerInnen dieser Stadt. Benennt mensch die Ereignisse als rassistisches Pogrom und arbeitet die Geschehnisse um den Herbst 1991 mit seiner rassistischen Medienberichterstattung und dem Gipfel in dem siebentägigen Versuch die Wohnunterkünfte von VertragsarbeiterInnen und Asylsuchenden anzugreifen, zu erstürmen und anzuzünden, zeigt sich die Abwehrhaltung vieler BürgerInnen der Stadt. Das Eingeständnis der tagelangen Ausländerhetze in der Stadt selbst tatenlos zugeschaut zu haben, scheint die BürgerInnen zu beängstigten.

Das Selbstbild der Stadt änderte sich in jenen Tagen den Septembers 1991. Auf der offiziellen Internetseite von Hoyerswerda ist zu lesen: „1991 sind gewalttätige Übergriffe von rechtsradikalen Jugendlichen gegen ein Ausländerwohnheim im September Ausgangspunkt für ein gemeinsames und umfassendes Anti-Gewalt-Programm zahlreicher gesellschaftlicher Kräfte in der Stadt“ (1).

Über den Rassismus in der Stadt und die Beteiligung vieler HoyerswerdaerInnen am Pogrom darf jedoch nicht geredet werden. Dass diese Stadt dafür gesorgt hat, dass Hunderte von MigrantInnen evakuiert werden mussten und ein Großteil von ihnen direkt abgeschoben wurde, kommt auf der Homepage nicht zur Sprache. Auch darüber, dass die oberen StadtpolitikerInnen oft zynische Aussagen gegenüber den Opfern tätigten, kein Wort. Ein Beispiel: Stefan Skora, heutiger Oberbürgermeister, antwortete im Jahr 1997 auf die Frage, wie viele Ausländer denn noch in der Stadt lebten: „Wenn Ausländer nicht in Hoyerswerda wohnen wollen, dann ist das doch ihre freie Entscheidung.“ Auch einige BürgerInnen von Hoyerswerda verfallen anlässlich des 20. Jahrestages des rassistischen Pogroms wieder in die alljährliche Schuldabwehr: „Doch alle Hoyerswerdaer sind natürlich die bösen, bösen Täter. Jeder Hoyerswerdaer hat demnach also eine Kollektivschuld” (Blog „Hoyerswerda-lebt“, 20.09.11; 2). Dieses Blogzitat beschreibt gut, was in Hoyerswerda nicht sein darf. „Jeder ist genervt, wenn zum x-ten Male im deutschen Fernsehen ganze Jahrzehnte dämonisiert werden. Es ist die Art, Geschichte aufzuarbeiten, die für Verdruss sorgt, statt den Impuls zu geben, aus der Geschichte zu lernen” (ebd.).

Dass es zuerst einmal nötig wäre, sich umfassend und dauerhaft mit den Ereignissen zu beschäftigen, bevor überhaupt eine Perspektive sinnstiftender Verarbeitung und dem vielbeschworenen „Lernen aus der Geschichte“ in Betracht zu ziehen wäre, wird nicht erwähnt. Vielmehr zeigt sich das Anliegen, nicht über die Geschichte reden zu wollen oder sich nur oberflächlich und aus Anlass des Jahrestages gezwungenermaßen mit den Ereignissen beschäftigen zu müssen.

Diese „Gedenk“-praxis hat in Hoyerswerda seit 20 Jahren Kontinuität und wird durch die lokalen Medien bestärkt - mit schwerwiegenden Konsequenzen. So darf in einer Opferperspektive öffentlich nach wie vor nicht gedacht werden. Die Frage, was eigentlich mit den aus der Stadt gehetzten Menschen passiert ist, stellt sich in Hoyerswerda kaum jemand. Statt dessen ist etwa die Lausitzer Rundschau darum bemüht, „ein möglichst großes Spektrum an Meinungen“ derjenigen zu bekommen, die an den Taten beteiligt waren oder zugeschaut haben (3). Gegen ein eventuell aufflackerndes schlechtes Gewissen hat sich in Hoyerswerda ein Kanon relativierender Argumente entwickelt – darunter die Gewissheit, dass es sicher gute Gründe für ein Pogrom gab und die Bestätigung dass man selbst ja auch irgendwie Opfer war: „Wie groß war die Zukunftsangst nach dem Zusammenbruch eines großen Teils der Industrie im Revier? Wie haben Sie die Menschen erlebt, die aus ganz anderen Kulturkreisen plötzlich nach Hoyerswerda kamen? Mussten Sie sich nach den Ausschreitungen verteidigen, wenn im Urlaub deutlich wurde, dass Sie aus Hoyerswerda stammen?“ (ebd.).

Das „richtige” Gedenken in Hoyerswerda läuft seit jeher still ab. Uwe Jordan, Redakteur der Sächsischen Zeitung in Hoyerswerda bringt den Umgang der Hoyerswerdaer, insbesondere aber der Stadt und lokalen Medien mit den Geschehnissen treffend auf den Punkt. In einem Kommentar zum 15. Jahrestag und der damit zusammenhängenden Antifademonstration schreibt er: „Ich für meinen Teil glaube: Wer als Hoyerswerdaer wirklich etwas für seine Stadt tun will, ist besser auf dem Altstadt- Markt oder auf dem Lausitzer Platz aufgehoben. Dort findet […] ein angemessenes stilles Gedenken statt“ (4). Sinnvoll gedenken bedeutete, etwas für die Stadt und ihren Ruf zu tun. Und dies am besten im Stillen – denn davon bekommt niemand etwas mit.

Angemessen war es für die Stadt auch anlässlich des 15. Jahrestages des Pogroms ein Stele aufzustellen, die an die „extremistischen Auschreitungen von 1991“ erinnern sollte. Diese Aufschrift versuchte klarzustellen, dass die sogenannte „Mitte” keine Schuld traf. Kein Wort davon, dass einige der „ganz normalen HoyerswerdaerInnen“ an der wochenlangen Asylhetze vor dem Pogrom mitgewirkt haben. Dass sie vor den Wohnheimen, die AngreiferInnen geschützt haben, „Ausländer raus” brüllten und klatschten wenn Molotowcocktails und Steine flogen. Dabei waren es auch jene BürgerInnen der vermeintlich Mitte, von denen man in den Wochen vor dem Pogrom vernahm, dass die Lebensweise der so genannten „Gäste“ nicht mit der „deutschen“ vereinbar sei. Die Reduzierung der Täterschaft auf „ExtremistInnen“ suggeriert dagegen, dass es in der „Normalbevölkerung“ keinen Rassismus geben kann.

Im Folgenden möchten wir mit einigen Beispielen den rassistischen und revisionistischen Umgang der Hoyerswerdaer Bevölkerung mit dem Pogrom direkt nach den Angriffen von 1991 belegen. Zunächst einige Stimmen Hoyerswerdaer Bürger während des Pogroms gegenüber einem Reporter des Tagesspiegel.

„Ein Ehepaar meint kurzerhand gegenüber einem Reporter: ,Die bekommen alles und arbeiten nicht […] Die Politiker sollen sich um unsere Probleme kümmern und nicht um die da. Was den Asylanten zukommt, sollen lieber die Deutschen kriegenʻ.

Ein 26jähriger Maschinist der Feuerwehr ist ,froh, daß es die Skinheads gibt. Die trauen sich wenigstens auf die Straßeʻ. Er sei ein ,ganz normaler Bürgerʻ und frage sich, ,warum die Polizei nur die Skinheads mitnimmt und nicht die Neger. Die haben auch Steine aufs Dach geschlepptʻ. Er feuert einen vorbeiziehenden Rassisten an: ,Macht mal richtig Rabatz hier, damit die verschwindenʻ. Unter dem Nicken Umstehender fügt seine Frau hinzu: ,Die gehören hier nicht rein, die belästigen Frauen. Wenn nicht so viel Polizei da wäre, würden noch viel mehr Leute mit den Nazis gegen die Ausländer demonstrierenʻ“ (Tagesspiegel, 24.9.91).

In diesen Originaltönen von Hoyerwerdas EinwohnerInnen zeigte sich, dass es für nicht wenige völlig legitim war, eine gehasste Minderheit aus der Stadt zu jagen. Schlussendlich handelte man guten Gewissens, indem man sich selbst dem Anfang der 1990er von allen Seiten heraufbeschworenen „Ausländerproblems“ annahm.

Auch nachdem sie die VertragsarbeiterInnen und Asylsuchenden aus der Stadt vertrieben hatten, beschäftigten sich viele HoyerswerdaerInnen noch weiter mit dem „Ausländerproblem“ und hielten dazu eine BürgerInnenversammlung ab. Die Sündenböcke für die Ereignisse waren nicht die RassistInnen, die Schuld traf die ehemaligen HeimbewohnerInnen und aus Opfern wurden TäterInnen, aus TäterInnen wurden Opfer. In der Lausitzer Rundschau war unter der Überschrift „Ein Vergessen gibt es nicht. Gesprächsrunde mit Innenminister Eggert zum Ausländerproblem“ am 07. Oktober 1991, also einige Tage nach dem Pogrom, zu lesen:

„Am vergangenen Wochenende hatte spontan die Junge Union zu einer Gesprächsrunde über die Ausländerproblematik in das Landratsamt eingeladen. […] Zu Beginn seiner Ausführungen faßte der Staatsminister Eggert die Geschehnisse der vergangenen Tage wie folgt zusammen: ,Ungeschützte Bürger standen ungeschützten Asylanten gegenüber.ʻ[…] Im weiteren Verlauf des Forums kam es zu einer lebhaften Diskussion […] soll Deutschland ein Einwanderungsland bleiben, soll das Grundgesetz geändert werden, haben wir uns den Ausländern gegenüber richtig verhalten, haben sich die Ausländer auch dementsprechend rücksichtsvoll gegenüber ihren Nachbarn verhalten […] Klar zum Ausdruck kam ebenso, daß an Orten, wo die Bevölkerung viele eigene Probleme hat, geringere Toleranz zu erwarten ist […]“.

Oder übersetzt: wenn es in Deutschland soziale Probleme gibt, haben die BürgerInnen keine andere Wahl als Minderheiten aus ihren Städten zu jagen und vorher zu versuchen, sie anzuzünden.

Um noch einmal klar mit der These aufzuräumen, es handele sich um eine Geschichte ohne Vorlauf, die einfach so über Hoyerswerda und seine armen BürgerInnen hereingebrochen sei, zeigen wir im Folgenden einen längeren Auszug aus der Zitatesammlung einer Dokumentation vom Buchladen Georgi Dimitroff: „Der Nazi-Pogrom in Hoyerswerda vom September 1991”, welche die Stimmung vor dem Beginn der Angriffe einfängt:

“Gegen Ende August/ Anfang September 1991 wurde extra ein Bürgerforum ins Leben gerufen, das sich mehrmals traf und über die , Ausländerfrageʻ debattierte. Alle wichtigen Lokalmedien verstärkten gleichzeitig die Hetze. In der sächsischen Zeitung vom 5.9.91 wird behauptet, die ,Schmerzgrenze sei erreichtʻ. Verständnisvoll werden verhetzte Anwohner zitiert, die ihre Wut über die hohen Mieten, den möglichen Verlust ihrer Arbeitsplätze und den ,Lärmproblemenʻ, die das Flüchtlingswohnheim angeblich verursacht, festzumachen. Es wird deutlich, worum es im Bürgerforum eigentlich geht, wenn mensch dort liest: ,Die Ausländer müssen raus aus dem Wohngebiet – am besten in das ehemalige Stasi-Gebäude – da sind sie unter sichʻ. Im Wochenspiegel vom 4.9.1991 heißt es, daß die Dinge ,sich zum sozialen Sprengstoff zu entwickeln (scheinen)ʻ. Der Lokalpresse ist ,die Empörung der Anwohner […] verständlichʻ, die dort ,Ausländer raus!ʻ gegen angebliche ,Lärmproblemeʻ fordern, auch wenn sie am Rande einräumt, daß nur ,einige, nicht alleʻ Asylsuchende Ordnungswiedrigkeiten begangen hätten. Mit dem Nachsatz ,aber willkürlich umgegangen werden darf mit den Asylbewerbern nichtʻ, wird in der sächsischen Zeitung ein Nazi aus West/deutschland zitiert, der die Bevölkerung dazu aufruft: ,[…] die Ruhestörer identifizieren und Anzeige erstatten, um damit eventuell ein Asylverfahren zur Ablehnung bringenʻ (Sächsische Zeitung, 5.9.91). Unter der scheinheiligen Überschrift ,Wir wollen nichts, als Ruhe!ʻ wird in einem Artikel im Wochenspiegel vom 4.9.91 deutlich, daß die Lärmprobleme mehr als vorgeschoben sind. Ein Journalist dieses Lokalblatts versteht es, aus einem angeblichen ,Lärmproblemʻ die Flüchtlinge zur „Ursache allen Ärgers“ zu machen:

,Ursache allen Ärgers – die Asylbewerber im Wohnheim in der Hoyerswerdaer Thomas-Müntzer-Straßeʻ (Wochenspiegel, 4.9.91).

Dies gipfelt sogar mit direkten Aufforderungen an die Bürger von Hoyerswerda ,einzugreifenʻ: ,Die Behörden sollten zweifellos schnellstens die Situation in den Griff bekommen. Sonst tun dies vielleicht andere. Erste rechtsradikale Meinungsäußerungen wurden bereits lautʻ (Wochenspiegel, 4.9.91). Oder die Sächsische Zeitung, die ein so genanntes ,Ordnungschaffenʻ bereits ankündigt: ,Wohl die wenigsten Bürger wollen den ,Rechtsradikalenʻ das ,Ordnungschaffenʻ überlassen. Steine fliegen schon gegen die Emigranten. Und vielleicht haben sie schon an Häusern Plakate mit dem Text ,Wohnungen statt Scheinasylantenʻ gesehen?ʻ (Sächsische Zeitung, 5.9.91).“ (5)

Den Startschuss für das Ausblenden all dieser Fakten und der Konstruktion der eigenen Opferrolle fiel direkt nach dem Pogrom in der ersten gemeinsamen Pressemitteilungen aller Stadtratsfraktionen zu den Geschehnissen am 24.09.1991. Darin heißt es unter anderem:

„Die Abgeordneten der Stadtverordnetenversammlung bedauern zutiefst, daß unsere Stadt durch die Ereignisse der zurückliegenden Tage in negativer Weise in die Schlagzeilen und Sensationsberichterstattung der Medien geriet.“

und weiter:

„[…] Alle Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung stehen hinter der Entscheidung, die ausländischen Bürger zunächst aus unserer Stadt in Sicherheit zu bringen. Wir sehen es nicht als ein Nachgeben gegenüber den rechtsradikalen Gruppierungen oder gar ein Sieg der Gewalt […]“.

Schon hier wird das Pogrom nicht klar benannt und damit verharmlost, ist kein Wort des Bedauerns an die direkt Betroffenen gerichtet worden. Statt dessen fühlt man sich einer medialen Hetzkampagne ausgesetzt. Unbestreitbar bleibt überdies, dass mit der Evakuierung der HeimbewohnerInnen, für die Bevölkerung genau das realisiert wurde, was ein Großteil gefordert hatte: „Die Ausländer sollen weg!“.

Nach den Pogromen sprang auch die sächsische Landespolitik auf diesen Zug auf und versuchte sich sehr schnell darin, die Opfer der Angriffe gleichzeitig für die Pogrome verantwortlich zu machen und die deutsche Bevölkerung zu schützen. Der sächsische Innenminister Krause betont nach dem Ereignissen in Hoyerswerda: „Es gibt auch Asylbewerber, die sich in ihren Unterkünften und in dem Umfeld nicht so verhalten, wie es zum normalen Umgang und zum Kulturniveau hier gehört“ (Zeit, 26.09.91). Er bestätigte damit nochmals den herrschenden Chauvinismus, selbst nach dem rassistischen Terror der Pogromtage. Das Pogrom wurde gerechtferigt. Wie der Innenminister, so auch die örtliche Presse der Lausitzer Rundschau, wenn sie voller „Verständnis“ für die Täter und ihre Mitläufer schrieb: „fremdartige Wertvorstellungen […] Treffen sie abrupt aufeinander, sind auch bei den tolerantesten Menschen soziale Spannungen und Konflikte vorprogrammiert“ (Lausitzer Rundschau, 25.09.91). Und damit auch klar ist, wer die vermeintlichen „Schuldigen“ waren, hieß es in der Sächsischen Zeitung dazu: „Als Asylanten kamen sie in eine Stadt, die auf sie nicht vorbereitet war, in der es nicht immer die besten Erfahrungen mit Ausländern gab“ (Sächsische Zeitung, 25.09.91).

Zwar gab es im September 2011 nach 20 Jahren durch Oberbürgermeister Stefan Skora eine erste Entschuldigung bei den Betroffenen des Pogroms, fraglich ist, in wie weit das nur eine neue Strategie ist, den Ruf der Stadt zu verbessern. Denn was noch immer fehlt, ist ein dauerhafter Ort der Erinnerung, ebenso, wie das Eingeständnis des Rassismus, der auch unter vielen der „normalen HoyerswerdaerInnen“ herrschte und geduldet wurde. Von Stefan Skora war man schließlich bisher andere Worte gewohnt, Äußerung, die abwehrten und verdrängten:

„,Zum Thema Ausländerproblematik wird sich mein Chef nicht äußernʻ, wehrt Stefan Skora, Pressesprecher des PDS-Oberbürgermeisters Horst-Dieter Brähmig, ab. ,Jedes Jahr im September zum Jahrestag der Ausschreitungen ruft die Presse hier an. Warum berichten Sie nicht darüber, daß Hoyerswerda im nächsten Jahr den ‚Tag der Sachsen‘ ausrichten wird? Das ist immerhin das zweitgrößte Volksfest in Deutschlandʻ. Auch auf die Nachfrage, wie viele Ausländer denn noch in der 52 000-Einwohner-Stadt leben, reagiert Skora kurz angebunden. ,Wenn Ausländer nicht in Hoyerswerda wohnen wollen, dann ist das doch ihre freie Entscheidungʻ“ (Jungle World, 02.10.97; 6).

Um eines klar zu machen, uns liegt es fern, allen Hoyerswerdaer Bürgern eine Kollektivschuld an dem rassistischen Pogrom und seiner fehlenden Aufarbeitung zu zuschreiben: Doch das auch nach 20 Jahren kein breiter Widerspruch gegen die vorherrschende Verdrängungsmentalität erhoben wird, dass man sich im ersten direkt bezugnehmenden Artikel aus der Lokalpresse Herrn Matthusek zur Hand nimmt, damit er noch einmal alle Motivvorlagen zur Schuldabwehr und dem daraus ableitbaren Bestreiten eigener Verantwortung damaligen Handelns (oder eben Nicht-Handelns) bemühen kann, lässt tief blicken.

„Er wolle den Herbst 1991 nicht verharmlosen, aber: ,Bis zu einem gewissen Grad war das, was ich da erlebt habe, vielleicht auch ein Protest gegen die verordnete Grenzenlosigkeit. Je globalisierter die Welt ist, desto mehr gibt es ein Bedürfnis nach Identität und Abgrenzungʻ. Sprich: Auch die Steinewerfer und die applaudierenden Frauen mit Lockenwicklern im Haar hätten damals wohl Angst gehabt – Angst vor einer ungewissen Zukunft.“

Weiter heißt es in jenem Artikel von Mirko Kolodziej:

„Die RUNDSCHAU wird in den kommenden Wochen über dieses Thema berichten und will schildern, wie Hoyerswerda mit dieser Bürde umgeht, wie schwierig es ist, ein realistisches Bild der Stadt zu zeichnen, die in Politik, Kultur, Sport und Gesellschaft durch viele Modellprojekte Vorbild für andere Städte geworden ist.“ (Lausitzer Rundschau, 3.9.11; 3)

Damit wird wohl schon vorweggenommen, auf was wir uns höchst wahrscheinlich in den nächsten Wochen gefasst machen müssen. Das rassistische Pogrom von Hoyerswerda soll, wenn möglich, als Aufhänger für eine Imagekampagne zur Rufaufbesserung der Stadt herhalten. Eine größere Fehlleistung und Dreistigkeit gegenüber den Betroffenen von damals ist wohl kaum noch möglich. Mirko Kolodziej, Redakteur des Hoyerswerdaer Tageblattes der Sächsischen Zeitung, verglich erste Worte der Entschuldigung durch den Oberbürgermeister – 20 Jahre nach den Angriffen – gar mit dem Kniefall Willy Brandts in Warschau, und erhob etwas zu einem historischem Moment, was selbstverständlich sein sollte und seit 20 Jahren überfällig war (8).

Wir hoffen, dass wir mit unserer Arbeit einen kleinen Gegenpol zu diesen für uns untragbaren Zuständen setzen können und möchten noch einmal alle, die jenem Umgang mit den damaligen Ereignissen widersprechen, auffordern, sich am öffentlichen Diskurs in Hoyerswerda und darüber hinaus zu beteiligen.

Zum Schluss möchten wir noch einmal die Betroffenen des Pogroms zu Wort kommen lassen und ihre Sicht der Angriffe deutlich machen:

„Während des Tages, bevor sie kamen, gaben unsere Sozialarbeiter uns zu verstehen: ,Heute wird der Angriff sein. Also bereitet euch vor. Schlaft nicht, seid vorsichtig, schließt die Fenster usw. - Sie werden kommen und euch angreifenʻ. Also, es war, als ob es vorbereitet gewesen wäre. Ganz Hoyerswerda wußte es, daß wir an diesem Tag, zu dieser Zeit angegriffen werden würden. Als der Angriff dann begonnen hatte und wir einige Blicke nach draußen riskierten, sahen wir einige von den Sozialarbeitern, die bei uns arbeiten, unter diesen Gruppen. Sie taten nichts, sie sahen nur zu. Sie waren bei den Leuten, die uns angriffen, bei den Skinheads“ (Antifaschistisches Infoblatt, Winter 91; 7).


Quellen:

1:  http://www.hoyerswerda.de/index.php?language=de&m=1&n=5&o=37&s=176#content ; 2.9.2011
2:  http://hoyerswerda-lebt.blog.de/2011/08/22/hoyerswerda-schaebiger-rassistischer-haufen-11706884 ; 8.9.11
3:  http://www.lr-online.de/regionen/hoyerswerda/-bdquo-Da-denk-ich-an-die-braune-Sosse-ldquo-;art1060,3480722 ; 8.9.11
4:  http://aaghoyerswerda.blogsport.de/images/199115JahreKommentarUweJordaneinTagvor23.09._01.pdf ; 8.9.11
5:  http://aaghoyerswerda.blogsport.de/images/hoyerswerdadokuvombuchladendimitroff.pdf ; 8.9.11
6:  http://jungle-world.com/artikel/1997/40/38572.html ; 8.9.11
7:  http://pogrom91.tumblr.com/interviewaib ; 8.9.11
8:  http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=2859617 ; 10.9.11



Gedenkdemonstration “Ereignisse beim Namen nennen!”
17.09.11 - 14 Uhr – Bahnhof Hoyerswerda

www.pogrom91.tumblr.com
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Ergänzungen

zugtreffpunkt

pogrom 91 14.09.2011 - 12:29
achtung zugtreffpunkt für berlin hat sich geändert!!!!
aktuell:
10:55 treffen am ostbahnhof
11:13 abfahrt richtung cottbus (dort umsteigen) gleis stand auf der db-seite nicht und muss dem plan entnommen werden.
es werden leute von uns da sein, um die menschenmassen zu koordinieren. wir haben tickets für 40 leute!!!! fahren kann mensch mit dem berlin/brb-ticket.