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RABATZ und Paderborner Presserecht

Prozessbeobachter 11.09.2011 00:37
Aufruf zur Prozessbeobachtung

Paderborn—Am 16.9.2011 beginnt um 9:00 Uhr im Landgericht Paderborn, Raum 205 ein Prozess, der in seiner Form sicher außergewöhnlich sein wird und wir wissen nicht, ob, und wenn ja, wie die Paderborner Medien darüber berichten werden. Es geht nämlich schwerpunktmäßig um die Arbeit der Paderborner Journalisten und um die Frage des Quellenschutzes. Hintergrund der ganzen Geschichte ist der letzte Prozess um die Besetzung des RABATZ.
Was ist Quellenschutz?

Journalisten haben unter anderem die Aufgabe, das Handeln von Personen und Institutionen zu beobachten und ihre Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dazu müssen sie sich häufig Dritter Personen bedienen, die ihnen wichtige Informationen liefern. Nicht selten kommt es vor, dass die Journalisten die Quellen ihrer Informationen schützen müssen, da die „Beobachteten“ sie ansonsten mit ihrer ganzen Gewalt angehen würden. Um diesen Schutz zu ermöglichen und damit letztendlich auch die Meinungsfreiheit sicherzustellen, wird Journalisten ein Quellenschutz gewährt. Sie müssen gegenüber der Polizei, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten keine Auskunft über ihrer Quellen und die Inhalte der Gespräche geben.

Gesetzliche Grundlagen des Quellenschutzes

Der Quellenschutz war dem Gesetzgeber so wichtig, dass er ihn extra in der Strafprozessordnung aufgenommen hat. Dort steht unter § 53, dass Journalisten das Zeugnis „über die Person des Verfassers oder Einsenders von Beiträgen und Unterlagen oder des sonstigen Informanten sowie über die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen, über deren Inhalt sowie über den Inhalt selbst erarbeiteter Materialien und den Gegenstand berufsbezogener Wahrnehmungen“, verweigern dürfen.

Wie gehen Journalisten normalerweise damit um?

Die Haltung von den meisten Journalisten dazu ist klar: Sie verstehen sich als Beobachter und Kommentatoren von Ereignissen und nicht als Personen, die in das Geschehen aktiv eingreifen. Sie weigern sich daher, ihre Quellen zu benennen und empfinden es als einen Eingriff in Ihre Arbeit und in die Pressefreiheit, wenn sie dazu aufgefordert werden. Da dieses Gut für sie so hoch ist, äußern sie sich nicht gegenüber Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gerichten. Dieses wurde auch so in den Pressekodes festgeschrieben, der unter Ziffer 5 folgendes regelt: „Die Presse wahrt das Berufsgeheimnis, macht vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und gibt Informanten ohne deren ausdrückliche Zustimmung nicht preis.“

Was denkt die Paderborner Staatsanwaltschaft zu dem Thema?

Die Paderborner Staatsanwaltschaft ist , was das Thema journalistischen Quellenschutz angeht, sehr widersprüchlich. In einem Verfahren wegen Hausbesetzung (näheres wird unten noch erläutert) ging sie ursprünglich davon aus, dass sie gegen den Beschuldigten genügend Beweise hätte. Die Aussagen der Journalisten wurden daher nicht benötigt. So schrieb der Paderborner Oberstaatsanwalt Dannewald noch am 14.11.2008: „Sollten sich die Journalisten […] nicht hierzu äußern wollen, ist davon auszugehen, dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Abs. 2 und 3 StPO Gebrauch machen wollen.“
Nach einigen Monaten merkt Herr Dannewald, dass er den Fall verlieren könnte. Er braucht die Aussage der Journalisten und behauptet nun, dass im vorliegenden Fall ein Zeugnisverweigerungsrecht für journalistische Mitarbeiter nicht bestehen würde (Schreiben vom 14.1.11). Er bezieht sich dabei auf eine Kommentierung der Gesetze von vor 2002, da in diesem Jahr der Gesetzgeber den Quellenschutz für Journalisten deutlich gestärkt hat.

Wie verhalten sich Paderborner Journalisten dazu?

Mit der Information von Herrn Dannewald machte sich nun die Polizei auf den Weg und suchte vier Journalisten in den Redaktionen der „Neuen Westfälischen“ und des „Westfälischen Volksblatt“ auf. Alle vier Journalisten waren anscheinend durch die Aussage der Polizei so eingeschüchtert, dass sie ausführliche Aussagen tätigten. Es ist nicht bekannt, ob sich einer von Ihnen vorab einen juristischen Beistand geholt hat. Zumindest verzichtete jeder von Ihnen auf einen Beistand bei der Vernehmung durch die Polizei. Damit warfen Sie alle journalistischen Regeln zum Thema Quellenschutz über den Haufen und wurden von reinen Beobachten zu Akteuren in der politischen Arbeit.

Was ist daran so schlimm ?

Die Arbeit der Presse ist ein wichtiges Gut. Quellenschutz und Unabhängigkeit sind wichtige, journalistische Prinzipien, die so bedeutend sind, dass sie gesetzlich verankert wurden. Gerade der Quellenschutz macht eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen politisch arbeitenden Menschen und Journalisten erst möglich.
Sollten die Journalisten während des am 16.9.2011 anstehenden Prozesses nicht klar zum Quellenschutz stehen und diesen einhalten, so kann dies einen direkten Einfluss auf die politische Arbeit in Paderborn haben. Menschen, die die Pressevertreter der „Neuen Westfälischen“ und des „Westfälischen Volksblatt“ auf Missstände in der Stadt aufmerksam gemacht haben, werden sich danach überlegen müssen, ob sie noch unbehelligt Informationen weitergeben können. Dadurch kann es sein, dass wichtige Informationen nicht mehr an die Journalisten weitergeben werden und die Öffentlichkeit nicht mehr hierüber informiert wird.

Was können die Journalisten nun tun?

Am 16.9.2011 werden die Journalisten erneut aufgefordert, den Quellenschutz zu brechen. Sie sollten in dieser Verhandlung nun klar zu ihren journalistischen Prinzipien stehen und eine Aussage verweigern. Dieses Recht steht ihnen nach der Strafprozessordnung zu. Sollte das Landgericht Paderborn dies anders sehen und sie zu einem Ordnungsgeld wegen Aussageverweigerung verurteilen, besteht für sie die Möglichkeit, dies durch höhere Gerichte überprüfen zu lassen. Hier wird man klar für den Quellenschutz als wichtiges, demokratisches Mittel stehen und das Landgericht Paderborn mit dem Staatsanwalt Dannewald in ihre Schranken weisen.

Worum geht es eigentlich in dem Prozess?

Der Prozess ist der letzte in einer Vielzahl von sogenannten Rabatz-Verfahren. Im Herbst 2007 öffneten junge Menschen ein leerstehendes Haus in der Paderborner Innenstadt, um dort ein vielfältiges, unabhängiges Kultur und Informationsangebot zu schaffen. Vorweggegangen waren jahrelange Forderungen an die Stadtvertreter, ein solches Haus einzurichten. Die schreckten aber vor dem Wort „unabhängig“ zurück und weigerten sich, ein Gebäude zur Verfügung zu stellen. Als im November das Haus abgerissen wurde, forderte die Polizei die Teilnehmer auf, das Haus zu räumen. Die Kulturschaffenden kamen dieser Aufforderung friedlich nach und verließen das Haus.
Die Stadt Paderborn, insbesondere der Bürgermeister Heinz Paus, wollte allen Beteiligten klar machen, wer der Herrscher der Stadt ist und überzog fast alle Besucher des Hauses mit Strafverfahren. Hiervon wurden lediglich Ratsmitglieder und die Journalisten ausgenommen, die nun eine Aussage machen sollen. Ziel der Stadt war es, durch die Strafverfahren und die Verurteilungen die weitere Berufsperspektiven der jungen Menschen zu verbauen. Letztendlich ging die Strategie jedoch nicht auf. Alle Verfahren endeten im untersten Strafrahmen oder mit Freisprüchen.
Im letzten Prozess soll nun Frank Gockel verurteilt werden. Ihm wird vorgeworfen, er sei der „Rädelsführer“. Für die Gerichte in dem herrschenden System ist es unverständlich, dass es Menschen gibt, die ihr Zusammenleben in einem Konsensprinzip regeln und bei denen es keine „Herrscher“ gibt. Gockel stand bereits zwei Mal vor Paderborner Gerichten, zwei Mal wurde er verurteilt. Bei der letzten Verurteilung ging das Gericht sogar über die Forderung von der Staatsanwaltschaft hinaus, weil der Richter wollte, dass Gockel, der bisher eine weiße Weste hat, durch das Urteil vorbestraft wird. Dies erfolgte zu unrecht, wie das Oberlandgericht Hamm in einem dritten Verfahren feststellte. Es verwarf alle Gründe, die die vorhergehenden Gerichte anführten. Mit der bisherigen Beweislage kann es zu keiner Verurteilung kommen, so die Meinung des OLG. Und selbst wenn neue Beweise auftauchen sollte, dürfte das Strafmaß nur im unteren Rahmen, z.B. bei einer mündlichen Verwarnung liegen.
Um Gockel nun doch zu verurteilen, benötigt die Staatsanwaltschaft neue Zeugen. Diese sollen nun die oben genanntem Journalisten sein.

Was kann ich tun?

In dem Verfahren geht es unter anderem um die Frage, wie die journalistische Arbeit der „Neuen Westfälischen“ und des „Westfälischen Volksblatt“ aussieht. Da diese beiden Zeitungen die Berichterstattung in Paderborn prägen, dürfte das Verhalten dieser „Zeugen“ nicht unerheblich sein. Doch gerade weil es um die beiden großen paderborner Zeitungen geht, wird die Frage des Quellenschutzes keinen Widerhall in der Berichterstattung finden. Wichtig ist daher, dass Du dir als Prozessbeobachter_in selber ein Bild machst und am 16.9.2011 als Zuschauer_in im Landgericht bist und über die Erlebnisse weiter berichtest.

Aufruf zur Prozessbeobachtung im letzten RABATZ-Verfahren,

dieses Mal zu dem Schwerpunkt der journalistischen Arbeit der Paderborner Zeitungen

am 16.9.2011, um 9:00 Uhr,

Landgericht Paderborn, Raum 205,

Am Bogen 2-4, 33098 Paderborn
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Ergänzungen