Gängeviertel gesichert?

Solidarische mit den Gängstern 09.09.2011 16:40 Themen: Freiräume Soziale Kämpfe
Kooperationsvertrag zwischen Stadt Hamburg und Initiative unterschrieben, Stadt lässt sich auf Selbstverwaltung ein
Gestern um 16 Uhr war es so weit - wenn die Sektbecher nicht aus Plastik gewesen wären hätte mensch es gestern klingen hören können im Hamburger Gängeviertel. Denn hoher Besuch war in der "Fabrik" aufgelaufen, mit ordentlich Presse im Schlepptau. Zwei Jahre nach der Besetzung ist es den Gängstern gelungen, die Stadt zu einem Kooperationsvertrag zu bringen der zumindest die Möglichkeit auf Selbstverwaltung beinhaltet und die "Roadmap" festlegt, so Architekt Heiko der den Prozess schon lange begleitet. Mehr war nicht drin. Keine festen Zusagen, keine wirklichen Garantien - dafür viel schöne Worte, Versprechen und Möglichkeiten die jetzt auf ihre Verwirklichung warten.


Das Gängeviertel-Areal mitten in der Innenstadt

Ein Sieg?

"Auf jeden Fall war das ein Sieg!" meint Luther B., "Die Stadt wollte, das alles in die Hand der Steg gelegt wird - ein Rundumsorglos-Paket. Sorgenlos wären dabei allerdings höchstens die Stadt gewesen, für unser Projekt wäre das der Tod gewesen." Denn in den Verhandlungen, in denen sich die Stadt bislang uneinsichtig zeigte war bis zuletzt die private "Stadtentwicklungsgesellschaft" (kurz Steg) sowohl als Bauherr als auch als Verwalter der Gebäude bis zum Ende der Sanierungsphase festgelegt. Und davon rückte die Stadt kein bischen ab. So tönte sie noch vor wenigen Wochen auch in der Öffentlichkeit, dass es so und nicht anders nur laufen könnte. So betrachtet ist die Kooperationsverhandlung tatsächlich ein Sieg, wenn auch weniger für die Sicherheit des Viertels in der Zukunft aber über den Einfluss der Steg im Projekt.

Die Häuser, welche seit vielen Jahren, teilweise Jahrzehnten, komplett oder teilweise leer standen sind stark Sanierungsbedürftig, die Kosten werden auf 20 Millionen Euro geschätzt. Eine Sanierung in Eigenregie z.B. im Rahmen des Mietshäusersyndikats wurde daher aus finanziellen Gründen als unrealistisch betrachtet. Doch auch politische Gründe sorgten bei der Initiative dafür, sich für die Lösung mit Hilfe der Stadt zu entscheiden: "Die Stadt hat das ganze Areal verfallen lassen. Wir wollen die Stadt dafür auch in die Pflicht nehmen, sich an dem selbst verursachten Schaden zu beteiligen" meint Sonja B. Aus diesen Gründen wurde mit der Stadt verhandelt. Nachdem die Stadt noch unter Schwarz-Grüner Regierung die bereits verkauften Gebäude von einem niederländischen Investor zurück kaufte war der erste Schritt getan, doch schon bald zeigte sich, dass die Stadt den Kampf um das Areal nicht aufgegeben hatte. (mehr zu den Anfängen hier) "Mit dem am Gängeviertel vorbei beschlossenen IEK (Integriertes Entwicklungskonzept - das Gesetz welches das Areal als Sanierungsgebiet ausschreibt) wurden uns keinerlei Sicherheiten gegeben, daher musste ein Kooperationsvertrag erarbeitet werden, welches uns mehr einräumt als nur Übergangsnutzer zu sein bis zur Fertigstellung der Sanierung." Ohne diesen wäre es zu einer weiteren Eskalation gekommen, die BesetzerInnen waren nicht bereit, das IEK einfach zu akzeptieren. In den Verhandlungen zum Kooperationsvertrag schimmerte dann der Wille durch, das Gebiet doch wieder platt zu Sanieren als ausgerechnet die Steg als Sanierungsträger, Bauherr und Verwalter der Gebäude von der Stadt durchgesetzt werden sollte. "Kein Weg mit der Steg" war daher eine Parole, die auch im Gängeviertel die Runde machte.
"Wir haben in der Stadt mehrfach gesehen, was passiert, wenn die Steg in Eigenregie und ohne Kontrolle Gebiete saniert. Von ihren anfänglichen Versprechen die Gebiete zu sanieren ohne Mieterhöhungen ist eigentlich nie etwas über geblieben, die Steg ist Gentrifizierungsmotor Nummer Eins in Hamburg. Die treiben die Sanierungskosten in die Höhe und das schlägt dann auf die Mieten nieder" so Luther, "daher brauchten wir Sicherheiten dafür, dass das nicht passiert." Um das zu verhindern musste ein neutraler Architekt durchgesetzt werden, der nicht im Interesse der Steg saniert sondern im Sinne der zukünftigen und jetzigen NutzerInnen. Mit dem Architekten Joachim Reinig wurde ein Architekt gefunden, mit dem das fadenscheinige Argument der Stadt, dass ein Nicht-Steg Architekt die Kosten in die Höhe treiben würde, medienwirksam unterlaufen werden konnte. Schließlich hat Reinig auch schon so prestigeträchtige Gebäude wie den Michel saniert. Darüber hinaus wurde im Rahmenvertrag eine Baukommission festgelegt, in welcher die Gängeviertelinitiative maßgeblich beteiligt ist. "Wir werden jeden Schritt der Sanierung begleiten und überwachen um so eine Kostendeckelung auch effektiv umsetzen zu können." meint Sonja.

Auch die Verwaltung der Häuser war ein Streitthema, bei welchem die Stadt nicht klein beigeben wollte. Von ihr war angeplant, das Areal in die Hände der Steg zu geben bis zum Ende des Sanierungsverfahrens - um dann in ca. 8 Jahren darüber zu verhandeln, unter welchen Bedingungen das Areal in die Selbstverwaltung überführt werden könnte. "Das hätte unser Genossenschaftsmodell komplett unterwandert und die Genossenschaft wäre zum Scheitern verurteilt noch bevor sie richtig angefangen hat." Jetzt wurde durchgesetzt, dass nach Abschluss der Sanierung eines jeden Hauses das sanierte Gebäude direkt in die Verwaltung der Genossenschaft übergeht. Fest steht dabei noch nicht, ob dies im Rahmen eines Verkaufs, per Erbpacht oder Generalmietvertrag mit der Stadt passiert. So wechselt die Verwaltung der Häuser aus der Hand des Vereins direkt in die Genossenschaft. "Das war so ungefähr das, was wir uns vorgestellt haben."

Zu diesem Wechsel in der Regierungsmeinung beigetragen haben wohl die gute Pressearbeit, ein fulminantes drittes Hoffest bei welchem über 5000 Menschen durch das Viertel zogen und das neue Manifest lasen, welches die Kämpfe ums Gängeviertel in einen Bezug setzte mit der restlichen Recht auf Stadt-Netzwerk. Die Angst im Rathaus vor einer "zweiten Roten Flora" wuchs immer mehr - und je lauter aus dem Rathaus gepoltert wurde, desto selbstbewusster traten die Gängster auf. Schließlich hat das Gängeviertel schon einen Bürgermeister überlebt und wenn die Stadt auch nicht auf Augenhöhe verhandeln wollte, so musste sie nach diesem Kräftemessen das Gängeviertel als politischen Gegenspieler ernst nehmen und gab klein bei. Wohl auch, um den Druck an dieser Stelle zu nehmen. Denn im Recht auf Stadt-Netzwerk brodelt es kräftig und die Gängster symphatisieren offen mit Neubesetzungen wie dem Versuch eines Autonomen Zentrums in Altona. Insofern kann das plötzliche Umschwenken der Stadt auch so gedeutet werden, dass die Initiative beschwichtigt werden soll.

Ist jetzt Friede Freude Eierkuchen?

Nicht ganz. Noch immer sind die Flächen Fabrik und Druckerei behördlich gesperrt - wegen angeblicher Gefahr für Leib und Leben. Bezirksamtschef Schreiber, der die Schließung veranlasste, präsentierte sich dann Gestern bei der Unterschrift als der ewige Buhmann und versuchte Mitleid zu erheischen als er auf der Fabrikbühne vor einer Wand mit Logos der Recht auf Stadt-Bewegung den Vertrag unterzeichnete. Auch wenn er als Spießer gelte so müsse er ja die Verantwortung tragen und auch mal sagen, wann "Schluss" sei. So richtig erwärmen konnte sich niemand aus dem Publikum für ihn, nur Kultursenatorin Kisseler tätschelte ihm Mitleidvoll die Schulter. Denn dem Publikum ist sehr wohl bewußt, dass Schreiber auf eigene Verantwortung handelt und nicht nur im Viertel Scheiße baut. So versucht er gerade im Alleingang die Räumung des Wagenplatzes Zomia in Wilhelmsburg anzuleiern, einfach weil er Wagenplätze nicht mag und "auch schon Bambule" geräumt hat. "Da musste ich mich ganz schön beherrschen, als der da oben saß und versuchte schöne Worte zu finden." meint Sonja, "aber der scheint sich in seiner Rolle ganz wohl zu fühlen, hat sich sogar anschließend noch im Schreibergarten von der Presse fotografieren lassen." Der Schreibergarten in der sogenannten Brache (einem Hinterhof des Gängeviertels) angesiedelt zeugt bis heute davon, wie mit viel Humor die ständig ausgestreuten Stolpersteine ertragen werden.

Für das Gängeviertel geht es jetzt weiter, ein Etappensieg ist erreicht. Der Aufbau der Genossenschaft ist im vollen Gange, die Instandbesetzung geht weiter, das Programm ebenfalls. Aber auch außerhalb des Gängeviertels will die Initiative weiter aktiv bleiben. "Die Initiativen aus dem Recht auf Stadt Netzwerk haben uns auf unserem Weg immer geholfen, das haben wir nicht vergessen. Unser Kampf ist ein gemeinsamer, wie wir heute hoffentlich deutlich gemacht haben." sagt Luther, "Wir verstehen diesen Erfolg im Gängeviertel auch als Türöffner für eine neue Politik" und verweist auf den Leerstandsmelder. Abschließend zitiert er aus der Pressemitteilung:
"Als besonders positiv betrachten wir die offensichtlich vorhandene Einsicht der städtischen Verantwortlichen, dass für eine lebendige Stadtentwicklung von unten andere Ansätze nötig sind als die altbekannte und vielfach gescheiterte Vermarktung des städtischen Raums unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Eine Stadt braucht Freiräume und ein lebendiges Miteinander, und wir hoffen, dass sich diese Erkenntnis beim amtierenden Senat über den heutigen Tag hinaus hält und auch auf anderen Konfliktfeldern wie den Esso-Häusern, dem Bernhard-Nocht-Quartier, dem Wagenplatz Zomia, der MieterInnengenossenschaft Karolinenviertel, der Roten Flora und der Rindermarkthalle Niederschlag findet."

Die Fabrik leert sich langsam, die letzten Sektbecher werden ausgetrunken und als letzter Vertreter der Stadt verlässt auch Schreiber die Fabrik, sonderlich Sorgen um sein Leib und Leben hat er sich scheinbar nicht gemacht...

Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Next: Auf zur Mietenwahnsinnssymphonie

Topfschlagen gegen hohe Mieten und Wohnungsno 09.09.2011 - 20:29
Und am Donnerstag, den 27.10. alle Topfschlagen um die gesamte Stadt mit Schallwellen des Protests gegen den Mietenwahnsinn zu durchfluten. Egal, wo ihr seid, öffnet die Fenster oder geht auf die Straße, holt die Kochtöpfe hervor und trommelt drauf los, um ab 19 Uhr für 10 Minuten einen Klangteppich der Unzufriedenheit über steigende Mieten und die aktuelle Wohnraumsituation entstehen zu lassen. Das Ganze wird währenddessen mit über die Stadt verteilten Mikrofonen eingefangen und live als Rückkopplung über Radio zurück ins Wohnzimmer getragen.

Mit der Aktion wird ein akustischer Klangteppich für das Recht auf Stadt erzeugt und die Demonstration „Mietenwahnsinn stoppen – Wohnraum vergesellschaften!“ am Samstag, den 29.10. unterstützt. Kunst, Politik und Propaganda werden zu einer Symphonie des Mietenwahnnsinns verknüpft. Die Klänge der Töpfe, das Scheppern und Dengeln sind Morsezeichen des Protestes im Hintergrundrauschen der Stadt, die wie eine eigene kollektive Sprache die Kritik an Wohnungsnot und Leerstand manifestieren.

Auf Facebook teilnehmen:  http://www.facebook.com/mietenwahnsinnssymphonie
Material und Infos:  http://topfschlagen.wordpress.com

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 5 Kommentare an

feature! — yeah

Nun gilt es aufzupassen! — toi toi toi

@toi toi toi — realistisch bleiben