Hoyerswerda 1991 - Hoyerswerda 2011

Initiative Pogrom91 08.09.2011 21:16 Themen: Antifa Antirassismus Bildung Medien
Im September 1991 ereignete sich im ostsächsischen Hoyerswerda etwas nie da Gewesenes: tagelang griffen Nazis unter Beifall und Unterstützung Hoyerswerdaer BürgerInnen Wohnheime von VertragsarbeiterInnen und Asylsuchenden an – so lange, bis diese evakuiert werden mussten. Die lokale Erinnerungspolitik im Kontext des ersten rassistischen Pogroms in Deutschland nach dem Ende des zweiten Weltkrieges wirft bis heute Fragen auf.
Die tagelangen Angriffe auf ein VertragsarbeiterInnenwohnheim in der Albert-Schweitzer-Straße im Zentrum Hoyerswerdas, sowie gegen die örtliche Unterkunft der Asylsuchenden in der Thomas-Müntzer-Straße im Herbst 1991 geschahen nicht aus heiterem Himmel. Sie markierten den Höhepunkt einer stetig anwachsenden und rassistisch aufgeladenen Stimmung gegen Migranten in Teilen der örtlichen Bevölkerung, einem Ausbleiben angemessener Reaktionen aus der Politk und dem totalen Versagen zuständiger Ordnungsbehörden.

Die VertragsabeiterInnen, die zum Zeitpunkt der Angriffe bereits seit Jahren in Hoyerswerda lebten und größtenteils aus Mosambik und Vietnam kamen, wurden bis zu ihrer Vertreibung hauptsächlich als billige Arbeitskräfte bei der Kohleförderung eingesetzt. Sie waren genau wie die 260 Menschen aus Europa, Asien, Afrika und Südamerika, die im Asylsuchendenheim in der Müntzerstraße wohnten, auch in den Jahren vor dem Pogrom alltäglichem Rassismus ausgesetzt. Sie erlebten Pöbeleien und tätliche Angriffe, PolizistInnen, die sich weigerten Anzeigen auf zu nehmen und VerkäuferInnen, welche die HeimbewohnerInnen nicht in Geschäften bedienten. Darüber hinaus gestalteten sich die Lebensbedingungen der Flüchtlinge und Asylsuchenden im Allgemeinen sehr schwierig. In ihrem Wohnheim auf der Müntzerstraße mussten sich durchschnittlich zwölf Personen eine Vier-Raum-Wohnung teilen, außerdem durften sie keiner geregelten Arbeit nachgehen.

Mit der Wiedervereinigung war absehbar, dass große Teile der Braunkohleindustrie bald stillgelegt werden würden, die Arbeitsvereinbarungen der VertragsarbeiterInnen endeten mit dem Zusammenbruch der DDR. Obwohl bereits im Vorfeld öffentlich bekannt war, dass sie aus jenem Grund sehr bald in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden sollten, wurde bereits kurz nach dem Ende der DDR der Ton gegen die „Gäste“ in der Stadt rauer.

Viele HoyerswerdaerInnen sahen sich von ihren NachbarInnen in den Wohnheimen plötzlich sehr viel stärker belästigt, als zuvor. In der zunehmenden Konfrontation mit den Einheimischen wurden die BewohnerInnen beider Wohnheime unabhängig von ihrem sozialen Status oftmals als Kollektiv der „Ausländer“ Ziel von Anfeindungen. So berichtete der damalige Ordnungsamtsleiter des Landratsamtes im Juli 1991, dass sich zwar zahlreich über das Asylsuchendenheim in der Müntzer-Straße beschwert wurde, er aber bis dahin von keiner Anzeige gegen eine konkrete Wohnung gewusst hätte.

Schon bald machten Gerüchte die Runde, dass endlich etwas passieren sollte. Die Stimmung, die über die Zeitungsberichterstattung aus der Bevölkerung vernehmbar war, wurde immer aggressiver. „Die Behörden sollten zweifellos schnellstens die Situation in den Griff bekommen. Sonst tun dies vielleicht andere“, hieß es etwa in einem Beitrag des Wochenspiegels Anfang September 1991 über eine Bürgerversammlung, die den Konflikt um das Wohnheim der Asylsuchenden zum Thema hatte.

Auch die bis dato in der Stadt verbliebenen VertragsarbeiterInnen bekamen nun verstärkt Probleme: ihnen sollten die Abfindungen für ihre endenden Arbeitsverträge nicht mehr ausgezahlt werden. Als sie daraufhin in Streik traten, kam es zu Verhandlungen im Wohnheim der VertragsarbeiterInnen in der Schweitzer Straße, die jedoch ohne Ergebnis endeten. Wenige Stunden später wurde das Haus angegriffen. Ein Betroffener der Überfälle berichtete: „Während des Tages, bevor sie kamen, gaben unsere Sozialarbeiter uns zu verstehen: Heute wird der Angriff sein“.

Der Startschuss für die beginnenden Angriffe am Dienstag, dem 17. September 1991, fiel, als sich 15 Nazis eine Auseinandersetzung mit Menschen vietnamesischer Herkunft lieferten, die Zigaretten verkauften. Die Betroffenen flüchteten in das VertragsarbeiterInnenwohnheim, wo einige BewohnerInnen versuchten, sich gegen die ihnen nachfolgenden Nazis zu verteidigen. Die Gruppe vor dem Wohnheim wuchs rasch auf mehrere dutzend Personen an, die schließlich auch versuchten, in das Haus zu gelangen. Erst nach Stunden gelang es der Polizei die Situation vorerst wieder zu beruhigen. Am frühen Abend des darauffolgenden Tages sammelten sich vor dem VertragsarbeiterInnenheim etwa 100 Menschen und skandieren ausländerfeindliche Parolen. Im Laufe des Abends wuchs die aufgeheizte Menge, bestehend aus Nazis und BürgerInnen, auf circa 250 Personen an und suchte immer wieder die körperliche Auseinandersetzung mit den BewohnerInnen des Heimes.

Am Donnerstag hatte sich die Situation weiter zugespitzt. Diesmal waren es über 500 Menschen, die vor dem Haus standen. Vorallem Jugendliche aus Hoyerswerda, sowie angereiste Nazis aus ganz Deutschland beteiligten sich an den Angriffen. Sie warfen Flaschen, Steine und Molotowcocktails auf das Wohnheim, bis die Polizei schließlich eingriff und bei dem Versuch die Schweitzerstraße zu räumen, selbst zur Zielscheibe wurde.

Am 20. September 1991 sperrte die Polizei erstmals die Straße um das VertragsarbeiterInnenheim ab, doch die Menge fand mit dem Wohnheim der Asylsuchenden in der Müntzerstraße schnell eine neue Angriffsfläche. Einige wenige BürgerInnen und StadtvertreterInnen wie der stellvertretende Bürgermeister Klaus Naumm und Pfarrer Friedhart Vogel versuchten die Lage zu beruhigen, in dem sie immer wieder auf die mehreren hundert Menschen einredeten, die sich zum Angriff auf die MigrantInnen versammelten hatten. Zu diesem Zeitpunkte konnte keiner der in den Wohnheimen lebenden Asylsuchenden und VertragsarbeiterInnen mehr die Häuser verlassen. Am Wochenende des 21. und 22. Septembers begann schließlich die Räumung des Heimes auf der Schweitzerstraße, die Angriffe gingen jedoch selbst jetzt noch weiter. In der Nacht von Samstag zu Sonntag wurden sechs Nazis am VertragsarbeiterInnenheim entdeckt, die Benzinkanister bei sich trugen. Tags darauf versammelten sich erstmals zivilgesellschaftliche und Antifa-Gruppen von außerhalb in Hoyerswerda. Sie waren in einem großen Autokonvoi angereist, um die, größtenteils auf sich allein gestellten, Betroffenen in dieser schwierigen Lage praktisch zu unterstützen. Vor dem Wohnheim in der Müntzerstraße fand eine Solidaritätsdemonstration statt, an der etwa 400 Menschen teilnahmen. Die Polizei versuchte zunächst den direkten Kontakt zwischen den BewohnerInnen und den Demonstrierenden zu verhindern.
Nachdem es in der Nacht zum Montag weitere Angriffe auf ihr Haus gab, wurden schließlich, unter dem Beifall der anwesenden Nazis und BürgerInnen, auch die ersten Asylsuchenden aus der Müntzerstraße evakuiert. Am Montag, den 23. September 1991, der rassistische Mob tobte inzwischen eine Woche lang, wurden weitere BewohnerInnen der beiden Wohnheime aus der Stadt gebracht. Fast alle mosambikanischen VertragsarbeiterInnen mussten direkt nach Frankfurt zur „freiwilligen“ Abschiebung, viele Asylsuchende verteilte man auf Sammelunterkünfte im Raum Dresden. Mit dieser politischen Entscheidung wurde den TäterInnen nicht nur der Eindruck vermittelt, dass ihr Vorgehen, im Ziel die „Ausländer“ zu vertreiben, tatsächlich zum Erfolg geführt hatte. Viele der Betroffenen wurden nun auch noch viel schneller abgeschoben, als dies ohne die Angriffe in Hoyerswerda überhaupt der Fall gewesen wäre.

Etwa 40 HeimbewohnerInnen gelang jedoch die Flucht nach Berlin, wo sie durch die Unterstützung von Antifagruppen in Kirchenasyl untergebracht werden konnten. In einem Appell an den Berliner Innensenator schrieben die Flüchtlinge: „Wir mussten Schutz finden. Es gab keinen anderen Platz zur Flucht als Berlin, wo unsere momentane Sicherheit durch die große Hilfe einer Kirchengemeinde und die beständige Arbeit autonomer Gruppen gewährleistet ist“. Die Angriffe von Hoyerswerda sorgten weltweit für Aufsehen in den Medien und Empörung in der Politik. Am Wochenende nach dem Pogrom zogen etwa 4000 Menschen mit einer antirassistischen Demonstration durch die Stadt. Obwohl die Polizei den genehmigten Treffpunkt vor dem Wohnheim der Asylsuchenden abgesperrt hatte und damit teils erhebliche Auseinandersetzungen mit den aufgebrachten TeilnehmerInnen provozierte, konnte die Demonstration, unter anderem durch das Eingreifen von Pfarrer Reinhard Brückner aus Freiburg und den Pfarrern Lahn und Hoffmann aus Hoyerswerda, trotzdem stattfinden.

Das rassistische Pogrom von Hoyerswerda war der Auftakt zu einer ganzen Reihe von ähnlichen Angriffen, die sich z.B. in Rostock, Solingen, Mölln ereigneten und bald auch erste Todesopfer forderten. In Folge jener Welle rassistischer Gewalt wurden 1993 die Asylgesetze in der Bundesrepublik geändert. Für Flüchtlinge war es danach sehr viel schwieriger noch Asyl in Deutschland zu erhalten. Der Hass auf der Straße wurde somit auch durch die bundesdeutsche Innenpolitik legitimiert: „Wenn das Volk uns die Legitimation entzieht, müssen wir unsere Politik ändern“, kommentierte der damalige SPD-Vorsitzende Engholm diese Vorgänge.

Bestärkt durch die erfolgreiche Vertreibung der VertragsarbeiterInnen und Asylsuchenden entwickelte sich Hoyerswerda bald zu einer Hochburg der Nazis. Nachdem „Ausländer“ nicht mehr als Angriffsfläche zur Verfügung standen, richtete sich die Gewalt nun mehr gegen Menschen, die sich auf den Straßen als links oder alternativ zu erkennen gaben oder dafür gehalten wurden. Lokalitäten, wie das einzige besetzte Haus in der Stadt, der linksalternative Jugendclub „Laden“ oder das Umweltzentrum waren regelmäßigen Angriffen ausgesetzt. Die Gewalt der Nazis in und um Hoyerswerda gipfelte schließlich in zwei Morden. Im Oktober 1992 provozierten rechte Skinheads DiskobesucherInnen in Geierswalde bei Hoyerswerda mit rassistischen Parolen. Nachdem sich andere Gäste darüber beschwerten eskalierte die Situation. Durch drei Schläge mit einer Holzlatte tötete dabei ein 17jähriger Skinhead Waltraud Scheffler, die in der Diskothek als Kellnerin arbeitete. Nur wenige Monate später, im Februar 1993 griffen Nazis mit dem Ruf „Schlagt die Zecken tot!“ eine alternative Party in Hoyerswerda an. Im Rahmen des Überfalls schlugen die Beteiligten den erst 22jährigen Mike Zerna nieder und kippten anschließend einen Transporter auf seinen bereits reglosen Körper. Auch er verstarb wenig später an seinen schweren Verletzungen.

Trotz der immensen Tragweite der Ereignisse von 1991 für nachfolgende Entwicklungen in der Bundesrepublik, sowie ihren weitreichenden Folgen vor Ort, bis hin zum Mord an Waltraud Scheffler und Maik Zerna, gab es in der Stadt bisher kaum nennenswerte Versuche die damaligen Geschehnisse angemessen aufzuarbeiten. Statt dessen war man stets darum bemüht, die Angriffe auf die Wohnheime in der Öffentlichkeit herunter zuspielen und die anhaltenden Aktivitäten von Neonazis vor Ort zu leugnen. Fast immer wenn das rassistische Pogrom öffentlich thematisiert wurde, ging es hauptsächlich darum, den dadurch entstandenen Rufschaden für die Stadt wieder wett zu machen und sich mit der Konstruktion einer eigenen Opferrolle gegen jegliche Kritik an dieser Praxis zu immunisieren. Mit den Worten: „Die Erinnerung an diese 15 Jahre behalten wir Hoyerswerdaer uns selbst vor“, kommentierte 2006 der damalige Oberbürgermeister Horst Dieter Brähmig eine antirassistische Demonstration, die zum 15. Jahrestag der Ereignisse in Hoyerswerda stattfand und sich klar gegen eine „kollektive Verdrängung“ der Geschehnisse positionierte. VertreterInnen der Stadt weihten am selben Tag eine Stele auf dem Lausitzer Platz ein, welche die Inschrift „Im Gedenken an die extremistischen Ausschreitungen von September 1991“ trug. Neben der konsequenten Ausspaarung einer Darstellung der Ereignisse aus Sicht der Betroffenen wurde damit einmal mehr die rassistische Motivation der TäterInnen von damals ausgeblendet und somit relativiert. Auch die schlichte Anerkennung der Tatsache, dass eben auch „ganz normalen HoyerswerdaerInnen“ an den Angriffen beteiligt waren, blieb ein weiteres Mal aus.

Was im September 1991 geschah, sollte nach 20 Jahren endlich auch in Hoyerswerda klar als rassistisches Pogrom bezeichnet werden. Ohne das längst überfällige Bekenntnis, dass BürgerInnen aus Hoyerswerda es nicht nur selbst waren, die sich maßgeblich an den Angriffen beteiligten oder den TäterInnen offen ihre Symphatie bekundeten, sondern dass gerade dieser Umstand, sowie das damit einhergehende und akzeptierende Stillschweigen großer Teile der Bevölkerung, jene Vorgänge überhaupt erst möglich machte, muss eine ernstgemeinte Aufarbeitung scheitern.

Auch wenn es in diesem Jahr zum 20. Jahrestag des rassistischen Pogroms zumindest eine Ausstellung gibt, welche die Ereignisse umfassender thematisieren soll, fehlt auch heute noch ein Ort der dauerhaften Erinnerung: Daher setzen wir uns unter anderem für die Errichtung eines Mahnmals ein, das ein Vergessen der Geschehnisse vom September 1991 unmöglich machen soll.

Initiative „Pogrom 91“
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Ergänzungen

KEIN TAG DER HEIMAT

Raucher 09.09.2011 - 11:45
Der Termin für die antifaschistische Gedenkdemonstration zum 20. Jahrestag des rassistischen Pogroms von Hoyerswerda ist der

17. September 2011.

Treffpunkt ist 14 Uhr am Bahnhof Hoyerswerda.

Aktuelle Infos gibt es über die Internetseite www.pogrom91.tumblr.com

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bloß weg hier — auf die insel