Sexualtäter im Knast

Thomas Meyer-Falk 08.09.2011 11:50 Themen: Blogwire Repression
Immer wieder wird in Zeitungen sowie im Fernsehen behauptet, Sexualverbrecher stünden im Gefängnis auf der untersten Stufe der internen Hierarchie.

Wie ist es um diese Auffassung in der Realität bestellt? Anhand der Situation in der in Baden-Württemberg gelegenen Justizvollzugsanstalt Bruchsal möchte ich dies hier näher beleuchten.
JVA Bruchsal – ein kurzer Rückblick


Erbaut wurde das Gefängnis 1848/49 und galt seinerzeit als modern. Von einem Zentrum aus gehen insgesamt vier Flügel ab. Jeder von diesen hat drei Stockwerke. Zur Zeit leben circa 400 Gefangene in der JVA ( http://jva-bruchsal.de/), einer Anstalt, die seit vielen Jahrzehnten in Baden-Württemberg einen nachhallenden Ruf hat. Dieser mag damit zu tun haben, dass primär „Langstrafer“, also (männliche) Gefangene mit langen oder lebenslangen Haftstrafen nach Bruchsal eingeliefert wurden. Die wohl bekanntesten Inhaftierten der letzten Jahrzehnte waren Christian Klar (von der RAF), sowie Heinrich Pommerenke (Vergewaltiger und Serienmörder; starb nach 49 Jahren Haft). Ferner besteht für die hiesige Anstalt eine spezielle „Sonderzuständigkeit“ für Gefangene, die als „besonders gefährlich“ oder sonstwie „gemeinschaftsunfähig“ in anderen Gefängnissen des Landes angesehen und deshalb nach Bruchsal verlegt werden.


Sexualtäter in Bruchsals Haftanstalt


Eine exakte Prozentzahl hinsichtlich jener, welche wegen eines Sexualdelikts hier in Haft sitzen, ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Immer mal wieder werden Zahlen von bis zu 60% kolportiert, die jedoch als zu hoch angesehen werden müssen.
Dennoch gibt es eine erkleckliche Anzahl an inhaftierten Männern, die vergewaltigt, Frauen, Männer, Mädchen und Jungen missbraucht haben. In einigen Fällen erfolgte anschließend auch die Ermordung der Opfer; mitunter auch eine sexuelle Schändung der Leiche.
Über die spektakulärsten Fälle zumindest der jüngeren Zeit sind viele Gefangene durch Funk und Fernsehen, bzw. die Zeitung auch detailliert informiert.


Auftreten der Sexualtäter im Vollzugsalltag


Hier finden sich alle Variationsmöglichkeiten. Jene, die offensiv und fordernd agieren, über viele Jahre hinweg auch eine besondere „Vertrauensposition“ bei der Anstalt und Teilen der Mitgefangenen erringen. Etwa ein Jahrzehnt lang wurde ein Sexualmörder immer wieder in die Gefangenenvertretung gewählt (hierbei handelt es sich um ein von Inhaftierten zu wählendes Gremium. Kritisch dazu vgl.  http://de.indymedia.org/2010/02/272222.shtml ; auch: Sonderausgabe der Roten Hilfe zum 18. März 2010, S. 13 „Gefangenenvertretung im Strafvollzug“) und genoss in der JVA weitgehende Bewegungsfreiheit. Es gibt jene, die sich durch den Sport, z.B. Fußball oder die Tischtennis-Gruppe in eine Mannschaft einfügen und über diesen Weg auch eine gewisse Anerkennung erfahren (so bspw. ein Inhaftierter, der vor wenigen Jahren in Mannheim ein 16-jähriges Mädchen von hinten niederschlug, vergewaltigte und tötete).
Andere wiederum verstecken sich regelrecht in ihren Zellen, insbesondere dann, wenn ihre Taten noch nicht lange genug zurückliegen, um medial in Vergessenheit zu geraten. Hier wäre aktuell an einen „Modefotografen“ aus Rastatt zu denken, der wegen mehrfachen Kindesmissbrauchs zu einer hohen Haftstrafe und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden war. Ihn sieht man nur kurz über die Flure huschen, wenn er seinen Mülleimer entleeren geht.

Aber es gibt auch die ganz arrogant und frech auftretenden Sexualtäter: X hat seine Zelle fast neben dem Büro der Aufsichtsbeamten und seine Tür ist stets sperrangelweit offen. Schon in der JVA Freiburg vertrat er offen sein angebliches „Recht“ auf Sex mit Kindern. Kaum entlassen setzte er sein „Recht“ durch, wofür er dann entsprechend verurteilt wurde. Jeder, der ihn auf seine Tat anspricht oder von dem er mitbekommt, dass über ihn gesprochen wird, darf mit Beschwerden und Strafanzeigen rechnen. In einem Fall kam es sogar zu einer polizeilichen Vernehmung und auch Gegenüberstellung, da er eine ganze Anzahl von Gefangenen angezeigt hatte. Ein anderer Insasse, Y., der verurteilt wurde sein Kind missbraucht zu haben, droht gelegentlich anderen „aufs Maul“ zu hauen, eilt dann jedoch lieber zu den Beamten, um sich dort zu beschweren, wenn er auf sein Delikt angesprochen wird.


Reaktionen des Vollzugspersonals


Gelegentlich bekommen Gefangene zu hören, wenn sie nicht endlich diesen oder jenen Sexualtäter „in Ruhe lassen“ würden, müsse mit Konsequenzen bis hin zur Anordnung der Einzelhaft gerechnet werden. Mitgefangener Ditte (so sein Spitzname) wurde tatsächlich sanktioniert, weil er o.g. X., nein, nicht etwa geschlagen, sondern gelegentlich die Zellentüre zugemacht und dessen Licht an- und ausgeschaltet haben soll. Mittlerweile sitzt Ditte in Einzelhaft, weil er beschuldigt wurde, einen anderen Mitgefangenen „drei Mal ins Gesicht“ geschlagen zu haben. Besagtes angebliches Opfer sagte bei den Beamten laut Landgericht Karlsruhe aus, Ditte habe auf Aufforderung die Zelle zu verlassen nicht reagiert, ihn – das Opfer – vielmehr geschlagen. Was belegt worden sei durch Beamte, die eine leicht (!) gerötete Wange und ein rotes Ohr selbst gesehen hätten.

Einerseits findet man in den Beamtenbüros Zeitungsartikel, welche sich mit der „Untherapierbarkeit“ von Sexualtätern, insbesondere Pädophilen befassen, offen und für jeden, der in das Büro gehen muss, um z.B. einen Antrag abzugeben, deutlich sichtbar ausgehängt, andererseits reagiert der Vollzug scharf, selbst wenn ein Sexualtäter lediglich auf seine Tat(en) angesprochen wird.

Darüber hinaus werden Sexualtäter gerne auf „Vertrauensposten“ eingesetzt, also auf Arbeitsplätzen innerhalb einer Anstalt, welche in den Augen der JVA-Beamten/innen „sicherheitsrelevant“ sind, wo z.B. die permanente Überwachung durch Wärter/innen geringer ist, als sonst üblich. Zu denken wäre an einen Sexualmörder, der in den 90’ern in Bayern ein Kind missbrauchte und dann in einen Fluss warf, wo es ertrank. Er wurde nach Hamburg verlegt und durfte dort dann als „Kirchenreiniger“ arbeiten. Hintergrund für diese Zuteilungspraxis dürfte sein, dass die vielfach der Mittelschicht entstammenden Sexualtäter wenig Schwierigkeiten haben die Anstaltsordnung zu verinnerlichen. Gerade weil sie mitunter Ablehnung durch andere Gefangene erfahren, können sich die Bediensteten sicher sein, dass jeglicher „Verstoß“ gegen irgendwelche Regeln sofort von diesen „Vertrauensgefangenen“ zur Meldung gebracht werden wird.
Diese Bevorzugung für eigentlich recht beliebte Arbeitsplätze trägt dann weiter zu einer Distanzierung von dem Personenkreis der Sexualtäter bei.


Reaktion der Inhaftierten


Meist wird hinter dem Rücken von Sexualtätern über diese gelästert. Offen feindseliges Verhalten ist die Ausnahme und nicht die Regel. Körperliche Attacken, zumindest in Bruchsal, sind die absolute Ausnahme.
In den Vollzug integrierte Sexualtäter beobachtet man gelegentlich dabei, wie sie selbst über andere Sexualtäter abfällig herziehen; die selbst begangene Vergewaltigung sei doch „nicht so schlimm“ wie das, was „dieser Pädophile da“ getan habe.

Immer noch wird die Diskussion unter den Gefangenen davon beherrscht, dass es „den Sextätern“ doch viel zu gut gehe und sie sogar mit früherer Entlassung rechnen dürften als Täter anderer Deliktgruppen.

Zumindest dies dürfte heute nicht mehr der Rechtswirklichkeit entsprechen. Früher, vor 20 und mehr Jahren, mag es so gewesen sein, dass durch das in aller Regel angepasste, bis überangepasste Vollzugsverhalten gerade die der Mittelschicht entstammenden Sexualtäter „bevorzugt“ wurden, wenn es um die Frage einer vorzeitigen Entlassung ging. Denn ihr angepasstes Vollzugsverhalten führte zu besonders wohlwollenden Beurteilungen seitens der Vollzugsanstalten. Heute jedoch wird von Gerichten wie von Gutachtern beanstandungsfreies Vollzugsverhalten nicht mehr so hoch bewertet.

Im Vollzugsalltag jeden Kontakt mit Sexualtätern zu vermeiden ist faktisch nicht möglich. Zumal in bestimmten Zusammenhängen, in Bruchsal: in der „Behandlungsabteilung“ (dort wird mit den Inhaftierten therapeutisch gearbeitet), sogar eine konkrete Beschäftigung und Kommunikation mit diesem Täterkreis gefordert wird. Wer sich dem widersetzt, gilt dann als nicht „therapiewillig“. Seitens der Anstaltspsychologen wird argumentiert, dass die Zusammenarbeit und Kommunikation von Nicht-Sexualtätern mit Sexualtätern wichtig sei für die Resozialisierung, auch um die Toleranz gegenüber Mitmenschen zu testen oder auszubauen. Dabei wird, dies nur nebenbei, verkannt, dass sich unter den Nicht-Sexualtätern ein nicht unwesentlicher Anteil von Inhaftierten befindet, der selbst als Kind missbraucht wurde. Diesen abzuverlangen, sich aktiv mit Missbrauchern zu beschäftigen, mit diesen gemeinsam zu essen, Spiele zu spielen und vieles mehr, strapaziert deren Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit sich selbst nachhaltig.


Zusammenfassung


Zumindest für die JVA Bruchsal kann festgestellt werden, dass Sexualtäter eigentlich fast jeder Coleur dort einsitzen und körperliche Übergriffe nicht fürchten müssen. Gelegentlich sind sie psychischem Druck ausgesetzt, der jedoch eher als gering einzuschätzen sein dürfte, da offene Feindseligkeit eine Ausnahme bleibt. Die Vollzugsanstalt und deren Personal reagiert selbst auf einfache Nachfrage bei Sexualtätern nach deren Deliktstruktur nachdrücklich und kündigt einschneidende Maßnahmen an, würde man diesen oder jenen Sexualdelinquenten weiter behelligen. Intern mögen die meisten Sexualtäter in der Tat wenig gelitten sein, mit den Jahren und je nach Persönlichkeitsstruktur gelingt es jedoch durchaus einigen, sich ein vollzugsinternes Beziehungsgeflecht aufzubauen, selbst wenn dieses dann mitunter primär aus anderen Missbrauchern bestehen sollte.



Thomas Meyer-Falk, c/o. JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32
D-76646 Bruchsal
 http://www.freedom-for-thomas.de
 http://freedomforthomas.wordpress.com
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Ergänzungen

@karl h. vergewaltigungsmythen

konsens ist sexy 09.09.2011 - 13:42
„Vergewaltiger sind psychisch krank oder sexuell gestört.“
Nein. Sexualisierte Gewalt ist Normalität, dabei sind ca. doppelt so viele Frauen* wie Männer* betroffen. Täter denken einer Studie zu Folge, sexualisierte Gewalt sei normal und andere Täter könnten dies nur besser vertuschen. 90% aller Sexualstraftäter weisen keine psychopathologischen Auffälligkeiten auf.
„Der Täter ist ein Triebtäter, er konnte seinen Sexualtrieb einfach nicht mehr beherrschen.“
Nein. Es gibt weder eine physische noch eine biologische Ursache, die dazu führt, dass der Sexualtrieb von Männern* jenseits eines bestimmten Punktes nicht mehr beherrschbar wird.
siehe weiter dazu: slutwalkhamburg.blogsport.de
Ich schreibe hier von Tätern in der männlichen Form, weil Studien zufolge die Täter zu 98% männlich* sind. Das soll weder verschleiern, dass es auch Täter_innen gibt, noch den Eindruck erwecken, es gebe nur diese beiden Geschlechter. Ich möchte damit lediglich eine gesellschaftliche Realität abbilden

Naja

Jok 10.09.2011 - 15:14
...ich würde aber aufpassen, die Beobachtungen zu Generalisieren. Ein guter Freund von mir saß diverse Zeit in unterschiedlichen Knästen in Norddeutschland, z.B. Celle, Braunschweig und Lingen. Er hat berichtet, dass die Menschen wegen Sexualdelikten in der Tat ganz unten in der Hierachie standen und sehr stark von allen gemobbt wurden. Besonders diejenigen wegen Kindesmissbrauch.

Hierbei ist auch ein bißchen kniffelig, dass das Thema ziemlich tabusiert wird. Viele Leute, die wegen solcher Verbrechen in Knast oder in Therapie sind berichten, dass sie im Vorfeld von ihren potenziellen Taten gewusst haben und diese auch gerne verhindert hätten, jedoch gäbe es keine halbwegs vertraute Anlaufstelle, an die sie sich hätten wenden können. In wie weit das stimmt, kann ich nicht beurteilen. Allerdings ist es ja eigentlich immer so, dass für die Bekämpfung von Verbrechen viel Geld zur Verfügung steht, für die präventive Verhinderung wenig. Auch finanzielle Mittel für Antisexismusprojekte wären sicherlich hierfür richtig investiert.
Ich will die Täter echt nicht in Schutz nehmen und kenne mich mit dem Thema auch gar nicht genug aus, um hier eine fundierte Meinung präsentieren zu können. Ich wollte das nur mal als Info einstreuen, ihr könnt ja dann selbst nachrecherchieren und euch eine Meinung bilden.

@ konsens ist sexy

quellen sind sexy 14.09.2011 - 19:01
"Ich schreibe hier von Tätern in der männlichen Form, weil Studien zufolge die Täter zu 98% männlich* sind."

Wenn du Studien anführst, solltest du die auch angeben. 98 % dürfte eher der prozentuale Männeranteil bei verurteilten Straftätern sein. Die Dunkelziffer ist aber sehr hoch. Seriöse Opferschutzorganisationen wie Zartbitter gehen aber von 20-25 % weiblichen Täterinnen aus (bei Kindesmissbrauch).

 http://www.zartbitter.de/gegen_sexuellen_missbrauch/Muetter_Vaeter/2032_warum_sexueller_missbrauch_durch_maenner.php

"90% aller Sexualstraftäter weisen keine psychopathologischen Auffälligkeiten auf. "

Vielleicht stimmt das ja, keine Ahnung, aber wo kommt die Zahl her?

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 8 Kommentare an

Na und? — lkj

der beste artikel, — feststeller

@lkj — sebastian wurster

Krankheit — Karl H.

merci — das

Interessant — Matze

Täter unter Tätern — Heinz Susal