Interview mit der Initiative »Pogrom 91«

addn.me 07.09.2011 11:40 Themen: Antifa Antirassismus Blogwire
Vor 20 Jahren wütete der deutsche Mob in Hoyerswerda. Über mehrere Tage zogen Teile der Hoyerswerdaer Bevölkerung vor die Behelfswohnungen der Asylsuchenden und griffen Personen und Wohnhäuser an. Dabei konnten sie sich nicht nur einem großen Rückhalt in der Bevölkerung sicher sein, auch die Polizei tat wenig, um die Angriffe zu verhindern. So konnten mehrere Molotow Cocktails in die Wohnhäuser geworfen und Jagd auf Menschen nichtdeutscher Herkunft gemacht werden. Dieses dunkle Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte will die Initiative "Pogrom91" nicht einfach abschließen, sondern an die Taten kurz nach der Wiedervereinigung erinnern und Betroffene zu Wort kommen lassen. Auf der Website der Initiative finden sich zahlreiche Artikel und Hintergrundinformationen zu den Ausschreitungen. Am 17. September, dem ersten Tag der Pogrome, ruft die Initiative zu einer Gedenkdemonstration in Hoyerswerda auf.
Wir haben mit der Initiative "Pogrom 91" ein Interview geführt. Wir fragten nach, was ihre Motivation und wie die Situation in Hoyerswerda 20 Jahre nach den rassistischen Ausschreitungen ist.

Wer seid ihr und warum eine Initiative 20 Jahre nach den rassistischen Pogromen?

Wir sind ein Bündnis verschiedener HoyerswerdaerInnen - die meisten von uns haben die Stadt allerdings inzwischen verlassen. Wir haben uns gegründet, weil die Ereignisse vom September 1991 in Hoyerswerda mehr und mehr in Vergessenheit geraten. Mit einer Vortragsreihe, einem Aufruftext und einer Gedenkdemonstration wollen wir diesem Vergessen etwas entgegensetzen. Vor fünf Jahren, zum 15. Jahrestag des rassistischen Pogroms, gab es eine antirassistische Demonstration in Hoyerswerda, die von Antifa-Gruppen organisiert wurde. Die Stadt dagegen errichtete auf einer eigenen Gedenkveranstaltung eine Stele, auf welcher an die Ereignisse von 1991 als "extremistische Ausschreitungen" erinnert wurde. Unserer Meinung nach ist das jedoch eine falsche Einordnung, welche die Schuld abwehren und die Ereignisse relativieren soll. 1991 wütete ein Mob von Nazis und auch BürgerInnen aus Hoyerswerda. Der einzig richtige Begriff, welcher die Angriffe auf die Wohnheime von Asylsuchenden und VertragsarbeiterInnen passend beschreibt, ist für uns die Bezeichnung als rassistischer Pogrom.

Wie ist die Situation heute in Hoyerswerda?

Nicht nur unsere Initiative befasst sich mit dem 20. Jahrestag der Ereignisse von Hoyerswerda. Die RAA Hoyerswerda und die Kulturfabrik organisierte ein langfristiges Schulprojekt zur Aufarbeitung der Geschehnisse. Die Stadt veranstaltet in Zusammenarbeit mit dem Landkreis Bautzen eine "Interkulturelle Woche", in der 1991 allerdings nicht konkret thematisiert wird: wir kritisieren diese Veranstaltung als reine Imagepflege. Eine Ausstellung zu den konkreten Ereignissen, die in Räumen der Stadt organisiert wird, sehen wir allerdings als einen Schritt in die richtige Richtung. Wir sehen es als eine Leistung der bereits erwähnten Antifa-Kampagne zum 15. Jahrestag des rassistischen Pogroms, dass das Thema überhaupt wieder in Hoyerswerda aufgegriffen wird. Jahrelang wurde sich überhaupt nicht damit beschäftigt. In der Chronik auf der Internetseite der Stadt findet sich zum September 1991 ein einziger Satz. Das macht deutlich, dass es wichtig ist, auch zum 20. Jahrestag weiterhin das Thema aufzugreifen - dass Veränderungen möglich sind, zeigt die Ausstellung, die von der Stadt organisiert wird.

Was für ein Ziel habt ihr euch gesetzt?

Es fehlt bis heute ein Ort, der auch dauerhaft an den September 1991 erinnert und ein Vergessen unmöglich macht. Wir fordern deshalb ein Mahnmal, welches in der Stadt an die Geschehnisse erinnert - und zwar als das, was sie waren: ein rassistischer Pogrom, an dem BürgerInnen von Hoyerswerda maßgeblich beteiligt waren. Schließlich hat auch erst die offene Sympathie für die TäterInnen und das akzeptierende Stillschweigen großer Teile der Hoyerswerdaer Bevölkerung die Ereignisse überhaupt ermöglicht.

Steht ihr in Kontakt mit der Stadt? Wie reagiert diese auf eine solche kritische Geschichtsaufarbeitung?

Wir haben einen offenen Brief an den Oberbürgermeister der Stadt geschrieben, in dem wir auf unsere Forderung nach einem Denkmal aufmerksam machten. Auch die Presse wurde darüber informiert. Der Brief kann auf unserer Internetseite nachgelesen werden. Auf unserer Gedenkdemonstration, die am 17. September um 14 Uhr am Bahnhof Hoyerswerda beginnt, werden wir einen Entwurf für ein solches Denkmal bereits zur Probe in der Stadt aufstellen.

Youtube Video zu den Pogromen von 1991: Ausschnitt aus der Reportage "Nach Hitler-Radikale Rechte rüsten auf"
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Ergänzungen

Andere Gedenkveranstaltung

fsdfd 07.09.2011 - 17:11
Am 24. September findet in Saarlouis eine Gedenkdemontration, anlässlich des 20. Todestages von Samuel Yeboah statt. Yeboah kam bei einem rassistischen Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim im saarländischen Saarlouis, ums Leben und gilt als eines der ersten rechten Mordopfer in Westdeutschland nach der Wende.

 http://antinationale.org/?p=1967

Solidarische Grüße in den Norden!

Hoyerswerda schon vergessen!

Kein Vergessen! Kein Vergeben! 07.09.2011 - 20:45
Im September 1991 fand in Deutschland das erste rassistische Pogrom nach 1945 statt. Tagelang terrorisierte ein Mob aus Neonazis und Bürger_innen Flüchtlinge und Vertragarbeiter_innen. Menschen wurden schwer verletzt und durch die Straßen gehetzt, weil sie nicht in das Weltbild der Angreifenden passten. Dies führte schließlich zu einer „ausländerfreien“ Stadt.

In der Veranstaltung soll es um die Hintergründe dieser Taten gehen. Es geht vor allem um die Vorbereitungen in Hoyerswerda von Bürger_innen und Neonazis vor dem Pogrom und die rassistische Kampagne von CDU/CSU, um ihr Ziel der faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl durchzusetzen. Außerdem geht es um die nationalistische Stimmung in der Bevölkerung , verursacht durch die Wiedervereinigung, sowie die Rolle von Massenmedien, die mit dazu beitrugen, die Schuldigen für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme bei Armen und Rechtlosen zu suchen und nicht bei der Regierung und den Wirtschaftsbossen.

Diese Zeitzeugenveranstaltung soll der offiziellen Einheitsfeierei etwas entgegensetzen und Opfern rechter Gewalt und dem Widerstand dagegen eine Stimme geben.

 http://breakthesilence.blogsport.de


Auf Nazitrolle antworten wir nicht! Wir reden nicht mit Neonazis, Provokateuren, Spitzeln und bezahlen Stimmungsmachern!


Ausstellung in HoyWoj ist IMAGEPFLEGE!

typisch CDU Geschichtsdarstellung! 08.09.2011 - 11:03
Zitat aus dem Interview:
"Eine Ausstellung zu den konkreten Ereignissen, die in Räumen der Stadt organisiert wird, sehen wir allerdings als einen Schritt in die richtige Richtung. (...) Das macht deutlich, dass es wichtig ist, auch zum 20. Jahrestag weiterhin das Thema aufzugreifen - dass Veränderungen möglich sind, zeigt die Ausstellung, die von der Stadt organisiert wird."

Diese Ausstellung, die heute eröffnet wird, ist eine skandalöse Imagepgflege der Stadt!!! Die CDU-Leiterin des Eigenbetriebs Kultur Carmen Lötsch hat vor einer Woche die engagierte Historikerin, die diese Ausstellung werturteilsfrei und im Sinne einer vorbehaltlosen Aufklärung ausarbeitete gefeuert! Eine geschichtlich einwandfreie Darstellung der Täter- und Opferperspektive schade dem Ansehen der Stadt.
Lötsch geht es darum - so im MDR-Interview - das Ansehen der Stadt wieder "gerade zu rücken."
Damit schadet Lötsch selbst am meisten dem Ansehen ihrer Stadt! Aus einem Schritt nach vorn wurde einer zurück.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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@ egal — RedZack

@RedZack — Sebastian Wurster

@Wurster — Fleischesser

@ Wurster — RedZack

Titel — Heiner

genervt — klugscheisserin

Viel mehr genervter — @Klugscheisserin

@Hainer — Kunde