[B]: 6000 bei Mietenstopp-Demonstration

mieter 05.09.2011 14:32 Themen: Freiräume Soziale Kämpfe
6000 Menschen demonstrierten am Samstag, 3.9. gegen steigenden Mieten, Armut und Verdrängung. Stadtteilinitiativen und unterstützende Gruppen aus vielen Berliner Bezirken hatten zu der Demonstration aufgerufen. Unter an­de­rem nah­men Kie­zin­itia­ti­ven mit ihren Schil­dern aus Kreuz­berg, Neu­kölln, Alt-​Trep­tow, Mitte, Zeh­len­dorf und Wed­ding teil. Die Demonstrierenden kamen aus vielen unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus.

Verlauf

Die Demonstration startete am Hermannplatz/Neukölln. Dort wurde an einem Haus ein Plakat mit der Aufschrift "Hohe Mieten sind so gar nicht Punkrock" entrollte, Fahnen geschwenkt und Bengalos gezündet.
Die Demonstration zog dann am Haus an der Ecke Fulda/Weichselstraße vorbei, desen Bewohner_innen sich gemeinsam gegen ihre Luxusmodernisierung wehren. Die Polizei verwehrte den Anwohner_innen Plakate aufzuhängen. In Alt-Treptow versammelten sich vor einem Haus mit Eigentumswohnungen Mittelschichtler_innen, die sich mit der neuen Mieter_innen-Bewegung offensichtlich nicht so richtig anfreunden konnten. Die Polizei bewachte im weiteren Verlauf ein Baugruppenprojekt und in der Reichenberger Straße die vielgehassten Carlofts. Dort standen sie sogar mit Hunden. Trotzdem kam es in der Reichenberger Straße zu einem Angriff auf ein Luxusprojekt mit Farbe.
Dominierend in der Demonstration war aber die Breite der Demonstrierenden. Die Rentnerin aus Zehlendort war genauso dabei, wie die Familie aus Kreuzberg oder der Autonome aus Friedrichshain. Viele Menschen hatten sich Schilder gebastelt um ihre persönliche Betroffenheit zu bekunden. Viele Kieze hatten eigene Vorabendtreffpunkte ausgemacht und stießen dann an unterschiedlichen Stelle zur Demo, u.a. 80 Radler_innen aus Mitte oder am Kotti 50 Anwohner_innen.
Da für die Demonstration über die normale "Demoszene" hinaus mobilisiert werden konnte, waren viele Menschen mitdabei, welche nicht häufig an solchen Veranstaltungen teilnehmen. Die Lautstärke der Demo war deswegen relativ begrenzt. Die Demonstration endete am Oranienplatz, wo noch einige Mieter_innen das offene Mikrophon nutzten und Musik dargeboten wurde. Einige campten auf dem Platz, aber der Oranienplatz/Kreuzberg wurde vorerst noch nicht zum neuen Tahrir Platz...

Die Botschaft

Parteien und ihre Symbole waren auf der Demonstration ausdrücklich nicht gewünscht. Zwei Wochen vor der Wahl in Berlin, sollte so eine Instrumentalisierung verhindert werden. Die herrschende Politik und der Staat denken nicht daran, die Interessen der Menschen durchzusetzen, sondern sorgen sich um den reibungslosen Ablauf der Kapitalverwertung. Deswegen ist es auch egal, ob eine Partei gewählt wird, die sich ohnmächtig gibt, wie die Berliner SPD und steigende Mieten als Naturgesetz erklärt. Oder ob eine Partei gewählt wird, die populistisch Änderungen der bestehenden Politik verspricht, aber in der alltäglichen Arbeit sich doch lieber der neoliberalen Transformation der Stadt widmet, wie die Berliner Linkspartei.
Die Konsquenz kann nur sein, sich selbst abseits staatlicher Strukturen zu organisieren und die eigenen Interessen selbst in die Hand zu nehmen, sprich autonom und emanzipatorisch zu handeln. Politische Tätigkeit geschieht immer mit anderen zusammen und bei der Mieter_innen-Bewegung kommen hier sehr unterschiedliche Menschen zusammen, welche aber die gemeinsame Absage an die Parteien und der Versuch der Selbstorganisation eint. Die Demonstration hat es somit auch geschafft diese unterschiedlichen Gruppen zusammenzuführen und noch viel mehr Menschen auf die Straße zu mobilisieren.
Die Auswirkungen auf den Berliner Wahlkampf waren somit nicht das vorrangige Ziel. Die bürgerliche Presse berichtete weitgehend wohlwollend über die Demonstration. Die Boulevardzeitung Berliner Kurier hat die "Wut Mieter" auf seinem Titelbild, die Springerpresse erklärt Mieten zum zentralen Wahlkampfthema, die Berliner Zeitung meint, dass der Widerstand stärker wird und die junge welt spricht von der größten Mieterdemo seid zwanzig Jahren.Die Parteien versuchen nun selbstredend, das Thema nicht aus der Hand zu geben und versprechen zu handeln. Der Druck von der Straße kann nicht länger ignoriert werden. Die ein oder andere Reform, die die nächste Koalition verabschiedet wird, wird die steigenden Mieten in der kapitalistischen Stadt sicherlich nicht stoppen können. Trotzdem ist es ein Erfolg, wenn sich Diskurse oder Kräfteverhältnissen verschieben.
Am 18. September, dem Wahltag findet der Aktionstag "Berlin von unten" statt. Ein weiterer Tag, wo gezeigt werden kann, dass für uns politisch tätig zu sein nicht bedeutet Parteien zu wählen oder dem Staat in den Arsch zu kriechen, sondern selber in gesellschaftliche Prozesse einzugreifen. Schon einen Tag nach der Demonstration kam es in Berlin zu einer Besetzung. Die Bild schreibt hierbei pathetisch von einem Krieg um besetztes Haus, während der Tagesspiegel ännähernd inhaltlich berichtet.
Die Bewegung gegen die kapitalistische Stadt ist ein hoffnungsfrohes Zeichen einer linksradikalen Intervention mit gesellschaftlicher Relevanz und politischer Brisanz.


Mehr zur Demonstration: Mietenstopp-Seite.
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Ergänzungen

bilder

--- 05.09.2011 - 15:39

Wir sind nicht eure Altersvorsorge!

FuldaWeichsel 05.09.2011 - 18:18
Hier die zwei Redebeiträge zur FuldaWeichsel
mehr info:  http://fuldaweichsel.wordpress.com/


Wir sind traurig und wütend!

Von der Geschäftsführung der Grundstücksgemeinschaft Weichselplatz werden wir bedrängt, schikaniert, kriminalisiert und verklagt! Es wurde auch versucht, Mieterinnen vertraglich mundtot zu machen. Wir lassen uns aber nicht die freie Meinungsäußerung verbieten und schon gar nicht von Gentrifizierern!

Was ist eigentlich los?
Je größer die Wohnungsnot, desto voller die Taschen der Haus- und Grundbesitzer. Sie sind im Gegensatz zu den Mietern straff organisiert. Sie haben es bisher immer geschafft ihre mieterfeindlichen Gesetze – heutzutage ganz ökologisch – im Parlament und mit den Gerichten durchzuboxen. Billiger Wohnraum wird vorsätzlich verknappt und die Mieterinnen werden praktisch gezwungen die viel zu teuren Wohnungen zu mieten. Durch das Zusammenwirken der Welt des Geldes und der Bürokratie wird verhindert, dass ein ausreichendes Angebot an billigem Wohnraum entsteht. Der Mensch, der keine Wohnung findet oder sich keine gute mehr leisten kann, soll die Schuld bei sich selber suchen. Er sei zu arm, hätte den falschen Beruf, den falschen Familienstand, das falsche Geschlecht oder die falsche Hautfarbe. Es sei sein Pech, dass er sich in der Konkurrenz Aller gegen Alle nicht durchsetzen kann.

Und was können wir machen?
Wir Mieterinnen vom Weichselplatz und aus der Fuldastraße haben erste Schritte gemacht und gelernt uns gegenseitig zu verstehen, uns zu achten und zu uns helfen. Wir haben bescheiden, aber beharrlich die Ohnmacht und das Gefühl alleine und hilflos zu sein durchbrochen. Uns wurde der Kampf aufgezwungen. Heute, bei dieser Demo können wir aber sagen, wir kämpfen mit den anderen Mieterinnen dieser Stadt zusammen. Wir wollen ein Berlin, das nicht von Egoismus und Geld, sondern von den Bedürfnissen und dem Respekt der Bewohnerinnen füreinander geprägt ist. Wir haben gelernt, dass es lange dauert. Hier im Haus schon über ein Jahr.

Aber, wir werden uns die Butter nicht vom Brot nehmen lassen.
Wir fordern Euch und uns auf, lernt zu kämpfen, lernt zu siegen!

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Wie bereits viele mittlerweile, fürchten wir um eine Grundlage unserer Existenz: unser Dach über dem Kopf.
Wir haben Angst unser Zuhause zu verlieren, wir möchten hier bleiben in unserem Haus, in unserem Kiez. Denn hier fühlen wir uns zu hause, einige möchten hier ihre Kinder großziehen, andere möchten hier alt werden... Wir wollen nicht in die Außenbezirke ziehen, weil wir uns woanders keine Wohnung mehr leisten können und wir möchten unsere Nachbarn behalten. Wir wollen auch nicht nur neue Nachbarn, die sich 9€/m² leisten können und unsere Lebensrealitäten nicht mehr verstehen. Wir haben auch noch mehr zu tun, als uns um unsere Miete zu kümmern. Wir lassen uns unser Lebensumfeld nicht einfach so zerstören!

Und sowieso: alle brauchen ein Dach über dem Kopf! Wenn die Wahl des Wohnortes oder sogar das Wohnen selbst nur noch abhängig ist vom Geldbeutel, wo bleibe Ich da, wo meine Familie, wo meine Nachbarin? Wir sind keine kalkulierbaren Dinge, kein Spielball derer, die es sich leisten können! Wir können selbstbestimmt handeln, und wir werden uns zusammentun im Haus, im Kiez und mit denen, die den sozialen Angriffen auf unser Leben etwas entgegensetzen wollen. Unsere Antwort ist ein gemeinsames Vorgehen, weil wir wollen ein solidarisches Miteinander statt soziale Kälte.

Wir sind nicht eure Altersvorsorge!
wir bleiben alle!

Redebeitrag zu den Protesten in Israel

zzzzzz 05.09.2011 - 21:58
Dieser Redebeitrag wurde von zwei israelische Aktivist_innen am Ende der Demo von der Buehne vorgelesen

Hallo

Wie ihr vielleicht gehört habt, trotz der weniger internationalen medialen Aufmerksamkeit, ist in Israel in den letzten sechs Wochen die grössten Sozialprotesten in der Geschichte des Landes ausgebrochen. Was als eine kleine Initiative einiger Studenten aus Tel Aviv gegen steigende Miete angefange hat, hat sich innerhalb zwei Wochen im ganzen Lande zu einer Massenbewegung gegen die neo-liberale Politik entwickelt. Mehr als 100 Zeltstädte wurden vom Norden bis zum Sueden errichtet, in denen die Anwohner_innen sich täglich versammeln und Protestaktion organisieren und durchführen. An der grössten Demonstration unter der Slogan "Das Volk fordert soziale Gerechtigkeit" nahmen mehr als 400,000 Menschen teil, was in Deutschland vergliechbar im Verhältnis zu der Gesamtbevölkerung ein Demonstration mit 4 Millionen Menschen wäre. Für heute Abend ist wieder eine Massendemonstration geplant unter dem Titel "Die eine Million Demonstration".

Zum ersten Mal in Israel, gehen Hunderttausende Bürger auf die Strassen für soziale Gerechtigkeit, eine Thema die immer durch die Sicherheitsdiskurs und die Kriegspolitik der Regierung zum Schweigen gebracht wurde. Die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit ermöglicht eine Verbindung zwischen den unterschiedlichen Communities in der israelischen Geselschaft die von der extremen neo-liberalen Politik aller israelischen Regierungen gelitten haben. Student_innen, Arbeiter_innen, Jud_innen mit europaeischer oder arabischer Hintergrund, palaestinensische Israelis, migrantische Arbeiter_innen und Fluechtlinge, Schwulen, Lesben und Trans*personen, Religiouse und Sekulaere, alle diese Personen, trotz ihrer unterschiedlichen Betroffenheit von der oekonomischen Situation, bilden zusammen diese Bewegung die eine radikale Änderung des Systems fordert.

Vom Neo-liberalismus sind alle betroffen aber es gibt auch diejenige, die viel stärker betoffen sind. Die kapitalistische Repression wirkt an die verschieden Gruppen unterschiedlich und basiert sich auf die rassistische Hirarchie in Israel. Es ist nicht überraschend dass in den niedrigen Positioenn dieser neo-liberalen Geselschaftstruktur sich die palaestinensische Israelis befinden, die systamtisch und institutionalisert in allen ihren Lebensbereichen diskriminiert werden und die arabische Juden, die seit der Staatsgruendung als Bürger
zweiter Klasse marginalisiert werden, dazu müssen auch gezählt werden, die Fluechtlinge und Arbeitsmigrant_innen, denen auch die grundlegenden Buergerrechten verwehrt werden und vor allem die Palaestinenser_innen in Westjordanienland und Gaza-Streifen, die seit 44 Jahren unter brutalen militaerischen Besatzung leben und sterben.

Eine Bewegung, die sich beansprucht, die geselschaftliche Ordnung ändern zu wollen, muss diese unterschiedlichen Unterdrueckungsmechanismen beruecksichtigen und bekaempfen. Deswegen sehen wir die Verbindung zwischen den marginalisierten Gruppen durch einen gemeinsamen und solidarischen Widerstand als die Voraussetzung für eine wirkliche Veränderung. Wir sind noch im Anfang dieser Protestwelle und hoffen dass der Verusch, der schon angefangen hat, die verschiedenen Kämpfe zusammenzubringen, erfolgt.

Auch hier in Berlin wissen wir dass die Gentrifizierung bestimmte Communities mehr als die anderen bedroht. Ein Kampf gegen steigende Miete muss sich auch klar gegen die rassistische Ausgrenzung und Diskriminierung richten und gemeinsam mit allen Communities in Berlin zusammenarbeiten. Der Kampf gegen Rassismus und Kapitalismus ist untrennbar! Nur zusammen sind wir stark!

Von hier aus schicken wir unsere solidarische Grüße an alle Demonstranten heute in Israel und wünschen uns dass auch hier in Berlin, der Widerstand gegen die Wohnpolitik sich zu einem sozialen Aufstand ausbreitet. .

Kreuzberg, Levinsky Ota Mahapecha
Jaffa, Neukoelln , die gleiche Revolution.

Wie weiter nach der Mieterdemo?

leserin 06.09.2011 - 00:01

Radio Interview zur Demo

.... 07.09.2011 - 12:13
Hier gibt es auch noch ein Radio Interview von Radio Dreyeckland zur Demo. In dem Interview berichtet ein Mitglied der Pressegruppe u.a. von der Demo, dem aktuellen Wahlkampf in Berlin und setzt diese Demo in Beziehung zu anderen Initiativen wie "Recht auf Stadt", an der er auch Kritik äußert:

 http://www.rdl.de/index.php?option=com_content&view=article&id=14313:quotdamitnochwaszumlebenbleibtjetztreichtsgegenmieterhoehungverdraengungundarmutquot6000demonstriereninberlin&catid=26:punkt12

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke die folgenden 3 Kommentare

Dämliches Transparent

Sid Vicious 05.09.2011 - 15:46
Was bitte schön für ein dämliches Transparent ist dieses "Hohe Mieten sind so gar nicht Punk-Rock"? Was sind sie dann Disco?
Wenn schon Punk-Slogans zu dem Thema, wie wär´s dann vielleicht mit "Lets lynch the landlord"?

Zitat

ik 05.09.2011 - 16:22
"Der Druck von der Straße kann nicht länger ignoriert werden." Kann man einer ne liste machen, wann der "Druck" mal was gebracht hat!? hach...

Also wir fanden das Transpi super!

Gruß aus HH 05.09.2011 - 17:04
eben irgendwie Punkrock = )