RevolutionärInnen bei Wahlen in Argentinien

Wladek Flakin 29.08.2011 13:55 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Bei den Vorwahlen stimmten 520000 Menschen für die revolutionäre Linke. Ein Gespräch mit Cristian Castillo, Dozent für Soziologie an der Universität von Buenos Aires, Führungsmitglied der Partei sozialistischer Arbeiter (PTS) und Vizepräsidentschaftskandidat der Front der Linken und der Arbeiter in Argentinien
Vor einer Woche gab es Vorwahlen in Argentinien. Doch dabei ging es nicht darum, die KandidatInnen der einzelnen Parteien zu bestimmen, wie zum Beispiel in den USA. Was war also der Sinn der Übung?

Das neue Wahlgesetz schreibt ein solches Procedere vor. Alle WählerInnen zusammen müssen die KandidatInnen jeder politischen Kraft bestimmen, die antreten will. Wie bei normalen Wahlen gibt es eine Teilnahmepflicht. Dieses Gesetz, das wir als antidemokratisch abgelehnt haben, sieht auch eine Sperrklausel vor: Damit sich eine Partei oder ein Bündnis an den eigentlichen Wahlen beteiligen kann, muss sie oder es in der Vorwahl 1,5 Prozent oder etwa 400.000 Stimmen bekommen. Eine solche Regel gibt es nur in Argentinien, nirgendwo sonst. Wir lehnen sie ab, weil sie (in erster Linie linke) Parteien ausschließt und damit ein Zwei-Parteien-System von Peronismus und Radikalismus stärken soll.

Die Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner bekam mehr als 50 Prozent der Stimmen – ihr nächster Konkurrent gerade mal zwölf. Wie kam es zu diesem für Argentinien beinahe historischen Ergebnis?

Der wichtigste Faktor ist, dass das Land von der wirtschaftlichen Konjunktur profitiert – in erster Linie durch den Export von Rohstoffen. Und das mitten in der großen internationalen Krise des Kapitalismus. Das erlaubt der Präsidentin, sich als Garant der Regierungsfähigkeit darzustellen und auch Zugeständnisse an die Massenbewegung zu machen.

Die Stimmen, die sie von ArbeiterInnen bekam, war auf der Grundlage der Hoffnung, die Errungenschaften der letzten Jahre gegen KandidatInnen der bürgerlichen Opposition mit einem noch unternehmerfreundlicheren Diskurs zu verteidigen. Dies vor dem Hintergrund, dass die argentinische KapitalistInnenklasse fabelhafte Gewinne macht. Zwischen Oktober 2010 und jetzt hat die Regierung, die mit dem Versprechen antrat, sozialen Protest nicht zu unterdrücken, die direkte oder indirekte Verantwortung für den Tod von 14 Menschen im Rahmen von sozialen Kämpfen oder Demonstrationen.

Was waren die zentralen Programmpunkte der Front der Linken und Arbeiter (FIT), die gegen Kirchner antrat?

Die FIT ist ein Bündnis zwischen der Partei Sozialistischer Arbeiter (PTS), der ich angehöre, der Arbeiterpartei (PO) und der Sozialistischen Linken (IS). Es hat die gemeinsame Kandidatur der antikapitalistischen Linken organisiert, mit Präsenz in fast allen Provinzen. In unserer Kampagne haben wir zunächst das neue Wahlgesetz abgelehnt und zugleich 22 Forderungen präsentiert. Wir verlangen z.B. einen Mindestlohn, der die Grundbedürfnisse einer Familie abdeckt, oder das Ende der Leiharbeit und jeder Art von prekären Arbeitsverhältnissen. Ferner sprechen wir uns dafür aus, dass Abgeordnete nicht mehr als Lehrer verdienen sollten und dass Ölvorkommen, Bergwerke und Banken unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht werden. Das gilt auch für das Land der 4.000 GroßgrundbesitzerInnen – die Hälfte der kultivierten Fläche Argentiniens.

Ihr Bündnis hat 520.000 Stimmen bekommen, das sind 2,5 Prozent. Die bürgerliche Presse spricht von einem "Wunder". Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Die revolutionäre Linke hat schon bei früheren Wahlen viel Zuspruch erhalten, aber immer mit unterschiedlichen Listen. 2009 zum Beispiel gab es 400.000 Stimmen für zwei verschiedene Listen. Darüber hinaus hatten wir gute Ergebnisse bei den Provinzwahlen, die kurz vor den nationalen stattfanden, und wir konnten auch Abgeordnete in die Parlamente der Provinzen Neuquén und Córdoba schicken. Unsere Spitzenkandidaten waren in Neuquén Arbeiter der Fabrik Zanon, die seit zehn Jahren unter der Kontrolle der Belegschaft verwaltet wird. Vier ArbeiterInnen – zwei von Zanon, eine Lehrerin und eine vom öffentlichen Dienst – werden abwechselnd den Sitz besetzen, und sie werden den gleichen Lohn wie auf ihrer Arbeit bekommen, der Rest geht an einen Solidaritätsfonds für Arbeitskämpfe.

Im Endeffekt war es kein "Wunder", sondern eine kreative und dynamische Kampagne, die sich auch die kostenlose Sendezeit im Fernsehen zunutze machte – die einzig positive Regelung in dem neuen Wahlgesetz. Ein Teil der Bevölkerung hat uns sicherlich gewählt, um das Recht der Linken auf Teilnahme an der Wahl zu verteidigen. Mehr Bedeutung hat aber das große Ansehen, das wir bei den wichtigsten Arbeitskämpfen der letzten Zeit gewonnen haben, zum Beispiel in der Kraft-Fabrik oder in der U-Bahn von Buenos Aires.

Das sind 520.000 Stimmen dafür, dass die Kämpfe der ArbeiterInnen Erfolg haben. Sie unterstreichen unsere Forderung, dass die KapitalistInnen die Kosten der gegenwärtigen Krise tragen.

Interview: Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO), sympathisierende Sektion der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale (TF-VI) und Schwesterorganisation der PTS

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Pressemitteilung der PTS (auf Deutsch)

Eine kürzere Version des Interviews erschien in der jungen Welt vom 25. August
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Ergänzungen

Mehr bei amerika21.de

verlinka 01.09.2011 - 15:10
Mehr zu Argentinien gibt es auch bei amerika21.de:  http://amerika21.de/geo/argentinien

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Hahahahaha

Anarcho 29.08.2011 - 20:46
Wahlen, Parlamentarismus, regiert werden, Staat und Autorität, ich fass es nicht uuuunglaublich revolutionär das alles doch ist!