Connewitzer Häuserkampf

Mathildenstraße 23.08.2011 15:31 Themen: Freiräume
Die linksalternative Szene in Leipzig Connewitz ist bedroht.
Böller krachen, gleißendes Licht erhellt die Wolfgang-Heinze-Straße, Staccato-Rufe zerschneiden die Luft: „Hass, Hass, Hass wie noch nie“, „A.C.A.B.“, „Die ganze Welt hasst die Polizei“. In Leipzig Connewitz deutet am Sonntag, 21.08.2011, gegen 22.30 Uhr alles auf eine Spontandemo hin. Ein Dutzend sportlich schwarz Gekleideter machen Druck. Der Abend ist warm, entsprechend viele Leute sitzen noch bei Bier und Wein vor dem Le Cygne und verrenken sich kurz die Hälse, um zu sehen, was da im Dunkel losbricht. Wenige Meter von ihnen entfernt zeigt sich, dass es keine einfache Spontandemo ist. Die Teilnehmer bewerfen einen renovierten, noch unbezogenen Altbau, Wolfgang-Heinze-, Ecke Mathildenstraße, mit Pflastersteinen, nicht zum ersten Mal, aber zum ersten Mal derart demonstrativ.

Die Leute vorm Le Cygne bedenken das halbstarke Schauspiel weder mit Applaus noch mit Buh-Rufen, sondern konzentrieren sich wieder auf Gespräch und Getränk. Vielleicht haben sie Angst, vielleicht sympathisieren sie, jedenfalls demonstrieren sie Coolness. Steine prallen von Fenstern und Hauswand ab. „Wir haben noch Zeit“, ruft ein Angreifer. Nur aus einem Fenster tief in der Herderstraße, die auf die Mathildenstraße zulauft, ein Logenplatz, brüllt eine Anwohnerin entnervt: „Aufhören!“ Aus dem Herderpark, der den Rückzug sichert, schallt ein „Schnauze“ zurück. Die Frau telefoniert schon, mit der Polizei. Wieso sie das tut, wird sie vermutlich selbst nicht wissen. In Connewitz beginnen die Probleme gewöhnlich erst mit der Polizei. Der Kiez braucht keine Ordnungshüter, er ist friedlicher und sicherer als der Rest der Stadt. Doch er ist bedroht von einer Politik, die eine Stadtteilentwicklung praktiziert, die an den Bedürfnissen vieler Bewohner vorbei geht.

Wo vor Jahren noch ein Wagenplatz war, prunkt heute das „Windscheidpalais“ der GRK Holding AG, mit roten Läufern im Treppenhaus und Saunalandschaft im Untergeschoss. Wo vor Jahren das Tabo-Verges günstigen Wohnraum bot, verkauft Netto nun Lebensmittel. Mit fortschreitender Sanierung steigen Mieten und schwinden Freiräume, in Baulücken werden festungsartige Stadtvillen errichtet. Dort ziehen Bewohner mit Angst um ihre Besitztümer und mit Sinn für Ruhe und Ordnung ein. Immobilien-Dealer bewerben Connewitz als „gute Wohn- und Geschäftslage in gefragtem Szeneviertel“ und als „Perle des Südens“, die sich auszeichne durch „abwechslungsreiche Gastronomie und Kulturzene“. Das linksalternative Selbstverständnis, das sich in Hausprojekten, im Fußballverein Roter Stern, in Spontandemos gegen Repression, in der Solidarität mit der zwischenzeitlich geräumten Liebig 14 und in vielem mehr äußert, wird verschwiegen. „Eine brennende Stadt = eine wachsende Blume“ sprayte jemand an die Auerbachstraße 2. Kürzlich noch bunt bevölkert, wurde das Haus saniert und mit Fahrstuhl versehen. Nun werden Käufer für Eigentumswohnungen gesucht. Dem Rest der Auerbachstraße geht es ähnlich. Hinzugezogene wehren sich inzwischen mit Hilfe der BILD gegen linke Ruhestörer. Doch was haben sie eigentlich erwartet?

Der „Rote Platz“ neben der Stockartstraße wich 2008 einer Kindertagesstätte, einer integrativen Kita, eigentlich wunderbar, und doch Teil der Verdrängung, die in vollem Gange ist. Zu sehr weichen die alten Anwohner in Verhalten und Erscheinung von den neuen ab, schon jetzt tönt Streit durch die Straßen. Wo die Dichte unangeleinter Hunde besonders hoch ist, da richte man eine Kindertagesstätte ein – und jeder wird einsehen, dass Handlungsbedarf bestehe. Wird das Ordnungsamt demnächst unter Polizeischutz Leinen- und Maulkorbzwang durchsetzen?

Un- und teilsanierten Häuser verschwinden, Bewohnermilieus wechseln. Günstiger Wohnraum, selbstbestimmtes Leben, Nonchalance bleiben auf der Strecke. Bürgerlicher Normendruck zieht ein. Mit jedem Stadthaus, dessen Eigentümer über Schmierereien klagen, erhalten Verwaltung und Polizei mehr Legitimation, einzugreifen. Sah man vor Jahren so gut wie nie Polizei auf den Straßen, so wird seit einiger Zeit regelrecht patrouilliert. Connewitz verliert rasant an Lebensqualität. Ist das der Grund, warum sich „Hass, Hass, Hass wie noch nie“ an einem sanierten Haus entlädt? Das Haus selbst war schon viele Jahre unbewohnt, zerfallen, fast abgebrannt. Es liegt direkt an einer lauten Straße, unmittelbar an einer Straßenbahnhaltestelle. Es taugt nicht wirklich als Hassobjekt, der Bauträger Hildebrandt & Jürgens dagegen schon, ein „Kiezkiller“, heißt es. Dabei ist die Stadt der eigentliche Kiezkiller. Die Stadtverwaltung könnte das Viertel mit den Bewohnern entwickeln statt gegen sie. Sie könnte den Weg frei machen für Hausprojekte und bezahlbaren Wohnraum, für Freiraum statt für abgezirkelte Spekulationsfläche. Sie tut es nicht.

Letztlich schaden Attacken wie die von Sonntag dem Kiez. Sie ziehen Polizei an, provozieren Hetzartikel in der BILD, animieren Politiker, sich zu profilieren. Potentielle Mieter und Käufer schrecken sie dagegen nicht ab, denn die kriegen die Stimmung in Connewitz nicht mal mit. Wenn schon eine Drohkulisse aufgebaut werden soll, dann muss dies außerhalb des Viertels geschehen, mit der Ansage: Frieden gegen Frieden, Unfrieden gegen Unfrieden. Erfolg wird der Protest nur haben, wenn sich der Hass in Kommunikation und Kreativität umwandelt. Wenn sich in Leipzig ein „Recht auf Stadt“-Bündnis gründete, wäre eine Basis geschaffen. So lange Aktionen nur ängstliches Wegschauen, „Aufhören“-Rufe und Polizeieinsätze provozieren, sind sie unnütz. Das Dorf niederbrennen, damit es nicht dem Feind in die Hände fällt, ist keine Lösung.


Springer-Hetze:
 http://www.bild.de/regional/leipzig/leipzig/warum-verkommt-connewitz-18941710.bild.html
 http://www.bild.de/regional/leipzig/malerei/malverbot-fuer-fischer-art-18924870.bild.html
 http://www.bild.de/regional/leipzig/leipzig/fg-18947858.bild.html
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Ergänzungen

fuckoffmilitanzwertung

The Godfather 23.08.2011 - 18:42
Die Repression kommt (vorallem in Sachsen) sowiso.Heute sind es noch die DrogenkonsumentInnen morgen halt "die Chaoten" aus Connewitz wo sich so einige durschnitts BürgerInnen schon heute eine Mauer um das Viertel wünscht.
Hildebrandt & Jürgens agieren in Connewitz und in gesamt Leipzig seid Anfang der 90er Jahre unzählige Menschen mussten schon wie du es sagstest wegen den "Kiezkillern" ihr angestammtes Wohnumfeld,FreundInnen / Bekannte verlassen.
Mir stellt sich die Frage:
Wer bist du das du dich hier auf Indymedia mit diesem Text zu Wort meldest und den angeblich einzig richtigen Weg aufzeigst?!
Mach doch was du dahingehend nicht lassen kannst aber belästige niemanden mit deiner subjektiven Einschätzung von militanten Aktionen (halbstark blabla).

Nehmen wir uns das Viertel zurück!
(ob friedlich oder militant)

Einwand

M. F.-Art 23.08.2011 - 19:20
Der Text ist nicht dumm. Andererseits: Wer sich so sehnlich ein Bündnis für "Recht auf Stadt" o.ä. in Leipzig wünscht, sollte eben eins gründen. Es ist Unsinn, hier an ein Publikum zu appellieren, das anonym und kaum vorhanden ist und auf bloßen Zuruf (vernünftigerweise) nicht anspricht. Und es ist Unsinn, altklug Leute abzubügeln, die sich wenigstens engagieren. Denen ist offenbar mehr zum Thema eingefallen als Party-Party, und das ist erfreulich.

"Halbstarkes Schauspiel" sind dagegen Artikel wie diese, deren gut gemeinte Vorschläge genau so widersprüchlich sind wie die kritisierte Aktion (die sich in der Tat schlecht vermitteln lässt). "Recht auf Stadt" ist nämlich eine Forderung, auf die sich ebenso gut H&J berufen könnte – mit dem Vorteil, das Recht wirklich auf ihrer Seite zu haben, weil es immer auf der Seite des Eigentums steht. So eine staatstreue "Vermittlung" kann man sich daher sparen. Sie schließt nur den Raum, den es zum autonomen Handeln noch gibt.

aber auch alles erwähnen

.... 23.08.2011 - 20:00
einiges stimmt auch nicht. erstmal wurde gerufen: "horst, horst, horst wie noch nie - all cops are bastard, acab" (anspielung auf den leipziger polizeiprsäidenten horst wawrzynski). die andere parole lautete: "wir sind ausser rand und band, wir wolln den polizeinotstand", das war in dem andere post schon falsch.

zu Hildebrandt & Jürgens (HJ), du solltest vielleicht erwähnen warum sie als "kiezkiller" bezeichnet werden. nicht nur das sie viele häuser im leipziger süden kaufen, sanieren und wieder teurer anbieten, es geht vielmher um ihre wohnpolitik. die wunschvorstellung dieses unternehmens: singles oder paare (am besten ohne kinder), gut verdiener, keine haustiere. WG`s gehen schon mal gar nicht und arme schlucker sowieso nicht.
viele menschen im viertel können eine geschichte zu diesen unternehmen erzählen, positiv sind die wenigsten. das ist wohl auch der grund warum das haus am kreuz öfter mal was abbekommt, nicht weil die AOK da drin ist sondern der firmensitz von HJ. aber auch um die AOK muss es einem nicht leid tun, hat auch dieses unternehmen genug schweinerein vorzuweisen (jaja der kapitalismus, da gibs ja keine andere wahl als ein arschloch zu sein).

im übrigen gibt es auch einen film zu HJ und ihre art wohnhäuser zu sanieren, da geht es um berlin (prenzlauer berg):
 http://www.taz.de/!51101/
 http://sinafilm.de/

und ein weiteres schönes beispiel dafür was für menschen nach connewitz ziehen hast du beim spielplatz auch vergessen. der rote platz ist für die kita gewichen, schön und gut, den neubau am kreuz (schöne sache, streetballplatz unter den augen der polizeikamera, perfekt für jugendliche!) gibt es bis heute nicht. warum?

"Die Arbeiten für den Bau des Streetballplatzes am Connewitzer Kreuz ruhen bis auf Weiteres. Das teilte die Stadtverwaltung am Mittwoch mit. Grund sei eine entsprechende Aufforderung des Verwaltungsgerichts Leipzig. Dem Gericht liege ein Antrag eines Nachbarn auf einstweiligen Rechtsschutz wegen Lärmbelästigung vor.

Laut Stadt seien bei der Planung des Streetballplatzes in der Biedermannstraße Lärmschutzmaßnahmen berücksichtigt worden. So habe man eine Lärmschutzwand sowie eine geräuscharme Ausführung der Bauteile vorgesehen. Das reicht dem Kläger offenbar nicht. Wie die Stadt weiter mitteilte, hat das Gericht eine baldige Entscheidung angekündigt. Bis dahin stehen die Baumaschinen still."

 http://nachrichten.lvz-online.de/leipzig/stadtteile/bauarbeiten-an-streetballplatz-am-connewitzer-kreuz-ruhen-vorerst/r-stadtteile-a-45213.html

muss mensch sich mal vorstellen, das ding steht noch nicht mal und jemand klagt wegen lärm(!), wohnt aber am connewitzer kreuz!

auch hier kannst du dir die farce dazu durchlesen:
 http://www.connewitzerkiez.de/sites/kidsig.htm

und das mit der "recht auf stadt", da kann mensch wirklich nur sagen, mach es doch selber! du wirst damit wahrscheinlich genauso erfolgreich sein wie die initiativen in hamburg oder berlin.

ich denke die meisten sind sich bewusst, dass kaputte scheiben und farbe an der wand den prozess nicht verhindern werden, aber die kosten für HJ und Co steigen so wenigstens und sie sehen, dass nicht alle menschen mit ihrem scheiß einverstanden sind.

einige werde sicher anmerken, die kosten übernehmen die versicherungen, aber auch da steigt dein beitrag wenn deine scheibe öfter zu bruch geht.

connewitz bleibt unbequem und dreckig!

Vor nicht all zu langer Zeit in der Rössi

Stadtaffe 24.08.2011 - 10:06

Jaja

Herman 27.08.2011 - 20:47
Ich find es viel gruseliger, dass inzwischen unverhohlen NSBM Bands in der Stö16 spielen.
Einem Haus, dass zu einer linken Genossenschaft gehört...
Mich solch Leuten kann/will man auch nix retten.

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