Hamburg: Einige Bemerkungen zum Schanzenfest

einige hamburger autonome 22.08.2011 02:50 Themen: Freiräume Kultur Repression Soziale Kämpfe
„London ist überall“ wurde an die HASPA gesprayt. Soweit das offenbarte Wunschdenken einiger Beteiligter. London ist aber nicht „überall“, sondern eine Stadt in England. Die Unterschiede zwischen dem, was die Medien nun als „Randale“ oder „Krawall“ bezeichnen begründen sich aber in weit mehr als der geographischen Lage. Ebensowenig ist es eine einfache Frage der Intensität bzw. Quantität der Zerstörung, der Beteiligung, etc.
Nein, der Unterschied zwischen „London“ und „Schanze“ ist ein durch und durch qualitativer.
Dort gehen Leute auf die Straße weil ein Mensch von Bullen erschossen wurde, weil sie täglich von polizeilicher Repression betroffen sind während sie immer mehr verarmen. Am Schanzenfest gehen Leute auf die Straße weil das immer schon so war. Allgemein war die Stimmung eher entspannt, der SPD Senat setzte wohl auf Deeskalation und verhängte erst sehr spät ein Gefahrengebiet, welches zeitlich auch deutlich später begann und früher endete als unter CDU Führung. Auch die mediale Hetze im vorraus war eher mäßig.
Bullenprovokationen gab es zwar durchaus vor und vermutlich auch während des Festes. Dennoch bekamen die meisten Besucher_innen des Schanzenfestes davon nur wenig bis nichts mit. Auch ab 22 Uhr, dieser magischen Zeit des Bühnenabbaus, zu der traditionell das gegenseitige Zähnefletschen beginnen sollte, war vom in den Medien angekündeten Großaufgebot der Polizei nichts zu sehen. Dass sich zu dieser Zeit ein FSK Journalist in Gewahrsam befand erfuhren die Allermeisten erst im Nachhinen über Indymedia oder die FSK Website.
Dennoch war klar, irgendetwas musste passieren. Da waren zum einen diese Gerüchte, dass die Hamburger Polizei die Linke Szene „plattmachen“ wolle, oder, dass die „krassesten Aktionen seit 10 Jahren“ bevorständen. Zum anderen lassen sich Traditionen schwer tot kriegen.

Pünktlich gegen 22 Uhr begann dann auch das erste Rumgemackere. An der Skatebahn der Roten Flora hatten sich einige Menschen versammelt um gemeinsam allerlei Böller und anderes lustiges Lichterwerk anzuzünden, sowie Florapark und Schulterblatt mit einer Rauchbombe einzunebeln. Dazu wurde fleißig „Viva Palestina“ und „Free Abdullah Öcalan“ gerufen. Nach einiger Zeit gingen dieser revolutionären Vorhut wohl die Böller aus, oder ihr wurde schlichtweg langweilig – denn von Bullen war weit und breit nichts zu sehen und der „Klassenfeind“ in den Yuppieläden war sichtlich unbeeindruckt von der Performance, ja, freute sich viel mehr über die immernoch reichlich konsumierenden Kund_innen. Auf jeden Fall hatte das ganze ziemlich schnell ein Ende und diffundierte in die abendliche Festmasse.
Vor der Flora hatten mittlerweile einige Kreative entdeckt dass sich aus den überall auf der Straße verteilten Festüberresten super Feuer machen lässt. Andere fanden das zwar gar nicht witzig, aber am Ende siegte die Tradition und so brannte dann auch ein Feuer, das munter die Nacht erhellte und tat was Feuer halt so tun wenn mensch immer mehr Zeug reinwirft.
Dummerweise reagierte die Polizei auf den improvisierten Leuchtturm aber gar nicht wie erwartet und räumte das Schulterblatt erstmal noch nicht. Aber es gab da ja noch die HASPA, dieses kleine unscheinbare Eck neben der Roten Flora, dass aus irgendwelchen Gründen irgendwann zum Hauptfeind im Schanzenviertel erklärt wurde und seitdem regelmäßig „gesmasht“ wird, auch dieses Jahr. Wobei „gesmasht“ ja ein sehr überstrapazierter Begriff ist.
Da konnte auch die Polizei nur schwer nein sagen und begann das Schulterblatt mit Wasserwerfern zu räumen, natürlich unter Flaschenwürfen und allgemeinen Anti-Polizei Rufen.
Irgendwann brannte dann auch ein Feuer in der Bartelsstraße, und die Polizei räumte diese von der Susannestraße her - mit einer unbeschreibbaren Dilletanz wohlgemerkt, denn am Ende standen immer noch Zahlreiche Personen hinter der Polizeifront, welche sich prompt zurückzog um, diesmal unter Pfeffersprayeinsatz und Rumgeschucke, auch die Vergessenen zu vertreiben. Dabei waren sie sich auch nicht zu Schade die im Aussenbereich des Fritz Bauch sitzenden Personen einzupfeffern, und selbiges ca. eine Stunde lang zu belagern. Bald danach war dann der Spuk vorbei, die Aufräumarbeiten begannen noch vor Ende des Gefahrengebiets.

Auf die angekündigten „krassen Aktionen“ wartete mensch den ganzen Abend lang vergeblich. Dass sich endlich Leute die seit einiger Zeit in der „Szene“ zirkulierende Einsicht, dass es ja viel sinnvoller sei sich nicht jedes Jahr an der Schanze abzumühen sondern in Stadtteile zu ziehen wo die Bullen weniger Erfahrung haben, wo ohnehin viel interessantere Dinge passieren könnten (mensch denke nur mal an die Innenstadt), darauf zu hoffen scheint hoffnungslos utopisch, und tatsächlich war noch nichts in diese Richtung gehendes zu hören.
Gegen ein bisschen Randale im Schanzenviertel ist ja auch eigentlich nichts einzuwenden. Es ist aber schon sehr verwirrend, dass sich Leute immernoch mit Rammböcken und Bengalos an den Rolländen und dem Panzerglas der HASPA Fronttür abarbeiten, als würde es irgendetwas nützen. Wenn es um Nutzen ginge hätte mensch sich vielleicht lieber an die Geldautomaten machen sollen (die Mopo schrieb zB. einen sehr netten Artikel darüber wie selbige gesprengt werden können um an das Geld zu kommen).
Aber darum ging es ja auch garnie, denn wenn mensch ehrlich mit sich ist, bessere Ziele gäbe es im Schulterblatt zu hauf. Und hier liegt ein anderer ganz massiver Unterschied zu den UK Riots: Dort waren die Leute, bei all der Verantwortungslosigkeit mit Feuer und all den regressiven Tendenzen, immerhin klug genug etwas, zumindest für sie selbst, nützliches zu tun, nämlich Geschäfte anzugreifen um sie zu plündern. Auf die Idee den Adidas, Carhartt, Apple oder irgendeinen der etlichen anderen Läden in der Schanze zu enteignen kam aber wohl niemand der abendlichen Akteure. Denn das Ziel bei den „Krawallen“ war ja nicht so sehr (falls überhaupt) Aneignung oder politischer Ausdruck, sondern vielmehr Mackertum, Rumgepose und Militanzfetisch.
Darin offenbart sich aber keine Unverträglichkeit mit den bestehenden Verhältnissen, sondern vielmehr deren Reproduktion auf der Straße. In Mackertum und sinnloser Militanz (falls hierbei überhaupt von Militanz gesprochen werden kann!) lässt sich beim besten Willen nichts Emanzipatorisches feststellen. Sie sind vielmehr regressive Tendenzen innerhalb der Linken.
Sie werfen demnach eine wichtige Frage auf, die zu diskutieren sein wird: Wie kann das Schanzefest seinen emanzipatorischen Anspruch bewahren, in die Gesellschaft intervenieren und der Integration in die „Kreative Stadt“ entgehen ohne sich im stumpfen Gewaltgestus zu verlieren?
Hat sich das Schanzenfest überlebt?

einige hamburger autonome
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Ergänzungen

Party ist Party und Aufstand ist Aufstand

MB 22.08.2011 - 04:11
Nun, im Gegensatz zu London regiert beim Schanzenfest eben nicht die blanke Wut, sondern, wie der Name schon sagt, das Fest. Und weil es darüber hinaus auch eine Tradition ist, wird eben das gemacht, was immer schon gemacht wurde: Aus Flohmarktrestposten ein Feuer auf der Straße entzünden und die Haspa angreifen, weil sie einfach so gut sichtbar an einer Straßenecke gelegen ist. Zu dumm nur, dass die Haspa sich mittlerweile robuste Außen-Jalousien angeschafft hat und deshalb kaum noch "geshmascht" werden kann. Um Läden zu plündern hätte es wohl entweder wirklich empörte proletarische Jugendliche oder strategisch denkende Vorkämpfer, die nicht nur zuschauen, gebraucht - beides fehlte an dem Abend. Vielleicht ist das aber auch ganz gut so, denn über 2000 Kampfbullen und etliche Zivis sind nicht gerade eine Vorraussetzung für ein gelungenes Riot. Merke: Der kommende Aufstand wird spontan eintreten - und nicht dann, wenn die Staatsmacht bestens vorbereitet ist.

militanz und gewalt

xx 22.08.2011 - 22:57
die idee von militanz (auch inkl gewalt) ist für mich ein mittel und eine reaktion auf gewaltverhältnisse und kein selbstzweck. das ziel am sa. war ein fest für uns und für den stadtteil. mensch konnte sich sowohl politisch als auch spaßorientiert und konsumfreudig ausdrücken. ich habe nicht gesehen, dass der staat dies gewalttätig zu verhindern versucht hätte (im gegensatz zu den letzten jahren). das ziel ein schanzenfest zu organisieren ist nicht seine wut zu äußern, sondern eben ein unkommerzielles beisammensein, wo auch politische themen diskutiert werden. für mich waren die krawalle nicht-militant, aber dafür zwanghaft, unstrategisch und unüberlegt. ich denke, militanzdebatten (die echt schon oft geführt wurden) müssten weiter in die breite getragen werden, damit mehr gute aktionen entstehen, die dann eine größere solidarität und unterstützung kriegen und auch politisch wirken können. denn ich denke mal nicht, dass einzelkämpfer und helden innerhalb politischer bewegungen sich feiern sollten.

Radiosendung auf FSK

Monty 23.08.2011 - 02:29
Schanzenfest 2011: Anders wie immer

Studiorunde zum Geschehen vor, während und nach dem diesjährigen Fest einschließlich der Ingewahrsamnahmen.

 http://www.freie-radios.net/42672

was alles anders war...

egbert aus der Schanze 23.08.2011 - 12:54
erstmal ein guter Artikel - wie ich finde.
folgende Gedanken als Ergänzung:

1) mein Eindruck ist, daß im Gegensatz zu früher gar kein aktiver Kern mehr vorhanden ist. Wenn ich mich da in dem eigenen Bekanntenkreis umschaue, so sind die meisten Leute einfach mal weg aus der Schanze. Früher gabs WGs von 25-jährigen, die schlicht selbst betroffen waren von STEG, Kündigungen, Repression..., die in der Schanze oder drumrum wohnten, sich gut kannten, in der Flora oder Antifa größtenteils aktiv waren und sich auf der Straße dann gut organisieren konnten, die Sache in die hand nahmen usw. Heute sind eher ergraute oder sehr, sehr junge unterwegs aus dem Stadtteil...der Kern fehlt aber, weil mittlerweile "weg gentrifiziert"... Entsprechend übernehmen die Kids aus Billstedt und Harburg mehr die Regie. Was auf der einen Seite auch seine Berechtigung hat, andererseits aber auch leichte Beute für herrschende, Medien und Polizeiapparat. Und in der Wirkung auch ein Keil zu den AnwohnerInnen.

2) die Polizei hat deutlich zu gelernt. Ganz auffällig - neben der defensiven Ausrichtung war auch, daß an vorderster Linie ausschließlich Hamburger Hundertschaften im Einsatz waren, die sich auskennen, weniger brutale Entgleisungen fabrizieren und auch Situationen schneller und besser einschätzen können. Mittlerweile kennt doch jeder Democop aus Hamburg die Schanze, samt Völkchen aus dem ff. Auf das von Recht auf Stadt und Flora ins Visier genommene Gefahrengebiet bezogen wurde dann auch entsprechend umsichtig von der Polizei agiert: Während beim 1. Mai noch für einen ganzen Samstagabend mehr oder weniger die Bevölkerung gleich mit ausgesperrt wurde gingen sie diesmal sehr differenziert und vorsichtig vor.
Grobe Dummheiten - taktische, wie auch in den Verlautbarungen vorher, die z.B. unter Innensenator Ahlhaus die Regel waren blieben diesmal aus.

3) es fehlte die politische Klammer, oder nenn es Tenor beim Fest. Es gab früher Feste und entsprechend danach Auseinandersetzungen in der Nacht, die entweder z.B. das Thema Schill, Repression, Polizeiterror oder das Thema Gentrification usw. hatten. Klar gab es auch diesmal inhaltliches, sei es an Ständen oder auch im Vorfeld das politisieren des Polizeimittels "Gefahrenzonen" - aber eben nicht derart, daß das Schanzenfest eine klar erkennbare Ausrichtung gehabt hätte (außer alles so schön bunt hier und immer noch nicht angemeldet...)

Aber dann doch nochmal was positives, was nur leider zu spät, zumindest mir als (eine) Möglichkeit aufgefallen war:
spät abends wurden mitten auf dem Schulterblatt 2 Zelte aufgebaut. Ein Bild, das viele Assoziationen schaffen kann. Nächstes Mal vielleicht 2000 Zelte - als Ausdruck von "Protestcamp", ...die Leute schon im Zelt auf der Straße wegen unbezahlbarer Mieten...
Wir hätten jedenfalls sofort mitgemacht und ein altes Zelt aus dem Keller geholt und aufgebaut, dann ringsrum alles mit Transparenten vollgehängt...naja...und dann mal die Bühne ggf. über Nacht und am darauf folgenden Sonntag stehen lassen und über den Sonntag eine echte Stadtteilversammlung mit Camp, Diskussionen, lockerer Musik usw. ansetzen...

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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gutes tun — Sybille

oh je — peter

@mods — huck

danke — pablo

@pure hate and pure love — ehem. rot florist

@mods — huck

So iss das halt — Krawalla

was soll das — denn

danke... — murmeltier

@ehem rotflorist — pure hate

@pablo — fick dich!

rituale sind fürn arsch — kreuzberger

hört auf wegzulaufen — harter kern

... — harter kern

na ja alles verstanden — das ich nich lache

@"harter kern" — egbert aus der Schanze