Diskussion bei Slutwalk Berlin: ‚umgedrehter Sexismus' ?

E-N-F-h-n-m-M-L 13.08.2011 23:39
Der selektive Anti-Biologismus deutscher Queers – oder: Die Rückgewinnung des Begriffs des Antagonismus für den Feminismus - Ein Demo- und Aktionsbericht
Heute fand in Berlin – wie in sechs anderen BRD-Städten (1) – ein Slutwalk gegen Vergewaltigungen und schuldumkehrende Vergewaltigungsmythen statt. (2) Es kamen weit mehr als die von den VeranstalterInnen erwarteten ca. 3.000 – tatsächlich vielleicht 5.000 – TeilnehmerInnen; weitüberwiegend Teilnehmerinnen, aber doch eine erhebliche Anzahl solidarischer, nach äußerlichem Augenschein männliche Teilnehmer. Nur wenige von letzteren bekundeten, keine Männer zu sein / sein zu wollen und forderten dies auch von anderen – und lösten damit eine überraschende oder vielleicht auch nicht überraschende Kontroverse aus.
Bereits am Donnerstagabend fand in Berlin eine Soli-Party statt. Dort hing ein Transparent, das mir – wie mir scheint – weit über den konkreten Anlaß hinaus die historische Dimension der Slutwalks deutlich zu machen scheint: „Feminism is back – by popular demand“.

In den Aufruf zu deutschen Slutwalks war zwar noch nicht ausdrücklich benannt, wovon denn der Feminismus in den letzten Jahren verdrängt war – mir selbst erscheint: er war von neoliberalem EU-Kommissions-„gender mainstreaming“, grüner „Geschlechterdemokratie“, linksparteilicher „Geschlechtergerechtigkeit“ und queerer gesellschaftstheoretischer Indifferenz verdrängt (3).
Was der Slutwalk-Aufruf aber jedenfalls deutlich machte, war, daß Feministinnen wieder die Systemfrage stellen sollten: „Wir haben es satt in einem System zu leben, das sexualisierte Gewalt, Übergriffe und Belästigungen verharmlost, legitimiert und den Betroffenen die Schuld gibt!“ (4) – Ganz in diesem Sinne hatte bei dem Berliner Slutwalk eine Teilnehmerin einen Plakat mit der Aufschrift, „The only thing I’m asking for is a revolution.“ (5), dabei.

Auch ansonsten hob sich die Demo von beachtlich von vielen (anderen) linksradikalen Demos der letzten Jahre ab: Es gab keine Kuschel-Kiez-Route durch Berlin-Kreuzberg oder -Nord-West-Neukölln, sondern es wurde – ja nach Geschmack die Konfrontation oder der Dialog mit den ‚Zentren der Macht’ oder die ‚Mitte der Gesellschaft’ in der West- und Ostberliner City gesucht. Die Route führte vom Westberliner Wittenbergplatz über den Potsdamer Platz zum Ostberliner Gendarmen Markt.
Auch gab es weniger Musik-Dauerbeschallung als bei vielen Demos der letzten Jahre, die mit der love parade zu konkurrieren schienen zu wollen, sondern es wurden zumindest zeitweilig lautstark Parolen gerufen: z.B. „Yes means yes, and no means no“ und „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat.“
Auch vom Patriarchat war in den letzten rund 15 Jahre, in denen Feminismus in der linksradikalen Szene von queer verdrängt worden war, wenig die Rede – auch dies scheint sich nun wieder zu ändern.

Eine Flugblatt und Transparent-Aktion

In diesem Sinne und im Sinne des provokativen Aufgreifens und Umdeutens des Begriffs „Slut“/„Schlampe“ beteiligten sich der/die berichterstattende Nicht-Frau-hoffentlich-nicht-mehr-Mann-Lesbe und einige noch-Männer in Absprache und mit Unterstüzung von einigen Cis-FrauenLesben mit einer Flugblatt- und Transparent-Aktion am Berliner Slutwalk.

Zu Beginn verteilten wir unser Flugi (siehe beigefügte .pdf-Datei) „Slutwalks – eine Wende nach vorne-zurück zu einem kämpferischen Feminismus?“, das mit dem Satz endet: „Für eine vierte Welle des Feminismus, die den Antibiologismus der dritten Welle (nach ’89) mit der Radikalität der zweiten Welle (nach ’68) verbindet!“
Das Flugblatt Verteilen lief unglaublich gut; Wenige verweigerten die Annahme; einige boten spontan an, das Flugi weiterzuverteilen; andere kamen nach einiger Zeit wieder und baten um weitere Exemplare für FreundInnen/GenossInnen. Anscheinend wurde das Flugi von ziemlich vielen sogleich vor Ort gelesen. So positives feedback hatte ich wohl in 30 Jahren politischer Aktivität beim Flugblatt-Verteilen noch nie gehabt.

Während der Demo trugen wir eines unserer beiden vorbereiteten Transpis: „Geschlechter abschaffen. – Männer zuerst, abschaffen.“
Damit knüpften wir an die These des de-konstruktivistischen Feminismus der letzten 20 Jahre an, nachdem Geschlecht kein biologisches Sein, sondern ein gesellschaftliches Tun ist. Während es VOR Judith Butler noch fragwürdig gewesen wäre, von einer „Abschaffung von Männern“ (da dies nach dem damaligen – auch feministischen Sprachgebrauch – eine biologische Eliminierung von Menschen mit Penissen oder xy-Chromosomen bedeutet hätte) zu sprechen, so scheint uns diese – wenn auch provozierende, und zwar absichtlich provozierende – Forderung die NOTWENDIGE POLITISCHE Schlußfolgerung aus der THEORETISCHE De-Konstruktion der Natürlichkeit der Geschlechter zu sein.
Da wir mit unseren Transpis (das andere vorbereitete Transpi mit der Aufschrift: „Vergewaltigen ist männliches doing gender“ konnten wir wegen kurzfristigen Ausfalls einiger an der Vorbereitung Beteiligter während der Demo nicht tragen) nicht nur provozieren wollten, sondern dafür auch Gründe hatten; mit den Transpi eine Diskussion auslösen wollten und wußten, daß die Transpis zu irritierten Nachfragen führen könnten, hatten wir außerdem das schon erwähnte Flugblatt vorbereitet und verteilt – sowie unsere Transpi-Texte schon im Vorfeld im internet an verschiedenen Stellen zur Diskussion gestellt und auf Einwände und Bedenken ausführlich geantwortet (6).
Während der Demo ernten wir – für uns durchaus überraschend – keine negativen Reaktionen, aber einige positive Reaktionen, und wir wurden von einigen photographiert.
Ganz im Sinne unserer Absicht mit den Transpis Diskussionen auszulösen, postierten wir uns dann gegen Ende der Demo – nun mit beiden Transpis – auf den Stufen des Doms auf dem Gendarmenmarkt, an denen die Demo-TeilnehmerInnen vorbeizogen.
Nach einiger Zeit kam eine Vertreterin der VeranstalterInnen, die uns informierte, daß es Kritik an unseren Transpis gebe, wobei diese Kritik nicht begründet worden sei. Mehr als informieren wollte sie uns nicht (machte sich diese Kritik also nicht zu eigen und forderte auch keine Konsequenzen aus der referierten Kritik). Wir diskutierten – auch unter Beteiligung einer der Cis-Genossinnen, die an der Planung unserer Aktion beteiligt war, über die von uns mit den Transpis gemeinte ‚Botschaft’ und etwaige Mißinterpretationen, die eventuell auftreten können. Wir vereinbarten, daß wenn die VeranstalterInnen im Nachhinein noch von mit Gründen versehener Kritik erfahren, diese die KritikerInnen bitten werden, uns den Inhalt der Kritik zugänglich machen zu dürfen, da es uns ein wichtiges Anliegen, ist, auf etwaige Kritik zu antworten.
Etwas später, als die Demo fast komplett an uns vorbeigezogen war, kamen weitere VertreterInnen der VeranstalterInnen hinzu, die uns nun wegen der von Demo-TeilnehmerInnen vorgebrachten Kritik an den Transpis, baten, diese einzurollen. Dies taten wir bereitwillig, da die Demo weitgehend an uns vorbeigezogen war, und wir unser Anliegen, eine Diskussion auszulösen, augenscheinlich erreicht hatten. Auch war uns völlig klar, daß wir für unsere – provozierende und zuspitzende – Aktion (die wir zwar in Übereinstimmung mit der Linie der Slutwalks sehen, die wir aber unabgesprochen und daher auf eigenes politisches Risiko durchführten) nicht mit sofortiger inhaltlicher Solidarisierung der VeranstalterInnen rechnen konnten.

Wir sind jedenfalls an einer Fortsetzung der inhaltlichen Diskussion mit den VeranstalterInnen und unseren KritikerInnen und allen an einem kämpferischen Feminismus Interessierten unsererseits sehr interessiert.

Kann nicht-biologistische Kritik an Männern „sexistisch“ sein?

Von den später hinzugekommenen VeranstalterInnen-VertreterInnen wurden nun auch ein konkreter Kritikpunkt der KritikerInnen genannt: Die Transpis seien „sexistisch“. Ehrlich gesagt: Wir finden diesen Einwand an den Haaren herbeigezogen oder aber haarsträubend.

-- Er ist unserer Überzeugung an den Haaren herbeizogen, wenn diese Kritik darauf beruht, zu übersehen, daß wir einen antibiologistischen Geschlechterbegriff vertreten – wie auch anhand der Transpis selbst (wegen der Rede von „doing gender“ und der Forderung nach schließlicher Abschaffung aller Geschlechter) deutlich wird.

-- Er ist haarsträubend, wenn er auf einer Gleichsetzung von Praxen der Herrschaft und Ausbeutung (von FrauenLesben durch Männern – jeweils im kulturell-sozialen Sinne) einerseits und der Benennung und Kritisierung dieser Herrschafts- und Ausbeutungspraxen andererseits beruht. – Genau gegen eine solche gesellschaftsanalytische blinde, die realen gesellschaftlichen Machtverhältnisse ignorierende Rede von „Sexismus“ richtete sich unsere Aktion.

Wir sind überzeugt: Es geht um die Wiedergewinnung einer revolutionären Perspektive für den Feminismus. Und revolutionäre politische Praxis ist ohne den Begriff des Antagonismus nicht zu haben; der Feminismus steht nicht über dem gesellschaftlichen Antagonismus zwischen Männern sowie FrauenLesben, sondern ergreift für letztere Partei, mit dem letztlichen Ziel der Überwindung von Geschlechterherrschaft und -ausbeutung, also der Geschlechter selbst, die eben gerade durch diese Herrschafts- und Ausbeutungspraxen definiert werden.

Und deshalb erfordert wirklicher Pro-Feminismus von Männern in letzter Instanz ihre Männlichkeit zur Disposition zu stellen, also das Geschlecht der Männer (das NACH Butler nicht mehr im biologischen Sinne zu definieren ist) zu überwinden. In diesem Sinne zitierten wir am Ende unseres Flugblattes Ingrid Strobl: „Frauen, die das Machtverhältnis zwischen Frauen und Männern bekämpfen, Frauen, die der patriarchalen Norm […] den Krieg erklären, Frauen, die die herrschenden Verhältnisse, die Herrschaft im wahren Sinne des Wortes radikal aufheben wollen, bedürfen nicht so sehr der männlichen Genossen, die sich für ihre Freunde halten, als der männlichen Genossen, die bereit sind, zum Feind des Mannes zu werden.“

Und in diesem präzisen Sinne möchte ich vorschlagen: Ein Feminismus, der so mutig und provozierend ist, sich den Begriff „Schlampe“ anzueignen, sollte auch so mutig und provozierend sein, sich den Begriff „männerfeindlich“ anzueignen. (7)

(1)  http://de.lesarion.com/forum/forum_antwort_ver3.php?id=314441&block=1&forum=3

(2) In der mainstream-Presse findet sich ein sehr lesenswerter und informativer Artikel in der heutigen Ausgabe des Berliner „Tagesspiegel“:  http://www.tagesspiegel.de/politik/die-lange-tradition-der-schlampenmaersche/4494748.html

(3) Vgl.  http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/05/03/gegen-den-strom/;  http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/08/05/aus-%E2%80%8Bgegebenen-anlass-gegen-que%E2%80%8Bere-politische-und-gesells%E2%80%8Bchaftsanalytische-indiffer%E2%80%8Benz/;  http://theoriealspraxis.blogsport.de/2010/07/03/intersektionalitaet-und-gesellschaftstheorie/

(4)  http://slutwalkhamburg.blogsport.de/aufruf/

(5)  http://www.tagesspiegel.de/images/s6_afp/4496644/2.jpg?format=format10

(6)  https://www.facebook.com/topic.php?topic=208&post=1009&uid=176254672428404#post1009;  http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/08/05/maennliches-doing-gender-kritisieren-de-konstruktion-politisieren-vorschlag-fuer-2-slutwalk-transpis/;  http://de.lesarion.com/forum/forum_antwort_ver3.php?block=1&id=314032

(7)  http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/06/30/maen%E2%80%8Bnerfeindlichkeit-und-die-a%E2%80%8Brbeit-der-zuspitzung/
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Ergänzungen

Fotos

FotoNews 13.08.2011 - 23:57

weitere bilder...

mussiba 14.08.2011 - 04:20

Fotos aus Köln

Stricher.Hurensohn 14.08.2011 - 11:00

Hamburger Slutwalk

Monty 14.08.2011 - 14:23

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 29 Kommentare an

fasdfa — asfs

Politik — E-N-F-h-n-m-M-L

The Question is... — Melat

Problem - Männergewalt — Lösung - aus dem Weg gehen

und alle — acrat@

zukunftsvorhersage — Iceflame

was????? — kein plan

Ja, alle Geschlechter abschaffen! — E-N-F-h-n-m-M-L

@ kein plan — juhvnkla

ANTIBIOLOGISMUS ERNSTNEHMEN! — E-N-F-h-n-m-M-L

blub — sasa

unglaublich — glaube keinem

danke an juhvnka — kein plan

@säugerin — vegan

Irrsinn hoch drei — VerSchlampt

Muttermilch — E-N-F-h-n-m-M-L

Männerfantasien — E-N-F-h-n-m-M-L

Hab meine Eränzung verschlampt — ####[]-[]-[]~~#####

Zu den letzten Ergänzungen: — E-N-F-h-n-m-M-L