Ich weiß mit wem Du zu Ostern telefoniert hast

addn.me 28.07.2011 10:45 Themen: Antifa Freiräume
Die Dresdner Staatsanwaltschaft geht in die Offensive. Nach den skandalösen Nachrichten der vergangenen Wochen hat sie gestern eingeräumt, dass schon 2009 die Daten zehntausender Menschen die in unmittelbarer Nähe zur Offizierschule des Heeres leben, erfasst und gespeichert worden sind. Damals hatten bisher unbekannte Täter insgesamt 42 Fahrzeuge auf dem Gelände der Offizierschule in Brand gesetzt und einen Schaden in Millionenhöhe verursacht. Etwa fünf Monate nach dem Brandanschlag hatten die Ermittler bei den Telekommunikationsunternehmen auf mehr als eine Million Verkehrsdaten zurückgegriffen aus denen sie 250 Tatverdächtige filterte. Da das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, wurden die so erfassten Daten bis zum heutigen Tag nicht gelöscht.
Der Datenskandal in Sachsen nimmt immer größere Ausmaße an. Am Mittwoch hat die Dresdner Staatsanwaltschaft zugegeben nach dem Brandanschlag auf Fahrzeuge der Bundeswehr vor mehr als zwei Jahren über eine Funkzellenabfrage knapp 1,1 Million Telefonverbindungsdaten ermittelt und ausgewertet zu haben. In einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Sabine Friedel (SPD) heißt es, dass sich die so gewonnenen Funkzellendaten "auf den Umkreis des Tatortes" beschränkten, da den Ermittlern zufolge die Möglichkeit bestanden hat, "dass die Täter ihr Vorgehen telefonisch oder durch SMS am Tatort und in dessen unmittelbarer Nähe koordiniert haben" könnten. Neben dieser großen Anzahl an Funkzellendaten wurden von einem Mobilfunkanbieter unaufgefordert zusätzlich mehr als 80.000 Namen von Anschlussinhabern übermittelt. Aufgrund eigener Ermittlungen will das LKA später ingesamt 250 Bestandsdaten zu potentiell Tatverdächtigen abgefragt haben.

Da bis zum heutigen Tag keiner der mutmaßlichen Täter ermittelt werden konnte, ist davon auszugehen, dass das Landeskriminalamt aktuell über eine Datenbank mit den Bestandsdaten von mehr als 80.000 Personen verfügt. Diese soll jedoch erst dann gelöscht werden, wenn sich ein Fahndungserfolg bei der Suche nach den Tätern einstellt oder aber eine Löschung "technisch möglich" wird. Im Laufe der Ermittlungen waren 4.000 Zeugen befragt und rund 160.000 Kassenbelege von OBI-Baumärkten überprüft worden.

Im September, also fünf Monate nach dem Brandanschlag, hatten die Ermittler beim dafür zuständigen Amtsrichter eine Funkzellenabfrage beantragt und genehmigt bekommen. Erst im Jahr darauf sollte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung die bis dahin von den Strafverfolgungsbehörden genutzten Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklären. Die aus der Funkzellenabfrage gewonnenen Verkehrsdaten sollen allerdings nach Angaben der Staatsanwaltschaft nicht wie berichtet mit den Kundendaten der Baumarktkette OBI verglichen worden sein. Das hatte der innenpolitische Sprecher der Grünen, Johannes Lichdi, die Staatsregierung am 15. Juli im Hinblick auf den möglichen Einsatz der so genannten Rasterfahndung gefragt.

Mit ihrem Vorstoß versuchen die Dresdner Ermittlungsbehörden einmal mehr nach Außen Transparenz zu vermitteln und weiteren Enthüllungen zuvor zu kommen. Ob damit die Rufe aus den Reihen der Oppositionsparteien nach einem Untersuchungsausschuss und einem möglichen Rücktritt von Innenminister Markus Ulbig (CDU) weniger werden, bleibt angesichts immer neuer Zahlen zu gespeicherten Bestandsdaten zumindest fraglich. Schon seit Wochen bestimmt die Affäre um gespeicherte Handydaten tausender Bürgerinnen und Bürger die politische Diskussion in Sachsen. Erst vor wenigen Tagen hatte die Staatsregierung die Bestandsdatenabfrage von mehr als 40.000 Menschen durch das LKA einräumen müssen.
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Ergänzungen

Auskunftsersuchen

Antifa 28.07.2011 - 13:30
Das Auskunftsersuchen findest Du auf der Seite von "Dresden Nazifrei": als *.doc (Polizei) bzw. *.doc (Staatsanwaltschaft) oder als *.pdf. Es spielt auch keine Rolle, ob ihr in Dresden wohnt oder an den Protesten teilgenommen habt. Ziel ist es, die Ermittlungsbehörden zu beschäftigen und damit zu zeigen, dass die kriminalisierten Menschen und Gruppen nicht allein sind. In der Regel werdet ihr bei der Abfrage zu den Ereignissen vom 19. Februar erst einmal "wegen laufender Ermittlungen" keine Auskunft bekommen, aber auch das kostet sie gerade in der Urlaubszeit Zeit und Nerven.

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B. Cole 28.07.2011 - 16:17
Ich denke, auch die Polizei weiß, dass der TäterInnenkreis vermutlich viel zu konspirativ vorgegangen ist und um die Möglichkeiten der Handy-ortung und -Abfrage wusste und das ganze Verfahren deswegen keine Aussicht auf Erfolg hatte. Hier geht es wohl eher um eine billige Ausrede, mal eben größere Kreise auszuhorchen und zur späteren Verwendung tausende von Datensätzen anzulegen, auf die man bei Bedarf auch in anderen Verfahren zurückgreifen könnte.

Ergänzung zur Wortwahl

egal 28.07.2011 - 17:54
Ich halte im Zusammenhang mit Repressionsbehörden die Formulierung bzw. Forderung, Daten zu "löschen" für problematisch. Es gibt Anzeichen, daß "löschen" für die Behörden bedeutet, daß die entsprechenden Daten lediglich mit einem Vermerk "gelöscht" versehen werden. Es gab Fälle, in denen Auskunftsersuchen die Anwort erhielten: "Vor soundsoviel Jahren hatten wir diese und jene Daten von Ihnen. [Es folgt eine Auflistung der fraglichen Daten]. Diese Daten wurden allerdings letztes Jahr gelöscht." Wenn sich diese Absurdität bewahrheitet, nützt auch eine höchstrichterliche Entscheidung zur Datenlöschung wenig.

Ob es was bringt, explizit die "Vernichtung" seiner illegal gewonnenen Daten zu beantragen? Und sich nicht mit Antworten der Polizei "Alles ok, wir haben Ihre Daten gelöscht" zufriedenzugeben, sondern auf der Formulierung "Vernichtung" zu bestehen?

Saubere / anonyme Handys

Ein Leitfaden 28.07.2011 - 21:46
Der "Dresdner Datenskandal" bestätigt einmal mehr den seit Jahren geforderten Umgang mit Handys im politischen Kontext.

1. Private Handys haben bei politischen Aktionen nichts verloren. Sollte nicht die Möglichkeit bestehen, diese zu Hause zu lassen, müssen sie frühzeitig ausgemacht werden. Beim Ausschalten wird jedoch die Funkzelle noch mal über die Abschaltung informiert. Das ist natürlich auch für die Bullen eine interessante Info. Daher: Am besten das Handy zu Hause lassen oder wenigstens frühzeitig an einem anderen Ort ausmachen. Wenn das Handy mal an war und ihr in eine Aktion gestolpert seid (z.B. Nazis auf der Straße trefft): Akku ohne vorheriges Ausschalten raus! Dann wird wenigstens die Abmelde-Nachricht nicht an die Funkzelle gesendet. Natürlich fällt es bei einer Telefonüberwachung (jedoch nicht bei einer Funkzellenabfrage) auf, dass euer Handy aus ist, also bleibt die beste Strategie: Handy angeschaltet zu Hause liegen lassen.

2. Wenn ihr bei einer Aktion Handys braucht, kommen nur saubere / anonyme Handys in Frage. Anonym ist ein Handy nur, wenn
a) ihr keine Spuren beim Kauf des Handys hinterlassen habt. Also am besten in einem kleinen Laden ein Standard-Modell Bar bezahlen.
b) ihr keine Spuren beim Kauf einer Sim-Karte hinterlassen habt. Am besten die Sim-Karte in einem Kiosk / Späti kaufen und darauf achten, dass diese bereits registriert ist. Ansonsten geht auf der Kauf einer Aldi Talk-Karte und die Freischaltung per Internet über eine anonymisierte (TOR) Verbindung.
c) ihr keine Spuren bei der Benutzung (!) des Handys hinterlasst. Dies ist wohl der wichtigste Punkt, der häufig vernachlässigt wird. Ein Handy ist nur dann sauber, wenn mit dem Handy nur auf Telefone angerufen wird, die ebenfalls sauber sind. Anrufe auf die Handys von Freunden, Eltern und co sind absolut tabu. Dies ist besonders wichtig, da ihr nach einem solchen doofen Anruf nicht nur das Handy in den Müll schmeißen solltet. Viel schlimmer: Ihr hinterlasst Spuren, wodurch auch frühere Aktionen, bei denen das Handy aufgetaucht ist, euch zugeordnet werden können!

Ein solcher Art sauberes Handy kann euch nur durch zwei Sachen zugeordnet werden, also im schlimmsten Fall vor Gericht bringen:
I. Wenn ein Handy, mit dem ihr kommunziert habt, nicht sauber im Sinne dieser Kriterien genutzt wurde. Ihr müsst also mit allen Leuten, mit denen ihr telefoniert, diese Kriterien durchsprechen und ihnen vertrauen, dass sie sich auch dran halten.
II. Wenn es irgendwie den Bullen gelungen ist, einen Mitschnitt eines Telefonats von eurem sauberen Handy zu ergattern. Über diesen könntet ihr an Hand euer Stimme identifziert werden.
Es ist jedoch normalerweise mehr als unwahrscheinlich, dass ein Telefonat von einem sauberen Handy mitgeschnitten wird. Um euch abzuhören, müssen die Bullen wissen, welches Handy ihr nutzt. Wenn sowohl Sim-Karte als auch Gerät frisch gekauft wurden, haben sie dafür keine Anhaltspunkte. Im Gegensatz zu Verbindungsdaten werden die Gespräche von den Providern nicht gespeichert, dass wären viel zu große Datenmengen. Auch ist es äußerst unwahrscheinlich, dass bei einer Rasterfahndung wie dem "Dresdner Datenskandal" nicht nur alle Verbindungsdaten einer Funkzelle sondern auch alle Gespräche über diese mitgeschnitten werden. Dass wäre nicht nur datenschutzrechtlich ein viel heikleres Thema, sondern auch schlicht auf Grund der Menge an Daten nicht auswertbar.
Dass ein Gespräch von euch mitgeschnitten wird, ist jedoch wahrscheinlich, wenn ihr bei einem Info-Telefon oder dem EA anruft. Also: Keine Anrufe zum Info-Telefon oder EA vom sauberen Handy aus!

Eine große Unachtsamkeit bei sauberen Handys - und damit eine Gefahr für euch und die Leute, mit denen ihr telefoniert! - ist die mehrfache Benutzung. Je häufiger ihr ein sauberes Handy nutzt, desto größer ist die Gefahr, dass einmal ein Fehler gemacht wird. Desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihr einmal mit jemand telefoniert, der/die sich nicht an die Standards hält. Und vor allem: Mit desto mehr Sachen könnt ihr in Verbindung gebracht werden, wenn es doch schief geht!

Dass große Problem an sauberen Handys ist also: Sie können guten Gewissens nur für eine Aktion genutzt werden und gehören danach in die Tonne. Sie kosten jedoch leider auch einige Euros und Geld ist bekanntlich immer knapp. Daher überlegt euch gut, ob ihr wirklich ein Handy für die Aktion braucht oder nicht darauf verzichten könnt.

Von vermeintlichen Kompromissen zwischen Kosten und Sicherheit würde ich dringend abraten. Die Einstellung "ist ja nichts wirklich passiert, kann ja nochmal genutzt werden" kann euch gehörig auf die Füsse fallen: a) Konstruieren die Bullen gerne Zusammenhänge, die in der Realität nicht vorhanden sind. Und viel entscheidender: b) Wisst ihr nie, was bei der nächsten Aktion passiert. Und wenn dann viel passiert, könnt ihr nichts mehr daran ändern, dass das Handy nicht mehr wirklich sauber war.

wichtige ergänzung

s 30.07.2011 - 13:05
wie sich im §278a-Fall in Österreich herausgestellt hat (siehe antirep2008.org) ist wichtig zu wissen, dass es sowohl SIM als auch IMEI nummer gibt und beide (!) werden bei telefonanbietern gespeichert.
SIM ist die nummer der SIM karte, also die rufnummer. hier wird gespeichert, auf wen die registriert ist und wann die mit wem telefoniert hat. und, in zusammenhang mit welcher IMEI nummer sie aufgetaucht ist! Denn
IMEI ist die gerätenummer des handys selbst. dh, wer ein altes früher mal benutztes privat-handy mit einer neuen SIM karte nutzt, ist die SIM auch zuordenbar, weil ja die geräteummer mit eurer damals verwendeten nummer assoziiert werden kann.

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