9 Nazi-Kriegsverbrecher in Verona verurteilt

Pietro Varini 07.07.2011 08:30 Themen: Antifa Militarismus Weltweit
Am 6. Juli 2011 fiel das Urteil im Prozess gegen neun ehemalige Wehrmachtssoldaten der Berliner Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring“ vor dem Militärgericht in Verona. Die Angeklagten wurden zu lebenslangen Haftstrafen und Schadensersatzzahlungen in unbekannter Höhe an die Hinterbliebenen, die Partisan_innen-Organisation A.N.P.I., die betroffenen Kommunen, an die Provinz Modena und die Region Emilia-Romagna verurteilt. Damit endet ein langjähriger Prozess, der am 11. November 2009 mit zwölf Angeklagten begonnen hatte. In dem Verfahren ging es um Massaker an der Zivilbevölkerung, die zwischen März und Juni 1944 in der Grenzregion zwischen den Regionen Emilia-Romagna und der Toskana begangen wurden.
Die Verurteilten Horst Günther (84), Günther Heinroth (84), Erich Köppe (91), Alfred Gabriel Lühmann (84), Helmut Odenwald (90), Fritz Olberg (88), Ferdinand Osterhaus (92), Wilhelm Karl Stark (89) und Hans Georg Karl Winkler (88) gehörten zu verschiedenen Einheiten der Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring“, die im Zeitraum zwischen März und Juni 1944 in den Bergen der Apenninen mindestens 400 Menschen ermordeten und die betroffenen Dörfer ausradierten. Unter den Opfern waren zumeist Kinder, Frauen und alte Männer. Außerdem wurden die Häuser und Felder niedergebrannt und das Vieh getötet. Ziel war, daß an den Orten der Massaker nie wieder ein Mensch würde leben können.

Die Division „Hermann Göring“ hat eine steile Karriere gemacht. Sie wurde als Polizeieinheit gegründet und wuchs auf Divisionsstärke ohne den Status als Truppe „mit besonderem Auftrag“ zu verlieren. Wie kein anderer Wehrmachtsverband ist die Division „Hermann Göring“ mit der Stadt Berlin verknüpft. So waren die Einheiten der Division bis 1945 in der heutigen Julius Leber Kaserne in Berlin Reinickendorf stationiert, die explizit für die „Lieblingseinheit“ des Reichsmarschall als „Soldatenstadt im Grünen“ ausgebaut wurde. Rekrutiert wurde vor allem unter Abiturienten. Die Division aus überzeugten Nationalsozialisten war eine der größten der Wehrmacht und galt als hervorragend ausgestattet.

Im Jahr 1933 gründete Hermann Göring die Polizeiabteilung Wecke „zur besonderen Verwendung“ (PAW z.b.V.), die in Kreuzberg unweit des Tempelhofer Feldes stationiert war. Zusammen mit der Gestapo führte die Einheit systematische Razzien und Massenverhaftungen von Kommunist_innen, Sozialdemokrat_innen und Gewerkschafter_innen in Berlin durch. Schon ein Jahr später wurde die Polizeiabteilung mit einer Einheit handverlesener Polizeischüler aus Potsdam Eiche vereinigt. Das neue Regiment „General Göring“ (RGG) wurde 1935 in die Luftwaffe eingegliedert und zog in die zwischen 1936 bis 1939 ausgebaute heutige Julius Leber Kaserne nach Berlin Reinickendorf. Bis 1943 wuchs der Wehrmachtsverband auf Divisionsstärke und wurde als Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring“ zunächst in Nordafrika und dann in Italien eingesetzt. Dort ermordeten Einheiten der Division mindestens 1.500 Menschen. Die Soldaten vergewaltigten und zündeten die Dörfer an. Der „besondere Auftrag“ der Spezialeinheit bestand darin Terror unter der Zivilbevölkerung zu verbreiten und jedes leben zu vernichten.

Vor dem Militärgericht wurde die Beteiligung an Massakern in 21 Ortschaften in der Grenzregion zwischen der Emilia-Romagna und der Toskana verhandelt. In Monchio, Susano und Costringano in der Provinz Modena ermordeten am 18. März Einheiten der Fallschirm-Panzer-Aufklärungsabteilung „Hermann Göring“ 132 Menschen. In Cervarolo und Civago töteten die Soldaten am 20. März 27 Zivilist_innen. Am Monte Morello in der Provinz Florenz ermordeten Soldaten verschiedener Einheiten der Division „Hermann Göring“ bei einer Durchkämmungsaktion am 7. und 8. April in mehreren Dörfern 14 Menschen. Im Gebiet des Casentino, an den Hängen des Monte Falterona, in der südtoskanischen Provinz Arezzo wurden zwischen dem 12. und dem 17. April mindestens 200 Menschen ermordet, unter ihnen viele Kinder. In Mommio und Sassalbo in der Provinz Massa-Carrara, in der Nordtoskana, töteten mehrere Wehrmachtseinheiten, unter ihnen eine Einheit der Fallschirm-Panzer-Aufklärungsabteilung „Hermann Göring“, und faschistische Truppen in mehreren Ortschaften 22 Menschen.

Die Kriegsverbrecher leben trotz des Verfahrens weitestgehend ungestört in Deutschland. Die verbliebenen neun Angeklagten beteiligten sich zu keinem Zeitpunkt an dem Verfahren und blieben dem Prozess fern. Lediglich Ferdinand Osterhaus aus Osnabrück schickte zu einigen Verhandlungstagen einen eigenen Anwalt. Die deutschen Behörden allerdings machten und machen wenig Anstalten die Verurteilungen umzusetzen oder eigene Verfahren anzustrengen. Hintergrund ist hierbei, daß offenbar die Bundeswehr und ihre Veteranen aus der Wehrmacht weiterhin geschützt werden. Die Geschichte der Verdrängung, die seit der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und der sogenannten „provisorischen Archivierung“ im „Schrank der Schande“ (ital. Armadio della vergogna) in dem Ermittlungsakten zu deutsche Kriegsverbrechen in Italien von 1960 bis 1994 lagerten, setzt sich auch heute fort.

Doch mit der Ruhe für die Nazi-Opas ist es nun vorbei. Die nun mehr verurteilten Kriegsverbrecher und ihre Nachbarschaft wir mit den Toten aus den apenninischen Bergen konfrontiert werden. Die Nazis konnten sich zwar dem Prozess entziehen, aber die Beteiligung an den Massakern bleibt unvergessen!

Aktuelle Ankündigungen zu Aktionen in den nächsten Tagen gibt es u.a. hier:
 http://ns-prozesse.blogspot.com

* ora e sempre: resistenza *

Weitere Informationen
Italien unter deutscher Besatzung  http://www.resistenza.de
Institut Istoreco  http://istoreco.re.it
Initiative „Keine Ruhe“  http://keine-ruhe.org
Per non dimenticare – Soundtrack gegen das Vergessen  https://akab.noblogs.org/post/2011/06/22/soundtrack-gegen-das-vergessen
Video zu den Massakern der Division „Hermann Göring“  http://vimeo.com/25452074
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Ergänzungen

Massaker an der Zivilbevölkerung

antifa 07.07.2011 - 11:55
Die angesprochenen Massaker betrafen ausschließlich Zivilist_innen, also neudeutsch sogenannte Nicht-Kombattanten. Von den deutschen SS- und Wehrmachtseinheiten wurden Frauen, Kinder und alte Männer ermordet. Die Häuser der Dörfer wurden zerstört. Die Felder wurden angezündet. Wer noch lebte, wurde vergewaltigt. Die Orte der Massaker, wie auch im Text zu und bei den verlinkten zusätzlichen Informationen zu lesen ist, wurden dem Erdboden gleichgemacht. Ziel war es explizit jedes menschliche Leben in den Bergen unmöglich zu machen.

Wer Bilder zu den Grausamkeiten der Nazis und ihrem Vernichtugnswillen benötigt soll sich das Video anschauen. Dort sind keine Partisan_innen zu sehen. Die waren längst weg, als die Deutschen kamen. Es sind zerstörte Dörfer und Städte zu sehen!

Diese Massaker sind bis heute ungesühnt. Der deutsche Staat verweigert sich, sowohl bei den Entschädigungszahlungen als auch bei der strafrechtlichen Aufarbeitung der Kriegsverbrechen. Im Übrigen wurde die Verweigerung von "ganz oben" forciert. Steinmeier hat begonnen, Merkel und Berlusconi haben vollendet!

Keine Entschädigung wg Massaker

außerdem 07.07.2011 - 16:16
Keine Entschädigung wegen Massaker in Griechenland 1944

Karlsruhe (Reuters) - Deutschland muss Hinterbliebene der Opfer des Massakers im griechischen Dorf Distomo von 1944 auch nach einem Beschluss des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) nicht entschädigen.

Die Europäische Menschenrechtskonvention verpflichte die Mitgliedstaaten nicht dazu, Wiedergutmachung für das Unrecht ihrer Vorgängerstaaten zu leisten, hieß es in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss. Damit wies das Straßburger Gericht die Klage mehrerer Hinterbliebener gegen Deutschland auf Schadenersatz ab. Der juristische Weg ist für die Kläger damit ausgeschöpft. (Beschwerdenummer 24120/06)

Im Juni 1944 brachte die Waffen-SS als Vergeltung für einen Partisanenangriff 218 Bewohner Distomos um und brannte das Bergdorf nieder. Die vier Kläger waren damals Kinder und überlebten den Angriff nur durch Zufall. Sie sind der Auffassung, dass Deutschland für die Kriegsverbrechen der Nazizeit haften und ihnen Schadenersatz zahlen muss.

Ein griechisches Bezirksgericht gab ihnen 1997 zwar teilweise recht. Der griechische Justizminister verweigerte aber seine Zustimmung zu einer Zwangsvollstreckung. Die gleichzeitig vor deutschen Gerichten eingereichten Klagen scheiterten. Die Gesetze sähen in einem solchen Fall keinerlei individuelle Entschädigungen vor, entschied 2006 zuletzt das Bundesverfassungsgericht. Denn Reparationen wegen Kriegsverbrechen seien Sache der Staaten untereinander. Privatpersonen könnten Schadenersatz nur als NS-Verfolgte einfordern, nicht jedoch als Opfer von Kriegshandlungen.

Jetzt blieb auch die Klage vor den EGMR gegen diese Rechtssprechung ohne Erfolg. Die Entscheidungen der deutschen Justiz seien nicht willkürlich, hieß es. Die Kläger hätten damit keine berechtigte Erwartung auf Schadenersatz.

Formale Gerechtigkeit nach 67 Jahren

gefunden 07.07.2011 - 23:43
Zehn Stunden mussten die Überlebenden, Familienangehörigen und zahlreichen Vertreter der betroffenen Dörfer und Provinzen am Mittwoch ausharren, bis die Richter ihr Urteil bekannt gaben. Doch das Warten sind sie gewöhnt. Insgesamt 67 Jahre hat es gedauert, bis die Kriegsverbrecher für die Ermordung ihrer Eltern, Großeltern, Geschwister und Freunde sowie die Zerstörung ihrer Häuser im Frühjahr 1944 bestraft wurden. Um 21 Uhr verkündete das Militärgericht von Verona endlich sein Urteil. Sieben der neun Angeklagten erhielten lebenslange Haftstrafen. Alle Massaker an 400 Zivilisten in den Apenninen, der Emilia und Toskana, die in dem Verfahren aufgearbeitet wurden, sind damit als Kriegsverbrechen anerkannt. Zudem wurde der deutsche Staat zu Schadenersatzzahlungen in Millionenhöhe verurteilt.

mehr  http://www.neues-deutschland.de/artikel/201617.formale-gerechtigkeit-nach-67-jahren.html

Freisprüche

AG Reggio-Emilia 08.07.2011 - 21:03
Es gab nur 7 Verurteilungen und zwei Freisprüche. Siehe folgenden Artikel:

Kundgebung: Keine Ruhe den NS-Tätern!

kein vergessen 08.07.2011 - 21:05

KEINE RUHE DEN NS-TÄTERN!

Tatort: Norditalien, 1944.
Wohnort: Berlin-Reinickendorf, 2011.

Vor einigen Tagen am 06. Juli wurde ein Berliner Senior vor dem italienischen Militärgericht in Verona in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. Er beteiligte sich als Angehöriger der Wehrmachtsdivision „Hermann Göring” an Massakern in Nord-Italien, bei denen mehrere Hundert unbeteiligte ZivilistInnen ermordet wurden. Trotz der rechtskräftigen Verurteilung müssen der Verurteilte seine Haftstrafe nicht antreten, da der deutsche Staat ihn nicht ausliefert. Dies hat Tradition: Die wenigsten NS-Täter wurden für ihre Taten bestraft. In Deutschland wird man nicht gerne daran erinnert, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus von Deutschen begangen wurden.

Daher leben die Täter weiterhin ungestört in Ihrer Nachbarschaft - einer von Ihnen auch in Reinickendorf!

Wir werden diese Verhältnisse ändern:
Deshalb gehen wir in die Nachbarschaft des NS-Kriegsverbrechers und zeigen ihm, dass die ruhigen Zeiten vorbei sind! Nazi-Kriegsverbrecher aus der Anonymität holen!

Am Samstag, den 16. Juli 2011 rufen wir zu einer Kundgebung in der Nähe des Wohnhäuses auf.
Wir fordern, dass NS-Mörder ausgeliefert werden und sich dem italienischen Gericht und den Angehörigen der Ermordeten stellen!

Kein Vergeben, kein Vergessen den NS-Verbrechen!

Kundgebung am Sa, 16. Juli 2011 in Berlin
12.00 Uhr Reinickendorf: Becherweg / Lübener Weg (U8 Paracelsusbad)

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 7 Kommentare an

Unverhältnismäßigkeit — Nein, kein Nazi

@autor — xxx

... — Alle Achtung...

Nazi tritt wehrloser Frau die Zähne aus! — (muss ausgefüllt werden)