Sachsen: Im Zweifel für den Innenminister

addn.me 02.07.2011 00:01 Themen: Blogwire Freiräume Repression
In Dresden rumort es weiter. Schon seit beinahe zwei Wochen müssen sich Innen- und Justizminister des Freistaats den Fragen der Medien und der Oppositionsparteien stellen. Nicht immer ist die Berichterstattung aber so kritisch wie in überregionalen Medien. In der auflagenstärksten lokalen Zeitung wird deutlich, wie sehr das Obrigkeitsdenken einer schweigenden Mehrheit in der Bevölkerung inzwischen auf die Berichterstattung abgefärbt hat. So werden mittlerweile die Menschen zum Ziel medialer Kritik, die sich nicht hinter Ulbigs intransparente Politik stellen und den Führungsstil zum Teil offen kritisieren.
Während die aktuelle Datenaffäre im Freistaat zumindest in der bundesweiten Presse für Kritik sorgt, versuchen lokale Redakteure der Sächsischen Zeitung inzwischen immer wieder, dem verantwortlichen Innenminister Markus Ulbig (CDU) demonstrativ den Rücken zu stärken. Während SZ-Lokalredakteur Alexander Schneider gleich zu Beginn der Affäre die Abfrage telefonischer Daten durch die Polizei als Teil "alltäglicher Ermittlungsarbeit" in seinem Kommentar verteidigt hatte, so erinnerte Karin Schlottmann in der heutigen Ausgabe der Zeitung noch einmal an längst vergessen geglaubte Zeiten. Obwohl vor etwas mehr als 20 Jahren Kritik am Vorgehen staatlicher Überwachungsorgane in der Regel hinter Gefängnismauern endete, stellt sie fest, dass einem Teil der kritischen Stimmen unterstellt werden muss, "den Vorgang zu benutzen, um einen politischen Skandal zu inszenieren". Damit setzt ihre Kritik nicht wie zu vermuten wäre, am datenschutzrechtlich zumindest bedenklichen Auswerten hunderttausender Handydaten an, sondern bei den Menschen, die sich als politisch verantwortliche Personen kritisch zu dem völlig intransparenten Vorgehen der sächsischen Polizei geäußert haben. Wenn die wenigen Menschen, die überhaupt noch bereit sind auf der Straße ihr Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit wahrzunehmen, damit rechnen müssen, zur Zielscheibe staatlicher Überwachungsphantasien zu werden, dann bedarf es nicht nur einer gerichtlichen Prüfung über die Rechtmäßigkeit solcher Maßnahmen, sondern auch einer gesellschaftlichen Debatte über die Notwendigkeit verfassungsmäßiger Grundrechte.

Begleitet werden die Kommentare der beiden Redakteure von eingesendeten und von der Zeitung unkommentiert veröffentlichten Leserbriefen, die sich beinahe ausnahmslos empört über die Kritik an den sächsischen Zuständen äußern. So schreibt Leser Andreas K. davon, dass angesichts der "schrecklichen Bilder [...] im Fernsehen", "alle Maßnahmen ergriffen werden [sollten], um die Schuldigen zu finden und zu bestrafen" und meint damit explizit "auch das Auswerten von Telefondaten". Dem gleichen Tenor schließt sich auch der langjährige Chef der Sächsischen Dampfschiffahrt Michael L. an wenn er fordert, dass "zuständige Behörden nicht daran gehindert werden [sollten], [...] geeignete Maßnahmen zu ergreifen". Für Ines H. steht fest, dass mit der Diskussion über die Überwachung zehntausender Menschen "unsere Polizei zum zahnlosen Tiger degradiert" wird, während "sich Kriminelle langsam aber sicher totlachen". Auch für Universitätsmitarbeiterin Carola D. ist der "ganze Trubel um den angeblichen Datenmissbrauch [..] völlig unverhältnismäßig". Die Verwendung der Daten ist in ihren Augen vielmehr der "Preis für eine allgemeine Sicherheit der Dresdner". Allen Kommentaren gemein ist ein fehlendes Verständnis darüber, dass ein Staat, auch wenn es um die Aufklärung von Straftaten geht, an Gesetze und Vorschriften gebunden ist. Obwohl in Zeiten von Facebook und Co. inzwischen viele Menschen kaum noch einen Bezug zu Datenschutz und Persönlichkeitsrechten herstellen können, ist es gerade für Mandatsträger wichtig, ihr eigenes Handeln darauf abzustimmen oder im Zweifelsfall durch Transparenz gegenüber einer kritischen Öffentlichkeit zu überzeugen. Passiert das nicht, dann ist die Vision des Orwellschen Überwachungsstaates aus 1984 nicht mehr weit.

Wenn die Polizei in Dresden offenkundig nicht zum ersten Mal die Daten zehntausender Bürgerinnen und Bürger zur Strafverfolgung speichert und auswertet, dann ist es skandalös, dass die verantwortlichen Dienstherren davon erst aus der Zeitung erfahren. Nicht jede Straftat rechtfertigt eine umfassende Rasterung der Bevölkerung, das Gesetz hat für solche schwerwiegenden Eingriffe in das Privatleben jedes Einzelnen klar festgelegte Regeln. Wenn dann wie im Fall des Brandanschlags auf Fahrzeuge der Offiziersschule des Heeres auch Jahre später die Verbindungsdaten eines ganzen Stadtteils noch immer nicht gelöscht worden sind, dann ist das angesichts aktueller Diskussionen über Datenschutz und Persönlichkeitsrechte mehr als fahrlässig. Auch die Polizei hat sich an geltende Gesetze zu halten und muss sich leider viel zu selten für Fehler verantworten. Das jüngste Beispiel aus Frankfurt am Main, als scheinbar Zivilbeamte der Bundespolizei am Rande einer Demonstration gegen die Innenministerkonferenz beim Werfen von Knallkörpern von TeilnehmerInnen der Demonstration enttarnt worden waren zeigt, wie schlecht es um das Rechtsverständnis von Beamtinnen und Beamten offensichtlich bestellt ist.

Wenn sich im Zuge der Datenaffäre der sächsische Innenminister den Fragen des Parlaments und der Medien stellen muss, dann hat das einen guten Grund. Schließlich fallen in den Zuständigkeitsbereich des Innenministers auch Fragen des Datenschutzes. So ist es nicht verwunderlich, dass sich mit den immer deutlicher abzeichnenden Informationsdefiziten über die Vorgänge in seinem Ministerium der Fraktionsvorsitzende der Linken, André Hahn, für einen Rücktritt von Markus Ulbig und die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission ausgesprochen hat. Ulbig habe, so Hahn weiter, "offenbar sowohl das Parlament als auch die Öffentlichkeit in einem gravierenden Punkt belogen". Zur weiteren Aufklärung soll es zunächst auf Antrag der Oppositionsparteien in der nächsten Woche eine Sondersitzung des Landtagsauschusses für Verfassung und Recht geben.
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Ergänzungen

Kommentar 1

Antifa 02.07.2011 - 11:02
Die Kritik an der Polizei zielt daneben
Von Alexander Schneider

über polizeiliches Sammeln von Handy-Daten

Die Kritik, die Polizei habe eine massive, gar rechtsstaatswidrige Überwachungsaktion durchgezogen, ist absurd. Die Abfrage von Handydaten ist alltägliche Ermittlungsarbeit bei der Verfolgung schwerer Delikte. Ob Brandstiftung, Einbruchserien oder bandenmäßiger Betrug an Geldautomaten – mit den Verbindungsdaten hat die Polizei einen Nachweis, dass Verdächtige in Tatortnähe waren.

Umso mehr gilt das bei zahlreichen links- und rechtsextremen Gewalttätern, die am 19. Februar wohl auch an mehreren Brennpunkten in Dresden aktiv gewesen waren. Ein kleines – und längst nicht das entscheidende – Indiz dafür könnten deren Telefondaten liefern.

138.000 Datensätze vergrößern die Kritik der Opposition nicht, sondern sagen nur, dass an dem Tag in Dresden sehr viel telefoniert wurde. Für unbeteiligte Dritte wird – und darf – das aber keine Konsequenzen haben.

Der Skandal ist nicht die Datenabfrage. Der Skandal ist, dass bis heute noch kein verdächtiger Gewalttäter ermittelt wurde. Daran muss die Polizei arbeiten.

Quelle: Sächsische Zeitung (22.06.11)

Kommentar 2

Antifa 02.07.2011 - 11:05
Der Innenminister ist hilflos

Von Karin Schlottmann

über den Umgang der Landesregierung mit der Handy-Affäre

Sachsens Innenminister Markus Ulbig hat sich in eine schwierige Lage manövriert. Der CDU-Politiker opferte einen seiner besten Polizeichefs, um die sogenannte Handy-Affäre aus der Welt zu schaffen. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen. Nach seinen widersprüchlichen Aussagen zum Thema Handy-Datenauswertung und Telefonüberwachung erscheint er politisch schwächer als je zuvor.

In seiner Hilflosigkeit gelingt es ihm nicht einmal mehr, die Skandalisierung von Ermittlungsverfahren gegen politisch motivierte Gewalttäter zu verhindern. Dass die Polizei im Auftrag der Staatsanwaltschaft Telefongespräche von Beschuldigten mitgeschnitten hat, ist schon seit Monaten bekannt. Schließlich geht es um Ermittlungen gegen konkrete Personen, die die gewalttätigen Übergriffe der Autonomen am 19.Februar gesteuert haben sollen. Daran ist überhaupt nichts auszusetzen.

Der Vorwurf, der Protest gegen Neonazis werde durch die Polizei „kriminalisiert“, ist vorgeschoben. Die Steinewerfer haben die Demonstrationen für ihre Zwecke missbraucht. Sie haben sich in der Anonymität der Masse versteckt und gezielt die gewalttätige Konfrontation gesucht. Ob es korrekt war, auf der Suche nach den Gewalttätern mehr als eine Million Telefonverbindungsdaten abzufragen, wird ein Gericht entscheiden.

Einem Teil der Kritiker kann man getrost nachsagen, dass sie über die technischen und rechtlichen Möglichkeiten von Polizei und Justiz nicht informiert sind. Einem anderen Teil muss man aber unterstellen, den Vorgang zu benutzen, um einen politischen Skandal zu inszenieren. Wie schäbig.

Quelle: Sächsische Zeitung (01.07.11)

Schlottmanns Wandel

aa 02.07.2011 - 12:21
Frau Schlottamnn hat sich zur selben Sache auch schon ganz anders geäußert, allerdings war sie dort auch gewissermaßen selbst getroffen:  http://www.gewaltenteilung.de/schlbinn.htm

Tillich stellt klar

XXX 02.07.2011 - 13:59

Presse Linke Sachsen

action 03.07.2011 - 00:16
Gebhardt erwartet nach Überwachungsskandal politische Konsequenzen der Verantwortlichen

Anlässlich der bekanntgewordenen offenbar deutlich umfangreicheren Funkzellenüberwachung erklärt Rico Gebhardt, Vorsitzender der sächsischen LINKEN:

"Überwachung ist kein legitimes Mittel der Politik, und eine Massenüberwachung bringt gar nichts. Wir kommen aus einem System in dem Überwachung der Maßstab von Politik gewesen ist, deshalb sind wir als Partei hier besonders sensibel.

Wenn es stimmt, wie die Freie Presse berichtet, dass deutlich mehr als 138000 Datensätze - es heißt bis zu 800000 Datensätze - ausgespäht wurden, dann erwarte ich politische Konsequenzen der Verantwortlichen."


Gebhardt zu Dresdner "Funkzellenauswertung"

Die Dresdner Polizei hat bei den Antinaziprotesten im Februar dieses Jahres die Handyverbindungen von tausenden Demonstranten, aber auch Anwohnern, Journalisten, Anwälten und Politikern ausgespäht. Wie durch die Staatsanwaltschaft Dresden bestätigt wurde, wurde am 19. Februar weiträumig eine sogenannte Funkzellenauswertung (FZA) durchgeführt.
Dazu erklärt Rico Gebhardt, der Vorsitzende der sächsischen LINKEN:
"Mit der kompletten Überwachung aller ein- und ausgehenden Kommunikation hat die Dresdner Polizei nicht nur antifaschistischen Widerstand in empörender Art und Weise kriminalisiert und ist mit einem Generalverdachtsgedanken gegen jegliches zivilgesellschaftliches Engagement vorgegangen, sondern verletzt überdies die Privatsphäre tausender Bürgerinnen und Bürger.

Dabei geht es offensichtlich nicht nur gegen den Widerstand gegen die Nazis, sondern gegen alle Mitglieder der Gesellschaft, wurden doch damit auch die Telefonate und SMS von Lieschen Müller überwacht.

Diese pauschale und permanente Überwachung ist noch viel schlimmer als die Videoüberwachung anzusehen, da die betreffenden Personen bei der Handyüberwachung schon vorher identifiziert sind.

Die Technik ist vorhanden, also nutzt die Polizei sie auch, wenn es dem Staat passt? Das kann nicht sein. Ich sehe darin einen weiteren Baustein, dass die Bürgerinnen und Bürger mit permanenter Überwachung rechnen müssen."

 http://www.dielinke-sachsen.de/

rechte "Journalisten"

Namenmerker 03.07.2011 - 18:47
Natürlich ist Alexander Schneider kein "normaler Journalist" sondern ein seit Langem einschlägig bekannter rechter Hetzer.

 http://venceremos.sytes.net/archiv/braunersumpf/schneider.html

Sachsen ist ein rechter Sumpf, sei es nun die CDU/FDP-Regierung, die rechten Proffesoren an den Unis (Jesse/Backes/Rindermann) mit ihrer "Extremismustheorie" oder eben die CDU-hörigen Schmierblätter "Freie Presse" oder "Sächsische Zeitung".

Die "Freie Presse" gehört dem rechten Milliardär und Kohl-Weggefährten Dieter Schaub:

 http://de.wikipedia.org/wiki/Freie_Presse


Die "Sächsische Zeitung" gehört der Bertelsmann-Gruppe und einem Medienunternehmen der SPD:

 http://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%A4chsische_Zeitung

Sachsen ist ein brauner Sumpf in vielerlei Hinsicht. Aber jede Epoche geht einmal zu Ende und diverse Namen werden sich natürlich gemerkt.

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Ich weis... — Anti

yeah — yeah

nee, kenn ich nich — big brother

Frieheit — sirbt