(LG) Frommestraße 2 geräumt

Fromme_Freundin 30.06.2011 03:34 Themen: Freiräume Kultur Repression Soziale Kämpfe
Am Dienstag morgen gegen 7.00 Uhr morgens wurde das nun schon seit einigen Wochen besetzte Haus in der Frommestraße 2 mit massivem Polizeieinsatz geräumt. Direkt im Anschluss wurden Tatsachen geschaffen: Unter Polizeibewachung statt mit Bauzaun wurde vor den Augen der Besetzer_innen direkt mit dem Abriss begonnen. Mit einer anschließenden Demonstration verliehen viele der Besetzer_innen, Anwohner_innen und Unterstützer_innen ihrer Wut und Traurigkeit über das Ende ihres angeeigneten Freiraumes, sowie der Art der Räumung Ausdruck. Die Besetzer_innen sind nicht verschwunden. Der gegenüberliegende Park wurde besetzt um der Aktualität ihrer Forderungen Ausdruck zu verleihen: Ein unkommerzieller kultureller Treffpunkt in Lüneburg – für Menschen unterschiedlichen Alters, Bildungsstands oder sozialer Lage. Außerdem sei mit dem Abriss der Frommestraße 2 die Situation nicht beendet, die Situation des Haus Nr. 4 ist weiterhin unbefriedigend und unklar.
Die seitens der Stadt in den letzten Wochen immer wieder signalisierte Gesprächsbereitschaft mit Besetzer_innen „mit denen man reden könne“ über mögliche Alternativlösungen statt einer alternativlosen Räumung wurden gestern offensichtlich entlarvt als Lippenbekenntnisse und politisches Blablabla. Die Vorstellungen des Eigentümers Sallier wurden nun mit Fingerspitzengefühl konkret: Eine heranstürmende Hundertschaft BFE-Einheiten fackelte nicht lange, trampelte über die Besetzer_innen hinweg, Polizeihunde wurden angekarrt, Besetzer_innen auf dem Grundstück mit Gewalt entfernt, Unterstützer_innen von außen mit Pfeffersprayeinsatz als Nahkampfwaffe weggedrängt, mehrere Verletzte mussten behandelt werden. Nach Abschluss der Räumung wurden gezielt mehrere Einzelpersonen aus dem Unterstützer_innenkreis zur Personalienfeststellung herausgegriffen, es gab mehrere Ingewahrsamnahmen. Sogar auf einen älteren Menschen stürmte ein Trupp zu, warf ihn auf den Boden um ihn dort erstmal zu fixieren und dann zur Personalienfeststellung mit zu zerren. Vorwürfe waren teilweise nicht auszumachen, teilweise wurde „irgendwie Widerstand“ oder „Beleidigung“ formuliert. Nach der Räumung wurde nicht das Aufstellen des bereits herangeschafften Bauzauns abgewartet, sondern in einer surrealen Szenerie hinter einer Polizeikette direkt mit dem Abriss begonnen.

Blödsinn im Senkungstrichter: Die Frommestraße 2 befindet sich im Zentrum des so genannten Senkungsgebiets in Lüneburg. Eine geologische Besonderheit aufgrund des jahrhundertelangen Salzabbaus unter der Stadt. Weiterhin unklar ist auch die Situation der angrenzenden Frommestraße 4. Die Bewohner_innen des denkmalgeschützten, auch im Besitz von Investor Jürgen Sallier befindlichen Hauses sind ebenfalls von Vertreibung bedroht. Hier existieren zwar Mietverhältnisse, doch: Das Haus ist teilweise sanierungsbedürftig, neigt sich in Richtung Senkungstrichter. Die Schieflage wird von Jahr zu Jahr stärker. Wird das Haus als „nicht standsicher“ beurteilt müssen die Bewohner_innen ausziehen. Die Sanierungsbedürftigkeit des Hauses soll so als Grund herhalten, die Mieter_innen zu vertreiben und die innenstadtnahe Lage in höhere Profite umzumünzen. Ein Bauvorhaben auf dem Grundstück Frommestraße 2 im Senkungstrichter gefährdet die umliegenden Häuser, macht Aufwertungs-Sanierungen unumgänglich. Investor Sallier will so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Bauvorhaben auf Nr. 2, Luxussanierung ab Nr. 4. Die Bürgerinitiative Frommebastion kritisierte schon 2008 das geplante Bauvorhaben Salliers auf dem Grundstück Frommestraße 2: „ Wie sich schon an anderen Orten in Lüneburg zeigt, ist eine Bebauung geologisch sensibler Bereiche mit enormen Konsequenzen verbunden, deren ganzes Ausmaß noch nicht abzusehen ist. (...) Eine Bebauung an einer der bekanntesten und schlimmsten Abbruchkanten in der Frommestraße, an dem Lüneburger Hauptverwerfungslinie, Mergelrand und Abbruchkante mit zahlreichen Erdfällen zusammentreffen, ist schlichtweg skandalös und unverantwortlich“. Wird hier gebaut, werden unkalkulierbare Auswirkungen auf die bestehenden umliegenden Häuser befürchtet. Bisher ist auch für die Stadt völlig unklar, ob eine Bebauung des Grundstücks überhaupt möglich ist. Warum also nun der Abriss?

Die Frommestraße 2 ist im Abriss - die Vorstellungen der Besetzer_innen bleiben aktuell: Ein unkommerzieller Treffpunkt in Lüneburg – für Menschen unterschiedlichen Alters, Bildungsstands oder sozialer Lage. Eben dies hatte sich auf dem Grundstück der leerstehenden Frommestraße 2 entwickelt. Über viele Unterschiede und Konflikte hinweg haben die Nutzer_innen einen selbstorganisierten und selbstbestimmten gemeinsamen Freiraum geschaffen. Dieser wurde als kultureller Freiraum für Musik und Kunst nicht nur genutzt, sondern es existierten auch Ansätze einer gemeinsamen Pflege in Garten und Haus. Es wurde sich hier ein Recht auf Stadt genommen, Leerstand (noch dazu im sensiblen Lüneburger Senkungsgebiet) im Besitz eines Viel-Immobilien-Besitzers zu Kultur-Raum gemacht. Das Zusammenspiel der Pläne für die Frommestraße 4 (und 5?) ist der nächste Schritt der Glas-und Stahl-, Luxus-und-Exklusivität-für-wenige-Umstrukturierung auch in Lüneburg. Das Gentrifikationsliedchen von Sanierungen und Mietsteigerungen, Verdrängung von Menschen und dem Ersetzen gegen andere, die es sich leisten können. Das Zerstören von unkommerziellen – und unkontrollierbaren Freiräumen. „Das besondere für mich ist, dass hier ganz unterschiedliche Menschen sich zusammen ganz konkret ihr Recht auf Stadt genommen haben. Nicht nur elitäre Bildungsbürger_innen, die aus dem Stehgreif Konzepte produzieren, politische Stellungnahmen aus dem Ärmel schütteln, Lefèbvre zitieren und Szenesprech verinnerlicht haben. Ein REcht auf Stadt nicht nur für bürgerlichen Konservativismus und Mainstream. Das Recht auf Stadt bedeutet auch das Recht auf Anwesenheit – für alle. Und das Recht auf Andersheit“, sagt eine Fromme-Freundin. Dies sind nicht nur Slogans - gerade weil sich in der Realität Leute wie rechte NPD-Menschen in einem Hass-Brief auf die „Minusmenschen“ (!) stürzen, lohnt es sich, sich einzusetzen! „Linke Szene und ihr minusmenschliches Umfeld“, „Verwahrloste Jugendliche“ und „übelriechende Punker“ mit „perspektivlosem Charakter“ und „Pseudoperspektive“ pöbeln die „jungen Nationaldemokraten“ gegen die Besetzer_innen.

Also, weiter geht’s im besetzten Park und mit dem Fromme-Straßenfest am 23.07.2011.
Wir bleiben alle!
Wenn ihr uns nicht träumen lasst, lassen wir euch nicht schlafen!
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Ergänzungen

Paramilitätisch gegen Akkordeon

Nachbar 30.06.2011 - 15:39
...friedlicher ging es von Seiten der Besetzer nicht. Mit Akkordeon, Gitarre und anderen Instrumenten "bewaffnet" saßen sie vor dem Haus - und wurden von etlichen Dutzend Beamten in Kampfanzug einfach überrannt, weggetrampelt.

Was wäre aufgeboten worden, wenn nur ein einziger Mensch vor dem Haus dem üblichen medialen Feindbild entsprochen hätte, schwarzer Pullover und Sonnenbrille? Räumpanzer, Blendgranaten? Hubschrauber? Nato?

Später: Fünf oder sechs Polizisten springen auf einen einzelnen Mann, der im Park steht (er ist unter den Polizisten gar nicht mehr zu sehen, die auf ihm liegen). Nach einigen Sekunden wird er hochgerissen, mit verdrehten Armen und heruntergedrückten Kopf von denselben fünf Sondereinsatzpolizisten abgeführt. War es ein zufällig entdeckter Terrorist? Al-Kaida im Park? Bombe in der Hosentasche? Es kommt eine Durchsage des Kontaktbereichsbeamten über Lautsprecher: "Was sie hier sehen, ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Es handelt sich lediglich um eine Personalienfeststellung."

Wenn das eine Personalienfeststellung ist, frage ich mich, womit ich beim nächsten Falschparken rechnen muss... Wieso fragen die Polizisten nicht einfach nach den Personalien?

Ebenso frage ich mich, wieso die Stürmung eines Wohnhauses "zu Zwecken der Personlienfeststellung" erfolgen musste (einschließlich das Einklemmen des Kopfes der Frau in der Hauseingangstür).

Kann nur sagen:

Wenn sie die Frommestraße 4 wirklich räumen, dann bin ich aber mit dabei und....


Solidarität aus der Nachbarstraße.



...never walk alone...

SZ 03.07.2011 - 07:28
Erklärung vom SZ in Norderstedt:

Solidarität mit den Besetzer_innen der Frommestrasse 2 in Lüneburg!

Am Dienstag, den 28.6.2011 wurde das besetzte Kulturzentrum in der
Frommestrase 2 in Lüneburg von der Polizei geräumt und das Gebäude
abgerissen. Ein unkommerzieller Treffpunkt für Menschen
unterschiedlichen Alters, Bildungsstands oder sozialer Lage wurde so
schlicht dem Erdboden gleichgemacht. Das ist ein Skandal!

Aus eigener Erfahrung wissen wir, wie mühevoll der Aufbau und Betrieb
eines solchen Treff- und Anlaufpunktes ist, aber auch wie wichtig solche
selbstverwalteten Projekte sind. Hier werden nicht nur Kontrapunkte zu
Vereinzelung, Konkurenzdenken und Profitfixierung geschaffen, sondern
gemeinsam an konkreten Wegen gearbeitet, Alternativen aufzubauen.

Wir wünschen den Aktivist_innen in Lüneburg das nötige
Durchhaltevermögen und natürlich auch den Spass an den weiteren
Auseinandersetzungen und hoffen, dass es ihnen bald gelingt, sich in
Lüneburg einen weiteren selbstverwalten Raum anzueignen!

Soziales Zentrum Norderstedt, 30.6.2011

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Peinlich — .

@peinlich — Nachbar

Peinlich — .

@Peinlich — Nachbar

... — .

@peinlich –die zweite — Rudi Rubertus

Kein Bock auf Neid — Neidische Nachbarin

Peinlich — Rupert

@Rupert — Rudi Rubertus