Solikundgebung vor Job-Center Berlin-Neukölln

neo-nihilistisch-sozialrevolutionäraAnarchist 14.06.2011 17:15 Themen: Antirassismus Repression Soziale Kämpfe
Um seine Haftbedingungen und die seiner Mithäftlinge zu Verbessern ist Werner Braeuner seit dem 8.Mai im Hungerstreik. Dies ist der 335. Tag der Arbeitsverweigerung und der 38.Tag des Hungerstreiks. Deshalb fand heute zwischen 10 und 12 Uhr eine Solidaritätskundgebung vor dem Job-Center in Berlin-Neukölln in der Mainzer Straße statt. Diese wurde offenbar von der "Berliner Solidaritäts-Gruppe Werner Braeuner" organisiert.
Wir dürften nicht direkt vor dem Job-Center stehen, weil wir sonst wohl das Job-Center blockieren würden und mussten dafür auf die andere Straßenseite. An der Mauer hing das Solidaritäts-Banner für Werner Braeuner und ein Plakat. In den Reden und dem Flugblatt das verteilt wurde, wurde der Schwerpunkt auf Berichte über die Repression und Widerstand im Amt gelegt, aber es gab auch einige Sachen zur Repression im Gefängnis und wie dort damit umgegangen werden kann. Es ist ja schließlich ein Abwehrkampf drinnen wie draussen.


Die Mainzer Straße ist ja schon auf der postindustriellen Rückseite des 1996 erbauten Kindl-Boulevards (Einkaufszentrum). Obwohl das ehemaliges Fabriksgelände ist, sind dort keine blühenden Landschaften zu sehen. Mensch könnte behaupten daß es nicht gewollt ist das die Erwerbslosen von der Hermannstraße (eine der Hauptausfalls-Straßen in Berlin-Neukölln und auch ziemlich belebt) durch das Einkaufszentrum zum Job-Center laufen. Daß 2 Rolltreppen nur aus dem Job-Center rausführen in den Kindl-Boulevard ist auch ein Indiz dafür. Das Kindl-Boulevard hat einen sehr rabiaten Sicherheitsdienst der z.B. Flugblattverteiler_Innen auf die Mainzer Straße schickt und alles peinlich genau alles und jeden überwacht. Beim lokalen Ünerwachungs-„Kameraspaziergang“ wird dort auch immer angehalten und durch Security und Polizei rumgestresst. Der Kindl-Boulevard hängt so zwischen Schillerkiez, Flughafen-Kiez und Rollberg-Viertel (Rollbergsiedlung) und gehört nirgends richtig dazu. So wie die Erwerbslosen, die als „Kunden“ auf das Job-Center angewiesen sind und nirgends richtig dazu gehören. So sollen sie als industrielle Reserve-Armee verwaltet und gefügig gemacht werden, z.B. als Niedrigstlöhner_Innen. Aber es gibt ja auch Widerstand.

Mit dem hat wohl auch die Staatsmacht auch gerechnet. Deshalb war anfänglich wohl viel Polizei da. Als sie sahen daß wir nicht die proletarischen Massen sind, haben sie einen Großteil der Kräfte wieder abgezogen und Auto- und Fahrradfahrer (vielleicht aus Langeweile?) schikaniert.

Anfänglich war auch eine traurige Frau anwesend die sich von den Reden der Kundgebung offensichtlich sehr berührt zeigte, weil sie selbst schlechte Erfahrungen mit dem Job-Center und dem Gefängniswesen hatte.

Wir hatten eine Anlage. Es wurden Reden abgespielt und gehalten, so unter anderem von der "Gruppe Internationale KommunistInnen", der "Berliner Soli-Gruppe Werner Braeuner", eine Rede von kritischen "Erwerbslosen-Aktivist_Innen". Es wurde das Zusammenspiel von der Repression und Unterdrückung des Job-Centers thematisiert. Außerdem wurde die sozialdemokratische Dominierung der Erwerbslosenbewegung angesprochen und die daraus resultierende Entsolidarisierung mit Werner und allgemein. Schließlich war Werner, vor der Tat, ein stadtbekannter Erwerbslosenaktivist in Deutschland und Frankreich.

Dazu gab es nochmal Reden welche über Aktivitäten in der Erwerbslosenbewegung in Berlin und kostenlose, selbstorganiserte Beratungsmöglichkeiten berichtet auf die es auch konkrete Rückfragen gab.

Die Rede Werners und das Interview kamen auch gut an. Immer wieder blieben Leute stehen und lauschten den Redebeiträgen. Auch saßen einige Erwerbslose vor dem Job-Center-Eingang und hörten gespannt den Redebeiträgen zu, anstelle sich beispielsweise zu unterhalten. Unterhalten haben sich viele Erwerbslose allerding mit unseren Flugblatt-Verteiler_Innen. Wobei sie oft Verständnis für Werners Tat einerseits und den Hungerstreik andererseits äußerten.

Es wurden Flugblätter verteilt, in der Mainzer Straße und auch beim Aus- und Eingang an der Hermannstraße. Es entwickelten sich viele interessante Gespräche mit Erwerbslosen und es gab auch einige Solidaritätsbekundungen.

Es wurde in der Kundgebung ein Schild mit dem Bild der fröhlich lächelnden Christy Schwundeck hochgehalten auf dem stand: „Christy Schwundek *01.06.1971 +19.05.2011 erschossen von der Polizei am 19.05.2011 im Jobcenter Frankfurt / MAIN“. Christy Schwundek wurde aus bisher nicht ganz geklärten Gründen ermordet. Sie wollte wohl nur einen 10 Euro Barbetrag als „Vorrauszahlung“. Diese 10 Euro wurden ihr aber verweigert obwohl sie den positiv beschiedenen „Arbeitslosengeld II – Bescheid“ bereits 19 Tage nicht ausbezahlt bekam. Die Leiterin des Jobcenters „Gallus“ in Frankfurt am Main, Diplompsychologin Claudia Czernohorsky-Grüneberg sagte gegenüber der „Hessenschau“: „dass die Auszahlung des verweigerten Barbetrages in Höhe von 10 Euro möglich gewesen wäre. Zumindest entsteht der Eindruck, dass der tödlich geendete Konflikt fahrlässig provoziert wurde und hätte wohlmöglich vermieden werden können.“

Der „Fall“ Christy Schwundek zeigt auf dass das Job-Center-Wesen nicht ganz ungefährlich ist und hier auch nicht von einem Ausrutscher (was die Zahlungsmoral betrifft) ausgegangen werden kann. Eine Verbindung zu dem Fall Werner Braeuner ist offensichtlich. Es ist gut das das „Erwerbslosen-Forum-Deutschland“ dazu Stellung bezieht, es ist aber nicht nachzuvollziehen warum es zu Werner Braeuner aber schweigt. Schließlich war ja Werner Braeuner ein langjähriger Erwerbslosen-Aktivist und unabhängig von der Tat hat doch jeder Gefangene ein Recht auf gesunde Nahrung, egal was er oder sie gemacht hat. Das muß einem doch wie eine „Entsolidarisierung“ vorkommen.

Eine „Menschenrechtsinitiative für das Sozial- Und Gesundheitswesen MSG“ verteilte im Job-Center drinne ein selbstgemachtes 2 seitiges Flugblatt: „Solidarität mit Werner Braeuner!“ in der sie verkünden das sie in ihrer „Vollversammlung am 8.Juni 2011 in kämpferischer Stimmung eine Solidaritätserklärung beschlossen“ haben. Sie definieren ihn eindeutig als „politischen Gefangenen“. In ihrem Flugblatt heisst es unter anderem:

„Werners Schicksal ist ein Beispiel dafür, wie das System die Strategie der K r i mi n a l i s i e r u n g versucht. Hier handelt es sich aber um Klassenkampf, also auch völkerrechtlich bzw. nach internationalem Recht um eine kriegerische Auseinandersetzung. Dieser Krieg wurde vom neoliberalen Hartz IV – Regime gegen die erwerbslosen und prekär beschäftigten Menschen etc. angefangen. Was jetzt folgt ist die Gegenwehr, da friedliche Mittel offensichtlich nicht ausreichen.“

Es haben sich auch neue Leute gefunden, die in der Solikampagne mitarbeiten wollen.

Unsere Kundgebung endete punkt 12 Uhr grandios mit einem riesigen Regenschauer!

Hier noch ein paar Briefe von Werner Braeuner:


 http://political-prisoners.net/items/item/362-petition-an-den-niedersaechsischen-landtag.html

(18.4.2011)

 http://political-prisoners.net/items/item/309-kurzerklaerung-von-werner-braeuner-zu-seinem-hungerstreikbeginn.html

(9.5.2011)

 http://political-prisoners.net/item/386-werner-brauner-brief-vom-29mai2011.html

(29.5.2011)

 http://political-prisoners.net/items/item/361-brief-von-werner-braeuner-vom-295.html

(29.5.2011)

 http://political-prisoners.net/items/item/366-brief-von-werner-zur-solidaritaetsaktion-vor-dem-knast.html

(1.6.2011)

 http://political-prisoners.net/item/388-brief-von-werner-braeuner-vom-05062011.html

(5.6.2011)

 http://political-prisoners.net/item/380-brief-von-werner-braeuner-vom-06-juni-2011.html

(6.6.2011)

 http://political-prisoners.net/items/item/389-brief-von-werner-braeuner-vom-09062011.html

(9.6.2011)

Material/ Werner-Braeuner-Soli-Unterseite bei Political-Prisoners.net :
 http://political-prisoners.net/solidaritaet-mit-dem-hungerstreik-von-werner-braeuner.html

Außerdem ein Video der 2 Wochen davor stattgefundenene Demonstration für Werner Braeuner vom Potsdamer Platz zur Niedersächsischen Landesvertretung.

Fotos folgen natürlich.
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Ergänzungen

Es waren mehr

Dort gewesener 14.06.2011 - 17:58
Es waren 15-20 Genoss_Innen vor Ort. Es sind auch vereinzelt Leute hinzugekommen und wieder gegangen. So daß die Zahl 25 realistisch ist. Daß es bei Werner-artikeln immer wieder solch verblüffende und diffamierende (und vor allen Dingen feige und anonyme) Kommentare gibt liegt daran, daß Werners Fall die Umstrukturierung und "Moderniserung" (sprich hin zur Knast-Zwangsarbeit) in Frage stellt und das sieht die Knast-Industrie nicht gerne. Mit dazu kommt das selbst Richter "Schwarzfahren" als ein Delikt wie falsch parken ansehen und so ein Drittel weniger Häftlinge z.B. in Plötzensee wären.

Demo Gerechtigkeit für Christy Schwundeck

HartzerIn 14.06.2011 - 23:00
Warum wurde Christy Schwundeck getötet?
Wir fordern Aufklärung!

Wir sind wütend und traurig: Christy Schwundeck wurde von der Polizei erschossen!
Wir fordern Aufklärung und Gerechtigkeit für Christy Schwundeck!

Am 19. Mai 2011 wurde Christy Schwundeck in einem Jobcenter in Frankfurt am Main von der Polizei erschossen. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt behauptete noch am selben Tag vor der Presse, es handele sich eindeutig um Notwehr, da Frau Schwundeck die Polizei mit einem Messer attackiert habe.
Demoaufruf:  http://thecaravan.org/node/2944

berliner Radio-Interview vom Montag

Mithörer 15.06.2011 - 09:50
Unter

 http://85.214.123.163:8000/metropolis.m3u

gibt es jeweils 10:30 Uhr, 12:30 Uhr, 14:30 usw (also aller 2 Stunden) das ca 25 Minütige Interview zu hören.

tod im und durch das jobcenter

zeitungsleser 15.06.2011 - 14:14
Gute Verbindung zwischen Christy Schwundeck und Werner Braeuner in diesem Beitrag auf Freitag-Online:


 http://www.freitag.de/community/blogs/peter-nowak/sie-war-laut-geworden

redebeitrag auf Kundgebung zu Werner Braeuner

nn 16.06.2011 - 03:37
Liebe Besucherinnen und Besucher des Jobcenters, liebe Neuköllnerinnen und Neuköllner,

wir demonstrieren hier, um den Hungerstreik von werner Brauener gegen verdrecktes Gefängniseessen zu unterstützen. Werner ist inhaftiert, weil er den direktor des für ihn zuständigen Arbeitsamtes getötet hat. Werners Tat ist nicht der einzige Fall, wo Streitigkeiten bein Arbeitsagenturen oder Jobcentern für eine Person tödliche Folgen hatte.
Vor ca. 2 Wochen wurde eine Hartz-IV-Empfängerin in Frankkfurt von der Polizei erschossen, nachdem sie ein Messer gezogen hatte

Der folgende Redebeitrag kommt von der Gruppe Internationale Kommunistinnen, die in verschiedene soziale Kämpfe involviert ist.

Es geht darum, wie mit gemeinsamer Gegenwehr die Eskalation individueller Situationen vermieden werden kann und wir solidarisch unser Recht - z.B. die Auszahlung bewilligter Ansprüche- durchsetzen können.


Christy Schwundeck wurde am 19. Mai im Jobcenter Frankfurt/Main von einer Polizistin erschossen worden. Bernhard Schülke von der Erwerbsloseninitiative Lucky Losers hat mittlerweile erfahren, das der Streit um die Auszahlung von Bargeld ging, das ihr von der Behörde verweigert wurde. Griff die Frau danach zum Messer und setzte eine tödliche Dynamik in Gang, die mit den Schüssen endete? Wir wissen es nicht. Doch Schülke weiß aus dem Beratungsalltag im Jobcenter. „Wenn Menschen in die Ecke getrieben werden, reagieren sie verzweifelt“.

Allerdings wird gerne vergessen, dass es auch schon davor starken Druck auf die Erwerbslosen gab, jede Arbeit anzunehmen. Werner Braeuner war schon in den 90er Jahren Erwerbslosenaktivist und wehrte sich gegen viele Behördenmaßnahmen, die er als Schikane empfand. Am 12.01.01 schreibt er an für ihn zuständigen Arbeitsamtsdirektor von Verden Klaus Herzberg: "[...] teile ich Ihnen mit, wie ich die Verhängung einer Sperre der Arbeitslosenunterstützung bewerte: Sie brechen mir damit das Genick. Und Sie tun das mutwillig."
Wenige Tage später stach Braeuner bei einer Auseinandersetzung auf Herzberg ein und verletzte ihn tödlich.

Werner Braeuner und Christy Schwundeck - die beiden Namen werfen ein Schlaglicht auf die Zustände in den Arbeitsämtern und Jobcentern, auf den Kleinkrieg gegen Zigtausende Menschen, und der hat nicht erst mit Hartz IV begonnen hat. Dieser Krieg -aufgrund der Unerbittlichkeit der Behörden ist der Begriff naheliegend- fordert viele Tote, macht aber selten Schlagzeilen. Meistens fressen die Betroffenen ihren Frust in sich hinein, werden krank und sterben früh, nehmen die unterschiedlichen Drogen um sich zu betäuben oder verüben Selbstmord. Es gibt bekanntlich viele Arten zu töten, von denen nur die wenigsten in diesem Lande verboten sind.
Nur wenige gehen bisher den Schritt der kollektiven Gegenwehr. Die Palette ist jedoch sehr breit und beginnt bei Beratungen und Informationen über die eigenen Rechte. Sie geht mit Begleitaktionen weiter. Niemand muß allein zur fallamanagerIn, nehmt eine Person Eures Vertrauens mit! In mehreren Städten gab es organisierte Zahltag-Aktionen zur kollektiven Einforderung von Rechten, insbesondere bei der Auszahlung bereits bewilligter Leistungen. Diese Aktionen wurden von Arbeitslosen gemeinsam mit linksorientierten und zivilgesellschaftlichen Gruppen durchgeführt. Mit solche Aktionen ermöglichen nicht nur direkte materielle Erfolge, sie stärken auch das Selbstbewusstsein. Das aber ist die stärkste Waffe gegen die ohnmächtige Wut und den Frust, den heute viele Erwerbslose auf den Jobcentern und in den Arbeitsagenturen erfahren. Selbstermächtigungsprozesse, also die Entscheidung, nicht mehr willenloses Objekt der Bürokratie zu sein, sondern zusammen mit anderen für seine Rechte zu kämpfen, sind auch das beste Mittel gegen den Tod durch und im Jobcenter, gegen die individuellen Eskalationen, die Schlagzeilen machen ebenso, wie gegen die vielen unbekannten, die niemand interessieren.


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10 für einen? — Jochen

Solidarität! — Dein Name

leute? — mensch