Spanien: "Die Empörten"

Barcelona-Besucher 04.06.2011 01:09 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe Weltweit
Der spanische Staat erlebt seit Mitte Mai diesen Jahres massive soziale Proteste, die weltweit für Aufsehen sorgen. Spanische und internationale Medien zogen teilweise Parallelen zu den Revolten, Aufständen und Umstürzen in den arabischen Ländern, da auch in Madrid, Barcelona und anderenorts Protestcamps auf zentralen Plätzen errichtet wurden. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick zu den Protesten. In Berlin findet am Samstag, 04.06.2011 eine Infoveranstaltung zum Thema "SpanishRevolution" statt (19 Uhr, Haus der Demokratie, Greifswalder Str. 5).
Die Proteste begannen mit landesweiten Demonstrationen am 15. Mai. Daher auch der Name in Spanien "Bewegung 15-M". Binnen weniger Tage griffen die Proteste auf alle größeren Städte sowie viele kleine Ortschaften im gesamten spanischen Staat sowie auf Mallorca und die Kanarischen Inseln über. Selbst in zahlreichen europäischen Staaten sowie in Japan, den USA und in Lateinamerika fanden Demonstrationen statt.

Der Ausbruch, die Massivität und der Durchhaltewille der „Bewegung 15-M“ hatte zunächst viele überrascht: Die politischen Eliten, die sich landesweit im Wahlkampf befanden, die Medien und ebenso die sozialen Bewegungen und nicht zuletzt die Protestierenden selbst.

Was hat es also mit dieser Bewegung der „Indignados“ – der Empörten, wie sie in Spanien genannt wird – auf sich? Welche Forderungen gibt es? Begannen hatte alles mit landesweiten Demonstrationen am 15. Mai, organisiert vom Zusammenschluss „Democracia Real Ya!” (Echte Demokratie, jetzt!”). Bis zu 130.000 Personen folgten in Madrid, Sevilla und anderen Städten einem Aufruf, der recht simple Forderung enthielt. Unter anderem hieß es dort „Das Recht auf eine Wohnung, Arbeit, Gesundheit, Zugang zu Kultur und Bildung, politische Beteiligung, die freie Entwicklung jedes Einzelnen sowie das Recht auf Grundversorgung für ein glückliches und gesundes Leben sind Basisrechte einer Gesellschaft. (…) Die aktuelle Funktionsweise unseres Wirtschafts- und Regierungssystems berücksichtig diese Prioritäten nicht. (…) Die absolute Mehrheit der politischen Klasse hört uns nicht einmal zu. Wir haben das Geld über den Menschen gestellt“. Gefordert wurde dagegen eine „Ethische Revolution“.

Bei „Democracia Real Ya“ schlossen sich zahlreiche Organisationen und Vereine, darunter Attac, Erwerbslosenvereinigungen sowie Einzelpersonen zusammen, darunter der Autor Ignacio Escolar, Kolumnist der linksliberalen Tageszeitung Público.

Im Anschluss an die Demo am 15. Mai in Madrid kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Mehrere Personen wurden festgenommen. Ein erstes gemeinsames Protestschlafen am zentralen Platz Puerta del Sol fand daher zur Freilassung der Festgenommen statt.

Dies war offenbar so nachahmenswert, dass sich binnen weniger Tage auch in anderen Städten Personen zum Campieren auf öffentlichen Plätzen zusammenfanden. Bis zum folgenden Wochenende entstanden Protestcamps in allen größeren Städten sowie kleineren Ortschaften des spanischen Staates. Zu allabendlichen Großkundgebungen fanden sich insbesondere in Barcelona und Madrid 10.-20.000 Personen ein.

Entgegen den meisten Berichten ist die Bewegung keine reine Jugend- oder Studierendenbewegung. An den Protesten sind ebenso Senioren, Erwerbslose, legale und illegalisierte MigrantInnen, das klassische Proletarier sowie Familien der abgehängten Unterschicht beteiligt. Die nächtlichen Camps prägen jedoch tatsächlich junge Leute zwischen 20 und 30 Jahren. Die Camps waren basisdemokratisch organisiert in Arbeitsgruppen und ein Gesamtplenum. Dort wurden die Ergebnisse der Comisiones, wie zum Beispiel Kultur, Medienarbeit, Inhaltliches, Versorgung, Aktivitäten oder Infrastruktur wieder zusammengetragen.

Internationale Medien sprachen von einer „Spanish Revolution“ (Washington Post). Zunächst sah alles danach aus, dass die Proteste nach einer Woche beendet würden, da am 19. Mai Regional- und Kommunalwahlen in Spanien abgehalten wurden, aus denen die konservative Partido Popular (PP) gestärkt hervorging.

Bei den Protestcamps spielten die Ergebnisse keine Rolle. Eine zentrale Parole lautete: „Ihr vertretet uns nicht“. Gemeint waren neben der ultra-katholischen PP auch die sozialdemokratische PSOE und teilweise auch die spanische Linkspartei Izquierda Unida sowie die großen Gewerkschaftsverbände. In einigen Städten entschieden sich Indignados zur Dezentralisierung des Protestes und errichten Camps in Stadtteilen und Vororten.

Die spanische Zentralregierung sowie die Ministerpräsidenten der Regionen tolerierten die Camps landesweit. Polizei war zwar fast allen Städten präsent, schritt jedoch nicht gegen die Versammlungen ein, obwohl diese teilweise für verboten erklärt wurden. Erst am 27. Mai kam es dann ausgerechnet in Barcelona – die Stadt gilt innerhalb des spanischen Staates als tolerant – zur brutalen Räumung des besetzten Plaça Catalunya. Gegen 5.30 Uhr rückte die Polizei an und vertrieb mit Knüppeln und Gummigeschossen etwa 400 Personen, die dort genächtigt hatten. Via twitter und anderen Medien verbreitete sich die Meldung rasendschnell und tausende eilten ins Stadtzentrum. Bis zum Mittag ging die Polizei gegen Protestierende vor, die gewaltfreien Widerstand leisteten. Durch Schläge und Gummigeschosse wurden nach Presseangaben 121 Personen zum Teil schwer verletzt. Die Polizei konnte dem Druck der Indignados jedoch nicht standhalten. Gegen 13 Uhr meldete das Pressezentrum: „Wir haben den Platz zurückerobert! Wir beginnen umgehend mit dem Wideraufbau unseres zerstörten Camps“.

Bei genauerer Betrachtung war am Ausbruch der Proteste einzig der Zeitpunkt überraschend, da es seit mehreren Jahren in der Gesellschaft massive Spannungen gibt. Der spanische Staat erlebte eine wirtschaftliche Aufholjagd. Insbesondere der Boom im Bau- und Immobilienmarkt sowie der anhaltende Massentourismus sorgten für niedrige Arbeitslosenzahlen und eine hohes Wirtschaftswachstum. Seit vor rund zwei Jahren die Wirtschaft stagnierte, Konzerne ihre Industrieproduktion in Billiglohnländer verlagerte und die Bau- und Wohnungswirtschaft kollabierte war es mit dem Aufschwung abrupt zu Ende. Spanien erlebt heute die schwerste wirtschaftliche Krise seit 30 Jahren. Die Arbeitslosigkeit stieg binnen weniger Jahre von rund acht auf über 20 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit soll doppelt so hoch sein.


Mehr Informationen:
www.democraciarealya.es
www.nolesvotes.com
www.juventudsinfuturo.net


Zum Thema "SpanishRevolution" mit Erfahrungsberichten der besetzt gehaltenen Plätze in Madrid und Barcelona findet am Samstag, 04.06.2011 in Berlin eine Infoverantaltung u.a. mit einer Vertreterin von Democracia Real YA! statt:

Samstag, 4.6. | 19 Uhr | Haus der Demokratie | Greifswalder Str. 4
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Ergänzungen

Veranstaltung in Berlin

antifa.de 04.06.2011 - 01:16
Plakat zur Veranstaltung in Berlin am Samstag, 04.06.2011

Indignacion ahora

tierr@ 05.06.2011 - 12:50
Zu aktuellen Stand der Revolution (Si!!!) in Griechenland:
 http://www.jungewelt.de/2011/06-04/033.php

Bereist 30.000 am Syntagma

live-stream 05.06.2011 - 19:09

Madrid: Demo gegen Arbeitsmarktreform

(muss ausgefüllt werden) 06.06.2011 - 20:16
Tausende demonstrierten am 4.6. in Madrid gegen die Arbeitsmarktreform der "sozialistiscen" Regierung und der reformistischen Gewerkschaften

 http://ur1.ca/4cwe7

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alb — Emir

@ Cxx — Kindergarten?

Hallo ccx — tierr@

revolution — olaf