Le: Prozess zum Mord an Kamal K.

AutorIn des Beitrags 01.06.2011 16:44 Themen: Antifa Antirassismus Medien
Beinahe acht Monate ist es her seit Kamal K. von zwei Nazis in der Nähe des Leipziger Hauptbahnhofes erstochen wurde. Am 17. Juni wird nun vor dem Landgericht die Hauptverhandlung gegen die Täter eröffnet. Doch schon die Tatwürfe lassen erkennen, dass der Mord an Kamal entpolitisiert und bagatellisiert werden soll. Der eine Täter, Daniel K, muss sich wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten, der 2. Marcus E, wegen gefährlicher Körperverletzung und Totschlag. In den Augen der Ermittlungsbehörden ist das, was in der Nacht vom 23. zum 24.10.2010 geschah, ein dummer Zufall gewesen.

Aufruf zur Demo und zur Prozessbeobachtung: Kamal K.: ein „unpolitischer“ Mord? | Mobivideo zur Demo in Leipzig: "Auf nach Leipzig!"

Initiativen die an rechte Morde erinnern: Initiativkreis Antirassismus | "Niemand ist vergssen!" | Siempre Antifascista | Initiative für ein aktives Gedenken | Bündnis „Schon vergessen?“ | North East Antifascists | Dortmunder Antifa-Bündnis; antifaschistische Union Dortmund |

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Was ist passiert?

In dieser Nacht befand sich Kamal gemeinsam mit seiner Freundin und einem Kumpel auf dem Weg vom Discobesuch nach Hause. Im Park vor dem Bahnhof kam es zu einem Streit zwischen Kamal und seiner Freundin. In diesem Moment tauchten Marcus E. und Daniel K. auf, sprachen den Abseits sitzenden Kumpel von Kamal an. Dieser ging auf das Trio zu und fragte ob es Probleme gebe. Die Antwort der beiden Nazis kam prompt: „Ja, wir haben ein Problem, mit dir!“, woraufhin es zu einer verbalen Auseinandersetzung und schließlich zu Handgreiflichkeiten kam: Marcus E. und Daniel K. schlugen auf Kamal ein, letzterer besprühte Kamal mit Pfefferspray, der dadurch die Sicht verlor und sich nicht weiter verteidigen konnte. Daraufhin riss Marcus E. Kamal zu Boden und stach ihm mit einem Messer mehrfach in den Bauch. Trotz Notoperation starb der erst 19 jährige Kamal noch im Laufe des Sonntages an seinen schweren Verletzungen.

In den Augen der Leipziger Staatsanwaltschaft gab es in der Tatnacht einen Streit „ohne erkennbaren Grund“ und eine darauffolgende Schlägerei mit Todesfolge. Weder der politische Hintergrund der Täter hat bei den Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft eine Rolle gespielt, noch die Tatkonstellation, in der zwei bekennende Neonazis einem Migranten das Leben genommen haben. Das finden wir – auch mit Blick auf die Biografien der Täter mehr als merkwürdig.

Daniel K. war ein „Mann fürs Grobe“ in der neonazistischen „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL). Regelmäßig gab es in seiner Wohnung größere Nazi-Feiern. Bei einer Durchsuchung seiner Wohnung wurden Hakenkreuzfahnen und Baseballschläger beschlagnahmt. Daneben nahm Daniel K. regelmäßig an Naziaufmärschen teil und stand dabei nicht nur einmal in der ersten Reihe. Szenekenner beschreiben ihn als „ideologisch außerordentlich gefestigt“. Ein Mitläufer ist er nicht, auch kein Aussteiger, wie sein Verteidiger verlauten ließ. Ein Indiz ist auch der Pullover, den er am 24. Oktober 2010 während der Tat getragen hat. Auf diesem stand der Nazispruch „Kick off Antifascism“ geschrieben. Über Marcus E. ist weniger bekannt, er stammt aus Thüringen und wurde 2002 wegen Vergewaltigung und Körperverletzung verurteilt. Laut AugenzeugInnenberichten trägt er eindeutige Nazitätowierungen auf der Haut, bei einer Durchsuchung seiner Wohnung in Erfurt sollen unzählige Nazidevotionalien gefunden worden sein. Beide Täter lernten sich im Knast in Waldheim kennen. Mindestens einer von beiden wurde während der Haftzeit von der neonazistischen „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG - Information beim apabiz) unterstützt. Funktion dieser Gruppierung ist es, Neonazis auch innerhalb des Gefängnisses in der Szene zu halten.

Die Leipziger Staatsanwaltschaft sieht trotz dieser politischen Hintergründe der Täter und dem Verlauf der Nacht keine „hinreichenden Anhaltspunkte für eine rassistische Motivation“ gegeben. Angezweifelt wird lieber die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Täter, da sie zur Tatzeit „nicht unerheblich alkoholisiert“ gewesen sein sollen. Damit wird den Tätern ein bewusstes Handeln abgesprochen. Die Szenerie vor Prozessbeginn erinnert an vergangene Fälle. Bereits fünf Morde sind in Leipzig seit 1990 durch Nazis begangen worden. In keinem der Fälle schaffte es die Staatsanwaltschaft, rassistische, homophobe oder sozialdarwinistische Motive zu erkennen, nachzuweisen oder überhaupt ausreichend zu würdigen – selbst dann nicht, wenn die Täter, wie im Fall des 1996 gewaltsam zu Tode gekommenen Achmed Bachir, mit der unmissverständlichen Aussage durch die Stadt gelaufen sind, „Ausländer“ töten zu wollen, und das dann auch getan haben.

Justiz, Polizei & politische Einordnung

Das Strafrecht kenne keine politischen Straftaten – solche Behauptungen müssen sich Menschen, die den Mord an Kamal als rassistisch begreifen und als solchen skandalisieren, aus der bürgerlichen wie der linken Ecke immer wieder anhören. Selbstverständlich geht es nicht darum, ein Gesinnungsstrafrecht einzufordern oder überhaupt ein juristisches Urteil vorwegzunehmen.

Wer allerdings die Augen vor der politischen Durchdrungenheit der Justizorgane schließt, ist idealistisch bis naiv: Sowohl RichterInnen als auch StaatsanwältInnen sind DienerInnen des bürgerlichen Staates. Sie sind dabei nicht nur dessen Regeln unterworfen, sondern sind auch diejenigen, die sie im staatlichen Interesse betätigen und durchsetzen. Es gibt aber kein „neutrales“ staatliches Interesse: Das Strafgesetzbuch ist so wenig wie das Grundgesetz eine unabänderliche Tatsache, sondern wird durch darauf bezogene Entscheidungen juristisch und politisch ausdefiniert. In diesem Sinne kann der Umgang der Justiz mit dem Fall Kamal K. nicht frei von politischen Deutungen sein. Die Annahme, es läge trotz aller Indizien kein politisches Motiv vor, ist bereits eine solche politische Deutung – wohlgemerkt seitens der Anklage, die sich damit im Verbund mit der Polizei schon während der Ermittlungsarbeit auf die so naheliegende wie durchsichtige Entschuldigungsstrategie der Verteidigung eingelassen hat.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass auf der institutionellen Seite kein Interesse vorliegt, die politische Komponente des Falls anzusprechen. Wir allerdings wollen die Tat in einen gesellschaftlichen Kontext einordnen und vor diesem Hintergrund politisch bewerten. Dieser Hintergrund wird nicht dadurch „neutral“, dass man ihn für unpolitisch erklärt. Denn ohne diese entscheidende politische Komponente wäre Kamal vermutlich noch am Leben.

Der Initiativkreis Antirassismus will nicht schweigen. Darum ruft er vor Prozessauftakt dazu auf wieder auf die Straße zu gehen. Am 13.6. will er mit einer antirassistischen Demonstration die gesellschaftlichen und politischen Zustände skandalisieren, in denen solche Taten außerordentlicher Menschenverachtung begangen werden. Es wird dazu aufgerufen die von Familie und FreundInnen von Kamal organisierten Mahnwachen, die an jedem Prozesstag vor dem Landgericht stattfinden und den Prozess selbst zu besuchen. Damit soll gezeigt werden, dass die Art und Weise, in der deutsche Justizbehörden solche Morde pflichtgemäß abwickeln, nicht hingenommen werden.

Auch der Stadt Leipzig wird vorgeworfen, dass sie keine Notwendigkeit sieht, auf die Dimension der Nazigewalt nach der Wende hinzuweisen, geschweige denn deren Opfern zu gedenken. Im aktuellen Fall begnügte sich der Oberbürgermeister mit Betroffenheits-Schreiben an den Flüchtlingsrat und den Zentralrat der Muslime (obwohl Kamal Christ war). Kein persönliches Wort in Richtung der unmittelbar Betroffenen, erst recht keine Äußerung zu einem möglichen politischen Hintergrund. Tatsächlich gab es an jenem 24. Oktober 2010 zwei Menschen, die zum Zeitpunkt ihres Handelns von den Gründen ihres Tuns überzeugt waren; die sich deswegen bewaffnet, die Auseinandersetzung mit einem „nicht-deutschen“ Menschen gesucht und seinen Tod nicht nur in Kauf genommen, sondern aktiv herbeigeführt haben. So etwas geschieht aus verkehrter Überzeugung, aufgrund menschenfeindlicher Verrohung und ideologischer Zurichtung.

Am 13.6.2011 antirassistische Demonstration in Leipzig – es soll an Kamal und den anderen Opfern rechter Gewalt gedacht werden und ein weiteres Mal klar gestellt werden, dass weder Rassismus noch das ignorante Vorgehen des Staates geduldet werden.

13. Juni, 17:30 Uhr ab Auerbachstraße/ Wolfgang-Heinze-Str.: Antirassistische Demonstration

17. Juni, 24. Juni, 4. Juli, 7. Juli, 8. Juli jeweils zwischen 9 und 15 Uhr, Simsonplatz: Mahnwachen in Gedenken an Kamal K. und die anderen Todesopfer rechter Gewalt vor dem Leipziger Landgericht.
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Ergänzungen

im Revisionsprozeß um die Ermordung von Oury

antira 03.06.2011 - 12:58
Jalloh denkt selbst das Landgericht Magdeburg darüber nach, ob die Anklage "unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge" umgeändert werden müßte.

Gerade dieser "Fall" ist ein Beispiel für Rassismus, wie das öffentlich bekannt gewordenen Telefonat zwischen dem Angeklagten Polizisten Schubert und dem Arzt Blodau belegt:
Schubert "Pickset mal nen Schwarzen?"
Blodau bei den Dunkelhäutigen finde ich immer keine Vene"
Schubert "Dann bring doch ne Spezialkanüle mit"
beide Lachen.

Vielleicht sollten einige Menschen mal ihren Sandkasten verlassen und sich mit dem was problemlos öffentlich zugänglich ist befassen, wie den Dokus "Verbrannt in Zelle Nr. 5" etc. vom WDR und nicht ihre Schutzbehauptungen für Polizisten und Nazis als "Weisheiten" ausgeben.

Zwei Nazis ermorden einen irakischen Flüchtling in Leipzig und sie taten es weil sie "angepöbelt" wurden? woher weist dies ein "Anton"??

mfg bis zum 13.06.

Nazi-Hintergrund kaum zu beweisen

ich 12.06.2011 - 23:47
Aggressionen können von jedem ausgehen und die Antwort kann leicht tötlich sein.

 http://www.youtube.com/watch?v=7Z_I-Se_ryU

Neuer Artikel

zum Prozess 15.06.2011 - 21:39
hier gefunden:

 http://de.indymedia.org/2011/06/309844.shtml

und könnte der kommentar über mir gelöscht werden. wieder soll unterstellt werden, dass ja doch kamal irgendwie selber an seinem Mord schuld ist. fakt ist die beiden täter sind nazis und haben auch sonst aus ihrer gesinnung keinen hehl gemacht.

Prozessauftakt am 17.6.2011

afa 19.06.2011 - 21:26
Am 17.6.2011 wurde am Leipziger Landgericht der Prozess gegen die beiden Mörder von Kamal K. eröffnet. Die Familie und FreundInnen des Ermordeten sowie zahlreiche Menschen, die sich mit ihnen solidarisch erklärten, waren im und vor dem Landgericht präsent.

Daniel K. und Marcus E. wird vorgeworfen den erst 19-jährigen Kamal in der Nacht vom 23. zum 24.10.2011 in der Nähe des Leipziger Hauptbahnhofes erst zusammengeschlagen und dann erstochen zu haben. Der aus Erfurt stammende Marcus E. (32) soll das Messer geführt haben, während Daniel K. (28) Kamal mittels Pfefferspray außer Gefecht setzte und damit die Voraussetzungen für die Messerstiche schuf. Die Anklage der Staatsanwaltschaft lautet einerseits für K. gefährliche Körperverletzung und für E. gefährliche Körperverletzung und Totschlag.

Die Nebenklage schätzt den Sachverhalt anders ein. So legte der Nebenklagevertreter Sebastian Scharmer vor dem Landgericht dar, dass es sich bei dem Fall um einen rassistisch motivierten Mord handeln würde und stellte den Antrag, den rechtlichen Hinweis zu erteilen, dass auch Verurteilungen wegen Mordes bei E. und wegen Körperverletzung mit Todesfolge bei K. in Betracht kommen können. Er nahm dabei Bezug auf das Mordmerkmal der niederen Beweggründe. Damit ist die Kritik am Umgang der Ermittlungsbehörden mit dem Mord und der nicht ausreichenden Würdigung der politischen Hintergründe der Täter, die sowohl aus dem Familien- und Freundeskreis von Kamal und durch den Initiativkreis Antirassismus erhoben wurde, auch vor Gericht angekommen.

Im Rahmen des 1. Prozesstages wurde lediglich die Anklageschrift verlesen, die Rechtsanwalt Sebastian Scharmer mit einem 5-seitigen Antrag ergänzte. Der Rechtsbeistand des Angeklagten Daniel K. kündigte zudem an, dass sein Mandant sich am folgenden Prozesstag geständig einlassen werden wird.
Die Verhandlung wird am 24.6.11 um 9 Uhr am Landgericht fortgesetzt. Weitere Termine sind bisher für den 4., 7. und 8. Juli angesetzt. Beginn ist jeweils 9 Uhr.

Links zu Medienberichten und Berichte zu den Prozesstagen sind unter  http://initiativkreis.blogsport.de/prozess/ zu finden

bericht zum 1. und 2. Prozesstag

hier 27.06.2011 - 21:18

Artikel

addn.me 10.07.2011 - 13:33
Artikel bei addn.me zum überraschenden Urteil: 13 Jahre Haft für rassistischen Mord an Kamal

Bericht im mdr-Sachsenspiegel: Haftstrafen für Kamals Mörder (08.07.11)

leipziger kreuzer zum urteil

leserin 11.07.2011 - 05:40
zur ergänzung der presseschau hier der link zum beitrag des stadtmagzins kreuzer aus leipzig "Ein Mord aus Ausländerfeindlichkeit": Link zu einer Webseite

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Auf nach Leipzig — Antifa

du auch nich... — Dein Name

@Dein Name — Red Snapper

Gehts noch? — karl

@Antira — Anton

hallo anton, — justicia in dubio

Oury Jalloh das war Mord,Kamal K. Nazimord — Lügner und Staat Hand in Hand

@zum Prozess — tutnixzursache

Voreingenommenheit — Sebastian