Tod im und durch das Jobcenter

Peter Nowak 01.06.2011 15:20 Themen: Repression Soziale Kämpfe
Über Tote im und durch das Jobcenter - nicht alle machen Schlagzeilen oder was der Fall Werner Braeuner und eine bis heute anonyme Frau, die im Jobcenter Frankfurt/Main erschossen wurden, verbindet
Der Name der Frau ist bis heute nicht bekannt. Nur kurz machte die Anonyme Schlagzeilen, als sie am 19. Mai im Jobcenter Frankfurt/Main von einem Polizisten erschossen wurde. Was genau diesem tödlichen Schuss vorausging, ist nur teilweise geklärt. Bernhard Schülke von der Erwerbsloseninitiative Lucky Losers hat mittlerweile erfahren, das der Streit um die Auszahlung von Bargeld ging, das ihr von der Behörde verweigert wurde. Griff die Frau danach zum Messer und setzte eine tödliche Dynamik in Gang, die mit den Schüssen endete? Wir wissen es nicht? Doch Schülke weiß aus dem Beratungsalltag im Jobcenter. „Wenn Menschen in die Ecke getrieben werden, reagieren sie verzweifelt“.
In einer offiziellen Stellungnahme zu dem Vorfall heißt es über die Frau: „Die 39-Jährige war laut geworden und wollte das Gebäude nicht verlassen. Die Mitarbeiter des Jobcenters verständigten daraufhin die Polizei.
Als die Streife eintraf und der 30-jährige Beamte die Frau bat, ihre Papiere zu zeigen, holte diese laut Polizei ein Messer aus ihrer Tasche und ging damit auf den Beamten los. Dieser habe seiner zwei Jahre jüngeren Kollegin noch zugerufen: "Vorsicht, sie hat ein Messer", berichtete ein Polizeisprecher.

Ein Kommentar auf Internetforum Erwerbsloser lautete: „Sie war "laut geworden". Sie wird ihre guten Gründe gehabt haben.
Ich könnte hier jeden Tag schreien!“

Diese Einschätzung hört man oft in Erwerbslosenkreisen häufiger. Manche wundern sich, dass solche Aktionen nicht noch häufiger passieren, bei dem Frust, der Wut und der Verzweiflung, die sich auf den Fluren der Jobcenter angesichts der Zumutungen des Hartz-Regimes angesammelt haben.


Schikanen begannen nicht mit Hartz IV
Allerdings wird gerne vergessen, dass es auch schon davor starken Druck auf die Erwerbslosen gab, jede Arbeit anzunehmen. Werner Braeuner war schon in den 90er Jahren Erwerbslosenaktivist und wehrte sich gegen viele Behördenmaßnahmen, die er als Schikane empfand. Am 12.01.01 schreibt er an für ihn zuständigen Arbeitsamtsdirektor von Verden Klaus Herzberg: "[...] teile ich Ihnen mit, wie ich die Verhängung einer Sperre der Arbeitslosenunterstützung bewerte: Sie brechen mir damit das Genick. Und Sie tun das mutwillig."
Wenige Tage später stach Braeuner bei einer Auseinandersetzung auf Herzberg ein und verletzte ihn tödlich. Zurzeit sitzt Braeuner er JVA Sehnde seine 12jährige Haftstrafe ab. Auch im Knast ist er weiter im Widerstand gegen die Bürokratie. Seit dem 8.Mai befindet sich im Hungerstreik gegen verunreinigtes Essen.



Ohnmächtige Wut oder kollektive Gegenwehr?
Die beiden Fälle scheinen erst einmal nichts miteinander zu tun zu haben. Doch sie werfen ein Schlaglicht auf die Zustände in den Arbeitsämtern und Jobcentern, auf den Kleinkrieg, den dort Zigtausende Menschen um ihr Überleben kämpfen müssen und der nicht erst mit Hartz IV begonnen hat. Dieser Krieg fordert viele Toten, macht aber selten Schlagzeilen. Meistens fressen die Betroffenen ihren Frust in sich hinein, werden krank und sterben früh, nehmen die unterschiedlichen Drogen um sich zu betäuben oder verüben Selbstmord. Nur wenige gehen bisher den Schritt der kollektiven Gegenwehr. Die Palette ist hier sehr breit und beginnt bei Beratungen und Informationen über die eigenen Rechte.

„Wenn es nicht an vielen Orten den unermüdlichen Einsatz von
„Freiwilligen“ in den Selbsthilfe-Beratungsgruppen gäbe und an einigen Orten auch gute bezahlte Berater_innen, längst schon viel mehr passiert. Nicht nur die Gesetzgebung bringt Verelendung und Demütigung… Die Ämter sind unterbesetzt, die dort Tätigen rechtlich und menschlich gering qualifiziert, ständig inhaltlich und arbeitsmäßig überfordert und ewig gereizt“, lautete ein Kommentar aus der Erwerbslosenszene nach der Toden von Frankfurt. Manche Erwerbslose organisieren sich, gehen mit Begleitpersonen zum Amt oder organisieren Zahltag-Aktionen, um kollektiv ihre Rechte einzufordern. Solche Aktionen bescheren den Betroffenen nicht nur direkte materielle Erfolge, sie stärken auch das Selbstbewusstsein der Betroffenen. Das aber ist die stärkste Waffe gegen die ohnmächtige Wut und den Frust, den heute viele Erwerbslose auf den Jobcentern und in den Arbeitsagenturen erfahren. Diese Selbstermächtigungsprozesse sind auch das beste Mittel gegen den Tod durch und im Jobcenter, gegen die, die Schlagzeilen machen ebenso, wie gegen die vielen unbekannten, die niemand interessieren.

Peter Nowak


Infos zu Werner Braeuner und seinen Hungerstreik:
 http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/braeuner.html
Infos zu Widerstand im Jobcenter:
 http://www.unrast-verlag.de/unrast,2,324,7.html
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Ergänzungen

Christy Schwundeck ist ihr Name!

xxx 01.06.2011 - 16:22
Frankfurt am Main, 31.5.2011: Kranzniederlegung für Christy Schwundeck

der Link zum aufruf:  http://blog.derbraunemob.info/wp-content/uploads/2011/05/20110530-Wir-trauern-um-Christy-Schwundeck-Aufruf-3.pdf

Pressemitteilung: „Erschießung anscheinend unproblematisch“ (brauner mob e.V.)
– Rüge der Medienberichterstattung über Tod im Jobcenter Frankfurt
 http://blog.derbraunemob.info/wp-content/uploads/2011/05/PM_Erschiessung_in_ffM.pdf

„Das Jobcenter ist Schuld an ihrem Tod!“
 http://www.primavera24.de/lokalnachrichten/aschaffenburg/10844-das-jobcenter-ist-schuld-an-ihrem-tod.html

alle links und weitere informationen sind auf der website des brauner mob e.V. abrufbar:

 http://www.derbraunemob.info/deutsch/index.htm

Arge-Mitarbeiter mit Baseballschläger bedroht

tutnixzursache 04.06.2011 - 02:12

Schuldfrage entlastet die Polizei

Astar 05.06.2011 - 12:28
Die Frage nach der Schuld trifft eher die Unschuldigen als die Schuldigen. Das ist auch ganz so gewollt, schließlich ist es ja ein Rechtsstaat, der da angegriffen wird. Insofern hat man sich selbst die Schuld aufzubürden, wenn etwas nachhaltig zwischen Mensch und Verfassung nicht klappt.

Das ist aber auch ganz verständlich und zudem auch menschlich, immerhin kann man nicht behaupten und schon gar nicht verlangen - wie früher einmal, dass die Menschen zu funktionieren haben, damit der Staat besser funktioniert. Trotzdem passiert es immer wieder, dass die menschlichen Systeme, und das ganz konkret in Form von Familie, Lebens- und Sozialraum von sozialstaatlicher Seite unterstützt, gegen das vorhandene staatliche System agieren. Das geschieht zumeist unbewusst, ganz einfach aus dem Zusammenhang zwischenmenschlicher Handlungszusammenhalte erklärbar und auch notwendig, was ja auch nichts anderes als Abwehrmechanismen gegen die Staatsmacht sind.

Doch genug hierzu, die Polizei behauptet, sie sei insofern Opfer der Situation, als die Verwaltungsbehörde ihre gesetzlichen Bestimmungen verkomplizieren und es den Menschen unmöglich machen, diese nachzuvollziehen, sondern eher dazu verwenden, Druck und Repressionen auf die Sozial schwächer Gestellten auszuüben.
Die Auseinandersetzung mit der Verwaltungsbehörde hat auch einen notwendigen Grund, nämlich jener, dass man seine Situation in die Anonymität der Verwaltungsstruktur einfügt, um für sich das Beste herauszuholen. Und auch das ist menschlich nachvollziehbar um nicht zu sagen: Alles andere wäre Dumm, denn es schadet primär dem eigenen Anspruch für das Leben mit den Möglichkeiten, die durch zurückgehaltene Unterstützungsmaßnahmen verwehrt bleiben oder zumindest erschwert werden.

Wer aber entscheidet darüber, was lebens- , ja überlebensnotwendig ist und wo die Hindernisse und Barrieren mit den eigenen vorhandenen Mitteln überwunden werden können? Das sind sicher nicht die Strategen des Job-Centers oder das Finanzmanagement, das von politischer Seite her etabliert worden ist. Darüber zu entscheiden ist auch nicht die letztliche Aufgabe der Angestellten im Job-Center, sondern es bleibt die menschliche Ressource der Hilfe Aufsuchenden. Sie befinden sich in der Situation, in der sie Hilfe brauchen. Dabei kommen sie auch auf von staatlicher Seite her sicher anders interpretierten, teilweise bizarre Strategien, um die Selbstbestimmung gegenüber einer Verwaltungsbehörde zu bewahren. Dazu haben sie auch allen Grund und verfassungsrechtliche Grundrechte, die nicht nur für deutsche Staatsbürger, sondern vor allem für Menschen in Not geschaffen wurden, um sich gegen den Staatsapparat behaupten zu können. Aber auch hierfür bedarf es eines sozialen Zusammenhalts. Und wenn dieser nicht gegeben ist, wird die Verwaltung selbstverständlich versuchen, ihre Hilfsstrukturen auf den Hilfesuchenden zu übertragen, ganz und gar ohne menschliches Zutun. Es liegt in der Natur der Eigendynamik des Verwaltungsapparates, der dieses aufrechterhält.

Aber es sind die Angestellten innerhalb der Verwaltung, zu denen gehören ebenso exekutive bewaffnete Organe für Staatssicherheit - nicht Rechtssicherheit, was bisweilen mehr als ertragbar verwechselt wird, und das ganz offiziell - , die dafür eingestellt sind, die durchaus schädigende Einflussnahme der Verwaltungsstruktur auf die Menschen zu unterbinden. Das ist auch ein Grund für die grundrechtliche Legitimät des Über-Untergeordnetenverhältnisses zwischen öffentlichen und privaten Interessen. Was passiert denn, wenn man diese Strukturen in die Hände, das heißt in den Einflussbereich der nicht dafür Ausgebildeten gibt? Selbstverständlich entstehen dadurch vermehrt Konflikte, denn dieses System etabliert sich nicht durch die Ressourcen der Hilfebedürftigen, sondern einzig für die Erhaltung des Staatsapparates. Und dieser wird von Rechtswegen her geschützt.

Die Behauptung, man solle die Hartz-IV Gesetze einfacher machen, ist unvernünftig und dumm. Wie kann es für ein dermaßen empfindsames und kompliziertes Hilfewesen eine einfache Lösung geben, frage ich mich. Ideologiekritisch muss die Frage auftauchen, ob man hier einen weiteren Schritt in die totale Überwachung, konkret die Entmündigung der Antragsteller, beschreiten will oder wird. Letztlich scheint sich hier ein neues computerunterstütztes Hilfesystem in die Arbeit zu integrieren. Aber kopiert man dadurch nicht Menschlichkeit, Grundrechte, in einen theoretischen Konstrukt und höhlt die Grundrechte aus? Um sich dagegen zu wehren, bedürfe es auch weitaus mehr privat-persönliche Ressourcen, auf die der behördliche Apparat überhaupt kein Anspruch hat, diese zu dokumentieren.

Der Fehler in meiner kurzen und ebenso fehlerhaften Analyse ist noch zu verborgen, um ihn konkret zu benennen. Aber wenn man die Menschen als Systeme, sozusagen als Objekte fremdbestimmten Denkens und Handelns, institutionalisiert, dann ist das nichts weiter als eine Verwahrung der persönlichen Systeme. Die Mittel zur Erziehung sind einfach nicht gegeben, dadurch entstehen erst die berechtigten Konflikte.

Als Frau Christy S. mit einem Messer in das JobCenter kam, um Geld zu bekommen, stand sie eben nicht einem funktionierenden System für die lebensweltliche Stabilisierung gegenüber, sondern einer funktionalisierten Erziehungsstrategie - institutionalisiert im Verwaltungsapparat. Diese Erziehungsmaßnahmen griffen nun direkt auf einen Menschen, der nicht institutionalisiert wurde. Man mag es noch verstehen oder zumindest bewusst nachvollziehen können, wenn die Anstalten, seien es Erziehungs- oder JustizStrafvollzugsanstalten, Menschen als vollwertige Mitglieder ihrer Einrichtung zu erziehen versuchen mit dem Ergebnis, die Institution selbst in ein positives Licht zu rücken. Aber diese Eigendynamik hat kein Anrecht auf die menschlichen Ressourcen des Einzelnen, sie dient einzig der Erhaltung jener Einrichtungen.

Um konkret zu vollenden, was ich begonnen habe, auch wenn es noch so viele Fehler hat, aber darauf hab ich bereits hingewiesen, denn einen Systemfehler nachzuvollziehen begründet schon die Fehlerhaftigkeit an sich, nicht aber im eigenen, autonomen Bewusstsein, schlussfolgere ich mit aller Härte und Deutlichkeit:

- Man hat die akute Bedürftigkeit eines Menschenlebens unter die Eigendynamik eines behördlichen Verwaltungsapparates eingestuft und die Verfügungsgewalt herausgepresst. Damit die Behörde weiter funktioniert, griff das System auf Sicherheitsmaßnahmen zurück und zerstörte damit das Vertrauensverhältnis als die rechtliche Grundlage zwischen Rechtsstaat und Individuum. Die Polizei hat geschossen, das hat sie schon häufiger getan. Darüber will ich gar nicht nachdenken, aber die Einstellungsvoraussetzungen für den Staatsdienst waren ja schon immer der Grund für ein Scheitern des Rechtsstaates.

mAG

R.M.

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