GR: Syntagma - Bericht von der Versammlung

Springtime 2011 31.05.2011 20:08 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Ein erster Eindruck von der offenen Versammlung auf dem Syntagma-Platz

Bericht über die Versammlung, die Atmosphäre und die Redebeiträge auf dem Syntagma Platz in Athen am Sa. 28.05.2011., erschienen am 29.05. auf der griechischen website Agentur rioters
(Übersetzung deutsch)
Übersetzung von dem Bericht über die Versammlung auf dem Syntagma-Platz in Athen am Sa., 28.05.2011 (anonym vom 29.05.2011 auf der Seite: Agentur Rioters ( http://rioter.info/2011/05/29/syntagma)

….“Es war eine Feier ohne Anfang und Ende. Ich sah alle Menschen und ich sah Niemanden weil jeder Einzelne sich in dieser unzähligen Menge verlor. Ich sprach mit Allen ohne dass ich mich weder an meine Worte noch an die Worte der Anderen erinnern kann, weil meine Aufmerksamkeit sich jede Sekunde auf neue Geschehen, unerwartete Ereignisse richtete.“ Bakunin- „Geständnis“

Ein erster Eindruck von der offenen Versammlung auf dem Syntagma-Platz

Das erste Mal ging ich am Freitag, den 27.05. dorthin, ganz klar aus Neugier und ohne große Erwartungen. Das erste Bild von der oberen Seite des Syntagma Platzes war das einer ganz neuen Menge Menschen, die nichts mit den gewöhnlichen Leuten auf Demonstrationen gemein hatte. Die wenigen eher zögerlichen Parolen beschränkten sich auf „Diebe, Diebe“ und „Ouuu“. Es gab Menschen jeden Alters, von Zerlumpten bis hin zu Kostümierten, einige klopften auf Tambourine, andere schlugen auf Kochtöpfe während in der Tiefe auch griechische Fahnen zu erkennen waren. Die Befürworter der „nationalen Rettung“ haben sich quasi auf den oberen Teil des Platzes neben den MAT zurückgezogen.

Daneben im Kreis standen Menschen und meinten, dass auf dem Platz eine Versammlung stattfinden würde und so ging ich dahin um zuzuhören. Viele Stunden lang konnte ich nichts hören, weil es über 1000 Menschen waren, die sich drängten und alle zuhören wollten, von Omis und Opis bis zu Schülern, Studenten, Arbeitern, Arbeitslosen, Migranten, Müttern mit dem Baby im Kinderwagen.... Als sich die Menge ein wenig lichtete und ich einen Platz in der Nähe eines Lautsprechers fand, wurde mir bewusst, dass sich hinter der Kategorie „unpolitisch“, mit der die Menge auf dem Syntagma etikettiert worden war, eine Vielzahl von andersartigen aber grundsätzlich politischen Merkmalen versteckte.

Ungeduldig ging ich gestern (28.05.) schon früh, um noch einen Platz auf der Versammlung zu bekommen, wieder auf den Syntagma Platz. Über 3000 Menschen hatten offenbar dieselbe Idee. Die Menge vielfältig. Sogar einige Anarchisten- die ihre gewohnten Festivals und Parties verlassen hatten- klatschten jetzt einer älteren Frau Beifall, die das Wort ergriffen hatte und die über die Faschisten fluchte und Aufstände in den Vierteln und Nachbarschaften Athens vorschlug so wie in dem Viertel Agios Panteleimonas.

Im Allgemeinen stellten die meisten Redner klar, dass wir nicht wegen des Memorandums des IWF und der EU dort sind, sondern dass wir ein neues politisches System finden müssen ohne Chefs und Diener. Und bei der Frage wer wir überhaupt sind, wir die Mitglieder der Versammlung des Syntagma Platzes, wurde die Formulierung am wärmsten begrüßt, dass wir Arbeiter sind, Arbeitslose, Studenten, Schüler, Migranten, alle Ausgebeutete, alle mit demselben Feind. Und was das „Was-wir-wollen- anbetrifft, wir wollen alles was uns gehört. Wir wollen, dass der Arbeiter die Entscheidungen über seine Fabrik fällt, der Student über seine Hochschule, die Bewohner jedes Viertels über ihre Viertel. Dass wir nicht von hier zurückkehren solange ein anderer über uns ohne uns Entscheidungen fällt. Wir wollen keine Wahlen, wir wollen keine Ministerien, Banken, Gefängnisse, Gott, wir wollen kein Geld.

Über die Gewaltfrage: es gab Positionen für die Notwendigkeit der Gewaltlosigkeit, um sich zunächst als Menge zu halten und nicht zu leicht aufzulösen. Einige befürworteten das Prinzip der Gewaltlosigkeit gegenüber der Polizei, die nicht „der Feind“ ist und eine Sackgasse ist, viele andere akzeptierten, dass die Gewalt unausweichlich sein wird, wenn sie versuchen uns zu zerstreuen und aufzulösen, zumal wir alles erreichen wollen und sie uns nichts schenken werden. Eine allgemein akzeptierte Schlussfolgerung war, dass es gut wäre die jetzigen Merkmale der Versammlung beizubehalten, die unsere Organisierung und Festigung begünstigt. Es wurde jedoch eine provisorische Wachschutzgruppe gebildet, die sich um unseren Schutz kümmert, so dass wir für den Fall, dass sie uns überfallen, so wie sie es in Barcelona gemacht haben, vorbereitet sind. Es wurde intensiv diskutiert, ob wir mehr defensiv oder offensiv agieren sollten. Wir kamen überein, dass dieses Thema diskutiert und untersucht werden muss, so dass so bald wie möglich eine Strategie festgelegt werden kann. Eine Frau drückte ihre Traurigkeit darüber aus, dass sie im Dezember 2008 nicht auf die Straße gegangen war und dass wir jetzt alle was wir tun können tun müssen, um das fortzusetzen, was damals begann.

Über die Massenmedien: Alle stimmten darin überein, dass die Medien des Regimes die Wahrheit verzerren und die Befehle derer ausführen, die wir hassen. Es gab eine Auffassung, dass es gute und schlechte Journalisten gibt, so wie es gute und schlechte Bullen gibt, was von der Menge mit Gelächter quittiert wurde. Es wurde beschlossen, dass es von der morgigen, gesamteuropäischen Kundgebung (29.05.) einen livestream von der multimediagruppe der Versammlung geben sollte. Was das live von der Versammlung anbetrifft, so wurde beschlossen, dass nur der Sound live wiedergeben werden soll und kein Bild, insbesondere weil die Migranten ohne Papiere, die dort sein wollen, ihre Gesichter aus Angst vor Verfolgung nicht zeigen wollen. Es wurde thematisiert, dass viele, besonders Ältere, die Staatsmedien verfolgen und es wurde vorgeschlagen, die Massenmedien zu besetzen. Ein Redner sagte, dass sei Utopie und dass wir nicht die Kraft dazu haben, was die Menge ablehnte, so dass er wegging.

Beifall erhielt ein Migrant, der dazu aufforderte, dass wir uns dezentral organisieren sollten. Dass in jedem Viertel von 18.00 Uhr bis 21.00 Uhr Stadtteilversammlungen stattfinden sollen und im Anschluss um 21.00 Uhr die zentrale Versammlung auf dem Syntagma beginnen soll. Dass sich Versammlungen der Studenten, der Schüler, der Arbeiter, der Arbeitslosen und der Migranten in jedem Bereich bilden sollen und diese sich koordinieren sollen, so dass mehr Menschen teilnehmen können. Dass jeder in seinem Bereich für die Schaffung von Versammlungen werben soll, so sehr er kann.

Hunderte von Menschen hatten sich angestellt und warteten darauf, das Wort zu ergreifen. Während die Frage der Redezeit noch keiner Regelung unterzogen wurde, die den Bedürfnissen aller entspricht, führte die Begeisterung der Menschen darüber sprechen zu können auch zu kleinen Konflikten, zumal immer mehr Leute sich äußern wollten. Es wurde 4 Uhr morgens und wir drängten uns immer noch um allen Stellungnahmen zuzuhören. Jemand schlug vor, dass wir die Versammlung beenden um uns ausruhen zu können. Die Menge lachte nur. Es kam ein Taubstummer, der alles auf einem Papier notiert hatte, welches verlesen wurde. Er schrieb, dass er durch uns alle seine Stimme wiedergefunden hat. Ein anderer nahm das Mikro und sagte, dass wir alle Griechen sind und dass die Lösung in der nationalen Einheit liege- schnell wurde er aus der Menge verscheucht, bevor er weiterreden konnte. Es wurde die Parole gerufen: „Die nationale Einheit ist eine Falle- das Proletariat hat kein Vaterland.“ Ein Schüler sprach von der Besetzung der Fabriken durch die Arbeiter. Jemand schlug vor, zu einem dauerhaften Generalstreik aufzurufen, was die Leute begeisterte. Es wurde gesagt, dass wir keine Nationalfahne haben, weil uns nicht irgendeine Nation vereint sondern unsere Klasse, unsere gemeinsame Lage. Als andere das Thema ansprachen, dass wir ein Symbol brauchen, wurde von einem Älteren die schwarze Fahne vorgeschlagen, die die Fahne der Streikenden sei, die Fahne der Verweigerung.

Jemand kam vorbei und trug eine griechische Fahne als Umhang. Ein Mann mittleren Alters fragte ihn, ob er dort sei, weil er Grieche sei und als der andere Mann das bejahte fragte er ihn, warum der Reeder Niarchos nicht da sei, als Grieche. Sie einigten sich schließlich darüber, dass er dort ist, weil er arm ist. Der eine nannte den anderen Genosse oder Freund. Überall war das Wort Besetzung zu hören. Besetzung der Arbeitsplätze, Besetzung der Hochschulen, Besetzung der Sender, Besetzung der großen Hotels rund um den Platz, so dass die Leute dort bleiben können. Es war auch zu hören, dass die Ungerechtigkeit Namen und Adressen hat und dass wir dorthin gehen müssen. Ein Älterer erzählte, dass er ein Kredit abbezahlt, weil er Wertmarken für seine Rente gekauft hätte und es bliebe uns nur noch übrig, die Banken anzuzünden. Er sagte, dass er das wirklich so meint und bat darum, dass seine Vorschläge notiert werden. Es war fast 5 Uhr morgens und die Leute weigerten sich energisch zu gehen. Eine Frau schlug vor, ein Manifest über die Grundprinzipien der direkten Demokratie und ein anderes politisches System zu verfassen. Es wurde beschlossen, dass von Montag an die theoretischen Diskussionen über das wie das gehen könnte, beginnen. Ein anderer nahm das Mikrophon und sprach über die Bedeutung der vegetarischen Ernährung. Dutzende Themen wurden in die Diskussion eingebracht. Als schließlich einer vorschlug, die Versammlung auf den nächsten Tag zu vertagen, wo wir wieder Tausende sein würden, standen die verbliebenen Leute (von Alternativen mit irgendwelchen Klamotten bis zu Anzugträgern, die auf dem Boden saßen und aufmerksam zuhörten) nur zögerlich auf und auch nur um sich im nächsten Moment wieder zu Kreisen zusammenzustellen und einige Meter weiter ihre Gespräche fortzusetzen.

Nebenan ist ein Bereich geschaffen worden, wo sich die Zelte befinden und die Arbeitsgruppen. Ärzte, Rechtsbeistand, Sauberkeit, Ernährung, Kunst, Übersetzung, Technik, Wachschutz, Material, es werden Gruppen aller Art gebildet und alle tauschen ihre Ansichten aus. Beispielsweise unterrichtete einer einen Zahnarzt in Gitarre, der ihm dann die Zähne behandelt. Es gab eine Karte, auf dem der Ort jeder Gruppe eingezeichnet war. Es gab ein Transparent „Ohne uns gibt es nichts“. Wir wollen alles und zwar sofort!“, ein Transparent in Spanisch, ein Transparent von „Wir zahlen nicht!“ In der Versammlung wurde besprochen, dass wir Transparente machen, so dass der ganze Platz gefüllt wird und dass politische Parolen gerufen werden sollten, so dass die Parole „Diebe“ aufhört, obgleich gestern auch gerufen wurde „Streuner, Betrüger, Journalisten“, „Bullen, Schweine, Mörder“ usw. Als wir gingen kamen wieder etliche in Grüppchen zusammen und formierten so eine neue Versammlung um 7 Uhr morgens. Jemand schlug vor, es solle eine fortwährende Versammlung geben, wenn die Leute so sehr das Bedürfnis hätten zu diskutieren und einige nicht müde waren, aber einer sagte, dass dann die Gefahr besteht, dass Wenige zulasten der Vielen Entscheidungen treffen.

Ein Mann mittleren Alters nahm das Mikrophon und sagte wie begeistert und gerührt er darüber sei, dass er dort sei. Ein anderer fiel ihm massiv ins Wort und forderte ihn streng auf, er solle doch zur Sache kommen. Der Mann war gekränkt und hörte auf zu sprechen. Etwas später umarmten sich beide und sprachen darüber, wie das Missverständnis zwischen ihnen gelöst werden kann. Irgendwann wollte ich mich auf eine Bank setzen. Neben mir saß ein alter Mann und fragte mich wann der Marsch der Faschisten vom „Goldenen Tagesanbruch“ in der Mitropoleos -Straße beginnt. Wir hatten keinen blassen Schimmer. Er fügte hinzu, dass wir, wenn sie in Richtung Syntagma kämen, auf jeden Fall gezwungen sein würden, Gewalt auszuüben.

Der heutige Tag (29.05.) wird mit großem Interesse erwartet. In ganz Europa werden Kundgebungen auf den Plätzen stattfinden und die Versammlung wird viele Tausende Menschen umfassen und spannende Themen. Es bleibt zu sehen ob die Versammlungen die Gefahr ihrer Ausartung und Erschöpfung (Gruppentherapie, wie bitter kommentiert wird) überwinden kann und sich zu einer Bewegung entwickeln. Der erste Schritt ist gemacht, die Menschen finden sich und diskutieren miteinander und das erschüttert das Fundament dieses Systems.
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Ergänzungen

Livestream vom Syntagma

irgendwer 31.05.2011 - 23:08

31.05. Parlamentsblockade am Syntagma

Syntagma-Empörte 01.06.2011 - 13:56

Foto-Video mit Untertiteln

zutzeri 01.06.2011 - 15:09
Hubschrauber bedeuten: Macht es so wie in Argentinien
 http://de.indymedia.org/2011/05/308939.shtml

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