Lebenslang für 9 Wehrmachtssoldaten gefordert

AG Reggio-Emilia 24.05.2011 18:20 Themen: Antifa Militarismus Weltweit
Am 22. Juni wird das Urteil des Militärgerichts Verona gegen neun ehemalige deutsche Wehrmachtsangehörige erwartet. Es ist voraussichtlich der letzte NS-Prozess dieser Größenordnung. Die Staatsanwaltschaft hat für alle neun an Massakern beteiligte deutsche Wehrmachtssoldaten lebenslange Haftstrafen beantragt. Nebenkläger sind hunderte Angehörige der Opfer, die Provinzen Toskana und Emilia Romagna und lokale Gemeindeverwaltungen. Da es bisher in der deutschen Öffentlichkeit nahezu keine Berichterstattung dazu gab, ist am Wochenende eine Prozessbeobachterin zu Gast in Berlin und wird über den aktuellen Stand des Prozesses berichten.
Bereits seit 11. November 2009 findet vor dem Militärgericht im italienischen Verona einer der letzten großen NS-Strafprozesse gegen ehemalige deutsche Wehrmachtsangehörige statt. Den neun Angeklagten wird vorgeworfen als Mitglieder der Fallschirmjäger-Panzerdivision „Hermann Göring“ im Frühjahr 1944 bei als „Partisanenbekämpfung“ getarnten Massakern in Norditalien über 400 ZivilistInnen ermordet zu haben. Einheiten der Fallschirm-Panzerdivision “Hermann Göring”, die in der größten Kaserne in Berlin-Wedding (heute Julius-Leber-Kaserne) stationiert war, sind für mindestens sieben Massaker zwischen März und Juli 1944 verantwortlich. Im aktuellen Prozess wird mit den Urteilen am 22. Juni 2011 gerechnet.

Ursprünglich waren 14 ehemalige deutsche Wehrmachtsangehörige angeklagt, von denen im Laufe der Ermittlungen und des Prozesses aber mittlerweile vier Personen gestorben sind. Trotz der Schwere der Vorwürfe wird in Abwesenheit der Angeklagten verhandelt. Die ehemaligen Wehrmachtsangehörigen leben ungestört und ungeachtet des gegen sie laufenden Prozesses in Deutschland. Aus vielen früheren Prozessen ist bekannt, dass sich NS-Täter bis heute in aktiven Netzwerken miteinander absprechen.

Angeklagt sind:

Horst Günther, 84, Obergefreiter, 4. Kompanie
Günther Heinroth, 84, Soldat, 3. Kompanie
Erich Köppe, 91, Leutnant, Flak-Bataillon Hermann Göring
Alfred Gabriel Lühmann, 84, Unteroffizier, 4. Kompanie
Helmut Odenwald, 90, Hauptmann, Kommandant Flak-Batterie
Fritz Olberg, 88, Leutnant, Kommandant eines Zuges der 3. Kompanie
Ferdinand, Osterhaus, 92, Leutnant, Kommandant eines Zuges der 5.Kompanie
Wilhelm Karl Stark, 89, Feldwebel, Kommandant eines Trupps der 3. Kompanie
Hans Georg Karl Winkler, 88, Leutnant, Kommandant eines Zuges der 4. Kompanie

Trotz der Schwere der Vorwürfe weigert sich Deutschland bis heute, Täter aus der NS-Zeit ohne ihr Einverständnis auszuliefern: „Die deutsche Regierung ist dafür verantwortlich, dass keine der im Ausland verurteilten NS-Täter jemals ihre Haftstrafen antreten müssen, sondern hier unbehelligt ihren Lebensabend genießen können“, so Anne Lepper, Pressesprecherin der AG Reggio-Emilia.

Der Prozess findet erst über 65 Jahre nach den Ereignissen statt. Viele Angehörige der Opfer sind mittlerweile gestorben. Dennoch besteht die Nebenklage aus hunderten Angehörigen der Opfer, aber auch die Provinzen Toskana und Emillia Romana und lokale Gemeindeverwaltungen sind Nebenkläger. Prozessbeobachterin Marianne Wienemann betont: „Der Prozess ist die längst fällige Auseinandersetzung mit einer Geschichte, die von der Allgemeinheit verdrängt und vergessen wurde. Jetzt gilt es, diese aus den Mauern des Gerichtes in die Öffentlichkeit zu tragen!“

Dieser in allen Belangen sehr große NS-Prozess wird von der deutschen Öffentlichkeit fast vollständig ignoriert. Deshalb wird am Freitag den 27. Mai 2011 die Prozessbeobachterin Marianne Wienemann auf Einladung der AG Reggio-Emilia in Berlin vom aktuellen Stand in Verona berichten und auf Besonderheiten von NS-Strafprozessen in Italien eingehen. Sie ist freie Mitarbeiterin des Istoreco (Institut zur Geschichte der Resistenza und zur Zeitgeschichte in Reggio-Emilia).

Gespräch mit Prozessbeobachterin:
"Die Angeklagten erscheinen nicht…“
Freitag, 27. Mai 2011, 19 Uhr
Statthaus Böcklerpark, Prinzenstr.1a, Berlin

Ziel der Veranstaltung ist es, das Schweigen zu durchbrechen und über den Prozess im Vorfeld der Urteilsverkündung zu informieren. Es wird aufgezeigt, wie der aktuelle Prozess bislang verlaufen ist, welche Verbrechen den Angeklagten zur Last gelegt werden und wie sich angeklagte Wehrmachtssoldaten in vergangenen Prozessen abgesprochen haben – dokumentiert durch Abhörmaßnahmen. Die Veranstaltung geht aber auch auf die Gründe ein, die dazu geführt haben, dass die Prozesse in Italien so lange verschleppt wurden und in welchem politischen Klima sie stattfinden.

Weitere Infos
Prozess gegen Nazis in Verona:  http://de.indymedia.org/2011/05/308323.shtml
Radio Corax:  http://www.podcast.de/episode/2185548/Nazi-Kriegsverbrecher_in_Verona_vor_Gericht_Serie_191%3A_Corax-Widerhall
Radio Dreyeckland Freiburg:  http://www.rdl.de/index.php/component/content/article/276/13171-tagderbefreiungwelchebedeutunghatdasgedenkenannsbesatzungundwiderstandinitalienheute
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Ergänzungen

Deutsche Medien

stephan 30.05.2011 - 22:57
Die deutschen Medien berichten sicherlich deshalb nicht, weil die Verurteilungen, so es welche geben sollte, für die Angeklagten ohne Folgen bleiben werden. Strafverfahren in Abwesenheit des Angeklagten kennt das deutsche Recht nicht, schon deshalb haben diese Prozesse nur symbolische Bedeutung. Und selbstverständlich werden die Täter nicht ausgeliefert: Italien war damals von Deutschalnd besetzt, für Taten die durch Angehröige der Besatzungsmacht in besetzten Gebieten begangen werden, sind die Gerichte der Besatzungsmacht zuständig, das regelt das Völkerrecht so, deshalb sind diese Prozesse nur eine Farce. Der eigentliche Skandal ist ja der, daß die deutsche Justiz auf Grund der Erkenntnisse der italienischen Staatsanwälte nicht aktiv geworden ist, denn spätestens nach Bekanntwerden der Anklage hätten die deutschen Justizbehörden eigenständige Ermittlungen anstreben müssen, dazu sind sie verpflichtet.

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