Prozess gegen Nazis in Verona

piero gobetti 24.05.2011 12:37 Themen: Antifa Militarismus
Zwischen Ende März und Anfang Juni 1944 ermordeten Wehrmachtssoldaten der Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring“, die in der heutigen Julius-Leber-Kaserne in Berlin Wedding stationiert waren, in den Apenninen mehrere hundert Menschen. Fünfzig Jahre später wurde der sogenannte „Schrank der Schande“ (ital. Armadio della vergogna) geöffnet und die beteiligten Nazis konnten ermittelt werden. Seit dem 11. November 2009 läuft das Verfahren gegen ehemalige Wehrmachtssoldaten vor dem Militär-Gericht in Verona. Der Prozess ist fast abgeschlossen. Ende Juni wird das Urteil gegen die zehn (verbliebenen) angeklagten Nazi-Kriegsverbrecher erwartet.
Die verschiedenen Einheiten der Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring“ galten auch aufgrund ihrer Geschichte, die eng mit der Karriere des bis zu seinem Selbstmord überzeugten Nationalsozialisten und ehemaligen Jagdfliegers Hermann Göring verknüpft ist, als Spezialisten für die Terrorisierung der Zivilbevölkerung und der Bekämpfung des vermeintlich ethnisch und ideologisch minderwertigen Feindes. Ursprünglich als Polizeieinheit aus überzeugten Nazis gegründet, die in Kreuzberg stationiert war und zusammen mit der Gestapo Marxist_innen und Kommunist_innen jagte, entwickelte sich die „Lieblingseinheit“ von Göring in wenigen Jahren erst zu einem Regiment, das, als Göring 1935 die Luftwaffe übernahm, darin eingegliedert wurde, ab 1942 zu einer wichtigen Division. Die Einheiten wurden vor allem in Osteuropa und in Afrika eingesetzt und sind in zahlreiche Kriegsverbrechen verwickelt.

Das Verfahren gegen die Wehrmachtssoldaten der Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring“ ist ein weiterer Höhepunkt in der Auseinandersetzung mit deutschen Kriegsverbrechen in Italien. Die Ermittlungen und die Prozesse gegen deutsche Wehrmachtssoldaten sind nur möglich, weil 1994, fünfzig Jahre nach den Massakern an der italienischen Zivilbevölkerung, der sogenannte „Schrank der Schande“ geöffnet wurde. Darin befanden sich Akten, die beteiligte Einheiten der Waffen-SS und der Wehrmacht sowie Namen der beteiligten Täter nannten.

Die Legende, das dieser Schrank mit einem Eisengitter abgesichert und der Tür zur Wand in der Allgemeinen Italienischen Militär-Anwaltschaft gestanden haben soll, sind heute nicht mehr haltbar. Schließlich gab es allgemeine Verfahren zu Massakern, die allerdings nie ernsthafte Konsequenzen für den deutschen Staat oder (lebende) Nazis nach sich zogen. Deshalb taugt das Bild des „unzugänglichen“ Schrankes doch als Metapher für das Verschweigen und die Inkonsequenz in der Verfolgung von Nazi-Kriegsverbrechen in Italien und der BRD.

Eine Absprache aus dem Jahr 1960 zwischen der italienischen Republik und der wiederbewaffneten Bundesrepublik Deutschland, die in die NATO Strukturen eingebunden wurde, sorgte nämlich dafür, daß Nazi-Kriegsverbrecher jahrzehntelang unbehelligt ein ungestörtes Leben führen durften und dürfen. Ihnen droht weder aus Italien und schon gar nicht von den deutschen Behörden die juristische Aufarbeitung ihrer Verbrechen. Ganz im Gegenteil, sie wurden und werden im Gegensatz zu ihren Opfern durch den deutschen Staat großzügig für ihre Lebensleistung abgefunden.

Das derzeit laufende Verfahren gegen die Wehrmachtssoldaten der Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring“ verhandelt nicht, wie in den anderen Kriegsverbrecher-Prozessen der letzten Jahre, ein spezielles Massaker, sondern betrifft zahlreiche Morde an Zivilist_innen in der Toskana und der Emilia-Romagna. Hierbei handelt es sich um folgende um Massaker, die in keinem Zusammenhang mit Partisanenaktivitäten in der betroffenen Region stehen, da es sie dort zu diesem Zeitpunkt einfach nicht gab. Es wurden willkürlich Menschen getötet, deren einzigen Verbrechen es war Italiener_innen zu sein. Die Mär von der Rache für Partisanen_innen-Aktionen ist hierbei nicht haltbar.

In den Ortschaften Monchio, Susano und Costringano in der Provinz Modena wurden am 18. März 1944 132 Zivilist_innen ermordet und die Dörfer niedergebrannt. Zwei Tage später, am 20. März, ermordeten Soldaten der Fallschirm-Panzer-Aufklärung „Hermann Göring“ zusammen mit italienischen Faschist_innen in den Ortschaften Cervarolo und Civago (Provinz Reggio-Emilia) 27 Zivilist_innen. Am 10. / 11. April 1944 wurden in Monte Morello in der Provinz Florenz von deutschen Wehrmachtssoldaten 14 Zivilist_innen getötet. In einer großangelegten Durchkämmungsaktion zwischen dem 12. bis zum 17. April ermordeten Einheiten der Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring“ in Zusammenarbeit mit italienischen Faschist_innen im Gebiet des Casentino, an den Flanken des Monte Falterona, über 200 Zivilist_innen darunter viele Kinder. Betroffen waren die Ortschaften Stia, Bibbiena und Poppi in der Provinz Arezzo. Am 5. Mai 1944 wurden 22 Zivlist_innen in den Ortschaften Mommio und Sassalbo, die zur Gemeinde Fivizzano in der Provinz Massa-Carrara gehören.

Der Prozess läuft seit Ende 2009. Das Interesse an einem abschließenden Urteil über die Nazi-Mörder und die gesellschaftliche Relevanz vor allem in Italien läßt sich an den hunderten Nebenkläger_innen erkennen, die zum einen auf eine Verurteilung der Nazi-Kriegsverbrecher drängen, aber auch Schadenersatzansprüche gegen den deutschen Staat und seine Institutionen geltend machen wollen. Anwaltlich vertreten sind auf Ankläger_innen-Seite die italienischen Bundesländer Toskana und Emilia-Romagna, die betroffenen Regionen, einzelne lokale Akteure und betroffene Hinterbliebene sowie auf Seiten der Verteidigung die Anwälte der Angeklagten, die zu keinem Zeitpunkt im Gerichtssaal anwesend waren und ein_e Vertreter_in für den deutschen Staat. Letzteres ist deshalb nicht verwunderlich, weil neben den lebenslänglichen Haftstrafen für die Nazi-Kriegsverbrecher auch Entschädigungsansprüche gegen den deutschen Staat selbst zur Verhandlung stehen.

Die Verurteilungen der Wehrmachtssoldaten interessiert den deutschen Staat weniger. Auslieferungen der Nazi-Kriegsverbrecher oder Verfahren in Deutschland wird es nicht geben. Die Überführung der verurteilten Wehrmachtssoldaten ist per Grundgesetz ausgeschlossen und die Ermittlungen gegen sie werden verschleppt, bis die Täter sterben. Die drohenden Schadenersatzzahlungen allerdings bedrohen den deutschen Staat sehr viel mehr, da die Ansprüche auch gegen deutsches „Staatseigentum“ (wie zum Beispiel das Goethe-Institut) geltend gemacht werden könnten. Aus diesem Grund wehrt sich der deutsche Staat zur Zeit in Absprache mit der italienischen Regierung gegen die Schadensersatzansprüche von Zivilist_innen (juristisch Nicht-Kombattant_innen) vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Deshalb ist ein Vertreter für den Staat Deutschland auch in Verona anwesend.

Der Ausgang des Verfahrens in dem Ende Juni das Urteil gesprochen wird, ist deshalb nicht nur individuell relevant, sondern betrifft auch die Weigerung des deutschen Staates sich bis heute an der Aufarbeitung der Kriegsverbrechen in Italien sowohl juristisch als auch politisch zu beteiligen. Hierbei geht es um hohe Schadensersatzansprüche, die in Italien höchstinstanzlich bestätigt wurden. Nur Den Haag könnte die „Beschlagnahme“ von deutschem „Staatseigentum“ verhindern.

Die Geschichte der Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring“ verweist aber auch auf Berlin und seine nationalsozialistische Tradition. Der Nazi-Terror 1944 in Norditalien hat seinen Ursprung in Kreuzberg. Deshalb ist es wichtig, daß die Aufarbeitung auch in Berlin stattfindet. Am 27. Mai 2011 gibt es im Statthaus Böcklerpark ((Prinzenstr. 1a, U-Prinzenstr.) Gelegenheit sich über die Hintergründe und den Prozessverlauf in Verona zu informieren und zu diskutieren. Marianne Wienemann, Prozessbeobachterin und Mitarbeiterin des Institut für die Geschichte der Resistenza und Zeitgeschichte in der Provinz Reggio Emilia Istoreco, wird bei der Veranstaltung, die von der AG Reggio-Emilia organisiert wird, anwesend sein.

Weitere Infos
Zum Prozess  http://www.keine-ruhe.org/node/162
Das Institut  http://www.istoreco.re.it
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Ergänzungen

veranstaltung am freitag

atze 44 24.05.2011 - 15:07
am freitag gibts zu dem thema in neukölln auch ne veranstaltung:

 http://antifa-neukoelln.net/termine/details/64-Verona

Radiointerview zum Thema

so'nich 24.05.2011 - 15:52
Eine interessante Sendung zu den Hintergründen des Massakers und den verhinderten Ermittlungen wurde bei Radio Corax Anfang Mai ausgestahlt und kann runtergeladen werden kann. Im Interview erzählt Matthias Durchfeld von Istoreco über die Hintergründe des Verfahrens. Im Interview mit Radio Corax erzählt Matthias Durchfeld von Istoreco über die Hintergründe des Verfahrens.

siehe  http://www.podcast.de/episode/2185548/Nazi-Kriegsverbrecher_in_Verona_vor_Gericht_Serie_191%3A_Corax-Widerhall

Staatsanwälte fordern lebenslange Haft

AG Reggio-Emilia 24.05.2011 - 18:29
Berlin, 24. Mai 2011

PRESSEMITTEILUNG


NS-Prozess Verona: Staatsanwälte fordern lebenslange Haft für an Massakern beteiligte Wehrmachtssoldaten

Einer der letzten großen NS-Prozesse / Prozessbeobachterin zu Gast in Berlin

Am 22. Juni wird das Urteil des Militärgerichts Verona gegen neun ehemalige Wehrmachtsangehörige erwartet. Es ist voraussichtlich einer der letzten NS-Prozesse dieser Größenordnung. Die Staatsanwaltschaft hat für alle noch lebenden Angeklagten lebenslange Haftstrafen beantragen. Nebenkläger sind hunderte Angehörige der Opfer, die Provinzen Toskana und Emilia Romagna und lokale Gemeindeverwaltungen.

Den ehemaligen Angehörigen der Fallschirm-Panzerdivision „Hermann Göring“ wird vorgeworfen, im Frühjahr 1944 bei als „Partisanenbekämpfung“ getarnten Massakern in Norditalien über 400 ZivilistInnen ermordet zu haben. Trotz der Schwere der Vorwürfe wird in Abwesenheit der Angeklagten verhandelt. Deutschland weigert sich bis heute, Täter aus der NS-Zeit ohne ihr Einverständnis auszuliefern:

„Die deutsche Regierung ist dafür verantwortlich, dass keine der im Ausland verurteilten NS-Täter jemals ihre Haftstrafen antreten müssen, sondern hier unbehelligt ihren Lebensabend genießen können“, so Anne Lepper, Pressesprecherin der AG Reggio-Emilia.

Ohne bisherige Berichterstattung in deutschen Medien findet der Prozess erst über 65 Jahre nach den Ereignissen statt. Viele Angehörige der Opfer sind mittlerweile gestorben.

Prozessbeobachterin Marianne Wienemann betont: „Der Prozess ist die längst fällige Auseinandersetzung mit einer Geschichte, die von der Allgemeinheit verdrängt und vergessen wurde. Jetzt gilt es, diese aus den Mauern des Gerichtes in die Öffentlichkeit zu tragen!“

Marianne Wienemann wird auf Einladung der AG Reggio-Emilia vom aktuellen Stand in Verona berichten und auf Besonderheiten von NS-Strafprozessen in Italien eingehen. Sie ist freie Mitarbeiterin des Istoreco (Institut zur Geschichte der Resistenza und zur Zeitgeschichte in Reggio-Emilia) und steht nach Anmeldung gern für Interviews zur Verfügung.

Gespräch mit Prozessbeobachterin: "Die Angeklagten erscheinen nicht…“ Freitag, 27. Mai 2011, 19 Uhr, Statthaus Böcklerpark, Prinzenstr.1a, Berlin

pressereaktionen in deutschen Zeitungen

zeitungsleser 02.06.2011 - 16:16
Taz:

www.taz.de/1/politik/europa/artikel/1/verbrechen-bleiben-ungesuehnt

 http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/jenseits-der-bewaeltigung/


Freitag:

 http://www.freitag.de/politik/1122-die-spaete-gerechtigkeit

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Ich verstehe nicht ganz!

intereesiert 25.05.2011 - 16:04
Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass deutsche Soldaten mit Hilfe von italienische Faschisten, Italiener töten, weil sie Italiener sind?!
Mal ernsthaft. Das sind stark nationalistisch ausgeprägte Menschen und die werden eigene Volksgenossen nicht einfach töten. Das muß einen Grund gegeben haben. Vielleicht waren sie ja keine Partisanen, aber unterstützten sie oder leisteten anders Widerstand/Sabotage?! Und ob das alles so ablief ist auch immer so eine Sache. Es gibt viele Beispiele, wo man sagte das geschah aus reiner Mordlust und später stellte sich raus, das es nicht so war oder aus anderen Gründen passierte. Ich will hier jetzt nichts verdrehen, wenn sie die Italiener einfach so töteten, ist es ein Verbrechen und sie müssen dafür bestraft werden. Beim Malmedy-Prozess schien zuerst auch alles so klar und später haben sogar überlebende Amerikaner anders ausgesagt, als es vorher der Welt geprädigt wurde. Oder in Oradur, wo der Franzose Vincent Reynouard, ins Gefängnis kam, weil er die jahrzentelang galtene Version des Kriegsverbrechen wiederlegte (auch durch Zeugenaussagen) und sogar Misshandlungen, Verstimmelungen und Morde vom franz. Widerstand offenlegte. Den Widerständlern wird auch jedes Jahr gedacht, ist das nicht auch irgendwie eine Hinnahme von Verbrechen. Da stört der Linken nicht, aber in Bad Nenndorf, da sagen sie, die Nazis würden die Fakten verdrehen und gegen deutschen Opfermythos und so. Doppelmoral!
Und zu sagen, der deutsche Staat würde Nazis schützen und verteidigen, ist wohl nicht wirklich, von Euch, ernst zu nehmen?! Wenn der Staat, das vertuscht hat, denn nur um nicht schlecht in der Öffentlichkeit/Welt da zu stehen. Wenn er könnte, würde er die selber einfach verschwinden lassen! Bloß weil ein paar Systempolitiker mal an Trauerveranstaltungen teilnehmen, heißt das nicht das sie dafür stehen, sondern nur um ein paar alte Christdemokraten bei der Stimme zu halten.

Und damit möglichst viele Verbrechen an die Öffentlichkeit kommen, sollte man nicht nur "die Schranke der Schande" in Italien öffnen, sondern alle geheimgehaltenen Akten > auch die der Allierten und Sowjetunion!