Strafvollzug 2011

Thomas Meyer - Falk 21.05.2011 21:21 Themen: Repression
Im Frühjahr dieses Jahres erschien von dem für die taz (die tageszeitung, Berlin) tätigen Journalisten, Sozialpädagogen und Soziologen Kai Schlieter das Buch „Knastreport – Das Leben der Weggesperrten“.
Auf 254 Seiten bietet der Autor einen ungeschminkten Einblick in den bundesdeutschen Strafvollzug; er lässt neben einigen Gefangenen auch Professor Kröber (Berlin), einen der bekanntesten deutschen forensischen Psychiater zu Wort kommen.
Die sechs Kapitel des Sachbuches unterteilen sich in insgesamt 27 Unterkapitel, vom „Knastkomplex“ (Seite 15 – 38), dort wird über die Erfindung der Gefängnisse, der Gier nach Strafe, wie auch Gefängnisarchitektur erzählt. Hin zu den „jugendlichen Verbrechern“ (Seite 41 – 74); dort berichtet u.a. Yunus von den traumatisierenden Erfahrungen in der Jugenduntersuchungshaft zu landen. Sein Fall machte 2009 deshalb Schlagzeilen, weil ihm vorgeworfen wurde am 01. Mai in Berlin auf einen Polizisten einen Molotow – Cocktail geworfen zu haben. Erst nach über einem halben Jahr zermürbender Haft folgte der Freispruch. Kritisch reflektiert Schlieter die aufgeblasene und hysterisierende Medienberichterstattung wenn es um angebliche „Jugendgewalt“ geht.


Im dritten Kapitel („Vollzug für harte Jungs und böse Mädchen“; Seite 77 – 104) lesen wir von einem Mann, der in Berlin – Tegel, sowie von einer Frau, die in Pankow – Buchholz lebenslange Strafen wegen Mordes absitzen. Beide erzählen aus ihrem Haftalltag auf sehr anschauliche Weise.


In „Missstände im toten Winkel“ (Seite 107 – 174), dem umfangreichsten Kapitel des Buches, wird schließlich Tacheles geredet: es geht um Willkür, systematischen Rechtsbruch und um langjährige Isolationshaft. Neben der Situation von Peter Wegener (Seite 160 ff), der seit 1973 nahezu ununterbrochen in Haft sitzt, davon seit 1995 in Isolationshaft, wird auch Günter Finneisens Haftalltag thematisiert. Er wird in Niedersachsen seit 1995 in Isolation gehalten. Da die taz im Zuge der Veröffentlichung des Buches in einer der großen Reportage auf Herrn Finneisens Eingemauert – Sein hinwies, kam es zu einer kleinen Anfrage der GRÜNEN im Landtag. Es äußerten sich zudem die bekannte Kriminologin Professorin Frommel („Das ist Folter“), wie auch der ehemalige BGH – Richter und heutige LINKS – Partei Bundesabgeordnete Neskovic, wie Vollzugskenner kritisch über diese nun 16 Jahre andauernde Isolierung. Seit Anfang Mai 2011 wurde Herrn Finneisens Situation nunmehr gelockert; hierzu mag vielleicht dieses Buch beigetragen haben.


Im Buchkapitel „Das Risiko des Bösen“ (Seite 177 – 216) geht es schließlich um das schwierige Thema der „Kriminalprognose“; wie soll künftiges Verhalten von Gefangenen im Rahmen von Haftentlassungen sicher vorhergesagt werden!? Hier geht Schlieter auf das zur Zeit wieder sehr aktuelle, weil durch ein Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 04. Mai 2011 ins Bewusstsein gerückte Institut „Sicherungsverwahrung“, nämlich der Inhaftierung von Menschen, die ihre Freiheitsstrafe längst verbüßt haben, ein.


Im Schlusskapitel schließlich („Perspektiven“, Seite 219 – 236) wird ein kritischer Ausblick gewagt, die zunehmende Privatisierung im Bereich Strafvollzug angesprochen und letztlich ein sehr kritisches Resümee gezogen, frei von Träumereien.


Niemand, der dieses Buch liest, wird auf die BILD – Berichterstattung hereinfallen, wonach Gefängnisse letztlich etwas abgespeckte Hotels seien. Wer neben allgemeinen und auch statistischen Informationen über den Strafvollzug Interesse hat, sich Einzelschicksale von Inhaftierten zu öffnen, dem sei der Kauf dieses Buches uneingeschränkt empfohlen. Er oder Sie wird danach Gefängnisse mit anderen Augen betrachten.


Thomas Meyer – Falk
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Bibliografische Angaben:

Kai Schlieter, „Knastreport – Das Leben der Weggesperrten“
erschien 2011 im Westend – Verlag, 254 Seiten, 17,95 Euro
ISBN 978-3-938 060-67-4
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