[B]: Veranstaltung zu Mercedes-Haus gestört

ursula 18.05.2011 15:05 Themen: Freiräume Soziale Kämpfe
Am 16.5. fand eine Infoveranstaltung zum geplanten Mercedes-Hochhaus am Spreeufer statt. Die Veranstaltung wurde dominiert von Zwischenrufen und Statements von besorgten Anwohner_innen. Obwohl 90 Prozent der Abstimmenden gegen die Pläne am Spreeufer gestimmt haben, wird weitergebaut. Der Bau eines Hochhauses widerspricht explizit dem Text des Bürger_innen-Entscheids. Dies ist einerseits frustrierend, andererseits aber einfache kapitalistische Realität.Trotzdem gehen die Proteste gegen steigende Mieten, Luxusbebauung und eine mieter_innenfeindliche Stadtpolitik weiter. Denn die Einsicht, dass im Kapitalismus Stadt nicht lebenswert gestaltet werden kann, wächst.

Die Veranstaltung

Geladen waren: Henrik Thomsen (Vivico), Harald Schuff (Mercedes Benz Vertrieb Deutschland), Dr. Franz Schulz (Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg), Georg Gewers (Gewers & Pudewill) sowie Dimitri Hegemann (Tresor Berlin).Einige der Protestierenden kamen etwas zu spät, so dass der kreative Teil der Zwischenrufe mit leichter Verspätung losging.
Die Zwischenrufe waren zunächst eher humoristisch und forderten z.B. mehr Golfplätze oder ein "Spreeufer für wenige". Die Berliner Morgenpost berichtet: "Als Gewers von einer „vernünftigen Lösung“ spricht, ruft jemand: „Im Kapitalismus gibt es keine Vernunft!“ " Es wurde darauf hingewiesen, dass Daimler ein großer Rüstungskonzern ist. Außerdem wurde ein Mercedes-Kindergarten zur Imagepflege vorgeschlagen.
Das Podium musste sich im ersten Teil vorrangig also mit kreativen Zwischenrufen auseinandersetzen, während im zweiten Teil die Anwohner_innen auch längere Statements abgaben. So entstand eine teils muntere Auseinandersetzung.
Leider schienen die Protagonisten der Konzerne und Politik nur über geringe theoretische, politische Bildung zu verfügen. Der Mercedes-Boss Herr Schuff behauptete, die Mitarbeiter seien keine Kapitalisten, sie würden am neuen Standort sogar weniger verdienen als am alten wegen den Ostlöhnen. Ihm war offenbar nicht bewusst, dass der Versuch Löhne zu senken doch ein relativ kapitalistisches Prinzip ist. Es hatte auch vorher keine_r von Kapitalisten gesprochen, sondern nur erwähnt, dass sich das Mercedes-Hochhaus einfügt in eine Entwicklung von steigenden Mieten, Verdrängung und Kommerzialisierung.
Außerdem wurde versucht die Kritik an der kapitalistischen Stadtentwicklung und ihrer absoluten Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen der Anwohner_innen auf technische Frage zu beschränken.
Die Verkehrsanbindung, Gebaudehöhe und Grundwasserschutz sind zwar wichtige Themen, aber sie sind weniger zentral als der grundlegende Widerspruch zwischen dem Wunsch nach einer lebenswerten Stadt und dem absoluten Profitdenken der Konzerne und den helfenden jeweiligen Parteien.

Petitionen, Bittsteller und Bürgerbeteiligung

Die gesamte Veranstaltung war natürlich dazu gedacht angebliche Bürgerbeteiligigung und Dialog vorzuspielen. Sie ist darin vergleichbar mit der Möglichkeit früher beim König als Bittsteller untertänigst Gesuche vorzutragen oder bei der chinesischen Zentralregierung Petitionen einzureichen.
Die jeweiligen Aktionen der Herrschenden setzten sich dann meist über diese Gesuche und Bitten hinweg. So wurde am Spreeufer der Bürger_innen-Entscheid komplett ignoriert, weil er dem Profitdenken der Konzerne und dem "Einnahmen steigern - Ausgaben senken"-Gesetz der Politik widerspricht.
Die Kritik an dieser offensichtlich undemokratische Vorgehen von Politik und Konzernen konternten diese mit dem Hinweis, dass die Maßnahmen der Konzerne nach einem Abwägungsprozess als mehr wert als die Interessen der Anwohner_innen erachtet wurden. Gemeint ist damit, dass die Profitkalkulation der Unternehmen in der kapitalistischen Stadt auch nicht von einer Institution wie dem Berliner Senat angezweifelt oder verändert werden können. Eigentum ist eben Eigentum.
Beliebt in diesem Zusammenhang ist das Arbeitsplatz-Argument. Die Fadenscheinigkeit des Arguments ist offensichtlich. Mercedes war vorher am Potsdamer Platz, aber nun haben ihre Berechnungen ergeben, dass es am Spreeufer billiger ist und sie weniger Löhne zahlen müssen. Das ist keine Nettigkeit gegenüber dem Standort sondern simple Betriebswirtschaft. Die Konzerne schaffen es trotzdem Druck auf die Politik auszuüben die Stadt zu einem reinen Wirtschaftsstandort zu transformieren, weil die Handlungsfähigkeit der Politik in der kapitalistischen Ökonomie vom Haushalt abhängt. Der jeweilige Standort wird gegen einen anderen Standort in Stellung gebracht. Wenn die Anwohner_innen von Kreuzberg-Friedrichshain nicht die ganze Mercedes-Scheisse akzeptieren, gehen sie eben nach Stuttgart.
Das eine Stadt mehr ist als ein Wirtschaftsstandort, das Lebensqualität nicht davon abhängt, ob Mercedes ein Gebiet als für eine Investition würdig erachtet und dass die Verwertungslogik menschliches Handeln einengt, kommt den Apolegeten der kapitalistischen Stadt nicht in den Sinn.

Claqueure

Wie es sich für eine richtige Bürgerbeteiligung im pseudodemokratischen Kapitalismus gehört, waren die meisten Zuschauer_innen von den Firmen offensichtlich zur Teilnahme animiert worden. Ein großer Teil der Zuschauer_innen trug Anzug oder Kostüm, wollte sich aber nicht dazu bekennen Mercedes-Angestellte zu sein.
Entweder ist also die Gentrifizierung in Friedrichshain schon so weit fortgeschritten, dass hier nur noch Anzugträger wohnen oder die Zuschauer_innen waren fast wie in einer richtigen Diktatur bestellt worden.
Der Tagesspiegel zum Publikum: "mit ironischen Zwischenrufen, teilweise auch mit persönlichen Beleidigungen unter anderem gegen den ebenfalls anwesenden Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne), verschaffen sich die Männer und Frauen Gehör, während der auffällig gut gekleidete Großteil des Publikums fast durchweg schweigt."Neues Deutschland: "Neben vielen Anzugträgern und Kostümträgerinnen finden sich im Publikum auch die modisch eher Kapuzenjacken zugeneigten linken Aktivisten aus dem Kiez [...]"

Protest

Die Störung der Alibi-Veranstaltung war wichtig. Sie hat gezeigt, dass die kapitalistische Stadtentwicklung nicht unkommentiert abläuft. Sie hat aber auch gezeigt, dass wir nicht in einer Gesellschaft leben, in der Menschen ihre Interessen durchsetzen können. Diese Gesellschaft müsste erst erkämpft werden.
Ein Schritt dahin kann eine breite Stadtkampagne zur Berliner Abgeordnetenhauswahl im September sein. Am 3. September wird es eine große Mietendemo geben, am 18. September dem Wahltag einen Aktionstag "Berlin entern !". Davor wird es unzählige Wahlveranstaltungen und Publikumsverarschungen geben. Es ist extrem wichtig, dass wir uns den Parteien in den Weg stellen und aufzeigen, dass sie keine Lösungen für die virulenten Probleme haben. Beteiligt euch an Demonstrationen, Kundgebungen und Veranstaltungen. Organisiert euch und andere.
Wir müssen aus unseren Szenetreffpunkten rausgehen, in die Kieze, auf die Veranstaltungen und überall den Konzernen und ihren Parteien zeigen, dass wir uns nicht mehr mit der Rolle der lieben Fragenden und enttäuschten Verarschten zufriedengeben. Das Mercedes-Hochhaus wird wahrscheinlich gebaut, viele weitere Hochhäuser sollen am Spreeufer entstehen. Wir schauen dem fassungslos zu. Aber es macht uns umso wütender. Und es lässt immer klarer erkennen, dass es in einer kapitalistischen Stadt eben keinen Raum für Anwohner_innen-Beteiligung gibt, dass die kapitalistische Stadt steigende Mieten, Verdrängung und Armut weder verhindern kann noch will. Also müssen wir endlich diese albernen Gesetze von Markt und Profit loswerden und politisch zu handeln anfangen.
Sie hören nicht auf uns, also hören wir auch nicht mehr auf sie.

Der kapitalistischen Stadtentwicklung den Kampf ansagen !
Stadt selber machen !

Die Presse mit längeren Artikeln:
Berliner Zeitung: Ein Stern für Friedrichsain //
Taz: Ein Stern von einem Nachbarn //
ND: Wenig Sternen-Lust in Mediaspree //
Berliner Morgenpost: Was Anwohner gegen das Mercedes-Hochhaus haben //
Rbb-Video erstellt bevor Zwischenrufe anfingen //

Tagesspiegel hatte erstdiesen Artikel
aber Protest ließ sie neuen schreiben und zwarTagesspiegel: Das Hochhaus ist erst der Anfang


Aktuelle Informationen zum Spreeufer: Spreepirat_innen
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Ergänzungen

tagesspiegel liebt mercedes

g 19.05.2011 - 17:09
 http://www.tagesspiegel.de/meinung/daimler-und-die-dorfkultur/4195808.html
Im neuen Tagesspiegel-Artikel regt sich der Autor über die Kritik auf. Und versteht nicht, was Gentrifizierung ist.
Aber der Vorschlag ein Anarchie-A anstatt des Mercedes-Sterns auf das Hochhaus zu setzen, ist charmant.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke die folgenden 5 Kommentare

frustrierend ja, aber

Stadtplaner 18.05.2011 - 22:00
"Dies ist einerseits frustrierend, andererseits aber einfache kapitalistische Realität"

Frustrierend ist das auf jeden Fall und ein architektonisches Trauerspiel wohl auch, aber am Kapitalismus liegts mal ausnahmsweise nicht. Solcher Mist ist systemunabhängig. Gerade Berlin ist bestes Beispiel dafür, dass auch nicht-kapitalistische Systeme städtebauliche Katastrophen hervorbringen.

berlin

berlin 19.05.2011 - 01:12
"Gerade Berlin ist bestes Beispiel dafür, dass auch nicht-kapitalistische Systeme..."

in was für einer welt lebst du denn?

Wenn Götter den Olymp verlassen

kopfWEH 19.05.2011 - 11:02
Frage stellen, abstimmen und einmal im Monat verlassen dann die Götter den Olymp und beantworten die meist-gevotestetetetete (wasn das fürn scheiss) Frage.
www.vivico-dialog.de

Wow, wenn ich jetzt noch einmal Kai Diekmann vögeln darf dann bin ich bereit zu sterben!

Gerade Berlin ist bestes Beispiel dafür, daß

toll 19.05.2011 - 16:10
Gerade Berlin ist bestes Beispiel dafür, dass auch nicht-kapitalistische Systeme scheiß häßliche Bauten hervorbringen können.

yea hellersdorf galore !

und die häuser in den baulücken der altbauviertel, finanziert von salonlinken baugruppen sind auch meist zum erbrechen hässlich.

tagesspiegel

@g 20.05.2011 - 11:05
Ich find den verlinkten Artikel richtig gut. Für den Tagesspiegel eigentlich ungewöhnlicher Witz und Zynismus in der Sprache und auch inhaltlich trifft er vieles genau auf den Punkt.