Bremen: NoLager-Demo

NoLager 16.05.2011 20:48 Themen: Antirassismus Soziale Kämpfe
400 Menschen haben vergangenen Samstag (14.05.) in Bremen gegen die systematische Diskriminierung und Entrechtung von Flüchtlingen demonstriert – unter ihnen über 100 (mehrheitlich afghanische) BewohnerInnen der drei Bremer Flüchtlingslager. Konkret wurde die sofortige Schließung aller Lager in Bremen gefordert, grundsätzlich ging es um mehr: um die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes sowie aller anderen rassistischen Sondergesetze (etwa der Residenzpflicht), um ein Bleiberecht für alle und um globale Bewegungsfreiheit. Darüber hinaus wurden in mehreren Redebeiträgen die strukturellen Hintergründe von Flucht und Migration thematisiert, nicht zuletzt die Situation in Afghanistan hat eine wichtige Rolle gespielt. Der Demonstration war ein antirassistischer Autokorso quer durch Bremen vorausgegangen (inklusive Lautsprecherwagen) – und zwar vom Flüchtlingslager Wardamm zum Flüchtlingslager Ludwig-Quidde-Straßen, dem Auftaktort der Demo.
Den Anstoß zum „Bremer Aktionstag gegen rassistische Sondergesetze“ hat das antirassistische SchülerInnenbündnis „Stay“ gegeben, das bereits anlässlich des bundesweiten Aktionstags „ABOLISH – diskriminierende Gesetze gegen Flüchtlinge abschaffen!“ am 22. März ( http://de.indymedia.org/2011/03/303384.shtml) eine Aktion am Bremer Flughafen organisiert hat. Doch dieses Mal waren ungleich mehr Gruppen an der Vorbereitung beteiligt: neben dem Flüchtlingsrat und diversen antirassistischen Gruppen und Initiativen insbesondere FlüchtlingsaktivistInnen aus allen drei Bremer Lagern. Neben prinzipieller Kritik gab es für die Aktion auch einen realpolitischen Aufhänger: Erst im März hatte die Stadt beschlossen, dass Flüchtlinge in Bremen bereits nach 12 Monaten (anstatt 36 Monaten) eine eigene Wohnung suchen könnten. Einziger Haken: Flüchtlinge mit befristeter Aufenthaltsgestattung bzw. Duldung finden auf dem freien Wohnungsmarkt oft keine Wohnung, noch nicht mal bei den städtischen Wohungsbaugesellschaften. Obwohl also derzeit 200 Leute berechtigt wären, eine eigene Wohnung zu beziehen, verändert sich nichts – manche von ihnen leben bereits seit 4, 5 oder 6 Jahren im Lager. In diesem Sinne wurde die Stadt nicht nur aufgefordert, Flüchtlinge bei der Wohnungssuche zu unterstützen, vielmehr wurde die sofortige Schließung aller Lager gefordert (wie es die an der Regierung beteiligten „Grünen“ zumindest in ihrem Wahlprogramm fordern).

Auftakt für die Demonstration war das Flüchtlingslager Wardamm im Bremer Süd-Westen – einer Container-Siedlung für ca. 150 Flüchtlinge. Dort haben sich bereits um 10 Uhr zahlreiche Autos und FahrradfahrerInnen versammelt, um ca 1/3 der BewohnerInnen abzuholen. Gemeinsam ging es dann um 11 Uhr los – einmal quer durch Bremen (inklusive Innenstadt). Die Autos waren zum Teil geschmückt, teils mit Glitter, teils mit Plakaten, vor allem aber wurde durch den mitfahrenden Lautsprecherwagen durchgehend auf das Anliegen der Demonstration aufmerksam gemacht – begleitet von einem beachtlichen Dauer-Hupkonzert. Überraschenderweise hatte sich die Polizei kein einziges Mal blicken lassen, so dass auf diese Weise zumindest einige tausend Menschen von unserem Anliegen mitbekommen haben dürften. Der Autokorso endete beim Flüchtlingslager Ludwig-Quidde-Straße im Bremer Osten, wo bereits 300 Leute warteten – auch dort viele Flüchtlinge aus dem Lager.

Von hier ging es dann als Demonstration zu einem einigermaßen langen Fußmarsch in die Bremer Innenstadt – inklusive Samba-Rhythmen. Neben diversen Redebeiträgen (von mehreren FlüchtlingsaktivistInnen, vom Flüchtlingsrat, vom SchülerInnenbündnis Stay und vom Medinetz) wurden während der Demo auch durchgehend TeilnehmerInnen via Lautsprecherwagen um Statements gebeten, weshalb sie an der Demo teilnehmen würden (Stichwort „open microphone“). Auf diese Weise ist ein beachtlicher Strauß an Meinungen, Forderungen und inhaltlichen Zusammenhängen deutlich geworden – erwähnt sei insbesondere, dass viele der Kinder aus den Lagern die Chance nutzten, auf diesem Weg ihre Forderungen an die Öffentlichkeit zu tragen (oft auch stellvertretend für ihre Eltern, die keine Sprachkurse belegen können und deshalb meist ungleich weniger deutsch sprechen als ihre Kinder).

Politisch ebenfalls wichtig war, dass auch FlüchtlingsaktivistInnen aus anderen Orten an der Demo beteiligt waren – unter anderem aus dem Flüchtlingslager Möhlau in Sachsen-Anhalt (wo Flüchtlinge schon lange, wenn auch mit wechselndem Erfolg für ihre Rechte kämpfen:  http://de.indymedia.org/2011/04/304596.shtml). Erwähnt sei außerdem der Musiker „Makombe“, der bereits im Herbst 2006 im Ein- und Ausreiselager Blankenburg/Oldenburg an einem über 4-wöchtigen Flüchtlingstreik beteiligt war und im Laufe der Demo zwei Liveacts zum Besten gab – unter anderem den Song „no border no nation stop deportation“.

Nach drei Stunden endete die Demo in der Innenstadt (netterweise mit Tanz und anschließender Volksküche), zuvor waren wir unter anderem beim Bremer Innensenator und beim hermetisch von der Polizei abgeriegelten CDU-Wahlkampffest auf dem Marktplatz vorbeigekommen. Alle Beteiligten waren sich in einer ersten Auswertung einig, dass die Demo eine ausgesprochen runde Sache war (was sich auch in einem recht wohlgesonnenen Medienecho widerspiegelte), insofern spricht vieles dafür, dass in den nächsten Monaten noch weitere Aktionen folgen werden...
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Ergänzungen

Video + Song von der Demo

Teilnehmer 16.05.2011 - 21:03
Hier ein erster Video von der Demo - gleich nach dem Start:

 http://www.youtube.com/watch?v=xpOaKm2cSqo&NR=1

Und hier der im Artikel erwähnte Song von Macombe:

 http://www.youtube.com/watch?v=vVfXhZiwGRE

Presse

Zeitungsleserin 16.05.2011 - 21:08
Zwei Presseartikel - aus dem Weserkurier und der taz (ohne Bilder)

a) taz/Nord:

 http://www.taz.de/1/nord/bremen/artikel/1/im-heim-statt-daheim/

Im Heim statt Daheim

Flüchtlinge protestieren gegen ihre weiterhin schlechten Lebensbedingungen und forderten das Ende der Heimunterbringung VON JEAN-PHILIPP BAECK

Schon die Anfahrt ein Politikum: Sammeln vor dem Flüchtlingsheim in Hastedt
Am Samstag protestierten rund 400 Flüchtlinge und UnterstützerInnen gegen die Zwangsunterbringung in Asylbewerberheimen, gegen Isolation und Ausgrenzung. Sie forderten die Abschaffung gesetzlicher Diskriminierung und vom Land eine komplette Abkehr von der Unterbringung in Sammelunterkünften. Von einem Flüchtlingsheim in Hastedt aus zog die Demonstration in die Bremer Innenstadt.

Auf Grund der schlechten Verkehrsanbindung vieler Flüchtlingsheime wurde die Anreise zur Demonstration selbst zu einem Politikum: Mit einen Autokorso wurden die Flüchtlinge aus den entfernten Stadtteilen abgeholt. Auch Ramin Popalzai war extra aus Vegesack gekommen, um zu protestieren. Er ist aus Afghanistan geflohen und lebt nun bereits seit 14 Monaten in einem Asylbewerberheim. 500 Flüchtlinge wohnen in Bremen wie er in Gemeinschaftsunterkünften, neben Vegesack in Habenhausen, Hastedt oder Huchting. Abseits der City, mit Gruppenzimmern und Gemeinschaftsduschen, auf zugewiesenen sechs Quadratmetern.

Popalzai hat seine vorgeschriebene "Verweildauer" erfüllt, er dürfte in eine Wohnung umziehen. "Ich habe über 20 Wohnungen gefunden, im Internet, in der Zeitung, oder bei der Bremischen Wohnungsbaugesellschaft. Sobald die herausfanden, dass ich nur geduldet bin, wurde mir abgesagt." Etwa 200 Flüchtlinge dürften sich mittlerweile eine Wohnung suchen, sagt Marc Millies vom Bremer Flüchtlingsrat. Doch nur eine Handvoll hätte das bislang geschafft: "Ohne längere Aufenthaltsgenehmigung bekommen Flüchtlinge kaum eine Wohnung."

Nicht einmal bei der Gewoba. Dabei hat die städtische Wohnungsgesellschaft einen sozialen Auftrag. Dort hieß es, mit einer Duldung über sechs oder 12 Monate sei eine Vermietung nicht möglich. Offiziell wurde das nicht bestätigt, das Problem sei jedoch bekannt, so eine Sprecherin. Deshalb sei die Gewoba nun mit verschiedenen Initiativen, auch dem Flüchtlingsrat, im Gespräch. Auch das Sozialressort kennt das Problem. "Es ist allgemein nicht einfach, eine Wohnung zu finden, auch für AlgII-Empfänger. Wir können nur Unterstützung bieten, etwa in den Integrationsberatungsstellen", sagt eine Sprecherin des Sozialressorts.

Erst im März hatte die Sozialdeputation den Zeitraum der vorgeschriebenen Heimunterbringung in Bremen auf 12 Monate verringert. Sie seien "besonders für Familien mit Kindern und für kranke und traumatisierte Asylbewerber und Flüchtlinge eine Herausforderung" hieß es in einer Mitteilung der Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD).

Marc Millies vom Flüchtlingsrat ist das zu wenig. "Wenn es der politische Wille ist, die Menschen aus den Flüchtlingsheimen in eigenen Wohnungen unterzubringen, so wird das bislang nicht umgesetzt." Dass dies sogar Geld sparen könnte, sehe man etwa in Leverkusen, sagte Millies. Seit Jahren sind die Flüchtlingsheime dort abgeschafft. Das forderten die Flüchtlinge und UnterstützerInnen am Samstag auch für Bremen.

Begrüßt haben die DemonstrantInnen, dass sich das Land im Bundesrat für die Abschaffung der Residenzpflicht einsetzt. Die schreibt Flüchtlingen vor, den Kreis ihres Wohnortes nicht zu verlassen. Gleichwohl bestünden viele weitere Diskriminierungen, etwa durch das Asylbewerberleistungsgesetz. "Flüchtlinge bekommen ein Drittel weniger Geld als HartzIV-Empfänger", so Millies. Auch gegen die Benachteiligung bei der Vergabe von Arbeitsgenehmigungen wurde protestiert. Ramin Popalzai hat die selbst erlebt: "Schon drei Mal wurde mir eine Arbeitsgenehmigung für eine Stelle verweigert, mit der Begründung, dass versucht werde, den Arbeitsplatz zuerst an Deutschen zu vergeben."


b) Weserkurier:

 http://www.weser-kurier.de/Artikel/Bremen/Vermischtes/377598/Hunderte-demonstrieren-fuer-Fluechtlingsrechte.html

Protestaktion in Bremen

Hunderte demonstrieren für Flüchtlingsrechte

Von Rainer Kabbert

Hunderte Demonstranten sind für bessere Flüchtlingsrechte auf die Straße gegangen.
Zunächst trafen sich die Teilnehmer am Übergangswohnheim Hastedt an der Ludwig-Quidde-Straße. Von dort zogen sie unter dem Slogan „Gegen Isolation und Ausgrenzung, gleiche Rechte für alle!“ zum Hanseatenhof. Zwischen 12 und 15.30 Uhr war es daher zu Behinderungen im Straßenbahnverkehr gekommen.

Marc Millies vom Bremer Flüchtlingsrat sprach von bis zu 800 Demonstranten, wobei sich im Unterschied zu früheren Veranstaltungen auch viele Flüchtlinge an dem Aktionstag gegen Ausgrenzung beteiligt hätten. Millies freute sich darüber, dass sich auch die Greenpeace-Jugend dem Demonstrationszug angeschlossen hätte. Dem Aufruf für den Aktionstag haben sich zwölf Initiativen angeschlossen. Neben dem Flüchtlingsrat Bremen und der Flüchtlingsinitiative Bremen beteiligten sich auch die Sozialistische Initiative Iran sowie der Verein für die Unterstützung afghanischer Flüchtlinge.

Die Demonstranten forderten die Unterbringung der Flüchtlinge in Wohnungen statt in Gemeinschaftsunterkünften, das Ende der Abschiebungen sowie die Abschaffung der Arbeitsverbote. In Bremen gibt es vier Gemeinschaftsunterkünfte, in Hastedt, Huchting, Obervieland und Vegesack, in denen nach Angabe von Millies rund 600 Flüchtlingen leben. Diese kommen vorwiegend aus Afghanistan, Irak, dem ehemaligen Jugoslawien und afrikanischen Staaten.
Millies fordert die Schließung der Gemeinschaftsunterkünfte, in denen die Flüchtlinge ohne Privatsphäre auf maximal sechs Quadratmetern pro Person isoliert am Stadtrand untergebracht seien. Die Enge führe zu psychischen und körperlichen Belastungen. Der Beschluss der Sozial-Deputation der Bremischen Bürgerschaft, die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften von drei auf ein Jahr zu verkürzen, betrachtet Millies als unzureichend. 200 Flüchtlinge könnten schon jetzt aus den Heimen in Wohnungen auf dem freien Markt ziehen.

Kritik übte Millies auch am Asylbewerberleistungsgesetz. Seit 1993 seien die finanziellen Hilfen nicht mehr verändert worden. Auch sei es diskriminierend, den Flüchtlingen den Zugang zu Deutschkursen und zur Arbeit zu verwehren. Sayyed Mitwalli ist einer der Demonstranten. Als staatenloser Palästinenser kam er 2003 aus einem syrischen Flüchtlingslager nach Deutschland. „Ich habe weder Ausbildung, Arbeit noch Wohnung“, sagte der 35-Jährige aus der Gemeinschaftsunterkunft am Huchtinger Wardamm.

Demo-Songs

Musiklieberhaber_in 16.05.2011 - 21:27
In besserer Qualität können die beiden Demo-Songs von Macombe auch hier gehört werden:

 http://www.myspace.com/makombemusic

IMK Auflösen

Frankfurt 17.05.2011 - 13:00
kommt alle!

Weitere Fotos als Diashow

fotographer 17.05.2011 - 23:54