Greifswald: Nachbetrachtung

Tim Krugfelch 02.05.2011 23:45 Themen: Antifa
Für Mecklenburg und Pommern gelte es angesichts des Desasters am 19. Februar in Dresden nach vorn zu schauen und den Fokus auf die kommenden, regionalen Demonstrationen zu richten schrieb die NPD vor ein paar Monaten auf ihrem pseudo-unabhängigem Organ MUPinfo. Hier in Mecklenburg Vorpommern sei eine effektive Vor- und Nacharbeit von Nazi-Aufmärschen gewährleistet "und – weitaus wichtiger – es wird erfolgreich marschiert!" - Auch vor dem gerade vergangenen Wochenende hat die NPD angesichts der Ankündigung von antifaschistischen Massenblockaden vorsorglich große Töne gespuckt.

Blockaden zwingen Aufmarsch zur Umkehr



Während sich die publikumswirksame Überraschung als ein kindisches Puppentheater erwies, also tatsächlich stattfand, wurden die Nazis in Hinsicht auf das Marschieren ihrer angemeldeten Route durch Schönwalde I und II mehrfach gedemütigt. Bevor der letzte Zug mit Nazis am Südbahnhof eintraf, hatten Antifaschistinnen und Antifaschisten bereits zahlreich Platz genommen und waren guter Dinge, denn an allen neuralgischen Punkten befanden sich Sitzblockaden. Zur guten Mobilisierung hat sicher nicht zuletzt auch der Umstand beigetragen, dass die lokale npd-abhängige Nazi-Gang, die sogenannten Nationalen Sozialisten Greifswald mit einer äußerst aggressiven Aktionskampagne auch erfolgreich bürgerliche Menschen für die Gefahren re-sensibilisiert haben, die von rechten Umtrieben ausgehen. Noch einen Tag vor der Nazidemo wurden Gewerkschafter angegriffen, Wohnungen mit Steinen attackiert und vermeintliche Antifaschisten ins Krankenhaus geprügelt. Es gab also für die Greifswalderinnen und Greifswalder mehr als genug Gründe, um am Sonntag früh aufzustehen und rechtzeitig Platz zu nehmen. Und das haben sie gemeinsam mit anderen dann ja auch getan. So musste schon am Ort der Auftaktkundgebung der erste „Kuhhandel“(MUPinfo) stattfinden, um eine Demonstration der Nazis überhaupt noch stattfinden zu lassen. Die Polizei räumte die augenscheinlich am schwächsten besuchte Blockade und die Nazis begannen in entgegengesetzer Richtung zu marschieren. Die NSG twitterte euphorisiert „Demo verläuft schnell u kraftvoll“ und ergänzte „...zecken kommen nicht hinterher“. Doch immer wieder musste gestoppt, gewartet, erfolglos mit Blockaden verhandelt und geräumt werden. Nach weniger als der Hälfte der ursprünglich-angemeldeten Strecke, von der die sich die Nazis in der Zwischenzeit bereits verabschieden mussten, war dann endgültig Schluss. Auf einer Verbindungsstraße am äußersten Stadtrand von Greifswald, über welchen die Polizei die Nazis doch noch nach Schönwalde II schleusen wollte, hatten sich deutlich mehr Blockierende als Nazis eingefunden, um dem braunen Treiben ein Ende zu machen. „Gute Heimreise!“ hieß es jetzt und die NPD und ihre Handlanger kehrten um.

Erfolgreiche politische Arbeit und Repression

Innerhalb von nur 6 Wochen gelang es den Greifswalder Antifaschisten ein Bündnis aus dem Boden zu stampfen. Unterstützt von Genossen aus MV, hierbei schwerpunktmäßig aus der Hansestadt Rostock, schlossen sich in Greifswald Menschen zusammen, die auch außerhalb des klassischen linksradikalen Spektrums kamen. Als günstiger Umstand kam hinzu, dass Blockaden von weiten Teilen der Medien und Politikern als unproblematisch angesehen worden sind. Die NPD hat sich mit der Wahl der Stadt Greifswald als Auftaktsort für ihren Landtagswahlen schlicht verkalkuliert. Bereits gegen 06:15 Uhr begann das Infotelefon unaufhörlich zu klingeln. Doch erst kurz vor 8:00 Uhr begann die erste planmäßige Blockade. Polizeikräfte wurden eilig entsandt, kamen jedoch für einen Teil der Blockierer, die mit den Bussen anreisten, zu spät. Sie hatten die undankbare und doch so wichtige Aufgabe, eine potentielle Ausweichroute der Neonazis zu blockieren. Als sich anschließend weitere organisierte Blockaden formierten, konnten diejenigen, die bereits seit fast zwei Stunden ungeduldig auf das Startsignal warteten, sich diesen anschließen. Erwartungsgemäß spalteten sich Teile der Demo, die aus der Innenstadt in Richtung Aufmarschgebiet der NPD ab und versuchten weitere Blockaden zu errichten. Mehr als 400 Teilnehmer hatten den Demonstrationszug vorzeitig verlassen. Auch im Anschluss strömten zahlreiche Menschen vom Demokratiefest in Richtung der Nazis und bildeten spontan Sitzbockaden auf der extrem langen Route. Offenkundig hatte ein erheblicher Anteil der Menschen, die gegen den Naziaufmarsch auf den Straßen unterwegs waren, überhaupt keine Berühungsängste mit dem Konzept des zivilen Ungehorsams durch Sitzblockaden. Hervorgehoben werden muss an dieser Stelle, dass ohne diese zahlreiche Beteiligung die Blockade des Naziaufmarsches nicht gelungen wäre.

Anders als in den Medien dargestellt, blieb es jedoch auf den Blockaden nicht friedlich. Zumindest seitens der Polizei. Augenzeugen berichten von einigen Verletzten durch Pfefferspray und Knüppeleinsatz. Mindestens eine Person musste ambulant behandelt werden. Polizeibeamte schliffen brutal Menschen aus Blockaden. Auch am Boden Liegende wurden noch mit Fäusten malträtiert. (Video)

Die Blockade die zunächst die Ausweichroute besetzt hatte, zog um, als die Nazis ihre Route umgekehrt liefen. Verstärkt um zahlreiche Personen, die im Laufe des Tages sich dieser Blocklade angeschlossen hatten, gelang es sogar zunächst eine Polizeikette zu durchfluten. Erst im letzten Moment konnte die Polizei die Gruppe wieder einfangen, die sich zwischenzeitlich schnellen Fußes direkt auf die, wegen der Blockaden geänderte Route der Nazis hinzubewegte.Die anschließende Personalienfeststellung inkl. der Anfertigung von Potraitaufnahmen der Personen (Dazu mussten sich einige Betroffende gar in verschiedenen Kostümierungen ablichten lassen), mitten auf der Straße blockierte schließlich auch die letzte verbliebene Variante für die Nazis, welche bereits wegen einer weiteren Blockade auf den Schönwalder Landstraße zum umkehren gezwungen worden waren.

Auch wenn im Bereich der Infrastruktur sich einige Mängel zeigten, die für die breite Öfentlichkeit am ehesten durch das verspätete Anlaufen des Wap-Tickers und von Twitter zu bemerken waren, kann man rundum zufrieden sein. Den Nazis war während des Tages ihre zunehmende Frustration deutlich anzunehmen. Auch verfehlten sie mit 350 Teilnehmer ihre eigene Erwartungen deutlich, auch wenn sie im Widerspruch zu ihren eigenen Tickermeldungen plötzlich im Abschlussbericht von 500 "Nationalen" auf ihren "erfolgreichen Marsch" sprachen. Somit bleibt der fade Beigeschmack, dass die Hallenser doch recht behalten sollten ;) Zwar zeigte auch die Neonazisszene in MV in der jüngsten Vergangenheit einige Schwächen. Aber in Anbetracht der massiven Mobilisierung, der regelrechten Gewaltwelle in Greifswald, die in Brandanschlägen und regelrechten Hetzjagden auf Gewerkschafter kulmulierten und vor allem der enormen Bedeutung des Aufmarsches für NPD ist dieses Ergebnis, trotz der vorhandenen Streitigkeiten in der Naziszene, in dieser Deutlichkeit doch überraschend.

All zu lang wird das Scheitern des Nazi-Aufmarsches, welcher der größte dieses Jahres in Mecklenburg-Vorpommern hätte werden sollen, nicht schmerzen, denn vermutlich finden sich am kommenden Wochenende in Demmin die meisten Nazis wieder ein, um anlässlich des 8. Mai nationalsozialistische Täter in Opfer umzulügen. Zumindest emotional kann das gequälte Nazi-Herz dann beim Fackelschein im Kreise der Kameraden das jüngst wieder einmal erfahrene Ungewolltsein kompensieren. Politisch hat die NPD in Greifswald eine Niederlage erlitten.(C)Tim Krugfelch, 2011
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Ergänzungen

SCHÖN

blob 03.05.2011 - 07:29
Es ist echt schön so etwas über Geifswald bzw. generell Mv zu lesen!
Schöner war diese vielen Menschen blockieren zu sehen
und die schönste folge daraus ist, dass der nsg blog seid dem immer wieder down ist und sie sich in still schweigen hüllen. ;D hofftenlich bleibt das so!

Meine Solidarität und mit sicherheit auch die aller Greifswalder_innen gilt allen Leuten die sich die scheiße mit den dresdner Bullen geben mussten und allen anderen auch von den Bullen kasiert haben! Ihr seid nicht allein!

Danke dass ihr alle da wart!

ps: Das ding in Demmin am 8. wird auch wieder ne richtig schebige scheiße!

Bitterer Beigeschmack!

Nana 03.05.2011 - 11:16
Schöne Beschreibung des Tages in Greifswald!
Aber ich muss nun auch mal was hinzufügen.
Ich war in der Gruppe von Leuten, die über mehrere Stunden festgehalten wurden. Keine klaren Ansagen, reine Schikane von Seiten der Staatsgewalt. Abgesehen davon, dass ich, wie oben beschrieben, in verschiedenen Kostümierungen fotographiert wurde, fand ich es extrem schade, so wenig Zuspruch von Demonstrant_innen von außerhalb des Kessels zu bekommen. Erst nachdem wir mehrere Stunden dort ausgeharrt haben, kamen schätzungsweise 20 Leute, um sich mit uns solidarisch zu zeigen und mal Wasser und Essbares vorbeizubringen.
Muss gestehen, dass ich durchaus mehr an Solidarität erwartet habe. Fader Beigeschmack des 1. Mais in Greifswald.

Super!

quarktasche 03.05.2011 - 11:22
Wir haben den Nazis echt den Tag versaut. Die Penner haben richtig Schaum vorm Mund. So doll, dass sie jegliche Orientierung verloren haben und ihrer Auswertung behaupten, sie wären durch Schönwalde II gezogen. Ganz schön schwach für jemanden, der wat von "Unserer Heimat" schwafelt und noch nicht mal auf die Reihe kriegt, wo man rumirrte.

der nächste naziaufmarsch...

demminerIn 03.05.2011 - 14:16
wer wissen will wie es mit der npd, pastörs und anderen weitergeht ist gerne auf den 8.5. nach demmin eingeladen:


 http://demminnazifrei.blogsport.de

und nun Demmin!!!

bitteschön! 03.05.2011 - 14:40
Nach der doch sehr deutlichen Peinlichkeit der rechten Szene in Greifswald am 1. Mai wünschen sich Menschen in und um Demmin dasselbe und hoffen auf breite Unterstützung der Proteste gegen den Naziaufmarsch auch aus Greifswald und Rostock - aber bitte auch aus der direkten Region/ Kleinstadt!

Die derzeit agile aktionsorientierte Naziszene in MV kotzt ab und erblödet sich menschenverachtend, wie eh und je, noch mehr drauf hauen zu müssen. Damit hat sie sich in Greifswald kurz vor dem 1. Mai einen Bärendienst geleistet und zur Mobilisierung der antifaschistischen Blockaden sowie Antinazidemo etc. beigetragen.

Auch im Landkreis Demmin und angrenzenden macht die Rechte Szene in Nacht- und Nebelaktionen immer wieder Mal unschön von sich reden und es gibt genug Grund diesen Idioten nicht auch noch öffentlich ihre Geschichtsverklärung betreiben zu lassen, sondern Geschichtsaufarbeitung und - Aufklärung mit Widerstand gegen die Neonazis zu verbinden. In Demmin gibt es auch in diesem Jahr eine kritische Veranstaltung zur Geschichte der massenhaften Selbstötungen und grausamen Geschehnisse des Frühjahrs 1945 in der Stadt. Den Nasen soll die Galle hoch kommen, wenn sie auch hier mit widerstand in einem Provinznest rechnen müssen, der sich gewaschen hat! Also ab nach Demmin!!!

unschön

bla 03.05.2011 - 15:50
ich kann nana auch nur zustimmen, es ist echt traurig wenn ma sieht wie mehrere hundert menschen an dem kessel vorbeigehen in dem viele antifaschisten massiver repression unterzogen werden und nicht mal ein wort der solidarität verlieren (sonder sogar ein mensch uns darauf aufmerksam machte das die nazis "da hinten" seien und wir doch mitkommen sollen... sehr lustig muss ich sagen..-.-) ich mein es waren nicht viele cops die da waren, gerade ma genug für den kessel, durch einfaches umkreisen hätte ma die cops wenigstens nervös machen können und somit vlt...... ich hoffe das die menschen die drann vorbeigelaufen sind das hier lesen und das nägste mal stehen bleiben den betroffen sind nur wenige gemeint sind wir alle...

alles in allem werte ich den tag und die aktionen als erfolg, besonders beachtlich fand ich die hartnäckigkeit die einige leute gezeigt haben, sich einfach nach dem wegräumen 100meter weiter wieder hinzusätzen zeugt von endschlossenheit danke an alle die da waren

hm....

Nana 04.05.2011 - 11:06
Je länger ich mir die Ereignisse des 1. Mais in Greifswald durch den Kopf gehen lasse, desto wütender macht mich die ganze Scheisse. Man muss sich nur mal überlegen dass jetzt ein Großteil der Rostocker Linken durch Staatsschutz und Bullerei gescannt und aufgenommen wurde. Unglaublich! Und das wegen NICHTS! Dann wurde man noch aus der Stadt eskortiert als hätte man jemanden umgebracht! Ich verstehs nicht, ganz ehrlich. Jetzt wird ja gemunkelt dass die ganze Videographierung etc. nur aus "Übungszwecken" vollzogen wurde. Kann ich mir aber irgendwie nicht so vorstellen.
Hat jemand ne Ahnung wer jetzt eigetnlich wirklich verletzt wurde? Ist ja irgendwie nix eindeutiges rauszufinden.
Dennoch wars im Großen und Ganzen ganz ordentlich. Wobei ich mich ganz ehrlich in dem Falle mehr über die Bullen als über die paar wenigen Faschos aufrege... Das war ja nun wirklich nicht Sinn der Übung.

Solidarisches Verhalten...

Anwalt 04.05.2011 - 15:25
Liebe Leute,
es ist verständlich, sich nach Repressionserfahrungen mit anderen austauschen und darüber reden zu wollen. Indymedia stellt hierfür allerdings die denkbar ungeeigneste Plattform dar. Jede_r kann hier mitlesen und eben auch die staatlichen Verfolgungsbehörden! Deshalb sollte das, was auf Aktionen gilt, auch im Internet angewandt werden: Anna und Arthur halten das Maul! Alle Infos (und seien es nur Gerüchte und Mutmaßungen), die evt. im Zusammenhang mit Ermittlungsverfahren stehen, haben hier nix zu suchen, denn sie können potentiell immer gegen die Betroffenen verwendet werden. Damit bringt ihr nicht nur euch, sondern auch andere Menschen in Gefahr! Wenn ihr das Bedürfnis habt, über das Geschehene zu sprechen, quatscht mit anderen Betroffenen oder wendet euch (am besten verschlüsselt) an die Rechtshilfegruppen vor Ort!

Solidarität

ACAB 05.05.2011 - 16:54
zu dem thema gefangenen befreiung...

 http://www.youtube.com/watch?v=AdE4pXO_p4I&NR=1

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ok aber naja — lala

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