Prozess in Weilheim: Skandalöses Urteil

ingo 15.04.2011 15:18 Themen: Antifa Antirassismus Repression Soziale Kämpfe
Vergangenen Montag, den 11.04.2011, standen zwei Genossen aus dem Raum Oberbayern vor dem Weilheimer Amtsgericht. Vorgeworfen wurde ihnen „gefährliche Körperverletzung“. Tatsächlich sahen sie sich 4 Monate zuvor mit einem pöbelnden Rassisten konfrontiert, der sie nach verbaler Auseinandersetzung mit einem Messer angegriffen und gejagt hatte. Dass sie diesen Angriff erfolgreich mit Pfefferspray abwehren konnten brachte nun einem von beiden zwei Wochen Jugendarrest und 40 Sozialstunden, dem anderen 10 Monate Knast ohne Bewährung ein. Der Richter ging dabei massiv über das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß hinaus.
Am 04.12. des vergangenen Jahres fand wiederholt ein „Sonderverkauf“ des Murnauer „Hobbylandes“ statt. Das ist der Laden des Neonazis und NPD-Aktivisten Matthias Polt. Dieses „Event“ zieht mehrmals jährlich bis zu 50 Nazis nach Murnau, wo dann neben dem „Sonderverkauf“ auch Reden gehalten werden und Nazi-Liedermacher auftreten. An eben diesem Tag trafen die beiden zu dem Zeitpunkt noch minderjährigen Genossen, beide unterwegs um das Murnauer Nazitreffen nicht unwidersprochen stattfinden zu lassen, am Weilheimer Bahnhof auf den 53 Jahre alten Martin Sanktjohannser. Auf Indymedia wurde darüber wie folgt berichtet:

„Gegen 13:00 Uhr wurden Antifaschist_innen von einer Person in der Nähe des weilheimer Bahnhofs angegriffen. Der Angreifer pöbelte einen Antifaschisten zuerst aus seinem Auto an. Als der Antifaschist sich erkundigte wo das Problem liege wurde er als „scheiß Kanacke“ bezeichnet, was in einer verbalen Auseinandersetzung endete. Nachdem ein zweiter Antifaschist sich einschaltete stieg die Person zurück in ihr Auto und wurde mit vulgären Gesten verabschiedet. Nachdem die beiden Antifaschisten die Bahnhofstraße verlassen hatten und in die münchner Straße einbogen rannte der Angreifer unter „ich kriege euch Wichser“ rufen den beiden hinterher und machte Anstalten einen der beiden ins Gesicht zu schlagen. Dieser Angriffsversuch wurde mittels Pfefferspray unterbunden. Dennoch bestand der Pfefferspray -Fan auf eine zweite Runde: Anstatt den Aufforderung der Antifaschist_innen, sich ihnen nicht zu nähern und sich zu entfernen, nachzukommen zog er ein Klappmesser und ging mit den Worten „jetzt bist du drann“ erneut auf die Antifas los. Die Attacke scheiterte allerdings an einer Überdosis Oleoresin-Capsicum was auch die Auseinandersetzung beendete.“

Neben Nazigrößen der Region wie Matthias P. oder Roland W. fanden sich zum Gerichtstermin am 11.04. auch mehrere Freund_innen und Genoss_innen der Angeklagten ein, um sich solidarisch mit ihnen zu zeigen und sie zu unterstützen. Polt wollte einen der beiden Angeklagten zusätzlich wegen Beleidigung verklagen, da er von ihm angeblich als „Kartoffel“ beschimpft wurde. Wenigstens diese Farce wurde nicht verhandelt, sondern vom Staatsanwalt direkt eingestellt. Als sich die Unterstützer_innen der Angeklagten in den Gerichtssaal der nichtöffentlichen Sitzung begaben um für die Angeklagten sichtbar zu werden und um das sehr wohl vorhandene öffentliche Interesse zu bekunden, reagierte der verhandlungsführende Richter Eberle sofort mit der Drohung einer Anzeige wegen Hausfriedensbruches für den Fall, dass nicht alle binnen fünf Minuten den Saal wieder verlassen würden. Tatsächlich wurde diese Frist eingehalten, doch der in Rage versetzte Richter gab sich mit seiner eingangs gestellten Forderung nicht zufrieden. Er unterbrach die Verhandlung und teilte der verdutzten Unterstützer_innenschaar mit, jetzt hätten sie nur noch drei Minuten um das ganze Gebäude zu verlassen. Nachdem die Angeklagten – welche während der Verhandlungsunterbrechung in den Gang kamen – durch ihre Unterstützer_innen begrüßt wurden und ihnen Kraft gewünscht wurde, setze man sich in Bewegung um das Gebäude zu verlassen und keine Anzeige zu riskieren. Schon auf dem halben Weg nach draußen wurden jedoch alle von herbeigeeilten Polizeibeamten aufgehalten und werden voraussichtlich doch wegen Hausfriedensbruchs angeklagt. Wieder aus dem Amtsgericht entlassen, wurde im gegenüberliegenden Park spontan ein Transparent bemalt und eine Mahnwache vor dem Amtsgericht abgehalten.

Zu unserem großen Entsetzen wurden beide Genossen verurteilt, wobei das Strafmaß weit über das von der Staatsanwaltschaft geforderte hinausging (Forderung der Staatsanwaltschaft im Falle der 10-monatigen Haftstrafe: 4 Wochen Arrest). Gegen beide Urteile wurde Berufung eingelegt, sie sind somit noch nicht rechtskräftig und unsere Genossen noch auf freiem Fuß.

Nur Angst – kein Respekt
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solidarität — ex-oberbayer

ergänzung — beobachter

solidarität nach weilheim — aus oberbayern