Wie wurde der Feminismus entwaffnet?

veranstaltungsteilnehmer 08.04.2011 17:58 Themen: Biopolitik Gender Kultur Soziale Kämpfe
Eine Diskussionsveranstaltung mit der feministischen Theoretikern Tove Soiland in Berlin
Gibt es den Feminismus überhaupt noch und wie positionieren sich die jungen, erfolgreichen, modernen Frauen dazu? Diese Frage interessieren die Medien heute immer wieder. Das waren allerdings nicht die Fragen, die ca. 100 Menschen interessierten, die am auf Einladung der Internationalen KommunstInnen am 7.4. ins Zielona Gora kamen.
Sie wollten die Ausführungen der feministischen Theoretikern Tove Soiland hören und sie wurden nicht enttäuscht. In knapp 50 Minuten entwickelte sie eine Kritik am dekonstruktivistischen Turn im Feminismus und begründete gleichzeitig auf materialistischer Basis die Notwendigkeit einer neuen handlungsmächtigen feministischen Theorie und Praxis.
ToveSoiland hat sich in der letzten Zeit einen Namen mit ihren politischen Interventionen in die Debatte um die Rekonstruktion eines Feminismus gemacht, der wieder zu kollektiver Handlungsmächtigkeit wird und dabei von den Interessen und gesellschaftlichen Positionen der Frauen ausgeht. Diesem Feminismus als Antwort auf eine gesellschaftliche Positionierung stellte Soiland den dekonstruktivistischen Ansatz gegenüber, nachdem es vor allem gilt, sämtliche Identitäten zu dekonstruieren. Tove entwickelte am Anfang kurz die Entwicklung dieses Ansatzes. Er hat seinen Ausgangspunkt im den Culture-Studies in den 70er und 80er Jahren in Großbritannien, der dort als Reaktion auf eine marxistische Orthodoxie entwickelt worden war und noch in materialistischen Kategorien verankert war. Auf dem Weg von Großbritannien an die Universitäten der USA verloren die Culture-Studies allerdings ihren materialistischen Background und wurden damit praktisch zu einer Spielart des Liberalismus. Besonders in der feministischen Debatte wurde dieser dekonstruktivistische Ansatz besonders stark und verunmöglichte immer mehr, dass es überhaupt noch handlungsfähige feministische Kollektive gab. Allerdings betonte Tove, dass diese Entwicklung nicht verschwörungstheoretisch als intendierte Absicht der Theoretiker_Innen zu erklären ist. Diese Entwicklung hat vielmehr seine Ursache in der neoliberalen Regulationsweise des Kapitalismus, wo die dekonstruktivistische Spielart des Feminismus gut hineinpasst. Dass heißt, der allzeit flexible Mensch, wie ihn der neoliberale Kapitalismus erzeugt und erwartet, kann auch dann auch flexibel das Geschlecht wählen, vorausgesetzt dass tritt nicht mit dem kapitalistischen Verwertungsinteresse im Widerspruch. Diese Aussagen bedeutet nun keineswegs ein Bashing von queeren Theorien oder Lebensweisen, oder die Unterstellung queer lebende Menschen wären generell im Kapitalismus privilegiert und ständen auf Seiten der Gewinner_Innen, wie es Kritiker_Innen von Soiland vermutet haben. Tove stellte klar, dass es ihr mit ihrer Intervention darum geht, wieder zu einer feministischen Theorie und Praxis zu kommen, die handlungsfähig und mächtig ist.

Die Bedeutung der Care-Industrie für den Kapitalismus
Die Notwendigkeit begründete Tove mit einer interessanten Interpretation der neuen Entwicklungen im Kapitalismus. Die Ausbreitung des Care-Sektors, was sehr ungenau mit Dienstleistungssektor oder Beziehungsarbeit überschrieben ist, bedeutet auch gleichzeitig das Anwachsen eines Niedriglohnsektors mit prekären Arbeitsplätzen. Dass liegt nicht daran, dass dort historisch vor allem Frauen beschäftigt sind, sondern dass es um Arbeitsplätze handelt, die im kapitalistischen Sinne keinen Mehrwert schaffen. Dass bedeutet allerdings nicht, dass diese Tätigkeiten nicht profitabel vermarktet werden können, wie in der Umwandlung von Klinken in Profitzentren deutlich wird. Tove sieht in diesem Care-Sektor mit ihren schlecht oder gar nicht bezahlten Arbeiten eine der Überlebensquellen des Kapitalismus. Sie beruft sich damit auf Texte von Rosa Luxemburg, die in der nichtbezahlten Arbeit eine der Quellen des Kapitalismus sieht. Während Rosa Luxemburg hier vor allem an die außereuropäischen Kolonien dachte, haben die Theoretiker_Innen des Bielefelder Ansatzes (Claudia Werlhoff, Maria Mies etc.) in der un- und schlechtbezahlten Arbeit von Frauen die letzte Kolonie gesehen. Tove versucht den Bielefelder Ansatz zu aktualisieren und sieht in der Care-Industrie das neue Reservoir für unbezahlte Arbeit und dort gleichzeitig einen Lebensquell für den modernen Kapitalismus. Der Kampf auf diesen Sektor, so Tove, kann aber nur mit einem neuen handlungsfähigen Feminismus erfolgen, dazu muss es wieder feministische Kollektivität geben.
Nach dem Referat gab es viele Fragen aus dem Publikum. Unter Anderem wurde gefragt, ob eine Rückkehr zu den feministischen Wurzeln nicht verkennt, dass Frauen heute mehr als noch vor Jahrzehnten in verschiedenen Klassenlagen leben. Hat die Mittelstandfrau mit ihren vielleicht schlecht bezahlten Hausangestellten wirklich eine gemeinsame gesellschaftliche Positionierung, die Tove ja richtigerweise stark gemacht hat, gegenüber einer Identität. Eine andere Frage ist, welche Bündnisoptionen es zwischen einen neuen linken Feminismus wie ihn Tove vorschwebt und Teilen der klassenkämpferischen Linken es gibt, die eben das Geschlechterverhältnis nicht als Nebenwiderspruch sehen. Solche Bündnisse gab es ja bereits in der Geschichte des feministischen Sozialismus oder sozialistischen/marxistischen Feminismus. Ansätze dazu gab und gibt es bereits, bei der Organisierung von Beschäftigen im Care-Bereich, teilweise auf gewerkschaftlicher und klassenkämpferischer und feministischer Grundlage. Das Referat von Tove wirft viele Fragen auf, die es verdienen, weiter diskutiert zu werden. Daher danke für die Veranstaltung.


zentraler Text von Tove Soiland, in dem ihre auf der Veranstaltung vorgetragenen Thesen zusammengefasst sind:

 http://www.akweb.de/ak_s/ak558/27.htm

Eine kritische Antwort dazu:

 http://www.akweb.de/ak_s/ak559/49.htm


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Ergänzungen

Licht und Schatten

Nils 08.04.2011 - 22:14
Einer sehr guten Kritik der dekonstruktivistischen Ansätze aus materialistischer Perspektive stand eine sehr unmaterialistische und unmarxistische Beschreibung des "Care-Sektors" gegenüber. Dieses In-den-Blick-nehmen dieses Bereichs wirkte sehr gezwungen und eher ihrem feministischen, denn ihrem marxistischen Background geschuldet.

Dass liegt nicht daran, dass dort historisch vor allem Frauen beschäftigt sind, sondern dass es um Arbeitsplätze handelt, die im kapitalistischen Sinne keinen Mehrwert schaffen.
Das ist nicht ganz richtig: Ob Mehrwert geschaffen wird oder nicht, hängt nicht an der Art der Tätigkeit, sondern daran, ob jemand für irgendwen arbeitet, der mit dieser Arbeit Geld verdient. D. h. auch der Bettler vom Hermannplatz erzeugt Mehrwert, wenn er nicht nur für sich da sitzt, sondern einen Teil seines Geldes abgeben muss. Auch der Bettler kann also auch produktiver Arbeiter im marxschen Sinne sein.
Im Care-Bereich wird also durchaus Mehrwert erzeugt, nämlich dann, wenn z. B. Pflegefirmen ins Spiel kommen. Ich würde auch Tove unterstellen, dass ihr das auch klar ist und habe sie eher so verstanden, dass dieser Bereich schlecht automatisierbar ist und deshalb für das Kapital irgendwie nicht so attraktiv ist. Eine These, die aus marxistischer Perspektive Blödsinn ist, denn es fällt ja dennoch Mehrwert ab, wenn man z. B. eine Pflegefirma oder ein Krankenhaus-Konzern besitzt, und mehr interessiert das Kapital nicht. Die Nicht-Optimierbarkeit, die im übrigen auch so natürlich nicht stimmt, wäre für einen Kapitalisten nur dann ein Problem, wenn beispielsweise die Konkurrenz Putzroboter entwickelt hätte, er aber nicht. Aber wenn alle menschliche Arbeitskraft benötigen, dann stellt dieser Bereich z. B. zum Bereich der Mikroelektronik aus marxistischer Perspektive keinen Unterschied da.

Tove sieht in diesem Care-Sektor mit ihren schlecht oder gar nicht bezahlten Arbeiten eine der Überlebensquellen des Kapitalismus. Sie beruft sich damit auf Texte von Rosa Luxemburg, die in der nichtbezahlten Arbeit eine der Quellen des Kapitalismus sieht. Während Rosa Luxemburg hier vor allem an die außereuropäischen Kolonien dachte, haben die Theoretiker_Innen des Bielefelder Ansatzes (Claudia Werlhoff, Maria Mies etc.) in der un- und schlechtbezahlten Arbeit von Frauen die letzte Kolonie gesehen. Tove versucht den Bielefelder Ansatz zu aktualisieren und sieht in der Care-Industrie das neue Reservoir für unbezahlte Arbeit und dort gleichzeitig einen Lebensquell für den modernen Kapitalismus.
Tove nimmt den aktuellen Hype um Care-Arbeit auf, der von nicht-marxistischen Feministinnen aufgebracht wurde und scheitert mit dem Versuch mit Marx die Care-Arbeit als etwas Besonderes herauszustellen. Das kann nicht funktionieren.
Das große Problem liegt in meinen Augen darin, dass sie bei der Analyse schlecht- oder "nicht-bezahlter" Arbeit an der feministischen Theorie und leider nicht an Marx orientiert. Ohne Marxist zu sein, aber bei der Analyse ökonomischer Zusammenhänge ist Marx Alice Schwarzer auf jeden Fall vorzuziehen!
Wie ich schon auf der Veranstaltung anmerkte und wo mir Tove entschieden widersprach: Die Höhe des Arbeitslohns pendelt sich für eine Branche dort ein, wo die Unternehmen genug angemessen qualifizierte und gut arbeitende Arbeitnehmer bekommen. Wenn es nicht genug bietet, wird es nicht ausreichend Arbeitnehmer finden oder sie werden streiken und deshalb wird es mehr bieten. Wenn es zu viel bietet, wird ein anderes Unternehmen seine Marktposition einnehmen. Wenn es so viel bieten müsste, dass es keinen Gewinn mehr macht, dann wird es in diesem Bereich nicht aktiv. Wer das nicht glaubt, mag es im Kapital, in den Grundrissen oder in einem Sozialkunde-Schulbuch nachlesen.
Das bedeutet, es gibt keine Branche, wo das böse Patriarchat dafür sorgt, dass sie besonders schlecht bezahlt wird. Putzarbeit wird so schlecht bezahlt, weil für diese Tätigkeit so ziemlich jeder in Frage kommt und da in der Regel nach Zahl der Räume ("Stücklohn" bei Marx) und nicht nach Arbeitszeit bezahlt wird, werden auch keine besonderen Fertigkeiten benötigt. "Gesetzt 1.000 Arbeiter von gleicher Geschicklichkeit; 50 außer Brot; so wird der Preis bestimmt nicht durch die 950 beschäftigten, sondern durch die 50 unbeschäftigten" schrieb Marx. Und da für einen Putzjob jeder Arbeitslose in Frage kommt, fällt der Arbeitslohn ins Bodenlose.
Ähnlich verhällt es sich mit den meisten Jobs im Care-Bereich. Es sind durchgängig Jobs, die keine Qualifikation oder nur eine Ausbildung erfordern, wie beispielsweise Kindergärtner, Altenpfleger oder Krankenpfleger, und zugleich sehr beliebt sind. Deshalb gibt es ein großes Angebot an Arbeitskräften, was zu niedrigen Löhnen führt.

Aber nicht nur ihre Analyse schlechtbezahlter Arbeit, sondern auch die alte feministische Behauptung der nichtbezahlten Hausarbeit wird durch ständige Wiederholung nicht richtiger. Das Subjekt des Feminismus, das Tove wiedererwecken möchte, wäre durch die Bank absolut bescheuert, wenn es sein Leben mit unbezahlter Arbeit fristen würde. Da Frauen aber sicher nicht bekloppter als Männer sind, kann mit dem Argument etwas nicht stimmen.
Hausarbeit wird natürlich bezahlt. Wäre das nicht der Fall, müssten Frauen noch neben der Hausarbeit Flaschen sammeln oder sich andersweitig ihren Lebensunterhalt verdienen, sie müssen das nicht, weil sie am Lohn ihres Mannes partizipieren. Die Alleinverdiener-Ehe ist, wenn man den Schleier der Romantik weglässt, nichts anderes als ein Arbeitsverhältnis. Die Höhe des Entgelts hängt von den gleichen Kriterien ab, wie am normalen Arbeitsmarkt. Qualifikation ("Nettigkeit", "Aussehen", "Niveau"...) und damit verbunden Wahl des Arbeitsplatzes ("welchen Mann kann man kriegen"), Drohpotential mit Kündigung ("Scheidung") etc. Das Arbeitsverhältnis wird sogar staatlich bezuschusst (Ehegattenspliting etc.), wodurch der Staat makroökonomisch regulieren kann, wie hoch der Anteil an "Hausfrauen" ist.
Und Hausarbeit wird auch nicht "ungerecht" niedrig bezahlt, denn sie richtet sich wie überall auch, nach Angebot und Nachfrage. Sie wird also genau so bezahlt, dass Frauen sich darauf einlassen, denn das tun sie, im Jahre 2010, freiwillig. Eine Frau muss nicht Hausfrau sein! Wenn der Mann oder der Staat ein Interesse an ihrer Hausfrauentätigkeit hat, dann muss das Angebot so gut sein, dass sie es annimmt und für Millionen ist es das auch. Wenn Alice Schwarzer das nicht verstehen kann, nun gut, es ist aber schade, dass selbst FeministInnen, die sich als marxistisch verstehen, so simple ökonomische Zusammenhänge nicht nachvollziehen (wollen).

presse zur Veranstaltung

leserin 09.04.2011 - 02:30
Hier gibt es einen Artikel über die Veranstaltung:


 http://www.jungewelt.de/2011/04-08/006.php

Weiterdiskutieren

Interkomm 09.04.2011 - 02:36
Als Veranstalter_Innen finden wir den theoretischen Einwand von Nils sehr interessant und hoffen, darüber auch weiter zu diskutieren zu können. Vielleicht beim nächsten Roten Abend:





Berlin:

4.5.2011, 20 Uhr: Zielona Gora, Grünbergerstr. 73

Familie im Realsozialismus
Zur Abwertung reproduktiver Arbeit und der Fortschreibung kapitalistischer
Geschlechterarrangements in der Sowjetunion
Roter Abend mit der Kulturwissenschaftlerin Feliciata Reuschling
www.interkomm.tk

Veranstaltungsreihe Queerfeminismus

PaulA 09.04.2011 - 12:55
In Berlin läuft derzeit eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel "Queerfeminismus und Ökonomiekritik", die sich hauptsächlich mit den Themen Care-Work und Care-Ökonomie auseinandersetzt.  http://www.feministische-oekonomiekritik.org/

Mein Senf ...

TaP 10.04.2011 - 18:30

... zu Nils' obigen Kommentar sowie dem jw-Bericht über die Veranstaltung

 http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/03/29/queer-flexibel-erfolgreich/#comment-5224

Margret Wirth zur "Frauenfrage"

egal 10.04.2011 - 21:53
Passend zum Thema und insbesondere zu Nils' Kritik ein schon etwas älterer Vortrag (2008)von Prof. Margret Wirth vom GSP als Podcast:
 http://doku.argudiss.de/?Kategorie=all#268

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