Fraktion DIE LINKE auf Bertelsmann-Kurs

Wiebke Priehn 03.04.2011 17:04 Themen: Bildung
Bildungspolitische Sprecherin fordert: "Bei der Analyse des deutschen Bildungssystems" müsse man der Bertelsmann Stiftung "uneingeschränkt Recht geben“.
Eigentlich keine Nachricht: die Bertelsmann Stiftung weiß, wie die Menschen der Welt regiert werden sollen (nämlich "nachhaltig"), und dass Deutschland dabei eine führende Rolle einnehmen soll. Dazu hat sie eine ihrer zahlreichen pseudowissenschaftlichen "Studien" herausgebracht. Schon der Titel im üblichen neoliberalen Neusprech ist Drohung und Anmaßung zugleich: „Nachhaltiges Regieren in der OECD – Wie zukunftsfähig ist Deutschland?“.  http://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_33521_33522_2.pdf

Doch für Dr. Rosemarie Hein ist das kein Grund zur Skepsis. Sie nutzt den positiven Bezug auf die Publikation als Aufhänger für eine Pressemitteilung: „Man mag von der Bertelsmann-Stiftung halten, was man will, bei der Analyse des deutschen Bildungssystems muss man ihr jedoch uneingeschränkt Recht geben“, erklärt sie scheinbar unbedarft anlässlich der Veröffentlichung der Studie.  http://www.rosemarie-hein.de/presse/pressemitteilungen/detail/zurueck/aktuell-2/artikel/studie-bestaetigt-erneut-ungerechtigkeit-des-bildungssystems/

Vor allem in folgenden Punkten fühlt sie sich bestätigt: „Nach wie vor ist der Zugang zu Bildung für größere Bevölkerungsgruppen, vor allem für Kinder aus sozial benachteiligten Familien, erschwert; bei frühkindlicher Bildung gibt es große Defizite. Der Anteil der Hochschulabsolventen liegt unter dem OECD-Durchschnitt und stagniert zudem."

Das wird nicht dadurch falsch, dass es die Bertelsmann Stiftung sagt. Allerdings werden dadurch die bildungspolitischen Analysen der Stiftung noch lange nicht - und schon gar nicht "uneingeschränkt" - richtig. Was der bildungspolitischen Fraktionssprecherin offenbar entgangen ist:

A: Seit Anfang der 90er Jahre beeinflusst die Bertelsmann Stiftung hinter den Kulissen maßgeblich die Bildungspolitik. Ob Landes- oder Bundesministerien oder EU-Kommission, ob Kohl, Schröder oder Merkel auf dem Kanzlerposten sitzen, Bertelsmann hat zu allen enge Verbindungen. Als "heimliches Bildungsministerium" wurde Bertelsmann in seltenen Medienberichten tituliert. Ergebnis der Einflussnahme ist ein massiver Bildungsabbau und eine Erhöhung der sozialen Ungleichheit beim Zugang zu Bildung. Beides führte in der Vergangenheit zu zahlreichen bildungspolitischen Protesten (Besetzung von Bertelsmann in Berlin:  http://www.youtube.com/watch?v=oCBPNoLhbRg; Bertelsmann und Studiengebühren: es reicht!, Education is not for sale! 14.11.2003,  http://de.indymedia.org/2003/11/66204.shtml). Möglich wurde diese Einflussnahme nur durch mangelnde demokratische Kontrollfunktion der Medien und korrupte Seilschaften in der Politik (Bertelsmann, Uni Hamburg, korrupte Netzwerke,  http://de.indymedia.org/2009/12/267972.shtml, Pharma-Lobby an der Uni Marburg ehrt Liz Mohn,  http://de.indymedia.org/2009/08/258685.shtml, Hamburg/Gütersloh: Dräger ist ein Bertelsmann,  http://de.indymedia.org/2008/07/221144.shtml, Ex-Bertelsmann wird Uni-Kanzler in Lüneburg,  http://de.indymedia.org/2006/06/149913.shtml).

B: Auch die sonstige Spaltung zwischen Arm und Reich, die Umverteilung von unten nach oben, hat die Bertelsmann Stiftung massiv vorangetrieben, nicht zuletzt hatte sie eine führende Rolle bei der Entwicklung und Durchsetzung der Hartz-Reformen.

Nun fordert die Bertelsmann Stiftung gnädigerweise, dass die durch ihre Politik wirtschaftlich weiter benachteiligten Kinder immerhin "gerechteren" Zugang zu einer vorher mit Unterstützung der Bertelsmann Stiftung massiv verschlechterten Bildung bekommen. Wobei die Bertelsmann Stiftung sich übrigens an diesen staatlichen Ausgaben nicht beteiligen wird. Sie wird von den zuständigen Behörden als "gemeinnützig" anerkannt und spart der Bertelsmann-Eigentümerfamilie Mohn so Steuern in Milliardenhöhe.

Aber mit solchen Spitzfindigkeiten hält sich Frau Dr. Hein nicht auf, schließlich ist die Lage ernst, die internationale Konkurrenz hart: "Wenn der Reformstau in der Bildung nicht endlich mit einem deutlich höheren Tempo abgebaut wird, muss die Bundesrepublik im internationalen Vergleich zwangsläufig weiter ins Hintertreffen geraten," droht Hein in ihrer Pressemitteilung. "Das gefährdet nicht nur ihre wirtschaftliche Entwicklung auf lange Zeit, sondern auch die beruflichen Perspektiven und persönlichen Lebenslagen vieler Menschen."

Verbrämt durch vermeintlich soziale und egalitäre Anliegen wie Ausbau des Bildungszugangs für Kinder aus sozial benachteiligten Familien tritt hier ein menschenfeindliches, nationalistisch gefärbtes Wettbewerbsdenken zu Tage, das aus den wirtschaftsliberalen Think Tanks der OECD, Banken und Bertelsmann offenbar immer wieder auch bei führenden PolitikerInnen der Partei DIE LINKE auf fruchtbaren Boden fällt. Bildungsausbau auch für wirtschaftlich benachteiligte Menschen (in Deutschland) wird hier gefordert, um sich in der internationalen Standortkonkurrenz gegenüber anderen, häufig ärmeren Staaten und deren Bevölkerung nicht zu verschlechtern. Für eine gute Bildungspolitik und soziale und wirtschaftliche Entwicklung zum Wohl für alle (und ohne Bertelsmann) fehlt Hein offenbar die Fantasie.

Frau Dr. Rosemarie Hein sitzt für die Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag in den Ausschüssen für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und Kultur und Medien sowie als stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Außerdem ist sie Mitglied im Kuratorium der Bundeszentrale für politische Bildung.


kritisches zu Bertelsmann:

Martin Bennhold: Die Bertelsmann Stiftung, das CHE und die Hochschulreform: Politik der ´Reformen´ als Politik der Unterwerfung
In: Ingrid Lohmann / Rainer Rilling (Hg.):
Die verkaufte Bildung - Kritik und Kontroversen zur Kommerzialisierung von Schule, Weiterbildung,
Erziehung und Wissenschaft. Opladen 2002, 279-299.
 http://www.erzwiss.uni-hamburg.de/Personal/Lohmann/Materialien/bennhold.pdf

Thomas Barth; Oliver Schöller, Bertelsmann und Bildungsstifter. Die Privatisierung der Bildungspolitik, aus: Erziehung und Wissenschaft, GEW Niedersachsen 12/2005
 http://www.anti-bertelsmann.de/2006/BarthSchoellerGEWNds.pdf

Rudolph Bauer: Bürgergesellschaft als Bertelsmann-Projekt
in Ingo Bode / Adalbert Evers / Ansgar Klein (Hg.): Bürgergesellschaft als Projekt
Eine Bestandsaufnahme zu Entwicklung und Förderung zivilgesellschaftlicher Potenziale in Deutschland
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009, Seite 265–291
 http://medienwatch.wordpress.com/burgergesellschaft-als-bertelsmann-projekt/

Peer Heinelt: Der Bertelsmann Transformation Index (BTI)
 http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/090212_BTIReferatvonPeerHeinelt.pdf

OLIVER SCHÖLLER
»Bertelsmann geht voran!«
 http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Utopie_kreativ/155/155_schoeller.pdf
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Ergänzungen

GEW-Vorstand Marianne Demmer

Mohnarchie 03.04.2011 - 22:50
Déjà-vu
GEW-Vorstandsmitglied Marianne Demmer ( http://www.gew.de/Vorstandsmitglieder.html)
kam in einer Pressemitteilung vom 04.09.2008 mit der gleichen Ausrede bei ihrer Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung:

„Ich betrachte manche Aktivität der Stiftung und vor allem des Konzerns sehr kritisch. Das gilt jedoch nicht für den Schulbereich und die frühkindliche Bildung. Hier sehe ich viel Übereinstimmung mit den Forderungen und Überzeugungen der GEW.“

 http://www.gew.de/GEW_Modell_Toronto_Vorbild_fuer_Integration_von_Migranten.html

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Nach sowas — Toni

Die Linke RLP als SPD-Klon — Wahlanalytiker

danke für diesen Artikel — der Aufklärer

Pseudo — Pseudoman

pseudo — Wiebke