(BB) Isolationslager Hohenleipisch schließen!

ARI 23.03.2011 13:31 Themen: Antirassismus
Am 22. März besuchten Aktivist_innen des 'Bündnis gegen Lager
Berlin/Brandenburg' das Flüchtlingsheim in Hohenleipisch. Zusammen mit
Flüchtlingen des Lagers ging es dann in Herzberg (Sitz des Landratamts
und der Ausländerbehörde) mit einer Demo gegen die diskriminierenden
Sondergesetze für Flüchtlinge weiter.
Fünfzig Demonstrant_innen, drei Polizeibusse, zwanzig Zuschauer_innen,
eine Lokaljournalistin, so sieht es aus am Marktplatz in Herzberg
(Elbe-Elster-Kreis). 'Lager abschaffen! Duldung abschaffen!
Polizeigewalt abschaffen! We are here and we will fight, freedom of
movement is everybodys right', mit den Forderungen der
Demonstrant_innen können die meisten hier sichtlich wenig anfangen.
Und um welche Lager es hier überhaupt geht, weiß kaum eine der
Passant_innen. Dabei ist das Flüchtlingsheim Hohenleipisch nur wenige
Kilometer entfernt. Für seine Schließung demonstrieren
Flüchtlinge und antirassistische Initiativen heute.

Die Demonstration ist Teil des bundesweiten Aktionstages zur Kampagne
gegen das Asylbewerberleistungsgesetz und gegen das Asylverfahrens-
und Aufenthaltsgesetz. In 24 Städten fanden heute Aktionen statt.
Hervorgegangen ist die Kampagne aus einem bundesweiten Treffen von
Aktivist_innen und Flüchtlingen in Frankfurt am Main im Dezember 2010.
Dort wurde beschlossen, dem rassistischen Mainstream etwas
entgegenzusetzen. Aktuelle Anlässe gibt es genug:

Das Asylbewerberleistungsgesetz verstößt gegen die Menschenrechte. Das
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat das Gesetz dem
Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt, nachdem im Februar
2010 die Verfassungswidrigkeit von Hartz IV festgestellt worden war.
Denn Asylbewerber_innen stehen nur 62% des Hartz IV-Satzes zu. Der
Bundestag debattiert in diesem Jahr über zwei Anträge zur Abschaffung
des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Schon im November 2010 hatten Lagerbewohner_innen insbesondere in
Baden-Württemberg und Bayern gegen ihre unerträglichen
Lebensbedingungen protestiert. In Berlin waren kürzlich Fälle von
Gewalttätigkeiten gegen Flüchtlinge bekannt geworden, etwa im Lager
Waßmannsdorf bei Schönefeld. Und wie Waßmannsdorf ist auch
Hohenleipisch in einem katastrophalen Zustand, wovon sich etwa 30
Aktivist_innen und Journalist_innen heute bei einem gemeinsamen Besuch
des Lagers überzeugen konnten. Das von der Firma K&S Sozial Bau AG
betriebene Lager ist ein extremes Beispiel für die isolierende und
entrechtende deutsche Flüchtlingspolitik. Abgeschnitten von der
Außenwelt leben die Flüchtlinge mitten im Wald in heruntergekommenen
Armeebaracken, von denen nur wenige bewohnbar sind. Der mehrere
Kilometer entfernte Ort ist unter der Woche mit dem Bus zu erreichen,
am Wochenende und abends bleibt nur der Weg zu Fuß über eine
unbeleuchtete Straße.

Der nächste Supermarkt liegt in Elsterwerda, auch der Arzt ist mehrere
Kilometer entfernt und mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum zu
erreichen. Im Heim gibt es keinerlei Informations- oder
Kommunikationsmöglichkeiten, weder Internet, noch Telefon oder
Fernsehen. Diese Wohnbedingungen zeichnen Heime der K&S aus ? mit
notdürftig renovierten Baracken lässt sich viel Geld verdienen. Die
Firma betreibt bundesweit 24 Seniorenresidenzen und elf
Flüchtlingsheime, der Umsatz liegt nach eigenen Angaben bei rund 60
Millionen Euro jährlich.( http://de.indymedia.org/2011/03/302723.shtml)

Dieses Geld wird auf Kosten der Flüchtlinge verdient; ihre Wohnsituation ist
dementsprechend schwierig. Die Gemeinschaftsduschen sind nur zu
bestimmten Tageszeiten zugänglich und werden von den Bewohner_innen
selbst notdürftig repariert, Toiletten und Küche sind verwahrlost, in
den Zimmern leben jeweils vier Personen. In der Küche gibt es nur
kaltes Wasser. Natürlich haben die Bewohner_innen keinen Zugang zu
kulturellen oder Bildungsangeboten, der Wunsch nach Deutschkursen wird
ihnen mit dem Hinweis auf die Kosten verweigert. Sie beklagen
außerdem, dass sie sich im Lager nicht sicher fühlen.

Der Heimleiter Herr Butschok war bei dem Besuch trotzdem auffallend
bemüht, einen positiven Eindruck zu vermitteln. Flüchtlinge wurden von
ihm animiert, sich wohlwollend über das Heim zu äußern; nicht
überraschend, da sein Job auf dem Spiel steht, wenn das Heim
geschlossen werden sollte. Auffällig war außerdem, dass bei unserem
Besuch keine Frauen anwesend waren. Der Flüchtlingsrat Brandenburg
hatte schon im Vorfeld erfahren, dass Butschok eine Teilnahme der
Bewohner_innen am Aktionstag verhindern wollte.( http://www.fluechtlingsrat-brandenburg.de)

Dass die Frauen an einen anderen Ort gebracht worden waren, um
negative Äußerungen zu verhindern, kann zumindest vermutet werden.
Auch anderweitig übt die Heimleitung Druck auf die Bewohner_innen aus:
Die massive Polizeipräsenz im Lager am Aktionstag machte es ihnen
schwer, mit uns nach Herzberg aufzubrechen, um dort gegen das Lager zu
demonstrieren; einige von ihnen brachten den Mut trotzdem auf und
begleiteten uns zur Demo. Dort wollten sie dem Landrat des
Elbe-Elster-Kreises, Christian Jaschinski, einen Protestbrief
überreichen.

'Das Heim Hohenleipisch legt uns ein Leben in der Isolation auf. Wir
sind in heruntergekommenen Armeebaracken untergebracht, mitten im
Wald, umgeben von Wildschweinen. Es gibt keine Privatsphäre im Heim.
Der Heimleiter kann jederzeit die Zimmer betreten. Mit der deutschen
Bevölkerung gibt es keinen Kontakt. Wir haben keine Möglichkeit,
Deutschkurse zu besuchen. Am Wochenende sind wir völlig abgeschnitten
; es gibt dann überhaupt keine Busse mehr. Jede Fahrt zur
Ausländerbehörde in Herzberg kostet 9 Euro, hin und zurück 18 Euro.
Die Fahrtkosten übersteigen die mageren finanziellen Mittel, die wir
bekommen. Wir sagen Nein zur Isolation. Die einzige Lösung ist: Das
Heim muss sofort geschlossen werden.
Wir fordern:
- Wohnungen für alle Flüchtlinge, die das wollen
- sofortige Arbeitserlaubnisse für alle
- die Abschaffung der Residenzpflicht?'

Der kommissarische Stadtdezernent des Landkreises Elbe-Elster, Dr.
Erhard Haase, nahm den Brief an und wies jede Kritik ab. Der Landkreis
habe genug Geld für die Flüchtlinge investiert, befand er. Ähnlich
perfide war auch die Reaktion bei der Ausländerbehörde, vor der es
ebenfalls eine Kundgebung gab. Bis auf eine Mitarbeiterin am Fenster
war hier überhaupt niemand zu sehen. Zu diesem Zeitpunkt war die
Polizeipräsenz soweit verstärkt worden, dass die 50 Demonstrant_innen
von fünf Wannen begleitet wurden, alle von der Demonstrationsroute
abgehenden Straßen wurden von Polizist_innen abgesperrt. An die
Anwohner_innen konnten wir immerhin stapelweise Flyer verteilen,
einige ließen sich auch interessiert ins Gespräch ziehen. Unsere
Transparente wurden von einigen Fenstern aus mit hochgereckten Daumen
begrüßt, eine kleine Gruppe Frauen und Kinder begleitete den Demozug
aus der Entfernung.

ABOLISH. Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!
ABOLISH. Residenzplicht abschaffen!
ABOLISH. Sämtliche Formen von institutionalisiertem Rassismus abschaffen!
ABOLISH. Rassistische Sondergesetze abschaffen!
ABOLISH. Abschiebungen stoppen!

Weitere Infos:
Bündnis gegen Lager:  http://bglbb.blogsport.de/
Kampagne Abolish!:  http://kampagne-abolish.info/

Bericht in der Abendschau:
 http://www.rbb-online.de/brandenburgaktuell/archiv/index.media.!etc!medialib!rbb!rbb!aktuell!aktuell_20110322_protest.html
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Ergänzungen