Chimki: Die Repressionen reißen nicht ab.

Anarchosyndikalistische Jugend Berlin 19.03.2011 17:50 Themen: Antifa Repression Soziale Kämpfe Weltweit Ökologie
Überall auf der Welt erfahren Menschen Repressionen, Festnahmen, Folterungen oder sogar den Tod und das einzig und allein aus dem Grund, weil sie sich für eine bessere und gerechtere Welt einsetzen, eine Welt ohne “unten” und “oben”.
Der 18. März ist der Tag der politischen Gefangenen, an dem wir unsere Solidarität allen aussprechen wollen, die für ihren Kampf für Freiheit gefangengenommen wurden.

Aus diesem Anlass wollen wir noch einmal auf die Situation der “Geiseln von Chimki” aufmerksam machen und dokumentieren im nachfolgenden Text die Chronik um die Geschehnisse des Walds von Chimki.
Die Vorgeschichte. Der Wald von Chimki und der Bau der Autobahn Moskau – St. Petersburg

Alles fing damit an, dass ein Projekt in Planung war das die erste kommerzielle Autobahn Russlands zwischen Moskau und Sankt Petersburg vorsah. Diese Autobahn würde durch einen der wenigen übriggebliebenen Wälder in der Nähe Moskaus führen und durch den Bau von “Objekten der Infrastruktur”, also zum Beispiel Tankstellen und Einkaufszentren, den Wald der Stadt Chimki welcher zum “grünen Ring Moskaus” gehört, quasi komplett vernichten. Den pragmatischeren und wirtschaftlicheren Alternativvorschlägen wurde durch die korrupten Interessen einiger Akteure keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt.

Widerstand und Repression

Anfangs war keine rechtliche Grundlage für den Bau der Autobahn gegeben, da laut russischen Gesetzen der Wald nicht bebaut werden darf. Weil aber hinter dem Projekt große Profitinteressen stehen, sollte hier schnell eine fadenscheinige Außnahmereglung geschaffen werden. So gab es seit 2007 ein langes Hin und Her zwischen der Administration der kleinen Stadt Chimki, BauunternehmerInnen und anderen Bauinteressierten auf der einen Seite und BewohnerInnen, ÖkoaktivistInnen und einigen politischen UnterstützerInnen auf der anderen Seite. Dabei haben die VerteidigerInnen des Waldes auf legale Methoden, Aufklärung und Unterstützung namenhafter Organisationen gesetzt.

Die Administration der Stadt Chimki dagegen ist für ihre, sogar für Russland, auffällige Korruption und brutale Methodik von “Problemlösungen“ bekannt. Diese Methoden bekamen auch die ÖkoaktivistInnen zu spüren.
So wurde der Hund des Chefredakteurs Michail Beketov, dessen Lokalzeitung sehr oft über Korruption bestimmter BeamtInnen und Unstimmigkeiten beim geplanten Bau der Autobahn berichtete, in der Tradition der “wilden 90er” umgebracht, später sein Auto vor seinem Haus angezündet, bis er schließlich selbst im November 2008 Opfer eines schweren Überfalls wurde, den er nur durch Zufall überlebte. Die Folgen des Angriffs waren aber so schwer, dass er nie wieder ein aktives Leben führen kann. Auch andere kritische JournalistInnen wurden mehrmals angegriffen und zum Teil schwer verletzt. 2009 starb einer von ihnen an den Folgen eines Angriffs.
Trotz dieser Gewalt existierte eine kleine, aktive “Bewegung für den Schutz des Waldes von Chimki”, die weiterhin friedliche Aktionen und Kundgebungen organisierte und für die Aufklärung der Stadtbevölkerung sorgte.

Nach einigen Jahren gerichtlicher Auseinandersetzungen und Öffentlichkeitsarbeit hatte Ende 2009 der Premierminister Putin den offiziellen Status der betroffenen Flächen des Waldes zu Gunsten der InvestorInnen geändert. Diese Entscheidung wurde am 1. März 2010 durch das höchste russische Gericht bestätigt, und so grünes Licht für die Abholzung des Waldes und den Bau der Autobahn gegeben.

Abholzung im Sommer 2010. Polizei und rechtsextreme Hools gegen AktivistInnen

Im Juli 2010 begannen ArbeiterInnen der Firma “Teplotechnika” mit der Abholzung des Waldes. Als dies von AktivistInnen entdeckt wurde, errichteten sie am 15. Juli ein Öko-Camp im Wald um die Abholzung zu verhindern, was ihnen auch einige Male gelang. Mit der Zeit fand sich eine bunte Mischung aus ca 50 Linken, AnarchistInnen, AntifaschistInnen, Menschenrechts- und lokalen Grassrootinitiativen zusammen. Parallel dazu wurden Kundgebungen in Moskau organisiert und weitere Versuche gestartet mit der Administration der Stadt Chimki zu verhandeln. Daraufhin fuhr die Administration, allen voran ihr Vorsitzender Streltschenko, einen Doppelkurs indem sie sich einerseits zum Dialog bereiterklärte, ihn aber andererseits konsequent sabotierte. Zusätzlich wurde das Camp immer wieder von BauarbeiterInnen und Unbekannten angegriffen. Die zu Hilfe gerufene Polizei glänzte dabei jedesmal durch Desinteresse.

Da der Konflikt inzwischen aber auch in überregionale Medien Eingang gefunden hatte, versprach die Baufirma am 23. Juli die Erlaubnispapiere für die Abholzung des Waldes den BewohnerInnen des Camps vorzulegen. Stattdessen tauchten an besagtem Morgen aber ca. 40 vermummte junge Männer auf. Einige von ihnen trugen T-Shirts mit rechtsextremen Symboliken. Die Gruppe wurde später durch Fotos als die rechtsextreme Moskauer Hooligangruppe “Gladiators” erkannt. Sie bedrohten die AktivistInnen und sorgten für die “Sicherheit” der HolzfällerInnen, die nun die Abholzarbeiten wieder aufnahmen. Trotz dieser Drohkulisse gelang es jedoch einigen AktivistInnen auf die Baumaschinen zu kommen und die Arbeiten zu blockieren. Nach einigen Stunden Kampf, bei denen die AktivistInnen sehr brutal angegangen wurden, traf die Bereitschaftspolizei (OMON) ein und nahm mehrere AktivistInnen und JournalistInnen brutal fest. Der Schlägertrupp dagegen war für sie weniger interessant und fuhr sogar mit der Polizei zusammen ab, während die Abholzarbeiten weiter fortgesetzt werden konnten. In den folgenden Tagen wurden alle, die sich Zutritt zum Wald verschaffen wollten, von Polizei und Schlägern vertrieben.

Der 28. Juli, Angriff auf das Verwaltungsgebäude in Chimki

Am 28. Juli sollte in der Stadt Chimki eine öffentliche Anhörung mit VertreterInnen der Administration, der Bauunternehmen, der StadtbewohnerInnen, JournalistInnen und GegnerInnen der Rodung stattfinden. Diese wurde aber, wie schon mehrmals vorher, seitens Stadtverwaltung und Bauunternehmen durch einen schlichten Zettel mit der Aufschrift “Heute findet keine Anhörung statt” kurzfristig abgesagt.

Am Abend wurde in Moskau ein Straßenkonzert “Für den Wald von Chimki” von zwei Antifagruppen und zwei Hardcorebands angekündigt. Als sich einige hundert Menschen am Treffpunkt versammelt hatten, wurde durch ein Megafon mitgeteilt, dass die VeranstalterInnen statt ein Konzert zu geben, nach Chimki fahren würden und alle Anwesenden einladen mitzukommen.
So stiegen hunderte Menschen in einen Regionalzug und kamen gegen 20 Uhr in Chimki an. Die Polizei war vollauf damit beschäftigt, mögliche Proteste im Wald zu unterbinden, sodass sich bald eine Gruppe von 300-400 Menschen mit Transparenten und Parolen auf den Weg zum Verwaltungsgebäude machte. Das Gebäude wurde mit Flaschen, Steinen und Molotov-Cocktails beworfen, Parolen wurden an die Wände gespüht und die Tür mit einer Axt versucht einzuschlagen. Nach wenigen Minuten zogen sich die Menschen wieder Richtung Bahnhof zurück, um den Zug nach Moskau zu bekommen. Letztendlich dauerte die Aktion ungefähr eine Viertelstunde. Das Verwaltungsgebäude war zu diesem Zeitpunkt wie erwartet leer, sodass niemand verletzt wurde. Laut den Anwesenden haben die BewohnerInnen von Chimki die Aktion mit Begeisterung und Zustimmung begleitet. Niemand wurde festgenommen.

Noch am späten Abend nahm die OMON die restlichen AktivistInnen im Wald von Chimki fest, die allerdings offensichtlich keine Ahnung von den Geschehnissen in Chimki hatten. Die Sprecherin der “Bewegung für den Schutz des Waldes von Chimki”, Anna Tschirikowa, distanzierte sich zwar von dem Angriff auf das Verwaltungsgebäude wies aber ebenfalls darauf hin, dass die Administration durch ihr Verhalten selbst Schuld daran trage.

Gleich nach der Aktion begann die Polizei und ihr “Zentrum für Extremismusbekämpfung” alle bekannten antiautoritären und antifaschistischen AktivistInnen anzurufen und zu “Gesprächen” einzuladen. JournalistInnen, die bei dem Angriff auf das Verwaltungsgebäude anwesend waren und den Protestmarsch fotografiert oder gefilmt hatten, wurden festgenommen.

Anna Tschirikova, die Sprecherin der “Bewegung für den Schutz des Waldes von Chimki” berichtete, dass sie observiert werde und Angst um ihr Leben und das ihrer Familie hätte. Eine Befürchtung, die nach den vielen Angriffen und Mordversuchen an kritischen Stimmen in der Vergangenheit nicht unbegründet war. Bald darauf zog sie sich aus Chimki zurück und tauchte mit ihrer Familie in Moskau unter.

Die Festnahme von Aleksej Gaskarov und Maksim Solopov

Am 29. Juni 2010, dem Tag nach dem Protestmarsch in Chimki, wurden Aleksej Gaskarov und Maksim Solopov ohne jede Rücksicht auf die russische Gesetzgebung festgenommen. Diese Festnahmen sind rein politisch zu verstehen, denn Aleksej und Maksim gehören zu den wenigen Sprechern der antifaschistischen und anarchistischen Bewegung Russlands, die offen auftreten und ihre Ansichten auch offen propagieren. So sprach beispielsweise Maksim kurz vor seiner Festnahme im Radio über den Sinn und die Ziele der Proteste im Wald von Chimki. Nicht zuletzt deshalb stehen beide schon seit längerem an der Spitze der Todeslisten der rechtsextremen Internetseiten. Das die Festnahmen jeder rechtlichen Grundlage entbehren wird besonders dadurch erkennbar, dass in den Festnahmeprotokollen vermerkt wurde, dass beide am Tatort, also in Chimki während des Angriffs auf das Verwaltungsgebäude festgenommen worden sein, wobei doch bekannt ist, dass es an besagtem Abend keine Festnahmen gab.
Ihnen wird zum Vorwurf gemacht “Organisatoren des Massenhooliganismus mit Waffen oder als Waffe benutzten Gegenständen” zu sein. Sollten sie dafür schuldig gesprochen werden, drohen ihnen bis zu sieben Jahre Haft. Eine Zeitung zitierte einen Polizisten mit den Worten: “Die Jugendlichen haben dadurch, dass sie die Macht angegriffen haben, eine Grenze überschritten. Unsere Aufgabe besteht jetzt darin, sie wieder auf ihre Plätze zurückzuweisen. Daher werden wir sie nicht mit Samthandschuhen anpacken.”

Nachdem die Untersuchungshaft immer wieder quasi unter Ausschluß der Öffentlichkeit verlängert wurde, wurden Aleksej und Maksim überraschend im Oktober 2010 freigelassen. Und das, obwohl im Verlauf des Prozesses immer wieder Zeugenaussagen durch Foltermethoden im Sinne der Ermittler verändert wurden. Trotz der Freude über die vorläufige Freilassung bleiben die Anschuldigungen gegen Aleksej und Maksim bestehen und so droht auch weiterhin eine Verurteilung.
Am 14. März 2011 wird nun die vorläufige Anhörung gegen die “Geiseln von Chimki” stattfinden.

Zudem wurde bekannt, dass Denis Solopow der ebenfalls wegen der Vorfälle in Chimki von den russischen Repressionsbehörden gesucht wird am 2. März in der Ukraine von der Kriminalpolizei festgenommen wurde, als er auf dem Weg zum Gericht war um den Einspruch gegen die Ablehnung seines Asylgesuchs zu verteidigen. Eine Auslieferung an die russischen Behörden würde gültiges internationales Recht brechen, da ihm vorher der Flüchtlingsstatus zugesprochen wurde.

Seit der Festnahme von Maksim und Aleksej ist klar, dass hier ein Schauprozess gegen die libertäre Strömung Russlands geführt wird. Sollten die “Geiseln von Chimki” tatsächlich auf Grundlage von Lügen und Folter verurteilt werden, würde dies einen harten Schlag für die anarchistische und antifaschistische Bewegung Russlands bedeuten.

Wir fordern, dass der Prozess und mit ihm jede Anschuldigung gegen die “Geiseln von Chimki” sofort und bedingungslos fallen gelassen wird!
Freiheit für Maksim, Aleksej und Denis!
Freiheit für alle politischen Gefangenen!

Mehr Infos auf  http://khimkibattle.org
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Ergänzungen