Knastbericht Gießen: Razzia im Betondenken

Häftling 99/10/7 im Offenen Vollzug Gießen 18.03.2011 16:56 Themen: Repression

Am 22.3.2011 endet meine Haft. Sie begann vor ziemlich genau sechs Monaten, am 23.9.2010, und war wegen der Zerstörung eines Feldes mit Gengerste der Universtität Gießen verhängt worden. Zwar spricht nicht vieles dafür, dass es tatsächlich diese Handlung war, die zu der Inhaftierung führte, sondern die zum Teil heftigen Auseinandersetzungen um innere Sicherheit unter anderem mit dem jetztigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier. Aber das ist jetzt gleichgültig: Ich komme wieder in die relative Freiheit dieses Landes. Der eigentliche Skandal aber bleibt: Über 74.000 Menschen sind weiter (und mit zunehmend härteren Strafen) in die unmenschliche Logik von Gefängnissen eingesperrt. Ihnen sei dieser letzte Bericht gewidmet - und einer kleinen Aufklärung über das, was offener Vollzug ist und was nicht. Wer immer einen Hauch emanzipatorischer Lust in sich verspürt, kann nicht anders als sehnsüchtig auf das Ende aller Zwangsanstalten bzw. des Prinzips von Norm und Strafe zu hoffen.

Der offene Vollzug als Randerscheinung im deutschen Knastwesen

Manchmal liegt über dem offenen Vollzug ein derartiger Schleier von Normalität und Langeweile, dass mensch den Eindruck haben könnte, hier sei es doch irgendwie schon einigermaßen human. Verglichen mit dem geschlossenen Vollzug mag das sogar stimmen. Aber das spricht nicht für den offenen, sondern noch mehr gegen den geschlossenen Vollzug, der einfach nur eine brutale unmenschliche Maschinerie ist.

Aber auch der offene Vollzug ist das Gegenteil von Menschlichkeit. Denn dem Menschen eigen ist seine Kreativität, ein lebendiger Kopf ist ständig und in wechselnde Richtungen unterwegs mit den Gedanken und Träumen. Unabhängigkeit und Selbstorganisierung gehören zu dem, was Menschen eigentlich auszeichnen und – im positiven Sinne des Wortes – eigenartig machen kann. Das wird schon in der Gesellschaft da draußen gut abtrainiert. Anders wäre die Ruhe der Menschen auch nicht zu erklären, die unglaubliche Entmündigungen und die Verregelung ihres Lebens hinnehmen oder höchstens ihren Frust noch im Hass auf noch Schwächere ablassen.

Knast ist die krasseste Form von Trott, Normalität, Verregelung. Da ist auch der offene Vollzug nichts als eine Schule der gleichgültigen Hinnahme fremdgesteuerter Tagesabläufe und des Verzichts auf eigene Persönlichkeit – wenn auch, gegenüber dem geschlossenen Vollzug oder z.B. geschlossenen Psychiatrien, nicht ganz so krass.

Autoritären FührerInnen mit quadratischem Kopf ist das offenbar schon zu viel. Überall aus Bemerkungen von Gefangenen und BeamtInnen hier ist herauszuhören, wie die Aufsichtsbehörden (Landesregierung in Wiesbaden) rumstressen, um den offenen Vollzug zu verschärfen. Sie rücken mit ihren Kommandos ein und fordern Veränderungen: Mehr Kontrollen, mehr Zügel für die Gefangenen. Wie sagte ein Beamter: „Jetzt führen sie als Neuerung wieder das ein, wogegen die alten Kollegen vor 30 Jahren mit Erfolg protestiert haben“.

Mitte meiner letzten vollen Woche hier im offenen Vollzug drückte sich das Treiben in einer Razzia durch alle oder viele Zellen aus (ich saß nichtsahnend an meinem Computer). Sie fanden so schlimme Sachen wie Handys und Alkohol. Ist beides verboten – darum schlimm. Mehrere Personen wurden „abgeschossen“, der knastinterne Jargon für die Verlegung wieder in den geschlossenen Vollzug. Mag sein, dass das oberflächlich erstmal mancheR sogar für richtig empfindet. Ein Blick auf die Verhältnismäßigkeit aber zeigt deutlich, dass hier die Demonstration von Macht und Verfügungsgewalt über Menschen im Vordergrund steht. Das "böse Verbrechen" hat ich zum Beispiel auch einmal hingekriegt. Wenn Du monate- oder gar jahrelang täglich ein- oder mehrmals durch diesen Knasteingang rein- und rausgehst, jedesmal Dein Handy aus dem Metallschrank nimmst und beim Reingehen daran denken musst, es aus der Tasche zu nehmen und dort wieder einzuschließen, dann ist das schon gar nicht so einfach, das IMMER hinzukriegen. Selbst bei einer Fehlerquote von 0,5% machst Du in einem Jahr Knast schon ein- oder mehrmals Fehler. Das ist schlicht menschlich! Wenn dann noch hinzukommt, dass Du beim Hineinkommen Deine Post bekommst, immer mal wieder Alkohol- oder andere Tests machen oder was unterschreiben musst, irgendwas von BeamtInnen nachgefragt oder Dein Gepäck durchsucht wird, dann kann das erst recht passieren, dass Du Dein blödes Handy mal in der Jackentasche vergisst. Wie gesagt: Mir ist das auch einmal passiert. Und es war die Angst vor den Konsequenzen, dass ich, als ich das in meiner Zelle merkte, es nicht zurückgebracht, sondern bis zum nächsten Gang aus dem Knast raus behalten habe in der - zum Glück erfüllten - Hoffnung, das Malheur würde nicht bemerkt. Aber so ist halt das System von Kontrolle und Strafe: Es ist besser für Dich, Fehler zu vertuschen als einfach offen darüber zu reden. Knast erzieht Dich (wie die ganze Scheiß-Gesellschaft) zum Lügen, Betrügen und Abzocken. Du lernst aber auch, dass möglichst nur bei Schwächeren zu machen, weil das in der Regel die Eliten nicht stört und deshalb nicht verfolgt wird.
Zurück zu der Razzia und den Folgen hier: Vom Rauswurf wegen Handybesitz betroffen war wohl auch der Gefangene, von dem ich auf meinem Blog schon berichtete, der nicht zu seiner sterbenden Frau reisen darf. Wie human – jetzt wird er nicht einmal mitkriegen, wenn sie stirbt. Das ist das Werk der Bestien, die sich als Hüter von Recht und Ordnung hinstellen und dabei immer ihr Recht und ihre Ordnung meinen. Mit den bestehenden Gesetzen nehmen sie es dabei nicht mehr so genau, wenn es ihnen nützt (was übrigens bei den hier eingesperrten sog. Straftätern auch nicht anders ist – aber Ministerpräsident werden sie deshalb nicht, weil ihnen dafür zwar vielleicht nicht die Kriminalität, wohl aber das CDU- oder SPD-Parteibuch fehlt).

Ich habe den Eindruck, dass nicht nur die Gefangenen dieses Spiel durchschauen, sondern alle oder fast alle der BeamtInnen auch. Aber das Spiel hat enge Regeln und wird so ausgehen wie immer: Die werden sich wenig oder nicht trauen, zu protestieren – schon gar nicht öffentlich. Sie werden unter zunehmendem Stress weiterarbeiten, den Frust in sich reinfressen, ihre Meinung umprogrammieren oder den Stress an den Schwächeren ablassen. Das sind dann die Gefangenen (manchmal vielleicht auch KollegInnen oder in der Familie nach Feierabend) - und so begründet sich manch Schikane bis hin zu lächerlichen Vorschriften über korrekte Kleidung, Zimmergestaltung, den Standort des Ausweishochhaltens beim morgendlichen "Appell" oder bei albernen Spielchen, wenn BeamtInnen Gefangenen die Zimmerschlüssel klauen, wenn diese das Angstspiel nicht mitmachen und nicht ständig ihre Zellen abschließen, bloß weil sie mal pinkeln gehen. Was ja noch lustig sein könnte, bekommt eine andere Färbung, wenn mensch merkt, dass die das auch noch ernst meinen ...
Die Pyramide läuft noch weiter, denn die Gefangenen finden immer wieder untereinander auch nochmals ihre Form des "Radfahrens" (nach oben buckeln, nach unten treten), über die der Frust von oben nach unten abgeleitet wird.

Ich habe einige Gespräche mit BeamtInnen und Gefangenen geführt und die Frage, wie wichtig es ist, Rückgrat zu zeigen oder überhaupt wieder zu lernen, eigensinnig im Sinne der Benutzung des eigenen Kopfes zu sein. Dabei geht es nicht um ständige Revolte, die ist hier im Knast noch aussichtsloser und selbstzerstörender gegen eine absurde Maschinerie des gleichgültigen Vollstreckens formaler Vorgaben wie draußen - und auch dort weht kein Hauch des Aufstandes gegen die Verhältnisse. Doch das Gefühl, eine eigene Position zu haben und sich wenigstens kleine Freiräume zu erkämpfen, ist wichtig, um nicht als Mensch unterzugehen im Grau dieser Welt. Außerdem hilft es, denen in Regierungen und Apparaten nicht alles durchgehen zu lassen. Daher wäre meine wärmste Empfehlung an alle BeamtInnen und an die Gefangenen, die zumindest nach ihrer Entlassung ja nicht ihre Vergangenheit verlegen verschweigen müssen: Wir haben etwas zu gewinnen gegen dieses verordnete Leben. Die geballte Faust gehört nicht in die Hosentasche, sondern nach oben – ins "Gesicht" (d.h. die Machtzentren) derer, die uns das ständig antun, um ihre und die Privilegien anderer mit ständiger Gewalt durchzusetzen.

Leider gab es der Gespräche nicht viele. Vieles läuft aneinander vorbei. Solidarität oder Interesse aneinander ist gering. Zeitvertreib oder oberflächliche Cliquen sind eher Anlass für Kommunikation. Ich war zudem viel allein in meinem Schriftstellerkeller des offenen Vollzug. Das war eine Sonderbehandlung, die mir aber auf den Vorteil verschaffte, wenigstens weiter schreiben zu können. Drei Bücher sind dadurch wesentlich vorangekommen: "Monsanto auf Deutsch" ganz fertig und die beiden herrschaftskritischen Werke "Freie Menschen in freien Vereinbarungen" (komplett überarbeitete Neuauflage) und "Anarchie" als Textwürfe (die beiden letzteren dürfen jetzt das Jahr über diskutiert werden, bis dann überarbeitete Versionen Ende 2011 als Buch erscheinen sollen).
Insofern kann ich mich nicht beschweren im Vergleich mit den üblichen Einschränkungen und grundsätzlich menschenfeindlichen Logiken des Systems von Strafe und Knast. Nichtsdestotrotz ist das Kopfschütteln und der taktische Protest gegen so viele unsinnige Vorgänge und Anordnungen einfach Alltag. So wie beim Schreiben dieses Textes: Schaue ich über den Laptopbildschirm hinaus, sehe ich zwei Toilettentüren. In Richtung Glasfront und Eingang darf ich nicht gucken, weil sich die BeamtInnen dann beobachtet fühlen (sie sitzen auf der anderen Seite des Eingangs ebenfalls in einem Glaskasten). Das allein ist irgendwie schon absurd. Aber nun können die BeamtInnen besser sehen, was ich mache, weil der Bildschirm zu ihnen gewandt ist. Und schon kassierte ich eine Bemerkung, weil ich eines Tages einen Film guckte (ja, tue ich in der Tat: Einige Dokumentationen habe ich mit der vielen Zeit im Knast angeschaut und Passagen zwecks Zitierens mitgeschrieben - andere habe ich geschaut, wenn ich nach drei, vier oder auch erst nach sechs Stunden nicht mehr kreativ schreiben, Internetseiten gestalten oder sonst etwas tun konnte und dann bis zum Abgabetermin des Laptops um Punkt 15.30 Uhr noch z.B. Plastik Report, die DVDs des Buches über Attac im Laika-Verlag, an dem ich mitgeschrieben habe und einiges andere schaute). Es war keine schlimme Anmache, aber wie der Streit um die Frage, wie sinnvoll es ist, die Decke nach dem Schlafen immer schön gerade übers Bette zu legen oder den eigenen Arbeitstisch in der Zelle aufzuräumen immer ein kleiner Tropfen in dem Meer von verordneter Eintönigkeit, die das Leben im Knast auszeichnet. So sollen Menschen ohne Eigenartigkeiten gemacht werden. Tote Fische im Strom, wie sie die BeamtInnen beim Ausfüllen ihrer Rollen überwiegend auch sind (was nichts darüber sagt, wie sie nach Dienstende, also als Menschen, so drauf sind).

Das Thema Knast und Strafe (und andere Zwangsanstalten) muss also weiter Thema bleiben oder es erst richtig werden. Denn hier ist der Ort, an dem das überall laufende Projekt herrschaftsförmiger Zurichtung am deutlichsten sichtbar ist: Menschen sollen auf bestimmte Verhaltensweisen und ein williges VollstreckerInnentum getrimmt werden - ohne eigene Ideen und kreative Eskapaden. Wer Gesellschaft verändern will, muss deshalb zwangsläufig zum/r StraftäterIn oder zum/r SpinnerIn werden, denn die Norm sagt, wer "norm"al ist und wer nicht.

Die Landesregierung und ihre Kettenhunde in Robe und Uniform werden sich bestätigt fühlen, wenn sie diesen Text lesen. Sie haben nichts zu befürchten - obwohl sie das Desaster und die jetzigen Verschärfungen verantworten. Und obwohl sie selbst überwiegend kriminell sind, zum einen im Sinne der "Kriminalität der Braven" (Titel eines streckenweise sehr erhellenden Buches eines Gießener Ex-Oberpolizisten), zum anderen aber auch im strafrechlichen Sinn. Denn während ich (und all die anderen hier) schon beim versehentlichen Mitnehmen eines Handys in ihren Haftraum eine massive Bestrafung fürchten müssen, sind von den Kriminellen, die z.B. mich vom 14.5. bis 18.5.2006 wider besseren Wissens ins Gefängnis warfen, um mich mundtot zu machen, noch alle im Dienst: Sie verurteilen als RichterInnen weiter Schuldige und Unschuldige, sie drangsalieren als Polizeichef oder StaatsschützerIn weiter viele Menschen oder sind sogar Ministerpräsident geworden. Dabei zeigt schon dieser eine Vorfall, dass es eine Bande ist, die in Zusammenarbeit bewusst schwere Verbrechen begeht - also sogar der Paragraph 129, der Bildung krimineller Vereinigung, erfüllt ist. Dumm nur, dass die Staatsanwaltschaften und RichterInnen, die das als einzige in diesem Land ahnden dürfen, zu der Bande gehören (der ganze Vorfall nachzulesen als Kapitel im Buch "Tatort Gutfleischstraße", wo noch mehr so Dinger präzise beschrieben und belegt werden).

Die ExpertInnen, die aus ihrer Innenschau des alltäglichen Erlebens von Knastlogiken wichtige Aufklärungsarbeit leisten könnten, werden es nicht tun. Entweder halten sie als Gefangene aus Angst die Klappe oder bleiben hinter den Mauern mundtot, weil in dieser Gesellschaft nur die Eliten und Privilegierten Zugang zu Medien und öffentlichen Debatten haben. Oder ihnen wird als BeamtInnen und Angestellte des Zwangsapparates zwar das Desaster völlig klar sein, andererseits aber das Hemd auch näher als die Hose. In einer Gesellschaft williger VollstreckerInnen werden Menschen per Lohnarbeit ständig zu Handlungen gebracht, die sie für falsch halten. Davon leben die Regime und Eliten, die überall auf der Welt die Gesellschaften dominieren. Nur die Dummen brauchen dazu Kampfflugzeuge.

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Ergänzungen

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öhm — Hurtz!

zu öhm — jb

@hurtz — drumm

aus BaWü — anonym