"Zensur heißt Paternalismus"

tja 16.03.2011 14:22 Themen: Bildung Freiräume Kultur Medien Repression Soziale Kämpfe
Staatliche Repression gegen Untergrund-Publikationen der radikalen Linken stellt die Frage nach dem Verhältnis zwischen Informationsfreiheit und gesellschaftlicher Emanzipation. Die allgemeine Verfügbarkeit von Anleitungen zur Sabotage oder Pamphlete zur Überwindung der herrschenden Verhältnisse zu behindern entmüdigt die Menschen. Die Sabotage von Infrastruktur und Institutionen, die die Menschenwürde in Frage stellen ist eine wichtige Handlungsmöglichkeit. Und die bürgerlich-demokratische Grundordnung nicht das Ende der Geschichte. Es kommt vielmehr darauf an was Menschen in einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext mit diesen Informationen anstellen. Dies gilt es zu debattieren und eventuell entlarvend zu analysieren. Ein solcher Prozess ist eine Notwendigkeit für gesellschaftliche Emanzipation.
Beschlagnahmungen der autonomen Flugschrift "Interim" bei linksradikalen Buchhändlern in Berlin. Verhaftungen in Frankreich nach dem Erscheinen eines anonym verfassten, revolutionären Pamphlets. Druckausübung gegenüber Providern und Hausdurchsuchung beim Administrator einer Website von der ein klandestin verfasstes "Sammelsurium militanter Aktionen" herutergeladen werden konnte.

In den letzten Monaten häuften sich die Fälle in denen der Staat gegen vermeintliche Vefasser und Verteiler linksradikeler Untergrund-Medien einschrit. Oft wolle er damit Straftaten oder Aufrufe zu solchen verhindern, so die oft gehörte Begründung. Dahinter liegt wohl aber auch die Aufgabe der Behörden, eine praktische Infragestellung des staatlichen Gewaltmonopols und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu verhindern. "Wir haben das im Auge" sagt der bundesdeutsche Verfassungsschutz mit Bezugnahme auf oben genannte Publikationen. Verfasser, Herausgeber und genau Vetriebswege der Zeitschriften seien aber weitgehend unbekannt.

Den erwähnten Buchläden wurde nun gerichtlich bescheinigt, dass sie nicht haftbar für die Inhalte der von Ihnen vetrieben Medien sind. Damit ist der Versuch staatlicherseits gescheitert eine Selbstzensur von systemkritischen Inhalte zu erzwingen. Die Läden seien keine "Vorinstanz des Staatsschutzes", erklärt der Anwalt Ulrich von Klinggräf des betroffenen Buchladens OH21.

Lutz Schulenburg ist Verleger der Edition Natilus, in der das in Frankreich kriminalisierte Manifest "Der kommende Aufstand" veröffentlicht wurde. Er sieht es als seine publizistische Pflicht, Texte zu verbreiten, die sich für gesellschaftliche Emanzipation einsetzen. Gerade wenn diese die bestehenden Verhältnisse grundsätzlich in Frage stellen. "Geschichte wird von Menschen gemacht und der freiheitlich-demokratischen Staat ist nicht ihre Endstation" sagt der bekennende Anarchist entschieden. Sie dürfe deshalb auch nicht vor der bestehenden Ordnung halt machen. Jedwede Zensur bleibe im "Denken des Staatsanwalts" verhaftet und gehöre hinterfragt.

Dieses Denken sollte Peer Heinlein, Geschäftsführer des politischen Providers "JPBerlin" nicht unbekannt sein. Zu seinen Referenzen als IT-Consulter zählen Berliner Staatsanwaltschaft und Bundesgrenzschutz. Auf seinen Servern war über projektwerkstatt.de die Zeitschrift "Prisma" abrufbar die Anleitungen zu militanten Aktionsformen gab. Die Staatsanwaltschaft übte Druck aus. Der Provider sagt man habe keine Wahl gehabt und "bis zur Klärung" die ganze Seite vom Netz nehmen müssen. Laut den Akten die Aktivist Jörg Bergstedt vorliegen hingegen habe die Staatsanwaltschaft von JPBerlin aber lediglich eine Kopie der entsprechenden Server-Festplatten verlangt. Aber nicht nur diese wurden bereitwillig aufgehändigt. Die Sperrung des Online-Portal sei "voraus eilender Gehorsam". Vermeintlich Linke zensierten damit eine emanzipatorische Plattform.

"Direkte, gesellschaftliche Intervention" statt Zensur, wünscht sich hingegen Verleger Schulenburg. Um enstprechend handlungsfähig zu werden brauche es das genaue Wissen für alle möglichen, auch militante Aktionsformen, erklärt Aktivist Bergstedt. Ob diese dann im gesellschaftlichem Kontext die richtige Qualität haben und angemessen sind kann dann debattiert werden.

Wie aber mit menschenverachtenden Publikationen umgehen, ohne staatliche oder anders geartete Zensur? Diese, meint Bergstedt, sei schließlich "paternalistisch" und "entmündigt den Menschen". Entsprechend reaktionäre Texte mit einer kritischen Einordnung und enlarvenden Analyse zu versehen und darzustellen, ermächtige die Menschen hingegen. Ähnlich klare Statements waren von anderen linken Gruppen nicht zu bekommen.
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Ergänzungen

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Selbstbezogenheit - Debatten — baal-re-mesh

nejnej — kaaal

@ kaaal 16.03.2011 - 16:05 — baal-re-mesh

Uni-(Schein_)debatte um Linke — Radikal Queer

Logikfehler — Bestwissenderster