Portugal: Proteste der "prekären Generation"

I.K. 16.03.2011 00:59 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Einige Zeit schien es so, als hätten die großen Proteste in Griechenland gegen das neoliberale Austeritätsprogramm dazu geführt, dass andere europäische Regierungen, wie etwa in Portugal, etwas vorsichtiger agieren und versuchen, soziale Proteste einzudämmen. Diese Zeiten sind offenbar vorbei.
Im Winter 2010 beschloss die "sozialistische" Regierung in Lissabon ein Spar- und Kürzungsprogramm, einschließlich Preissteigerungen für Nahverkehr und Erhöhung der Mehrwertsteuer bei gleichzeitigen Lohnkürzungen. Gegen diese Maßnahmen, die ab dem 1.1.2011 gelten, gab es am 24. November 2011 einen Generalstreik. Neben dem Gewerkschaftsverband CGTP, der der Kommunistischen Partei Portugals näher steht, rief der sozialdemokratische Verband UGT ebenfalls zum Generalstreik auf - obwohl die UGT der regierenden Sozialistischen Partei näher steht. Nach Gewerkschaftsangaben haben 3 Millionen Menschen gestreikt. Allerdings war die öffentliche Wirksamkeit des Streiks gering und außerhalb der Hauptstadt war der Streik kaum spürbar. Dies schien darauf hinzudeuten, dass viele zwar unzufrieden mit der Regierung sind, aber gleichzeitig wenig Hoffnungen hatten, die Verschlechterung ihrer Lebensumstände abwenden zu können.

Das nächste politische "Barometer" war die Präsidentschaftwahl am 23. Januar 2011. Das staatliche Austeritätsprogramm war bereits in Umsetzung und die Parteien, die dafür verantwortlich sind, waren bekannt. Die soziale Unzufriedenheit führte aber nicht zu einem Stimmenzuwachs für die linken Parteien. Der Kandidat der Kommunistischen Partei kam auf 7,1 Prozent der Stimmen und der linkssozialdemokratische "Bloco de Esquerda" ("Linksblock", vergleichbar mit der deutschen Linkspartei) entschied sich dafür, den Kandidaten der regierenden Sozialisten zu unterstützen - der dann gegen den konservativen Amtsinhaber verlor. Auch dies war kein Vorzeichen dafür, dass soziale Proteste zunehmen würden. Zwar deutete die niedrige Wahlbeteiligung von etwa 46 Prozent (gegenüber ca. 60 Prozent 2006 und 2009) auf zunehmende Unzufriedenheit, daraus wuchs aber weder eine Zustimmung für die linke Opposition, noch hatte es dazu führte, dass soziale Proteste zunahmen. Zumindest dem Anschein nach..

Im Bezug auf die sozialen Proteste wird die Bewertung seit dem 12. März 2011 anders ausfallen müssen. Die Initiatoren der Proteste waren weder Parteien noch Gewerkschaften, sondern prekarisierte Unorganisierte. Und trotzdem (oder gerade deswegen) demonstrierten an diesem Tag mehr als 200.000 Menschen in Portugal gegen die zunehmende Prekarisierung ihrer Lebensumstände, sei es durch Arbeitslosigkeit oder Lohnkürzungen. Allein in Porto waren etwa 80.000 Menschen auf der Straße - bei einer Einwohnerzahl von 400.000. In Porto waren Parteifahnen waren ebenso wenig zu sehen wie die Gewerkschaftssymbole. Neben vielen selbstgebastelten Schildern und einigen wenigen Portugalfahnen waren lediglich Transparente der anarchosyndikalistischen AIT-SP erkennbar.

Noch ist offen, ob der 12. März lediglich ein kurzes Strohfeuer ist oder weitere selbstorganisierte Proteste folgen. Ebenso denkbar ist, dass die linken Oppositionsparteien und die Gewerkschaften versuchen, die sichtbar gewordenene Unzufriedenheit doch zu kanalisieren und daraus zu schöpfen. Sicher ist aber: Die Zeit der schweigenden Unzufriedenheit ist in Portugal vorbei.
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Ergänzungen

Soziale Bewegungen

Portugal 16.03.2011 - 16:54
In der Woche vor der großen Massendemo fanden in Lissabon die "Journadas Anticapitalistas", statt, eine Woche voll anti-kapitalistischen Aktionen und Austausch. Sie wurden aber von der Mehrheit der Bevölkerung un der Presse nicht beachtet.
Heute findet eine weitere inter-iberische große Demo statt, die das Ziel hat die Atomkraftwerke auf der iberischen Halbinsel abzuschalten. Momentan gibt es 8 Reaktoren, nur in Spanien.

 http://www.ecologistasenaccion.org/article20094.html

Portugiesische Aktivisten haben vor 35 Jahren in Ferrel (Erdbebengebiet 80 km nördlich von Lissabon) ein Atomkraftwerk verhindern können.

 http://www.gaia.org.pt/node/15922

Im Moment setzt der Quasi-Monopolist EDP auf Wasserkraft und baut große Staudämme, die das empfindliche Ökosystem erheblich beeinträchtigen.
Es wird dennoch als "sauberer" Strom beworben.

Zum Teil entwickeln sich hier starke lokale Bewegungen dagegen, die aber erst kürzlich im Tal des Flusses "Tua" einen herben Rückschlag erleiden musste. Eine der letzten Bahnlinien ins Landesinnere- auch touristisch interessant- wurde dafür geflutet.

Es gibt also interessante Ansatzpunkte und Aufgaben für die sozialen Bewegungen in Portugal.

Politische Krise und mögliche Neuwahlen

I.K. 18.03.2011 - 13:30
In Portugal könnte demnächst es zum Regierungssturz und Neuwahlen kommen, weil das Parlament weiteren "Sparmaßnahmen" der Regierung wohl nicht zustimmen wird:

"As the weekend approached, Prime Minister José Sócrates was locked in talks with President Cavaco Silva over squabbles which many predict will culminate in early elections. A day earlier, Pedro Passos Coelho, the opposition chief, held discussions with the president, thought to have centred around impending early elections and the reasons for them to occur. But the political crisis in which the country was flung this past week comes as no surprise as concrete threats by the opposition that additional austerity measures will not be approved, has, in effect, been brewing since Portugal chose to re-elect Mr. José Sócrates, but without a majority."

 http://www.theportugalnews.com/cgi-bin/article.pl?id=1104-1

Manifest der "Generation der Prekären"

Entdinglichung 18.03.2011 - 17:22
ein Text aus der Bewegung, gefunden hier:  http://internationalviewpoint.org/spip.php?article2017

The Precarious Generation Manifesto

We, unemployed, “five hundred-eurists” and other underpaid workers, disguised slaves,those who are underemployment or on fixed term contracts, self employed, casual workers, trainees, scholarship holders, working students, students, mothers, fathers and young people of Portugal.

We, who have up to now been complacent about the conditions imposed upon us, stand here, today, to contribute to a qualitative change in our country. We stand here, today, because we can no longer accept the situation that we have been dragged into. We stand here, today, because every day, we strive hard to be deemed worthy of a dignified future, with stability and safety in all areas of our lives.

We protest so that those responsible for our uncertain situation – politicians, employers, and ourselves – act together towards a rapid change in this reality that has become unsustainable.

Otherwise:

a) The present is betrayed because we are not given the chance to show our potential, thus blocking the improvement of the country’s social and economic conditions. The aspirations of a whole generation, which cannot prosper, are wasted.

b) The past is insulted, because previous generations have worked hard for our rights, our access to education, our security, labour rights and our freedom. Decades of effort, investment and dedication, risk being compromised.

c) The future is morgaged , and we foresee it without quality education for all and no fair retirement pensions for those who have worked their whole lives. The resources and skills that could put the country back on track of economic tsuccess will be wasted.

We are the highest-qualified generation in the history of our country. So do not let us down with the prospect of exhaustion, frustration or lack of future perspectives. We do believe we have all the resources and tools to provide a bright future for our country and ourselves.

This is not a protest against other generations. Quite simply, we are not, nor do we want to, wait passively for problems to sort themselves out. We protest because we want a solution, and we want to be part of it.

Rückblick auf Generalstreik in Portugal, 2010

Anarchosyndikat Köln/Bonn 18.03.2011 - 17:45
Spanien: Millionen Arbeiter/innen im Generalstreik! (29.09.2010)
 http://anarchosyndikalismus.blogsport.de/2010/09/30/spanien-millionen-arbeiterinnen-im-generalstreik/

Und am Samstag

geht es weiter! 22.03.2011 - 19:27
Zwar finden die Proteste gegen die Ausbeutung Europas zurzeit aufgrund außereuropäischer Ereignisse etwas weniger Beachtung, aber sie finden statt.

Am Samstag wird es in London eine Großdemonstration geben, erwartet werden mindestens 500.000 Leute.

Siehe:  http://marchforthealternative.org.uk/ und  http://www.facebook.com/event.php?eid=176812472328977

Veranstaltung in Berlin (7.4) über Portugal

BUKO 24.03.2011 - 13:37
Portugal: Widerstand gegen die neoliberale "Krisenbewältigung"

Im Gegensatz zu den anderen europäischen "Krisenländern" sah es in Portugal lange so aus, als würden größere soziale Proteste ausbleiben. Diese Zeiten sind offenbar vorbei. Am 12. März 2011 demonstrierten mehr als 200.000 Menschen in Portugal gegen die zunehmende Prekarisierung ihrer Lebensumstände, sei es durch Arbeitslosigkeit oder Lohnkürzungen. Die Initiatoren der Proteste waren weder Parteien noch Gewerkschaften, sondern prekarisierte Unorganisierte.

Noch ist offen, ob der 12. März lediglich ein kurzes Strohfeuer ist oder weitere selbstorganisierte Proteste folgen. Ebenso denkbar ist, dass die linken Oppositionsparteien und die Gewerkschaften versuchen, die sichtbar gewordene Unzufriedenheit doch zu kanalisieren und daraus zu schöpfen. Sicher ist aber: Die Zeit der schweigenden Unzufriedenheit ist in Portugal vorbei.

Ismail Küpeli (Bundeskoordination Internationalismus) wird über die neoliberale "Krisenbewältigung", die aktuelle politische Regierungskrise und die wachsenden sozialen Proteste in Portugal berichten.

Berlin, 7.4., 19 Uhr in der Meuterei (Reichenbergerstr. 58)

rev. 1.Mai-Demo brutalst aufgelöst,

colega 04.05.2011 - 17:24
Setúbal, Portugal: friedliche, revolutionäre 1.Mai-Demo von Polizei mit Gummi-Geschossen äußerst brutal aufgelöst, mehrere Verletzte

Die anarchistische 1. Mai-Demo in Setúbal (ca. 50 km südlich von Lissabon) mit ca. 100-200 TeilnehmerInnen wurde, nachdem sie bereits beendet, war von der Polizei grundlos, ohne Vorwarnung mit Gummi-Geschossen, scharfen Warnschüssen und Schlagstock- und Tränengaseinsatz angegriffen.
Die Organisatoren sprechen von mind. 12 Festnahmen, ca. 30 Verletzten, 4-5 Schüssen mit scharfer Munition und zahllosen Gummi-Geschossen. Daneben seien 2 Polizisten mit Rücken- und Schulterschmerzen, aber keinen weiteren Verletzungen ins Krankenhaus gekommen.

Siehe übersetzter Bericht im Open Posting und  http://pt.indymedia.org/conteudo/destacada/4398

Video von der Polizeigewalt

colega 09.05.2011 - 16:17
Hier ein Video von der Demo und der abschliessenden Polizeigewalt. Ab Minute 9.50.

 http://www.youtube.com/watch?v=ngMyjZVOG4U

Soziale Zentrum ESCOLA geräumt

I.K. 10.05.2011 - 11:58
Laut port. Indymedia wird das soziale Zentrum ESCOLA in Porto gerade geräumt:

 http://pt.indymedia.org/conteudo/newswire/4449

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