Bremen: Frontex/Libyen-Demo

NoLager 13.03.2011 15:47 Themen: Antirassismus Soziale Kämpfe
Am gestrigen Samstag sind knapp 200 Leute in Bremen unter dem Motto „Freiheit statt Frontex! Keine Demokratie ohne globale Bewegungsfreiheit! Für die Unterstützung der Freiheitskämpfe in Libyen und anderen arabischen Ländern!“ auf die Straße gegangen. Die Demonstration wurde vorbereitet von AktivistInnen aus dem Netzwerk Afrique-Europe-Interact und dem in Bremen neu gegründeten Solidaritätskomitee „Revolutionen 2011“( http://thecaravan.org/taxonomy/term/42).
Geplant waren ursprünglich zwei Demos – beide zum gleichen Zeitpunkt. Da jedoch Bremen nicht riesig ist und die Thematiken ohnehin zusammengehören, wurde sich kurzfristig auf eine gemeinsame Demo verständigt. Der von Afrique-Europe-Interact-AktivistInnen lancierte Aufruf basierte dabei auf einer jüngst von drei antirassistischen Netzwerken unter dem Titel „Freiheit statt Frontex. Keine Demokratie ohne globale Bewegungsfreiheit“ veröffentlichten Deklaration (welche im Übrigen noch weitere UnterstützerInnen sucht: www.afrique-europe-interact.net).

Eröffnet wurde die Demo mit einem Redebeitrag eines Vertreters der arabischen Community in Bremen, danach folgte aus aktuellem Anlass ein Redebeitrag zum (drohenden) Super-Gau in Japan, schließlich wurde noch ein Aktivist des Bremer Anti-Frontex-Bündnisses interviewt (oder vornehmer: der Initiative Ziviles Bremen:  https://ziviles-bremen.noblogs.org/). Beim ersten Zwischenstopp in der Bremer Innenstadt berichtete ein Flüchtlingsaktivist (der auch auf der jüngst erfolgten Bamako-Dakar-Karawane dabei war) von der EU-Migrationspolitik in Afrika – und der Rolle, die dabei unter anderem die EU-Grenzschutzagentur Frontex spielt (vgl. hierzu auch die Berichte von der Karawane selbst:  http://www.afrique-europe-interact.net/?article_id=71&clang=0). Zudem ging es in einem weiteren Redebeitrag um die Zusammenarbeit von Deutschland bzw. der EU mit autoritären Regimen im arabischen Raum – sei es aus ökonomischen Interessen oder zur gemeinsamen (von der EU vergüteten) Abwehr von Flüchtlingen und MigrantInnen (dieser Redebeitrag wurde von einem Mitglied der „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen“ gehalten). Beim zweiten Zwischenstopp – ebenalls in der Innenstadt – wurde zunächst auf die Bedeutung von Arbeitskämpfen für das Zustandekommen der aktuellen Revolten eingegangen, außerdem berichtete eine Aktivistin von Afrique-Europe-Interact über die Situation von Flüchtlingen in bzw. aus Libyen. Dabei ging es insbesondere um die Situation von Flüchtlingen aus Subsahara-Ländern, die zur Zeit zwischen allen Stühlen sitzen und nicht zuletzt von den Aufständischen massiver Verfolgung ausgesetzt sind (u.a. weil sie in Haftung für die von Gaddafi rekrutierten Söldner aus einigen subsaharischen Ländern genommen werden - insbesondere Tuareg aus Mali, dem Tschad und Sudan). Bei der Schlusskundgebung wurde der Bogen nochmal nach Europa geschlagen: einerseits hieß es, dass die Kämpfe in der arabischen Welt gezeigt hätten, dass es nicht zuletzt darauf ankäme, die eigene Angst abzulegen, andererseits wurde über die Aktivitäten gegen den geplanten Nazisaufmarsch am 1. Mai in Bremen berichtet (mit einem inhaltlichen Bogen zwischen Frontex und menschenverachtenden Nazi-Ideologien). Außerdem wurde erneut auf die Situation in Japan eingegangen – inklusive der Forderung nach sofortiger Stilllegung aller Atomanlagen weltweit.

Die Demo selbst war eine ganz normale Demo – so wie es halt ist, wenn mensch an einem vorfrühlingshaften Samstag durch die Innenstadt einer (west)deutschen Großstadt zieht und sich mit Flugblättern, Slogans, Musik und Redebeiträgen an ein in erster Linie konsumierendes Publikum wendet. Richtig erwähnenswert dürfte vor allem dreierlei gewesen sein: Erstens, dass sich an der Demo auch 20 Aktivist_innen beteiligt haben, die mit roten T-Shirts vor allem auf Fluchtgründe aufmerksam gemacht haben, die mit Geschlecht, sexueller Identität etc. zu tun haben). Zweitens, dass auf der Demo eine 12 Meter lange Liste mit den Namen von über 14.000 Menschen mitgetragen wurde, die in den letzten 20 Jahren an den Außengrenzen der EU ums Leben gekommen sind; die Liste wurde anlässlich der Bamako-Dakar-Karawane gedruckt, ist also in den vergangenen Wochen schon von vielen Leuten an ganz verschiedenen Orten in der Öffentlichkeit gezeigt worden (u.a. in Nioro/Mali, in Gogui an der malisch-mauretanischen Grenze und in Dakar/Senegal). Uund drittens, dass ein musikalischer Hybrid aus Samba-Rhythmen und arabisch gesungenen Demo-Slogans das Licht der Welt erblickt hat....
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Kommentar zur Positionierung der Linken

bert 13.03.2011 - 18:55
Ein Kommentar zur problematischen Positionierung der Friedensbewegung zu den Kämpfen in Libyen und erstrecht solcher Leute, die hier in der Kommentarspalte die Demonstranten als "bourgeoises pack" bezeichnen:
 http://bit.ly/efXwxP

Berichterstattung in der Presse

NoLager 14.03.2011 - 15:19
Die Abendnachrichten von Radio Bremen haben zumindest in einem kurzen Clip über die Demo berichtet:

 http://www.radiobremen.de/mediathek/index.html?id=044595

Die Printmedien haben sich hingegen auf kurze Meldungen beschränkt - von einem Interview in der taz im Vorfeld der Demo abgesehen

Problem der anti-arabischen Ressentiments

Mitorganisator der Demo 14.03.2011 - 17:18
Gerade jetzt ist es wichtig die Aufstände in den arabischen Ländern zu unterstützen und genau hinzuschauen, wie die Leute kämpfen.
Wenn es kritisierbare Handlungen gibt, dann darf das kein Anlass sein, die Bewegungen der Leute einfach abzuwerten, sich herablassend pauschal zu distanzieren.

Es kamen nur wenig Leute zur Demo, es waren Leute mit ganz unterschiedlichen Zielen oder Prägungen dabei -
besonders ätzend war dies:
Die Parole "Freiheit, Brot und Würde!", eine zentrale Botschaft in Ägypten dieser Tage sollte auf arabisch und deutsch hierhergetragen werden - aber jedes Mal wie sie gerufen wurde, riefen die Antifas direkt dahinter "Nazis raus!" Wer sind denn die Nazis an diesem Vormittag gewesen? Etwa die Araber, die das Transparent eine Kette vor ihnen hielten?
Scheiße diese antrainierten Abwehrreflexe.

Bei der Demo wurde einiges nicht genug deutlich, wie z.B. dass es nicht um arabische Identität geht, sondern um Gegenmacht gegen Diktaturen.
Es sollte viel stärker verbreitet werden, dass die Aufstandsbewegungen NICHT an Gewaltakten gegen religiöse Minderheiten beteiligt sind.
In Kairo wurde die Stasi-Zentrale gestürmt!
Dort wurden Dokumente gefunden, die beweisen, dass der Terroranschlag auf die koptischen Christen in Alexandria in der Sylvesternacht vom Mubarak-Regime verübt wurde.
wie auch das Attentat auf ein Touristenhotel von Scharm-Al-Sheich 2005 mit über 80 Toten. Das organisierte der Sohn Gamal Mubarak, und schaltete so einen Konkurrenten in der Hotelbranche aus, schob es den Islamisten in die Schuhe.
Die Moslembrüder würden jetzt bei Wahlen in Ägypten keine 20% erhalten.

In Tunesien war der Mord an einem katholischen Priester von einem unpolitischen Räuber verübt worden.
In Tunesien geht die Revolution in den Betrieben weiter: die Arbeiter im Süden Tunesiens verabschieden ihre Chefs und führen Kollektivregie ein.
Wenn Frauen auf dem Tahrir-Platz angegriffen werden, so kann doch nicht die Folgerung sein, die sind aber scheiße, die Moslems und Araber, sondern : es wird weitergekämpft, für Emanzipation. Sie lassen sich ihre Erfahrung nicht nehmen!

soziale Revolution!
Selber einen Aufstand machen!
Die Welt besteht nicht aus Ideologien!
Harald Neumann

Positionierungsprobleme

ka 14.03.2011 - 18:38
Der Aufruf laut Flyer lautete "Freiheit statt Frontex - Solidarität mit den Aufständen in Libyen und anderen Ländern der arabischen Welt". Warum ausgerechnet Libyen explizit genannt wurde, ist mir schleierhaft. Dort findet wohl eher ein Bürgerkrieg statt, als ein Aufstand und ob es den Aufständischen um Demokratie und Menschenrechte geht, scheint mir keinesfalls erwiesen. Ich sehe in den Aufnahmen jedenfalls keine Demonstrant_innen mehr, sondern nur noch bewaffnete Männer, die v.a. um Ölanlagen kämpfen. Die Übergangsregierung in Bengasi wurde dann auch sehr schnell von der EU als Gesprächspartner bzw. "legitime Vertretung des Volkes" akzeptiert - ganz anders als in Tunesien und Ägypten.

In Tunesien und Ägypten handelte es sich ganz klar überwiegend um demokratische Bewegungen (die gerade aufs Maul bekommen, während sich deutsche Linke mit dubiosen libyschen Putschisten solidarisieren,  http://de.indymedia.org/2011/03/302485.shtml). Warum hat man sich nicht explizit mit diesen Aufständen solidarisiert und mit anderen in der arabischen Welt: "Solidarität mit den Aufständen in Ägypten, Tunesien und anderen Ländern der arabischen Welt". So war es dann kein Wunder, dass vom Demo-Mikrofon Sprechchöre ausgegeben wurden, die nicht nur den Holocaust relativierten, sondern in der aktuellen Situation als Kriegstreiberei angesehen werden können: "Gaddafi ist Hitler", "Gaddafi, Mörder und Faschist". Es gab Redebeiträge, die dem explizit widersprachen und insgesamt ging die Demo in eine andere Richtung, eine NATO-Intervention wurde explizit abgelehnt, dennoch war das problematisch.

Überhaupt stimmt was nicht in der Positionierung der Linken zu Libyen, wie der Kommentar von bert deutlich macht. Im verlinkten Text wird dem Bundesausschuss Friedensratschlag und der Informationsstelle Militarisierung folgender Satz in den Mund gelegt: "Die Völker sollten das ohne Einmischung unter sich klären." Der findet sich aber im Internet niergends ausser auf dem nahostinfos und in einem versteckten Indy-Artikel. Hier werden also gezielt die Organisationen der Friedensbewegung verunglimpft, die sich bislang deutlich gegen eine NATO-Intervention ausgesprochen haben. Das stärkt dann doch den Verdacht, dass mit der ganzen "Libyen-Solidarität" letzlich in linken Medien eine NATO-Intervention herbeigeführt werden soll.

Bemerkenswert auch, dass die Vorgänge nicht nur in Ägypten, wo die Reaktion jetzt am Zuge ist, sondern v.a. auch in Jemen und Bahrein hinter dieser Libyen-Solidarität völlig untergehen. Auch Saleh hat von Häuserdächern auf Demonstranten schiessen lassen und es soll sogar Giftgas eingesetzt worden sein. In Bahrein haben jetzt die Nachbarländer Soldaten entsandt. Aber die Revolution findet ja gerade in Libyen statt, wird von der EU begrüßt und sieht so aus:

 http://www.foreignpolicy.com/articles/2011/03/07/revolt_in_the_desert?page=0,2
 http://news.sky.com/skynews/Home/video/sky-news-video/Video/201103215948420

@ gucki, bert, nahostinfos

KA 15.03.2011 - 00:57
Naja, dass gucki bert ist und den nahostinfos-Blog betreibt ist ja nicht weiter schlimm und wenn er was gegen die Friedensbewegung hat, ist das auch OK. Aber erst falsch Zitieren, ja, verunglimpfen, und dann so tun, als wär nie was gewesen, ist unsauber. Wir sind hier nicht im Verteidigungsministerium. Oder doch?

Im google-Cache gibt's noch die alte Variante des Posts

"Arabische Liga und Rebellen fordern Eingreifen, doch Westen uninteressiert – und die Friedensbewegung applaudiert: “Gespräche!” gegen Mord"

darin heißt es:
"Viele Libyer wollen keine Flugverbotszone. Wir sind gegen westliches Eingreifen, das von imperialistischen Interessen gelenkt ist. Die Völker sollten das ohne Einmischung unter sich klären. Informationsstelle Militarisierung, Bundesausschuss Friedensratschlag u.a."

wobei das "Die Völker sollten das ohne Einmischung unter sich klären" fettgedruckt ist. Die angeblichen Quellen werden nicht verlinkt. ( http://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:-6TY3cjC018J:nahostinfos.wordpress.com/2011/03/12/arabische-liga-und-rebellen-fordern-eingreifen-doch-westen-uninteressiert-und-die-friedensbewegung-applaudiert-gesprache-gegen-mord/+%22Die+V%C3%B6lker+sollten+das+ohne+Einmischung+unter+sich+kl%C3%A4ren)

Das war schlicht eine falsche Behauptung, entsprechende Zitate gibt es nicht. Das wurde bemerkt, deshalb wurde der Eintrag überarbeitet. Jetzt steht da:

"Viele Libyer wollen keine Flugverbotszone. Wir sind gegen jegliche [!] Form von militärischer Lösung. [...] Jegliche Lösung kann nur von den Menschen dort vor Ort ausgehandelt [!] werden. Informationsstelle Militarisierung

Der Bundesausschuss Friedensratschlag hat mit einer Erklärung zu Libyen versucht, in die irritierende Debatte über eine “Flugverbotszone” und andere kriegsrelevante Einmischungen [!] des Westens mit einer Mahnung zur Zurückhaltung einzugreifen. [...] Es ist uns unverständlich, weshalb der kürzlich vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez entworfene Friedensplan [!], der auf die Zustimmung Gaddafis [!] traf, vom Westen übergangen wurde. Bundesausschuss Friedensratschlag"
( http://nahostinfos.wordpress.com/2011/03/12/arabische-liga-und-rebellen-fordern-eingreifen-doch-westen-uninteressiert-und-die-friedensbewegung-applaudiert-gesprache-gegen-mord/)

Diesmal mit entsprechenden Links, die im ersten Fall auf ein Interview verweisen.
Danach postet "bert" ein Kommentar mit dem Link auf den aktualisierten Eintrag und schreibt dazu:

"Und da dort links zum Draufklicken sind, kann man die von Dir angezweifelten Stellen, soweit ich das sehe, auch selber nachlesen bzw. eben nachhören."

Im Interview selbst heißt es dann: "Es ist nicht so, dass unisono die komplette Opposition unisono eine Flugverbotszone befürworten würde" (min. 12:38). Auch das mit der "Aushandlung vor Ort" klingt im Interview, ganz am Ende, ganz anders...

Da frag ich mich: Was soll das?

Dann wird da noch falsch behauptet, die internationale Gemeinschaft täte: Nichts.
Sie tut viel mehr, als gegen Ben Ali oder Mubarak, die sie nichteinmal zum Rücktritt aufgefordert hat, sie fährt Flotten auf, macht einen EU-Sondergipfel, mehrere NATO-Treffen, Kommandoaktionen mit Soldaten in Libyen, Konteneinfrierungen, Sanktionen, Embargo, Anerkennung der Opposition, Androhung von Luftschlägen. Gegen Ben Ali und Mubarak wurden nichtmal die Rüstungslieferungen eingestellt! Ihre Konten erst nach Abtritt eingefrohren. Aber für den Nahostblock gibt's nur eines: Luftschläge, die "im Moment vor allem das Morden beenden und den Sieg des irren Gaddafi-Regimes über die fragile Opposition verhindern würde"

"Irres Regime gegen fragile Opposition"... schon klar...

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 2 Kommentare an

@ KA — opfi